WSWS-Chronologie

Das Jahr im Rückblick: 2006

Das vierte Jahr des Irakkriegs war das blutigste. Es kam zu einem offenen Bürgerkrieg zwischen sunnitischen und schiitischen Milizen. Das amerikanische Besatzungsregime schürte diese Konflikte und beging selbst eine Reihe von blutigen Kriegsverbrechen an Zivilisten. Gleichzeitig begann Washington dem Iran wegen seinem Atomprogramm mit Krieg zu drohen und inszenierte dazu eine Krise nach der anderen.

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Die offenen Völkerrechtsverletzungen der stärksten imperialistischen Supermacht, der USA, ermutigten kleinere Staaten, ähnliches zu tun. Am weitesten ging dabei der wichtigste Verbündete der USA im Nahen Osten, Israel, das im August den Libanon überfiel und einen Großteil seines Südens in Trümmer legte. Dabei erlitt es allerdings einen erniedrigenden Rückschlag durch Truppen der schiitischen Hisbollah.

Der srilankische Präsident Mahinda Rajapakse folgte ebenfalls dem Beispiel der USA und brach die vierjährige Waffenruhe mit den separatistischen Befreiungstigern von Tamil-Eelam (LTTE). Er nahm den Bürgerkrieg auf der Insel im Namen von Bushs „Krieg gegen den Terror“ wieder auf.

In allen Ländern, die an solchen Kriegen beteiligt waren, gingen die Militäraktionen mit einer Verschärfung der Unterdrückung im Inland einher. In den Vereinigten Staaten umfasste dies eine beispiellose Inlandsüberwachung und die offene Legalisierung der Entführung, Folterung und unbegrenzten Inhaftierung aller, die vom Militär- und Geheimdienstapparat als Terrorist gebrandmarkt wurden. 

US-Soldaten während der Schlacht um Ramadi
Blutvergießen und Eskalation im Irak

Die umfangreichen Beweise für massive Kriegsverbrechen der USA und ihrer Verbündeten im Irak und in Afghanistan entlarvten die Behauptung als Betrug, die Kriege würden aus humanitären Gründen oder für Demokratie geführt. Stattdessen schürte das Besatzungsregime im Irak sektiererische und ethnische Spannungen, und ging gegen jeden Widerstand gegen die Besatzung mit brutaler Gewalt vor. 

Die sadistischen Grausamkeiten, darunter wiederholte Fälle von Folter, Vergewaltigung und hemmungslosen Morden, zeigten die Brutalität der Kriegsmaschinerie, die die herrschende Klasse einsetzt, um ihre geopolitische Vorherrschaft über die rohstoffreichen Regionen des Nahen Ostens und Zentralasiens zu sichern.

Die World Socialist Web Site befasste sich mit den grundlegenden Lehren, die sich aus den Kriegsverbrechen der US-Truppen und ihrer Verbündeten in irakischen Städten wie Baiji, Basra, Bagdad, Ishaqi, Thar Thar, Mahmudiyah und Ramadi oder Azizi, Zhari und Gereshk in Afghanistan ergaben.

Im Mai brach die US-Regierung endlich ihr Schweigen über die Ermordung von vierundzwanzig unschuldigen Männern, Frauen, Kindern und Alten in Haditha ein halbes Jahr zuvor. Die meisten Opfer wurden wie bei einer Hinrichtung in Kopf und Brust geschossen. Die WSWS zitierte aus den Schilderungen des neunjährigen Eman Waleed, der dem Magazin Time sagte: „Zuerst gingen [die amerikanischen Soldaten] in das Zimmer meines Vaters, wo er den Koran las, und wir hörten Schüsse. Ich konnte ihre Gesichter nicht deutlich erkennen. Nur ihre Gewehre, die sie in die Türe hielten. Ich sah, wie sie meinen Großvater erschossen, zuerst in die Brust, dann in den Kopf; danach töteten sie meine Oma.“

Im Juni drangen Beweise an die Öffentlichkeit, dass US-Truppen drei Monate zuvor in Ishaqi elf Zivilisten vorsätzlich ermordet hatten, darunter fünf Kinder, die teilweise erst sechs Jahre alt waren. Die US-Soldaten hatten den Opfern – darunter Kindern, Frauen und Säuglingen – Handschellen angelegt und dann ins Gesicht geschossen. Danach forderten die Täter einen Luftangriff an, um die Beweise für das Massaker zu vernichten. Das US-Militär sprach die Verantwortlichen später frei. Nach dem Massaker in Ishaqi schrieb die WSWS:

Diese Vorfälle sind keine Fehlentwicklungen, sondern ergeben sich aus der Natur dieses Konfliktes – eines völkerrechtswidrigen Eroberungskrieges und einer kolonialen Besetzung mit dem Ziel, die Herrschaft der USA über die riesigen Ölreserven des Landes zu sichern und die geostrategischen Interessen des amerikanischen Kapitalismus zu fördern.

