WSWS-Chronologie

Das Jahr im Rückblick: 2002

Im Jahr 2002 vollzog sich ein Übergang. Die Bush-Regierung nutzte ihren betrügerischen „Krieg gegen den Terror“, den sie nach den Anschlägen vom 11. September erklärt hatte, für historische Angriffe auf demokratische Rechte und bürgerliche Freiheiten aus. Zeitgleich folgten auf die Besetzung von Afghanistan unverhüllte Vorbereitungen für die Invasion des Irak.

Scrollen für mehr

Es gab zwei wichtige Triebkräfte hinter dem zunehmend rücksichtslosen und militaristischen Charakter der amerikanischen Außenpolitik, dem sich die herrschenden Klassen der ganzen Welt anschlossen.

Zum einen war durch den Zusammenbruch der Sowjetunion 1992 das größte Hindernis für den Einsatz der amerikanischen Militärmacht entfallen. Im Golfkrieg 1991 beendete die Regierung unter George W. Bushs Vater ihren Vorstoß in den Südirak nach ein paar Kilometern, weil sie keine Konfrontation mit der Sowjetunion riskieren wollte, die Saddam Husseins wichtigster internationaler Unterstützer war. Im Jahr 2002 musste sich Bush darum keine Sorgen mehr machen.

Der zweite Faktor war die Krise des amerikanischen Kapitalismus, die sich am deutlichsten in der Pleite von Enron im Dezember 2001 zeigte, dem bislang spektakulärsten Fall von Wirtschaftsbetrug und krimineller Bereicherung. Für die herrschende Elite Amerikas war ein aggressives militärisches Vorgehen sowohl ein Ventil für soziale Spannungen als auch ein Mittel, ihren stetigen wirtschaftlichen Niedergang durch die Inbesitznahme von großen Öl- und Gasvorkommen, den wichtigsten Rohstoffen der modernen Industrie, aufzuhalten.

US-Präsident George W. Bush bringt im Oktober 2002 die Resolution zur Anwendung von Gewalt gegen den Irak ein
Von Afghanistan und der „Achse des Bösen“…

Präsident George W. Bush fasste die Wende der amerikanischen Außenpolitik in seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2002 zusammen. Darin bezeichnete er Nordkorea, den Iran und den Irak als eine „Achse des Bösen“ und drohte diesen Ländern mit Militärschlägen, obwohl keines von ihnen etwas mit den Terroranschlägen vom 11. September zu tun hatte.

Die WSWS bezeichnete diese Rede als „eine Kriegserklärung an die Welt.“ Die Redaktion erklärte in einer Stellungnahme, Bushs „Welteroberungspläne“ hätten tiefgehende gesellschaftliche und wirtschaftliche Ursachen:

In der Tat drohen dem amerikanischen Imperialismus Gefahren, doch sie gehen nicht von kleinen Terroristenbanden oder von den Regierungen kleiner und verarmter Länder am anderen Ende der Welt aus. Sie haben ihre Ursache in der tiefen Krise des Weltkapitalismus und in den schroffen Gegensätzen, die sich innerhalb der USA zwischen der im Geld schwimmenden Elite und der breiten Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung auftun.

Das kriegstreiberische Programm, das Bush in seiner Rede zum Ausdruck brachte, wurde schnell in politische Vorgaben umgesetzt. Die Regierung legte dem Kongress einen „Überblick über die nukleare Stellung“ vor, in dem sieben Länder als mögliche Ziele amerikanischer Atomwaffen genannt wurden: der Irak, der Iran, Syrien, Libyen, Nordkorea und die beiden Atommächte Russland und China. Mit anderen Worten, die US-Regierung bereitete sich nicht nur auf Aktionen vor, die zu einem thermonuklearen Holocaust führen könnten, sondern auch auf den einseitigen Atomwaffeneinsatz gegen Länder ohne eigene Atomwaffen, d.h. auf Massenmorde in einem historisch beispiellosen Ausmaß.

Zu Beginn des Jahres besetzten zehntausende von amerikanischen Soldaten Schlüsselpositionen in Afghanistan. Die Taliban wurden gestürzt und durch ein schwaches amerikanisches Marionettenregime unter Führung von Präsident Hamid Karzai ersetzt. Der Großteil der afghanischen Bevölkerung lebt weiterhin in verzweifelter Armut und Unterdrückung. Die Kämpfe gingen das ganze Jahr über weiter. Die WSWS beschrieb in einer Zusammenfassung der amerikanischen Invasion und Besetzung eine verheerende soziale Krise. In der Hauptstadt herrscht eine Marionettenregierung. Auf dem Land herrschen korrupte, konkurrierende Warlords, die von Washington finanziert werden.