Diese willkürliche Gewalt und Grausamkeit zeigt die Gewalttätigkeit und Rückständigkeit der amerikanischen Gesellschaft als Ganzes. Wo immer das amerikanische Militär hinkommt, bringt es unweigerlich die Folgen einer seit einem Vierteljahrhundert laufenden, vorsätzlichen Hetzkampagne der Medien und des politischen Establishments mit sich, das öffentliche Bewusstsein und die nationale Kultur zu verrohen und herabzusetzen.

Im Oktober veröffentlichte die britische Medizinfachzeitschrift Lancet eine Studie, die zum ersten Mal versuchte, mit wissenschaftlichen Mitteln herauszufinden, wie viele Menschen im Irak durch die amerikanische Invasion ums Leben gekommen waren. Die Schätzung war schockierend: 655.000 Iraker, bzw. 2,5 Prozent der Gesamtbevölkerung waren dem Krieg zum Opfer gefallen. Später wurde diese Schätzung auf über eine Million nach oben korrigiert. Das politische Establishment und die amerikanischen Medien taten alles in ihrer Macht Stehende, um die Beweise für ihre massiven Kriegsverbrechen zu ignorieren oder herunterzuspielen.

Die Massaker des amerikanischen Militärs wurden von rangniederen Offizieren und Soldaten verübt, aber hinter ihnen standen hochrangige Offiziere, die ihre Verbrechen anordneten und verheimlichten. Die größten Kriegsverbrecher waren die Architekten der Invasion und der Folterkampagne selbst. George W. Bush, Dick Cheney, Alberto Gonzales, Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice, Colin Powell, John Ashcroft, Robert Gates und hochrangige Militärs haben ein Programm geleitet, umgesetzt und systematisch gefördert, das Todesschwadronen und Folter umfasste.

Während die hochrangigen Betreiber der kriminellen Kriegsmaschinerie ungestraft blieben, statuierten sie an Saddam Hussein ein Exempel. Er wurde in der Nacht des 30. Dezember an einem geheimen Ort erhängt.

Der abgekartete Prozess, der der Hinrichtung vorausging, wurde vom amerikanischen Zivilverwalter im Irak Paul Bremer organisiert und von einer Reihe von Richtern geführt, die von der Bush-Regierung ernannt worden waren. Er war ein Beispiel für Bushs Rücksichtslosigkeit. Die WSWS schrieb nach Husseins Hinrichtung:

Das grundlegendste politische Motiv der Bush-Regierung ist ihr Verlangen, einen mächtigen Gegner offen und vor den Augen der Welt zu töten, nur um zu zeigen, dass sie es kann und tun wird. In den Augen des Weißen Hauses ist Saddam ein Lehrbeispiel für alle künftigen Gegner des amerikanischen Imperialismus: Wer sich Washingtons Willen in den Weg stellt, den wird das gleiche blutige Schicksal ereilen.

Durch die Zerstörung des baathistischen Regimes im Irak, das die USA im Ersten iranisch-irakischen Krieg heimlich unterstützt hatten, wurde der Iran zur stärksten Regionalmacht am Persischen Golf und das nächste Ziel der amerikanischen Bestrebungen, die wichtigsten Ölgebiete der Welt zu kontrollieren.

Im Jahr 2006 begann ein neues Stadium der amerikanischen Bestrebungen, das iranische Regime zu untergraben. Die Bush-Regierung setzte den UN-Sicherheitsrat unter Druck, Sanktionen gegen den Iran zu verabschieden, nachdem dieser angekündigt hatte, er werde sein Uran-Anreicherungsprogramm wieder aufnehmen. Die Redaktion der WSWS erklärte am 21. Januar in einer Stellungnahme:

Ebenso wie die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen benutzt die Bush-Regierung die iranische "Atomgefahr", um einen weiteren Schritt hin zur uneingeschränkten amerikanischen Vorherrschaft in dieser rohstoffreichen Weltregion zu tun...

Die World Socialist Web Site lehnt die räuberischen Ziele des US-Imperialismus im Mittleren Osten entschieden ab. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass wir in irgendeiner Form das reaktionäre theokratische Regime in Teheran oder seinen Versuch, an Atomwaffen zu gelangen, politisch unterstützen.

Die Drohung mit dem Atomkrieg ist keine Antwort auf die imperialistische Aggression, sondern ein sicherer Weg zum atomaren Inferno im Mittleren Osten und anderswo. Die einzige realistische Alternative zur räuberischen Politik der Imperialismus und der Gefahr eines Atomkriegs ist das Programm des revolutionären Klassenkampfs.

Im Laufe des Jahres erhöhte die Bush-Regierung den Druck auf den Iran und es kamen weitere Anzeichen für amerikanische Vorbereitungen für einen Angriff gegen das Land ans Licht. Russland und China widersetzten sich den amerikanischen Aggressionen gegen den Iran, da sie sie als Bedrohung ihrer eigenen Interessen ansahen. Die Lügen der amerikanischen Diplomaten waren so dreist, dass IAEA, die Atominspektionsbehörde der UN, sie in einem Bericht kritisierte. Aber bis Ende des Jahres hatte der Sicherheitsrat neue, schwerwiegende Sanktionen gegen den Iran verhängt, die, wie im Falle des Irak, als Vorwand für einen Krieg hätten dienen konnten.

Die Hinrichtung von Saddam Hussein
US-Truppen auf Patrouille in Tall Afar, Irak
Krieg im Libanon und in Sri Lanka

Die Bush-Regierung setzte mit ihrer offenen Missachtung des Völkerrechts ein Beispiel, dem kleinere Staaten folgten, vor allem Amerikas wichtigster Verbündeter im Nahen Osten, Israel. Im Juli 2006 begannen die israelischen Streitkräfte eine massive Invasion des Libanon. Der einmonatige Konflikt erregte die Aufmerksamkeit der ganzen Welt und barg die Gefahr eines weitaus größeren regionalen Krieges. 

Israel nahm die Festnahme mehrerer israelischer Soldaten durch die Hisbollah im Süden des Libanon zum Anlass, um die Invasion zu beginnen, um angeblich die „Entführungsopfer“ zu retten. Später wurde bekannt, dass ein geheimes Regierungskomitee seit zwei Jahren über eine solche Militäraktion debattiert hatte.

Die USA unterstützten die Invasion politisch, finanziell und militärisch in vollem Umfang. Die Redaktion der WSWS schrieb in einer Stellungnahme:

Das unmittelbare Kriegsziel, die Eliminierung der Hisbollah als militärische und politische Kraft im Libanon, richtet sich gegen jeden Massenwiderstand, der dem israelischen und amerikanischen Einfluss im Land hinderlich sein könnte. Für die Bush-Regierung und ihre Verbündeten in Jerusalem ist dies ein notwendiger Schritt, um zuerst das syrische Baath-Regime zu beseitigen und dann einen umfassenden Krieg gegen den Iran zu führen.

Die israelischen Truppen gingen mit großer Brutalität vor, als sie versuchten, den Süden des Libanon bis zum Fluss Litani unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie warfen per Flugzeug Flugblätter ab, in denen sie die Bevölkerung zur Flucht aufforderten, bombardierten dann jedoch die Fluchtrouten. US-Außenministerin Condoleezza Rice reiste durch den Nahen Osten und weigerte sich, Israel zu einem Waffenstillstand aufzufordern. Damit unterstützte sie die israelischen Kriegsziele.

Trotz der hemmungslosen Grausamkeiten des israelischen Militärs – unter anderem wurden in Kana mindestens 57 Menschen in einem Wohngebäude getötet, die meisten davon Kinder – unterstützten die Bush-Regierung und die amerikanischen Medien die Invasion vorbehaltlos.

Die WSWS warnte, dass diese Politik das Ziel verfolge, die amerikanische Bevölkerung auf eine Ausweitung der Kriege im Nahen Osten vorzubereiten:

Die amerikanische Unterstützung für den israelischen Krieg gegen den Libanon ist bloß ein Schritt auf dem Weg zu weiteren Militäreinsätzen, die einen "Regimewechsel" in Syrien und dem Iran herbeiführen sollen. Washington will keine Regierung an der Macht dulden, die auch nur ein mögliches Hindernis für die globalen Ambitionen der Vereinigten Staaten darstellen könnte.

Trotz der Heftigkeit des israelischen Angriffs leistete die schiitische Hisbollah, die unter den am stärksten unterdrückten Teilen der libanesischen Bevölkerung große Unterstützung genoss, beispiellosen Widerstand gegen die Invasion. Die israelischen Streitkräfte machten kaum Fortschritte und waren nicht in der Lage, die Vergeltungsschläge auf Städte im Norden Israels zu unterbinden. Nach einem Monat Krieg akzeptierten Israel und die Bush-Regierung einen Waffenstillstand, den der UN-Sicherheitsrat ausgehandelt hatte.

Dieses Ergebnis war ein Debakel für Israel und die USA. Die WSWS erklärte

Unterdessen hat der internationale Ruf Israels und der Vereinigten Staaten stark gelitten. Israel wird jetzt immer mehr als gesetzloses Mörderregime betrachtet, das im Libanon für wiederholte Kriegsverbrechen verantwortlich ist. Die Vereinigten Staaten erscheinen als Verbrecherregime, das im Hintergrund die Fäden zieht. Nichts kann das Bild von US-Außenministerin Rice auslöschen, die in Beirut stand und die Geburt eines "neuen Nahen Ostens" verkündete, während in den USA gebaute und von Israel abgefeuerte Bomben und Raketen den Libanon in Schutt und Asche legten.

Der zweite wichtige Krieg, der im Jahr 2006 ausbrach, dauerte nicht einen Monat sondern drei Jahre: der srilankische Präsident Mahinda Rajapakse, der im November 2005 mit Unterstützung zweier extremistischer singhalesischer Parteien die Wahl gewonnen hatte, gab seine Inszenierung als „Mann des Friedens“ schnell auf und stürzte das Land wieder zurück in den blutigen Bürgerkrieg, den die herrschende Elite Colombos 1983 begonnen hatte.