Anfang des Jahres wurde der Journalist Daniel Pearl vom Wall Street Journal entführt und von einer pakistanischen Gruppierung, die mit al-Qaida verbündet ist, ermordet. Die Redaktion der WSWS forderte am 31. Januar in einer Stellungnahme seine Freilassung. Am 21. Februar erschien ein Video, das drei Wochen zuvor aufgenommen worden war und Pearls Enthauptung zeigte. Es rief weltweit Schock und Abscheu hervor. Als Reaktion darauf veröffentlichte die WSWS einen Artikel mit dem Titel „Der Mord an Daniel Pearl“, in dem sie die Mörder verurteilte und schrieb: „Sie legten nicht nur entsetzliche Brutalität, sondern auch politische Idiotie an den Tag.“ Gleichzeitig wies die WSWS auf die politischen Ursachen für Pearls Ermordung hin. Wie die Anschläge vom 11. September „war sie eine Folge der kaltschnäuzigen und reaktionären Entscheidungen, die Washington auf der Jagd nach Öl und im Interesse imperialistischer geostrategischer Interessen während der vergangenen zwanzig Jahre getroffen hat.“

Die Bush-Regierung verließ sich bei ihrer Propagandakampagne rund um den „Krieg gegen den Terror“ auf die Unterstützung der Demokratischen Partei und führender Vertreter der akademischen Welt. Eine wichtige Episode war dabei die Veröffentlichung eines offenen Briefes von 60 rechten Akademikern mit dem Titel „Wofür wir kämpfen: Ein Brief aus Amerika“, der der militaristischen Aggression den moralischen Anstrich eines „gerechten Krieges“ verleihen sollte. Der Chefredakteur der WSWS, David North, schrieb in einer umfassenden Analyse des offenen Briefs dieser akademischen Kriegsbefürworter:

Der offene Brief ist ein Zeugnis für das erbärmliche Niveau dessen, was gemeinhin als intellektuelles Leben der USA bezeichnet wird. Es ist regelrecht peinlich, dass die vulgären und oberflächlichen Argumente der politischen Rechten und ihrer akademischen Anhängsel nicht in Frage gestellt und beantwortet werden. Es gibt viele hervorragend ausgebildete Akademiker in Spezialgebieten der Gesellschaftswissenschaften, die genau wissen, dass die Kriegspropaganda der Bush-Regierung ein einziges Lügengewebe ist. Viele dieser Menschen könnten, wenn sie nur wollten, die Argumente von Moynihan, Skocpol und Konsorten in der Luft zerreißen. Doch sie halten still und sagen nichts. Auf diese Weise tragen sie zu dem vorherrschenden Klima der politischen Reaktion und allgemeinen Rückständigkeit in den USA bei.

Doch das wird vorübergehen. Die kommenden Ereignisse werden - früher, als es sich manch einer vorstellen kann - das gesamte politische Leben so erschüttern, dass der Wunsch und die Fähigkeit erwachen werden, sich ernsthafte Gedanken zu machen.

US-Truppen im Kampf in Afghanistan
...Zur Vorbereitung des Irakkrieges

Im Sommer begann die Bush-Regierung sich auf den Krieg gegen den Irak vorzubereiten, Vizepräsident Richard Cheney und Bush selbst hielten Reden in diesem Sinne. In der Militärakademie West Point beschrieb Bush im Juni eine Politik endloser Kriege, in der das Militär „ständig in Bereitschaft steht, umgehend in jeder dunklen Ecke der Welt zuzuschlagen.“ 

Die beispiellose Entscheidung, einen Angriffskrieg gegen ein deutlich schwächeres Land zu beginnen, das nichts mit den Anschlägen vom 11. September zu tun hatte und keine Bedrohung für die Vereinigten Staaten darstellte, zwang Washington und seine Verbündeten, einen Vorwand zu erfinden. Deshalb behaupteten sie, der Irak besäße „Massenvernichtungswaffen“, die Saddam Hussein an Al Qaida oder andere Terrororganisationen weitergeben könnte, obwohl zwischen Hussein und den islamischen Fundamentalisten erbitterte Feindschaft herrschte.

Die amerikanische Presse, vor allem die Leitmedien wie die New York Times und die Washington Post, und Journalisten wie Thomas Friedman haben diese Lügen weiterverbreitet und damit eine wichtige Rolle gespielt. Nur Tage nach Cheneys Rede veröffentlichte die Times einen langen Bericht der Mitautorin Judith Miller, in dem behauptet wurde, der Irak habe Aluminiumröhren gekauft, die nur als Komponenten von Zentrifugen genutzt werden könnten. Der ganze Bericht war gelogen. Die CIA hatte der Times den Bericht diktiert, um Bushs Entscheidung, einen Krieg zu beginnen, in den Augen der Öffentlichkeit mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Die WSWS und die Socialist Equality Party analysierten die wahren Gründe des Krieges, entlarvten die Lügen über „Massenvernichtungswaffen“, hielten Versammlungen ab und veröffentlichten Statements gegen die Kampagne für den Krieg. Wir erklärten, dass ein Kampf gegen den Krieg auf dem Kampf gegen die Demokratische Partei beruhen müsse und die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Imperialismus und das kapitalistische System erfordere.

David North hielt bei einem Treffen in Ann Arbor, Michigan, im Oktober eine Rede mit dem Titel „Der Krieg gegen den Irak und Amerikas Streben nach Weltherrschaft“, in dem er die „Nationale Sicherheitsstrategie“ analysierte, die die Bush-Regierung kurz zuvor veröffentlicht hatte. North sagte:

Zur Leitlinie für die Politik der USA erhebt sie das Recht, zu jeder Zeit an jedem Ort der Welt militärische Gewalt anzuwenden, und zwar gegen jedes Land, das in ihren Augen eine Bedrohung amerikanischer Interessen darstellt oder irgendwann dazu werden könnte. Kein anderes Land, nicht einmal Nazideutschland auf dem Höhepunkt von Hitlers Wahn, hat in der modernen Geschichte einen derart uneingeschränkten Anspruch auf die globale Hegemonie - direkter ausgedrückt: die Weltherrschaft - erhoben, wie jetzt die Vereinigten Staaten.