Aufgrund seiner vorsätzlichen militärischen Provokationen gegen die separatistischen Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) scheiterten im Juni die Friedensgespräche zwischen der srilankischen Regierung und der LTTE in Oslo. Innerhalb von wenigen Wochen begann die Regierung unter dem humanitären Vorwand, eine Bewässerungsschleuse öffnen zu wollen, die die LTTE geschlossen hatte, eine Offensive, um die von der LTTE kontrollierten Gebiete zurückzuerobern und den Weg für eine Eskalation des Krieges zu bereiten, die zehntausende Tote forderte.

Im Oktober verurteilte die srilankische Socialist Equality Party die Regierung für die Wiederaufnahme des Krieges, erklärte seine tieferen politischen, wirtschaftlichen und historischen Wurzeln und erklärte ein sozialistisches Programm, um den Krieg zu beenden. Die SEP erklärte, die Wiederaufnahme des Krieges gehe auf die neue Periode des internationalen Militarismus zurück, die die USA begonnen hatten. Die Regierung in Colombo habe Washingtons Verbrechen in Afghanistan und im Irak unterstützt und sei durch die Bush-Regierung ermutigt worden, unter dem Deckmantel des „weltweiten Kriegs gegen den Terror“ selbst einen Angriffskrieg gegen die tamilische Minderheit zu führen.

Die SEP forderte den sofortigen und bedingungslosen Abzug aller srilankischen Sicherheitskräfte aus den Kriegsgebieten im Norden und Osten, sowie die Vereinigung der Arbeiter und der unterdrückten Massen der Insel – der singhalesischen wie der tamilischen – im Kampf für ein sozialistisches Programm in Südasien und weltweit.

Die Partei erklärte, dass das srilankische Militär und mit ihm verbündete paramilitärische Organisationen Verbrechen begingen, darunter die kaltblütige Ermordung von siebzehn Entwicklungshelfern und ein Luftangriff auf eine Schule, bei dem zahlreiche Schülerinnen umkamen. Sie entführten und töteten unter anderem Journalisten, um die tamilische Bevölkerung und alle Kriegsgegner zu terrorisieren.

Wie zur Bestätigung wurde der SEP-Anhänger Sivapragasam Mariyadas am 7. August in seinem Haus in der ländlichen Kleinstadt Mullipothana erschossen. Die SEP und die WSWS führten eine internationale Kampagne für die Verhaftung und Anklage seiner Mörder.

Durch israelische Truppen zerstörtes Gebäude im Süden des Libanon
US-Außenministerin Condoleezza Rice mit dem srilankischen Außenminister Mangala Samaweera nach der Militäroffensive gegen die LTTE
Die Rahmenbedingungen für einen Polizeistaat

Im Jahr 2006 kamen zahlreiche Informationen ans Licht, dass die US-Regierung schon weitgehende Vorbereitungen getroffen hatte, um mit Polizeistaatsmethoden zu regieren. Die WSWS machte Berichte bekannt, in denen geheime Überwachungsaktionen in den USA; Folter und Menschenrechtsverletzungen in Guantanamo Bay und die Unterstützung der europäischen Regierungen bei der Verschleppung von amerikanischen Gefangenen in geheime Foltergefängnisse enthüllt wurden – letztere Praxis wurde als „außerordentliche Überstellung“ bezeichnet. Ferner verabschiedete der Kongress ein bahnbrechendes Gesetz, das die Vorgaben der Verfassung und der Bill of Rights für Gefangene aufhob, die vor Militärtribunalen angeklagt werden. 

Im Dezember 2005 hatte die New York Times einen Artikel veröffentlicht, laut dem die National Security Agency, die bisher als Auslandsgeheimdienst tätig war, Millionen Amerikaner innerhalb der USA überwachte. Im Januar 2006 veröffentlichte einer der Autoren des Artikels namens James Risen ein Buch, in dem er die riesigen Datenbanken beschrieb, die die National Security Agency mit Unterstützung der Telekommunikations- und Computerindustrie aufbaute.

Die NSA sammelte aktiv ohne gerichtliche Beschlüsse Daten und überwachte die Kommunikation innerhalb der USA und die Kommunikation vom Ausland und ins Ausland. Die Behörde überwachte die Telefongespräche von hunderten Millionen Amerikanern. Die WSWS warnte: „Man darf diese Bedrohung nicht unterschätzen. Sie ist das Ergebnis eines langen Niedergangs der amerikanischen Demokratie, der seine Wurzeln in der Krise des kapitalistischen Systems und dem bösartigen Anwachsen der sozialen Ungleichheit hat.“

Im August enthüllte eine Kolumne der New York Times, dass die Zeitung bereits vor der Präsidentschaftswahl im November 2004 von der illegalen Überwachung erfahren hatte, aber mehr als ein Jahr gewartet hatte, bevor sie damit an die Öffentlichkeit trat. Die Bush-Regierung habe die Times dazu gedrängt, die Veröffentlichung zurückzuhalten, und sie hatte sich gefügt. Die WSWS schrieb:

Das Verhalten der Times zeigt, dass die amerikanischen Massenmedien nahezu völlig in den Staatsapparat integriert sind. Es zeigt, in welchem Ausmaß die Medien als Propagandavehikel der Regierung agieren und Tatsachen entsprechend verbergen oder verzerren.

Wir berichteten auch von Dokumenten, die das Verteidigungsministerium auf eine Klage von Associated Press hin veröffentlicht hatte. Es übergab der Presseagentur mehr als 5000 Seiten Dokumente, vor allem teilweise Niederschriften der Combatant Status Review-Tribunals – d.h. den Femegerichte, in denen Gefangene versucht hatten, ihre Einstufung als „feindliche Kämpfer“ anzufechten. „Die Analyse gibt Einblick in das Leben von hunderten Menschen, die willkürlich entführt und grundlos jahrelang unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten und misshandelt wurden... Ihre Haft ist eine offene Verletzung der Genfer Konventionen und aller völkerrechtlichen Statuten.“

Im Lauf des Jahres 2006 tauchten weitere Beweise dafür auf, dass die europäischen Regierungen die CIA bei der Praxis außerordentlicher Überstellungen (im Grunde Entführungen) unterstützten. Die europäischen Regierungen hatten geleugnet, von dieser Praxis zu wissen. Im März gab der britische Premierminister Tony Blair jedoch zu, dass seine Regierung der CIA die Nutzung von Flugzeugen erlaubt hatte, mit denen Gefangene in geheime Haftzentren transportiert wurden, in denen sie gefoltert wurden.

Im April schrieben wir über einen Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Der Bericht „zeichnet minutiös die Odyssee von drei jemenitischen Staatsbürgern durch vier amerikanische Geheimgefängnisse in Afghanistan, Dschibuti und mutmaßlich Osteuropa nach und dokumentiert außerdem Hunderte Stopps der von der CIA für illegale Entführungen benutzten Flugzeuge auf europäischen Flughäfen.“ Wie wir schrieben, gibt es bei Überstellungen „weder eine förmliche Anklageschrift noch eine Mitteilung an staatliche Behörden oder an die Familien, wo sich die Internierten aufhalten. Die Opfer haben keinerlei Zugang zu Anwälten oder sonstigem rechtlichen Beistand, sie sind buchstäblich von der Bildfläche verschwunden.“

Im Oktober unterzeichnete Präsident Bush den Military Commissions Act 2006, der vom Repräsentantenhaus und dem Senat verabschiedet worden war. Nach der Verabschiedung des Gesetzes schrieb die WSWS:

Er greift die Rechte aller amerikanischen Staatsbürger und aller legalen Einwohner und Zuwanderer an. Der Präsident kann ihre Verhaftung und eine lebenslange Haftstrafe anordnen, ohne dass dies juristisch anfechtbar ist.

Nach diesem Gesetz könnte der Präsident jeden zum ‚unrechtmäßigen feindlichen Kämpfer‘ erklären; er wird von Geheimdienstagenten verhaftet und auf unbegrenzte Zeit eingesperrt, ohne sich dagegen rechtlich zur Wehr setzen zu können. Das Gesetz definiert einen ‚unrechtmäßigen feindlichen Kämpfer‘ als ‚Person, die an feindseligen Handlungen gegen die Vereinigten Staaten beteiligt ist‘, jedoch nicht Mitglied eines gegnerischen Militärs ist...

Die WSWS erklärte später in einer Analyse das historische Ausmaß dieses Angriffs auf die Verfassung und die Bill of Rights:

Die folgenschwerste Gesetzesänderung, die sich aus diesem Gesetz ergibt, ist, dass der Habeas Corpus für alle Nicht-Staatsbürger, die von der US-Regierung verhaftet und als ‚unrechtmäßige feindliche Kämpfer‘ eingesperrt werden, abgeschafft wird. Diese Personen haben kein Recht auf ein Gerichtsverfahren, in dem untersucht würde, ob genug Beweise für ihre Verhaftung vorliegen.

Die Folgen dieser Berichte sind klar: Die Bush-Regierung, das Militär und die Geheimdienste planen, politischen Dissens zu kriminalisieren und alle, die die amerikanischen Kriege im Irak und in Afghanistan ablehnen, ebenso alle, die demokratische Rechte verteidigen, als potenzielle Terroristen zu behandeln, sie als ‚unrechtmäßige feindliche Kämpfe‘ zu brandmarken, zu verhaften und in einem neuen System von amerikanischen Gefangenenlagern wegzusperren.

Der Sitz der National Security Agency in Fort Meade, Maryland
Treffen der internationalen Redaktion der WSWS

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale bereitete sich auf die politischen Unruhen des Jahres 2006 durch ein längeres Treffen der Internationalen Redaktion der World Socialist Web Site in Sydney vom 22. bis 27. Januar vor. Führende WSWS-Redaktionsmitglieder und Abgesandte aus den Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale hielten Vorträge über die politische Lage in fast jeder Region der Welt, die später auf der WSWS erschienen.