Er befasste sich außerdem mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, in denen die Nazi-Führung für das Führen von Angriffskriegen angeklagt wurde. Die Ankläger, unter anderem der Amerikaner Robert Jackson, erklärten, daraus hätten sich alle anderen Verbrechen ergeben, die darauf folgten.

Nick Beams, der nationale Sekretär der australischen SEP, hielt im gleichen Monat eine Rede über „Die politische Ökonomie des amerikanischen Militarismus im 21. Jahrhundert“, in dem er eine detaillierte wirtschaftliche und historische Erklärung für den Krieg lieferte.

Die Kriegstreiberei der Bush-Regierung fand ihren Höhepunkt in der historischen Entscheidung des amerikanischen Kongresses, einen Krieg gegen ein kleines und im Grunde wehrloses Land ohne Kriegserklärung und ohne vorherige Provokation zu billigen. Demokraten und Republikaner, darunter auch die gesamte Führung der Kongressfraktionen beider Parteien und alle möglichen Präsidentschaftskandidaten, stimmten für ein militärisches Vorgehen.

In Großbritannien wiederholte die Labour-Regierung unter Blair beflissen die Argumente der Bush-Regierung und übernahm die Hauptrolle dabei, vor einem internationalen Publikum für den Krieg gegen den Irak zu werben. Frankreich und Deutschland hatten den Afghanistankrieg unterstützt und daran teilgenommen, verweigerten sich aber dem angestrebten Angriff auf den Irak, da sie fürchteten, dass eine so offensichtliche Verletzung des Völkerrechts revolutionären Widerstand der Bevölkerung provozieren könnte, und dass der immer hemmungslosere amerikanische Imperialismus zu einer Gefahr für ihre eigenen Interessen werden könnte.

Nachdem der Kongress für den Krieg gestimmt hatte, enthüllte die Bush-Regierung Pläne zur Errichtung einer langfristigen Militärherrschaft im Irak. Eine Stellungnahme der WSWS-Redaktion bezeichnete diesen Plan als offene Rückkehr zum Kolonialismus und Verletzung der demokratischen Rechte des irakischen Volkes.  Angeblich sollte es von Husseins Regime befreit werden, das nur wenige Jahre davor von amerikanischen Diplomaten umworben worden war und militärische Unterstützung im Krieg gegen den Iran erhalten hatte.

Bush spricht im September 2002 zur Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York City
Krieg und demokratische Rechte

Als Vorbereitung auf diese Pläne musste die Bush-Regierung den Widerstand ihres Hauptfeindes brechen, der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse. Dazu setzte sie auf eine Mischung aus Terrorpanik, um die öffentliche Meinung zu überrumpeln, und repressiven Maßnahmen, um politische Gegner einzuschüchtern.

Eine wichtige Entscheidung dabei war der Ausbau der Gefängnisanlagen auf dem amerikanischen Marinestützpunkt Guantanamo auf Kuba, wo hunderte Gefangene auf unbegrenzte Zeit unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt waren. Die ersten waren Gefangene aus Afghanistan, dann kamen andere dazu, die von der CIA und Geheimdiensten der ganzen Welt aufgelesen worden waren, in den allermeisten Fällen ohne dass schlagkräftige Beweise vorlagen.

Die Bush-Regierung versuchte den amerikanischen Bürger John Walker Lindh, der in Afghanistan gefangengenommen worden war als angebliches Mitglied der Taliban wegen Terrorismus zu verurteilen, wofür ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe gedroht hätte. Die Hauptindizien gegen Lindh waren seine eigenen Aussagen gegenüber seinen Folterern, die er machte, während er verwundet, ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Anwalt war. Das Ziel war es, mit einer brutalen Strafe ein Beispiel zu setzen und der Welt klarzumachen, dass jeder Widerstand gegen Amerikas Aggressionen streng bestraft würde.

Im März enthüllten Presseberichte, dass die Bush-Regierung eine Schattenregierung aus hunderten von Funktionären eingerichtet hatte, die im Falle eines Terroranschlags mit Atomwaffen auf Washington DC mit Kriegsrecht regieren sollten. Der wichtigste Aspekt dieses Plans war, dass die Geheimregierung ausschließlich aus Vertretern der Exekutive bestand. Es waren keine Vertreter der Legislative oder der Justiz dabei, und weder die Vorsitzenden der Kongressfraktionen noch die verfassungsgemäß nächsten Anwärter auf die Präsidentschaft wussten von der Existenz des Programms.

Inzwischen wurden mit dem Patriot Act, der nur wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September verabschiedet wurde, die Befugnisse der Polizei stark ausgeweitet. Die Rechte von Immigranten, vor allem von Moslems aus dem Nahen Osten und Zentralasien wurden angegriffen, über eintausend von ihnen wurden in den Monaten nach den Anschlägen im Rahmen einer Großfahndung verhaftet. Zwei amerikanische Staatsbürger, Jose Padilla und Yaser Esam Hamdi, wurden für unbestimmte Zeit verhaftet – eine dreiste Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte. Im Juni kündigte Bush an, er wolle Dutzende von separaten Polizeibehörden zu einer einzigen Mammutbehörde zusammenfassen, dem Ministerium für Heimatschutz.