David North, der Vorsitzende der Internationalen Redaktion, hielt die Eröffnungsrede. Er erklärte:

Jeder ernsthafte Versuch einer politischen Prognose und einer Einschätzung des Potenzials, das die bestehende politische Situation birgt, muss seinen Ausgangspunkt in einem präzisen und akkuraten Verständnis der historischen Entwicklung des globalen kapitalistischen Systems haben.

Die Analyse der historischen Entwicklung des Kapitalismus muss die folgende wesentliche Frage beantworten: Befindet sich der Kapitalismus als Weltwirtschaftssystem in einer Aufwärtsbewegung und hat seinen Höhepunkt noch nicht erreicht, oder befindet er sich im Niedergang und steht vielleicht sogar kurz vor dem Abgrund?

Die Antwort, die wir auf diese Frage geben, hat notgedrungen äußerst weit reichende Konsequenzen, und zwar nicht nur in Hinblick auf die Bestimmung unserer praktischen Aufgaben sondern ebenso für die gesamte theoretische und programmatische Orientierung unserer Bewegung.

Nick Beams erklärte in seinem Bericht über die Weltwirtschaft:

Dieses Jahr begann mit Voraussagen, dass das starke Wirtschaftswachstum in allen großen Industrienationen und der globalen Wirtschaft insgesamt anhalten werde... Hinter der kurzfristig optimistischen Prognose jedoch machen sich ernsthafte Volkswirtschaftler Sorgen über den Zustand der Weltwirtschaft. Sie verweisen auf eine Reihe von tiefgehenden strukturellen Ungleichgewichten und Spannungen - hervorgerufen vor allem durch das wachsende Zahlungsbilanz-Defizit der USA und die sich beschleunigende Verschuldung - die an einem gewissen Punkt zu raschen Veränderungen, wenn nicht zu einer Krise führen müssen.

Nach einem Bericht über die historische Entwicklung des Weltkapitalismus im Laufe von mehr als hundert Jahren erklärte Beams abschließend: „Die letzte Periode der Globalisierung von 1870 bis 1914 hat zu Kriegen und Revolutionen geführt. Das Ergebnis der gegenwärtigen Globalisierungsphase wird nicht weniger explosiv sein. Und genau auf diese Situation müssen wir uns vorbereiten.“

Barry Grey erklärte die wichtige Rolle des amerikanischen Kapitalismus: „Das Schicksal des Weltkapitalismus war im Verlauf des letzten Jahrhunderts stärker mit den Vereinigten Staaten als mit der nationalen Wirtschaft oder der Politik irgendeines anderen Landes verbunden.“ Er beschrieb den Aufstieg und Niedergang der amerikanischen Wirtschaft im Verhältnis zur Weltwirtschaft und erklärte:

Diese tief greifenden Veränderungen wirkten sich stark auf das Verhältnis zwischen den Klassen und die soziale Physiognomie der verschiedenen Klassen innerhalb der USA aus. Die herrschende Elite Amerikas selbst hat sich verändert. Der allgemeine Verfallsprozess drückt sich auf üble Weise im politischen, intellektuellen und sogar moralischen Verfall der herrschenden Schichten aus. Im Allgemeinen sind die räuberischsten, ignorantesten, kurzsichtigsten und reaktionärsten Elemente an die Spitze aufgestiegen.

David Walsh beschrieb in seinem Bericht den derzeitigen Stand der Kunst und wie sich darin die objektiven Probleme der Gesellschaft zeigten. Er erklärte:

Der Sinn für künstlerische Proportion geht verloren, wenn sich ein Künstler von den wirklichen Triebkräften im Leben und der Gesellschaft mehr oder weniger entfernt hat, wenn die wahre Schlachtordnung der gesellschaftlichen und psychologischen Kräfte unklar ist und es an Konkretheit mangelt. Ebenfalls häufig ist Skepsis in Bezug auf die Auffassungsgabe und Fähigkeiten des Menschen wie auch ein gehöriges Maß an Misanthropie gegeben.

Offensichtlich spielen objektive historische Probleme bei diesen Schwierigkeiten eine Rolle. Die Kunst kann sich nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen oder aus sich selbst heraus vollkommen Klarheit schaffen. Die gesellschaftliche Bewegung der Massen spielt eine entscheidende Rolle. Trotzki schreibt über ‚die emanzipatorische Bewegung der unterdrückten Klassen und Völker, [die] die Wolken der Skepsis und des Pessimismus verjagt, die heute den Horizont der Menschheit verdunkeln.‘

Auf dem Treffen gab es auch Beiträge über den Krieg im Irak, zu den Perspektiven für China, Europa, Großbritannien, Lateinamerika, Afrika, über den Zionismus und den Nahen Osten, die zunehmenden Angriffe auf demokratische und verfassungsgemäße Rechte und die amerikanische Kongresswahl, sowie den bevorstehenden Wahlkampf der Socialist Equality Party.

Diese Berichte stellten eine ausgearbeitete marxistische Analyse der Weltlage zu Beginn des Jahres 2006 und eine Perspektive für die Kämpfe der Arbeiterklasse in der kommenden Periode dar. Sie sahen sowohl die internationale Finanzkrise voraus, die im Jahr 2008 begann und bis heute andauert, als auch die Massenunruhen im Nahen Osten, in Europa und anderen Teilen der Welt aufgrund der Krise.

Das Treffen der Internationalen Redaktion war die Grundlage für eine Reihe von politischen Initiativen der Sektionen des Internationalen Komitees, unter anderem die Teilnahme der deutschen Sektion an der Wahl in Berlin, bei der sich die PSG scharf von allen pseudolinken Tendenzen abgrenzte, darunter den Sozialdemokraten, der ehemals stalinistischen PDS und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG). Die letztgenannten Gruppen bildeten später die Linkspartei, die heute eine der Hauptstützen der kapitalistischen Herrschaft in Deutschland ist.

Wahlen in Amerika und Australien

In den Vereinigten Staaten führte die Socialist Equality Party eine umfangreiche Wahlkampagne für die Kongresswahl (mid-term) im November. Sie stellte Kongressabgeordnete für New York, Kalifornien und Michigan und für die Parlamente der Bundesstaaten Illinois, Maine, Oregon und Washington.

Wie die SEP auch in ihrer Wahlerklärung ankündigte, ging es ihr nicht nur um die Wahl, sondern vor allem darum, „Millionen Arbeitern und Jugendlichen in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt eine Stimme und Orientierung [zu] geben, um gegen die Bush-Regierung und ihre Kriegs-, Unterdrückungs- und Ausbeutungspolitik zu kämpfen.“

Bill Van Auken von der Redaktion der WSWS kandidierte in New York für den US-Senat und trat gegen die demokratische Amtsinhaberin und mögliche Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton an, die für den amerikanischen Angriffskrieg gegen den Irak gestimmt hatte.

In Illinois versuchten Funktionäre der Demokratischen Partei zu verhindern, dass Joe Panarauskis zur Wahl antrat. Die SEP führte eine internationale Kampagne, um den Kandidaten der SEP auf den Wahlzettel zu bringen.

Die SEP vertrat im Wahlkampf ein Programm sozialistischer Forderungen auf Grundlage der Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung und erklärte:

Die SEP hatte in ihrem Wahlkampf keine Milliarden Dollar an Spendengeldern zur Verfügung, wie sie die Demokraten und Republikaner von der amerikanischen Wirtschaft und den Superreichen für ihre Wahlkämpfe aus gegenseitigen Schlammschlachten und Lügen bekommen, und legt auf dieses Geld auch keinen Wert. Was wir erreichen wollen – das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse heben – kann nur durch eine politische Bewegung von unten erreicht werden, die die Arbeiter, Facharbeiter, Jugendliche und Studenten mobilisiert, weit über die Wahl hinausgeht und die Grundlagen für den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei der Arbeiterklasse legt.

Wie die SEP es erwartet hatte, drückten in der Kongresswahl 2006 Millionen von Arbeitern und Jugendlichen ihren Widerstand gegen den Krieg im Irak und die reaktionäre Politik der Bush-Regierung und der Republikanischen Partei aus. Obwohl die Demokraten nur vorsichtig an die Antikriegsstimmung appellierten, profitierten sie zu Unrecht von dieser Linkswende der amerikanischen Bevölkerung und gewannen Dutzende von Sitzen im Repräsentantenhaus und erlangten zum ersten Mal seit zwölf Jahren gleichzeitig die Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat.

Am Tag nach der Wahl erklärte die WSWS in einer Stellungnahme:

Es existiert eine große Kluft zwischen der massiven Antikriegsstimmung unter den Wählern der Demokratischen Partei und der Entschlossenheit ihrer Führung, im Irak zu ‚siegen‘ und den Krieg gegen den Terror fortzuführen.

Diejenigen, die für die Demokratische Partei gestimmt haben, um so ihren Widerstand gegen die Bush-Regierung und den Krieg auszudrücken, werden schnell feststellen, dass der Wahlsieg der Demokraten weder die amerikanische Innen- noch Außenpolitik in nennenswerter Weise ändern wird. Millionen von Arbeitern und Jugendlichen werden eher früher als später in direkten Konflikt mit den Demokraten geraten.

Im australischen Bundesstaat Victoria beteiligte sich die SEP an den Wahlen am 25. November und stellte sich gegen die in dem Bundesstaat regierende Labor Party und die Grünen. Die SEP stellte den Kampf der Arbeiterklasse für den Bruch mit den Gewerkschaften und der Labor Party sowie den Aufbau neuer Kampforganisationen auf der Grundlage sozialistischer Prinzipien ins Zentrum ihres Wahlkampfes.

Deutschland und Europa

Die Entwicklung in Europa war von einem wachsenden Militarismus der Regierungen geprägt, die dabei zunehmend die Unterstützung ehemaliger Pazifisten gewannen. Zugleich setzte die Arbeiterklasse den sozialen Angriffen in zahlreichen Ländern heftigen Widerstand entgegen, der von den Gewerkschaften geknebelt und erstickt wurde. 