Zum ersten Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September veröffentlichte die Redaktion der WSWS eine Stellungnahme, in der es hieß:

Innerhalb nur eines Jahres hat die Regierung die heftigsten Angriffe auf demokratische Rechte in der Geschichte des Landes durchgeführt. Dabei werden nicht nur die Vollmachten der Polizei gestärkt, sondern verfassungsmäßige Grundrechte außer Kraft gesetzt, die bis zur amerikanischen Revolution zurückreichen. Die ganze Struktur der Regierung wird radikal verändert. Dies betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen den drei staatlichen Gewalten - Exekutive, Legislative und Judikative -, sondern auch die Beziehung zwischen dem Volk, der bewaffneten Staatsmacht und der Regierung.

Auch in Deutschland wurden die Befugnisse der Geheimdienste massiv ausgedehnt und demokratische Rechte abgebaut. Zudem wurden im NPD-Verbotsverfahren die engen Verbindungen der rechtsextremen Szene mit dem Staat offenbart.

Gefangene im Lager X-ray in Guantánamo Bay
Die Krise des Kapitalismus in Europa und Amerika

Der imperialistische Krieg und der Aufbau staatlicher Unterdrückungsapparate waren die Hauptthemen im Bereich der Weltpolitik, doch die WSWS widmete auch der wachsenden Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten und Europa ihre Aufmerksamkeit.

Auf die Pleite von Enron im Dezember 2001 folgte eine Welle von Konkursen und Korruptionsskandalen in den Vereinigten Staaten, die die Fäulnis im Herzen des amerikanischen Kapitalismus enthüllten. Die WSWS erklärte, dass der Niedergang von Enron seine Wurzeln in der zunehmenden Finanzialisierung der amerikanischen Wirtschaft hatte. In diesem Prozess wurden die Börse und steigende Aktienkurse zum wichtigsten Mechanismus, mit dem die herrschende Klasse Reichtum anhäufte. Die Wirtschaftselite betrieb massive Plünderungen. Dass Enron dem Bundesstaat Kalifornien Milliarden Dollar gestohlen hatte, war nur ein Beispiel dafür.

Die WSWS analysierte die engen Beziehungen zwischen Enron und dem politischen Establishment. Enron und die Bush-Regierung waren „Brüder im Geiste bei Betrug und kriminellen Machenschaften“. Der Vorsitzende von Enron, Kenneth Lay, beteiligte sich aktiv an der geheimen Energie-Taskforce, die Vizepräsident Dick Cheney einsetzte, um unter anderem über die Ölfelder im Irak zu diskutieren.

Nach der Pleite von Enron brachen in einer ganzen Reihe von Unternehmen Korruptionsskandale auf. Sie hatten versucht, ihre Aktienkurse durch Bilanzfälschungen zu verbessern, darunter World-Com, Tyco, Xerox und viele andere. Andere Wirtschaftsriesen, wie Kmart und US-Air, gingen in die Insolvenz, was tausende von Arbeitsplätzen kostete.

In Europa begann das Jahr mit der Einführung des Euro, der Einheitswährung von zwölf der fünfzehn EU-Mitgliedsstaaten – nicht eingeführt wurde er in Großbritannien, Dänemark und Schweden.

Der nationale Sekretär der britischen Socialist Equality Party, Chris Marsden, wies in einer Analyse auf die tiefen Spaltungen innerhalb der Bourgeoisie über den Euro hin und warnte die Arbeiterklasse davor, sich den Euro-Befürwortern oder den Gegnern anzuschließen. Der Euro werde die Klassen- und nationalen Spaltungen im kapitalistischen Europa nicht lösen, sondern verstärken.

Allein die Schaffung einer gemeinsamen Währung ist keine ausreichende Grundlage für die harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens auf dem gesamten Kontinent. Die Kapitalistenklasse ist organisch unfähig, den grundlegenden Konflikt zwischen einer global organisierten Produktion und der Aufteilung der Welt in antagonistische Nationalstaaten zu überwinden. Im Rahmen des einheitlichen europäischen Marktes wird der Konkurrenzkampf zwischen den rivalisierenden europäischen Mächten um die kontinentale Hegemonie sich im Gegenteil verschärfen...

Der Zusammenschluss Deutschlands, Frankreichs und der übrigen zehn Staaten wird im Moment dadurch vorangetrieben, dass sie es für dringend notwendig halten, sowohl eine gemeinsame Strategie für einen Handelskrieg gegen die USA zu entwickeln, als auch eine soziale und ökonomische Offensive gegen die europäische Arbeiterklasse zu führen.

Ein Brennpunkt dieser Offensive war Italien, wo im Mai 2001 der milliardenschwere Medienmogul Silvio Berlusconi an die Macht kam und umfassende Angriffe auf die Rechte und Sozialleistungen der Arbeiter begann. Am 23. März fand in Rom eine der größten Demonstrationen der europäischen Nachkriegszeit mit etwa drei Millionen Menschen statt.

Der Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, Peter Schwarz, erklärte in einem Artikel, dass Berlusconis Aufstieg zur Macht das Ergebnis der Verrätereien des sogenannten Olivenbaum-Bündnisses war, einer politischen Koalition aus beiden Fraktionen der ehemaligen Stalinisten von der Kommunistischen Partei Italiens. Darauf folgte eine detaillierte Analyse der Berlusconi-Regierung und der auf seine Person zugeschnittenen Partei Forza Italia und weitere Berichte über die Kämpfe der italienischen Arbeiterklasse.

In Deutschland setzten die Sozialdemokraten und die Gewerkschaftsbürokratie Forderungen der Arbeitgeber nach einer radikalen Senkung des Lebensstandards der Arbeiterklasse um. Die Gewerkschaften sabotierten große Kämpfe der Arbeiterklasse wie den Streik der Metallarbeiter im März.

Die rot-grüne Koalition ernannte eine Kommission unter VW-Manager Peter Hartz, um eine „Reform“ der Sozialsysteme und des Arbeitsmarktes zu entwerfen, deren Ziel ein riesiger Niedriglohnsektor war, um damit die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse offen angreifen zu können. Aufgrund dieses Programms behielt die Koalition die Unterstützung des Großkapitals. Deshalb und wegen der zunächst ablehnenden Haltung gegenüber der Invasion des Iraks gewann sie die Bundestagswahl im September.

Die wiedergewählte Regierung plante nach der Wahl scharfe Kürzungen zu Lasten der Arbeitslosen. Obwohl die Arbeitslosenzahlen stiegen, kündigte Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) an, die Ausgaben für Arbeitslose im Folgejahr um 6,5 Milliarden Euro zu senken.

In den Führungsetagen von Wirtschaft und Politik wurden weitere massive Kürzungen diskutiert und angestrebt. Auf einer Pressekonferenz zur Vorstellung ihres Wirtschaftsgutachtens brachte der Vorsitzende des "Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR)", Wolfgang Wiegard, das Ziel der Maßnahmen auf den Punkt: „Wir brauchen mehr soziale Ungleichheit, um zu mehr Beschäftigung zu kommen.“

Im Herbst 2002 hetzte die Labour-Regierung unter Premierminister Tony Blair gegen Feuerwehrleute, die für bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen streikten. Der Streik war die erste Prüfung einer Schicht von Gewerkschaftsfunktionären, die größtenteils aus pseudolinken Gruppen wie der Socialist Workers Party und der Socialist Party kamen und behaupteten, für die „Rückeroberung“ der Labour Party für den Sozialismus zu kämpfen. Die WSWS entlarvte diese Führer und all jene, die versuchten, Illusionen in sie zu schüren. Diese Kritik wurde schnell bestätigt: Die Feuerwehrgewerkschaft brach den Streik ab und trat in Gespräche mit den Arbeitgebern ein. Eine angeblich unabhängige Untersuchung empfahl die Privatisierung einiger Feuerwehren.

Enron Zentrale
Die WSWS und die Wahlen in Frankreich

Die zentrale politische Entwicklung in Europa war die Wahl in Frankreich. Hier machte die WSWS auch ihre wichtigste Intervention. Die WSWS griff bei dieser Wahl entscheidend ein. Die Wahl hatte vier Stationen: Zwei Wahlrunden für den Präsidenten am 21. April und am 5. Mai 2002, und zwei Wahlrunden für das Parlament einen Monat später. 

Zum Zeitpunkt des Wahlkampfs herrschte in Frankreich die Kohabitation: Präsident war der rechte Gaullist Jacques Chirac, der 1995 an die Macht gekommen war, im Parlament hatte die Sozialistische Partei von Premierminister Lionel Jospin die Mehrheit, der 1997 gewählt worden war. Aufgrund dieser Verhältnisse hatte Chirac die Entscheidungsgewalt über die Außen- und Militärpolitik. Jospins Kabinett war für die Innenpolitik verantwortlich und wurde von den französischen Arbeitern mit Privatisierung und Arbeitsplatzabbau in Verbindung gebracht, die in ganz Europa vorangetrieben wurden.

Chirac war in der Arbeiterklasse allgemein verhasst und seine Wiederwahl war gefährdet, aber Jospin und die PS waren keine Alternative. Der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen, der als Kandidat der neofaschistischen Front National antrat, konnte sich als der einzige nennenswerte Kandidat präsentieren, der den herrschenden Konsens ablehnte. Ein Drittel der Wähler enthielt sich, und sowohl die PS als auch die Kommunistische Partei verloren Anteile an Kandidaten der „linksextremen“ Parteien, die mit fast drei Millionen Stimmen 11 Prozent gewannen.

Im ersten Wahlgang erhielt Chirac weniger als zwanzig Prozent der Stimmen, was zeigt, wie unpopulär er war. Aber Jospin konnte überraschenderweise nicht den zweiten Platz erringen, sodass Le Pen in die Stichwahl kam. Das bedeutete, dass sich die Wähler im zweiten Wahlgang am 5. Mai zwischen Chirac und Le Pen entscheiden mussten, zwei rechten Kandidaten, die zusammen die Unterstützung von weniger als einem Viertel der Wahlberechtigten hatten. Hunderttausende von Arbeitern und Jugendlichen gingen auf die Straße und zeigten ihren Hass auf die Faschisten und ihre Sorge, dass Le Pen an die Macht kommen könnte.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale veröffentlichte eine Stellungnahme zum Ergebnis des ersten Wahlgangs, in der es die Arbeiter aufrief, den zweiten Wahlgang zu boykottieren, um „den Scheinwahlen die Legitimität abzusprechen und die Möglichkeit zu bieten, die Unzufriedenheit der Massen in wirkungsvolle politische Aktivität umzusetzen.“

Das IKVI wies die Behauptung der Gewerkschaften, der Sozialistischen Partei und der KPF zurück, es wäre notwendig, für Chirac zu stimmen, um zu verhindern, dass der Neofaschist Le Pen an die Macht kommt. Diese Kräfte waren selbst für Le Pens Wahlergebnis verantwortlich, seine Wähler kamen hauptsächlich aus ehemaligen Industrie- und Arbeitergebieten, die früher Hochburgen der Sozialisten und Kommunisten waren.

In der Stellungnahme hieß es, durch die Front National drohten ernsthafte Gefahren, aber diese könnten nicht durch eine Stimme für Chirac gebannt werden. Im Gegenteil, das Ergebnis der Wahl zeige eine Vertrauenskrise in die gesamte bürgerliche Politik, in die rechten Gaullisten genauso wie in die sozialdemokratischen „Linken.“ Die Arbeiterklasse musste eine klare politische Alternative zeigen.

Ein Boykott ist ein notwendiger erster Schritt, um in der Arbeiterklasse für politische Klarheit zu sorgen und der Fehlorientierung entgegenzutreten, die durch den Verrat von Sozialistischer und Kommunistischer Partei entstanden ist. Die Arbeiter, Studenten und Intellektuellen, die das Wahlergebnis in helle Wut versetzt, dürfen nicht in der Isolation gelassen oder, schlimmer noch, zur Wahl einer Regierung herangezogen werden, die weitere Angriffe auf die Arbeiterklasse plant. Notwendig ist eine aktive Politik mit Versammlungen, in denen für einen Boykott geworben wird, mit Demonstrationen und politischen Streiks. Diejenigen, die so tun, als sei die Stimmabgabe für Chirac der einzige Weg zum Sieg über den Front National, stellen nur ihre eigene Ohnmacht und ihren Pessimismus unter Beweis. Ein politisches Establishment, das eine solche Figur zum Helden der Demokratie hochstilisiert, zeigt damit nur seine eigene Hinfälligkeit.

Die Stellungnahme warnte auch davor, dass das wahrscheinliche Ergebnis der „linken“ Unterstützung für Chirac ein rechter Präsident wäre, der von einer breiten rechten Parlamentsmehrheit unterstützt wird – das Ergebnis, das die Bourgeoisie bevorzugt. Sie endete wie folgt: 

Dem Nationalchauvinismus, der Fremdenfeindlichkeit und dem Protektionismus, der von Le Pen vertreten und von großen Teilen der sogenannten Linken geteilt wird, muss die Arbeiterklasse ihr eigenes, internationalistisches Programm entgegenstellen, um die Kämpfe der Arbeiterklasse zur Verteidigung des Lebensstandards und der demokratischen Rechte in ganz Europa zusammenzuschließen. Die Alternative der Arbeiter zum Europäischen Binnenmarkt für die transnationalen Konzerne sind die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Während die politische Krise in Frankreich in den Fokus der Aufmerksamkeit Europas und der Welt rückte, kam den „linken“ Parteien, die früher behauptet hatten, trotzkistisch zu sein, eine große Bedeutung zu. Diese Parteien waren die Lutte Ouvriere (LO, Arbeitskampf), die Ligue Communiste Revolutionnaire (LCR, Revolutionäre Kommunistische Liga) und die Parti des Travailleurs (PT, Arbeiterpartei). Das IKVI veröffentlichte einen offenen Brief, in dem es sie aufrief, sich an einer Wahlboykottkampagne in der Arbeiterklasse zu beteiligen. Gleichzeitig warnte sie alle, die für diese Organisationen stimmten, dass sie nicht die Absicht hätten, sich dem Boykott anzuschließen.

Vor der Stichwahl verteilten Unterstützer des IKVI bei Demonstrationen zum 1. Mai in Paris und anderen Städten Flugblätter mit der Stellungnahme und der Aufforderung zum Wahlboykott. Der Sekretär des IKVI, Peter Schwarz und der Kulturredakteur der WSWS, David Walsh, reisten nach Paris, um über die politischen Ereignisse zu berichten.

Zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang brachte die WSWS innerhalb von zwei Wochen Dutzende von vor Ort Reportagen und Kommentare über die Krise in Frankreich, unter anderem Interviews mit Arlette Laguiller, der Präsidentschaftskandidatin von Lutte Ouvriere; Olivier Besancenot, dem Präsidentschaftskandidaten der LCR und Robert Hue, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs.

Unsere Korrespondenten führten Diskussionen mit Fabrikarbeitern und einfachen Mitgliedern der LCR und der Bewegung Junger Kommunisten. Es gab einen Austausch von Briefen und täglichen Polemiken über die Aufgaben der französischen Arbeiterklasse.

Die pseudolinken Parteien lehnten den Boykottvorschlag des IKVI ab oder ignorierten ihn und unterstützten offen Chirac oder enthielten sich und kritisierten die Kampagne der PS, der KPF und der Gewerkschaften für Chirac nicht. Dadurch konnte der rechte Kandidat zuerst die Stichwahl mit einem riesigen Vorsprung von 80 Prozent gewinnen und später die Parlamentswahlen im Juni. Die Warnungen der WSWS und des IKVI bestätigten sich kurze Zeit später, als die Regierung Chirac ihre reaktionäre Sparpolitik zu Lasten der Arbeiterklasse und ihre rassistischen Angriffe auf Immigranten verschärfte.

Arbeiter und Jugendliche demonstrieren im Mai 2002 gegen Jean Marie Le Pen
Weitere politische Entwicklungen

Im Laufe des Jahres analysierte die WSWS eine immer breitere Palette von politischen Entwicklungen auf allen Kontinenten.

Im Februar begann der Prozess gegen den ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Die WSWS widerlegte in einer dreiteiligen Serie die Behauptung, Milosevic sei als einziger für das Blutbad in Jugoslawien verantwortlich gewesen. Die Westmächte hatten ihm das vorgeworfen, um ihre eigene Rolle bei der Zerteilung des Landes zu verbergen. 

Im Februar unterzeichnete außerdem die United National Party (UNP)-Regierung von Sri Lanka einen offiziellen Waffenstillstand mit der separatistischen Organisation Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE). Die WSWS erklärte, dass beide Seiten von den USA und den europäischen Mächten unter Druck gesetzt worden waren, den Konflikt zu beenden, da er einen destabilisierenden Einfluss auf den indischen Subkontinent hatte, und dass der Waffenstillstand daher brüchig sei und kein Problem lösen werde.

Die srilankische SEP begann im Rahmen ihrer  unnachgiebigen Verteidigung demokratischer Rechte und ihres Kampfes für die Einheit zwischen tamilischen und singhalesischen Arbeitern eine Kampagne für die sofortige und bedingungslose Freilassung der fast 1000 tamilischen politischen Gefangenen, die gemäß dem drakonischen Prevention of Terrorism Act und anderen Notstandsregelungen verhaftet worden waren. 

Im gleichen Monat fielen dem schlimmsten Ausbruch kommunalistischer Gewalt in Indien seit Jahrzehnten im Bundesstaat Gujarat mehr als 800 Menschen zum Opfer. Die hinduistisch-chauvinistische BJP, die den Bundesstaat regierte, hatte die Gewalt zusätzlich aufgestachelt. Die WSWS erklärte, dass nicht nur die BJP an dieser Tragödie schuld war, sondern auch die Kongresspartei und die rivalisierenden Flügel des indischen Stalinismus.

Im März fanden in Simbabwe Wahlen statt. Die europäischen Mächte, allen voran Großbritannien, unterstützten den Movement for Democratic Change (MDC) gegen das Regime von Robert Mugabe, das sich schon seit Jahrzehnten an der Macht hielt. Die imperialistischen Mächte begannen eine Kampagne gegen Mugabe weil er demokratische Rechte verletzt, Gewalt gegen politische Gegner verübt und die Übernahme von Farmen, die im Besitz von Weißen waren, vorgenommen hatte. Sie zerstörten durch Sanktionen die Wirtschaft des Landes.

Im März stieß außerdem das israelische Militär ins Westjordanland vor. Die Sharon-Regierung ließ das Hauptquartier von Palästinenserpräsident und PLO-Chef Jassir Arafat mit Panzern belagern, außerdem kam es in Dschenin zu einem Massaker.

Artikel der WSWS befassten sich mit Sharons Rolle bei den Kriegsverbrechen während der israelischen Invasion des Libanon im Jahr 1982, die im Massaker an palästinensischen Flüchtlingen endete, und analysierten den politischen Bankrott der PLO, an dem sich das Scheitern der Perspektive des säkularen bürgerlichen arabischen Nationalismus zeigte. Dieses Scheitern ermöglichte der reaktionären fundamentalistischen Politik der Hamas den Aufstieg. Die WSWS verurteilte auch den Vorschlag eines internationalen Boykotts gegen israelische Akademiker und bezeichnete dies als reaktionären Versuch, der israelischen Gesamtbevölkerung die Schuld an den Verbrechen des zionistischen Regimes zu geben.

Die WSWS entlarvte Washingtons Unterstützung für den erfolglosen Putschversuch gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez im April und analysierte dessen Bedeutung. Der Versuch eines Regimewechsels, der hinter den Kulissen von der Bush-Regierung unterstützt wurde und teilweise vom Bestreben motiviert war, die riesigen Ölreserven des Landes zu kontrollieren, scheiterte auf der ganzen Linie. Allerdings war Chavez‘ nationalistische Politik eine Sackgasse für die lateinamerikanische Arbeiterklasse.

Die WSWS setzte außerdem während des ganzen Jahres ihre Berichterstattung über die zunehmenden Angriffe der australischen Howard-Regierung auf Flüchtlinge fort. Die Reaktion auf diese Angriffe waren Hungerstreiks und andere Proteste. Die WSWS veröffentlichte eine vierteilige Serie, in der sie sich als einzige mit der offiziellen Untersuchung des Untergangs des Flüchtlingsschiffes SIEV X Ende 2001 auseinandersetzte, bei dem 353 Menschen ums Leben kamen. Die Aussagen von Marinekommandanten deckten sich nicht mit den früheren Aussagen der Regierung, die australischen Behörden hätten nichts von SIEV X gewusst bevor es unterging.

Im Oktober kamen bei einem Terroranschlag auf der indonesischen Insel Bali mehr als 200 Menschen ums Leben, darunter 88 Australier. In der Bevölkerung entwickelte sich große Wut gegen die Howard-Regierung, weil sie keine Warnungen an die Bevölkerung herausgegeben hatte, obwohl Geheimdienste zuvor von den Terrordrohungen gegen die Touristenzentren auf Indonesien wussten. Innerhalb von Tagen nach den Bombenanschlägen begannen schwerbewaffnete Polizisten und Beamte des australischen Inlandsgeheimdienstes ASIO mit furchterregenden Razzien gegen islamische Arbeiterfamilien in Sydney und Perth.

Die WSWS befasste sich außerdem mit der Krise in der regierenden Liberalen Partei in Kanada, die im August dazu führte, dass Premierminister Jean Chretien seinen baldigen Rücktritt ankündigte. Chretien war für die stärksten Sozialkürzungen in der Geschichte Kanadas verantwortlich und senkte dann die Unternehmenssteuern, die Kapitalertragssteuern und Einkommensteuern um 100 Mrd. Dollar. Dennoch unterstützte das Großkapital den beispiellosen Angriff von Chretiens ehemaligem Finanzminister Paul Martin auf Chretiens Position, da es sich von ihm eine noch rechtere Politik erhoffte.

In Brasilien kam mit Luis Inacio Lula da Silva, dem Vorsitzenden der Arbeiterpartei, im größten und wichtigsten Land Lateinamerikas eine Regierung an die Macht, die sich auf die Gewerkschaften stützte. Die WSWS erklärte, dass die populistischen Versprechen des ehemaligen Vorsitzenden der Metallarbeitergewerkschaft nicht mit den Forderungen des IWF, des US-Imperialismus und der brasilianischen Bourgeoisie vereinbar seien und er daher ihre Befehle befolgen werde.

Die politische Krise in den USA drückte sich nochmals in der ersten landesweiten Wahl nach dem Wahlbetrug von 2000 aus. Die WSWS analysierte die Niederlage der Demokraten und erklärte, dass sich darin die Fortsetzung der politischen Feigheit und Verkommenheit zeige, die diese Partei des Großkapitals im Jahr 2000 und davor in ihrer Reaktion auf das Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton an den Tag gelegt hatte.

Gebäude des Haager Tribunals
Kunst und Kultur

Abgesehen von zahlreichen Filmkritiken – unter anderem über The Royal Tennenbaums, Black Hawk Down, Rabbit-Proof Fence, Der Herr der Ringe – die Gefährten, Frida, Insomnia, 8 Mile und Der stille Amerikaner – besuchten Berichterstatter der WSWS weltweit Filmfestivals, unter anderem in Berlin, Buenos Aires, San Francisco, Sydney, Toronto und Cottbus.

Nachrufe befassten sich mit den Karrieren wichtiger Filmschaffender, darunter den Regisseuren Billy Wilder und John Frankenheimer und dem Schauspieler Richard Harris.

Es gab außerdem Berichte über den britischen Komiker und Fernsehstar Spike Milligan, den Jazzbassisten Ray Brown und den Folksänger Dave Van Ronk, der in den 1960ern in der trotzkistischen Bewegung aktiv war.

Die Berichterstattung über Kunst verbreiterte sich immer weiter. Unter anderem gab es einen Kommentar über die Ursprünge des Liedes Strange Fruit, das sich gegen Lynchjustiz richtet, eine Besprechung von Ken Burns‘ Dokumentation über Mark Twain und ein Bericht von Piyaseeli Wijegunasingha über eine neue Oper in singhalesischer Sprache, die auf einer traditionellen Geschichte über das Leben des Buddha beruhte.

David Walshs Bericht über eine Aufführung von King Lear beim Stratford Festival in Kanada befasste sich mit den sozialen Aspekten von Shakespeares großartiger Tragödie, vor allem mit dem Abgleiten des Königs in den Wahnsinn und seiner Verbannung zu den ärmsten seiner ehemaligen Untertanen.

Es erschienen mehrere wichtige Kunstkritiken, darunter die Besprechung einer Ausstellung der surrealen Kunst in Deutschland, und die Ausstellung Degas and the Dance am Detroit Institute of Arts.

Eine der wichtigsten Ausstellungen des Jahres 2002, die in einem halben Dutzend Veranstaltungsorten innerhalb der USA stattfand, zeigte die Werke des afroamerikanischen Malers Jacob Lawrence, darunter seine Serie von 60 Gemälden über die Auswanderung der Schwarzen aus den Südstaaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und eine Reihe von 24 Bildern über Leben und Tod des Abolitionisten John Brown.

Clare Hurley schrieb in ihrem Bericht:

Wenn Kunst das Universelle zeigt, kann sie sich nicht dem Besonderen widersetzen. Lawrence konzentriert sich jedoch auf einen Aspekt der menschlichen Erfahrung, der sich nicht von Individuum zu Individuum unterscheidet. Das zeigt sich daran, dass er nie versucht, bestimmte Gesichter zu malen, oder überhaupt Gesichter. Die Köpfe sind gesenkt, abgewandt, leer oder nur als Schemen vorhanden.

Das führte zu künstlerischen Problemen, die mit dem politischen Umfeld zusammenhingen, in dem Lawrence (1917-2000) in seiner Karriere gearbeitet hatte:

Lawrence‘ Haltung war selbst im Bereich der Kunst mit sozialem Auftrag schwierig. Einerseits wurde er als „nicht radikal genug“ kritisiert, andererseits wurde er von dem weißen Establishment, von dem er abhängig war, zensiert, wenn er etwas einbrachte, was auch nur auf die Erfahrungen der Schwarzen mit gewaltsamer Unterdrückung hindeutete.

Der Kunstredakteur David Walsh hielt bei zwei Anlässen Reden im Raum Michigan. Im Januar sprach er auf einem Forum in Detroit am Museum of New Art über die Kunst des neuen Jahrtausends. Im Dezember sprach er im gleichen Museum auf einem Forum über das Thema „Künstler und der Krieg gegen den Irak.“

Außerdem erschien ein Nachruf auf den Paläontologen Stephen Jay Gould.

Eine Besprechung des Buches „Die Akte Einstein: J. Edgar Hoovers geheimer Krieg gegen den berühmtesten Wissenschaftler der Welt“ sprach wichtige Themen an, die durch die Kommunistenjagd und den McCarthyismus Mitte des 20. Jahrhunderts und Albert Einsteins politische Rolle aufkamen.

Michael Caine in Der stille Amerikaner