Die europäischen Regierungen versuchten Unterstützung für eine aggressivere Außenpolitik zu mobilisieren, indem sie im Inland antiislamischen Chauvinismus schürten. Bereits im Herbst 2005 hatte die rechte dänische Zeitung Jyllands-Posten rassistische Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed veröffentlicht. Anfang 2006 brachten auch die großen französischen Tageszeitungen die Karikaturen, später Zeitungen und Medien auf der ganzen Welt. Daraufhin kam es vom indischen Subkontinent bis nach Nordafrika zu riesigen Protestdemonstrationen.

Die WSWS verurteilte die Veröffentlichung der Karikaturen als politische Provokation. Wir entlarvten die Liberalen und Pseudolinken, die die „Verbreitung von solch bigottem Schund“ (WSWS) verteidigten und als Frage des Säkularismus und der Pressefreiheit darstellten. In Wirklichkeit hatte die Kampagne zum Ziel, den Islam als rückständige und minderwertige Kultur darzustellen. Sie war Teil der zunehmenden Angriffe auf die sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse in Europa und den USA und sollte insbesondere besser gestellte Schichten mobilisieren. Die Grünen und pseudolinke Gruppen, die diese Schichten vertreten, machten sich vor dem Hintergrund des Irak- und Libanonkriegs eine zunehmend chauvinistische und kriegstreiberische Haltung zu eigen.

So appellierte die Partei der Europäischen Linken (EL) an die europäischen Staats- und Regierungschefs, eine aktivere Rolle im Nahostkonflikt zu spielen. In Italien mobilisierte Rifondazione Comunista offen für ein Eingreifen in den Libanonkrieg. Nachdem sich die EU Ende August entschlossen hatte, 7.000 Soldaten in den Libanon zu entsenden, begrüßte der frühere Außenminister der rot-grünen Regierung, Joschka Fischer, diesen Schritt begeistert und forderte eine insgesamt aggressivere Außenpolitik. Bereits zu Beginn des Jahres hatte sich der langjährige Wortführer der Grünen dafür eingesetzt, dass Europa seine Interessen verstärkt mit militärischen Mitteln verfolgt.

Als abgrundtief verlogen geißelte die World Socialist Web Site vor diesem Hintergrund die Hysterie, mit der die konservative und zum Teil auch ex-linke Elite über den Schriftsteller und Nobelpreisträger Günter Grass herfiel, nachdem dieser bekannt hatte, dass er zum Ende des Zweiten Weltkriegs als Siebzehnjähriger in einer Division der Waffen-SS gedient hatte. „Mit großem Getöse schwingt die politische Rechte die Keule der abstrakten Moral gegen Grass - um in ihrem Namen die Lehren aus der Vergangenheit zu unterdrücken und neue Verbrechen und Kriege zu rechtfertigen“, schrieb die WSWS am 18. August 2006.

Der Militarismus nach außen ging einher mit sozialen Angriffen im Inneren. In Deutschland erschienen eine Reihe wissenschaftlicher Studien, aus denen hervorging, dass die soziale Ungleichheit insbesondere in Folge der Hartz-IV-Gesetze mit rasantem Tempo zugenommen hatte. In der Folge kam es hier und in anderen europäischen Ländern 2006 zu großen Arbeits- und sozialen Kämpfen.

In Deutschland begannen 40.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst am 6. Februar einen Streik gegen Lohnsenkungen bei Neueinstellungen und längere Arbeitszeiten. Der Arbeitskampf dauerte insgesamt sechzehn Wochen und wurde damit zu einem der längsten Streiks der deutschen Nachkriegsgeschichte. Auslöser war gewesen, dass die kommunalen Arbeitgeber auf Länderebene die Tarifverträge gekündigt hatten, um Verschlechterungen durchzusetzen. Schließlich wurde der Streik von der Gewerkschaft ver.di verraten und beendet. Insbesondere stimmte ver.di einer Einigung zu, die den öffentlichen Arbeitgebern viele Möglichkeiten bot, die Beschäftigten gegeneinander auszuspielen und zu immer neuen Zugeständnissen zu erpressen. Vorangegangen war bereits zum 1. Oktober 2005 die Ablösung des alten Bundesangestelltentarifs durch den Tarifvertrag des öffentlichen Diensts (TVöD), mit dem die Einstiegsgehälter dramatisch gesenkt worden waren.

Der TvÖD war auch ein wesentlicher Grund für den Streik der Klinikärzte, der im Sommer 2006 begann. Geführt wurde er von 22.000 im Berufsverband Marburger Bund organisierten Medizinern an Universitätskrankenhäusern, wo neu eingestellte junge Assistenzärzte die Verschlechterung geballt zu spüren bekamen. Sie waren deshalb aus ver.di ausgetreten und versuchten nun, ihre Interessen mithilfe des Marburger Bunds durchzusetzen. Später schlossen sich ihnen Ärzte in 700 regionalen Krankenhäusern an. Ver.di stellte sich offen gegen die Ärzte, isolierte die Streiks und trug zu ihrer Niederlage bei. Die WSWS erklärte die Lehren aus dem Ärztestreik und befasste sich detailliert mit der Frage, weshalb der Marburger Bund sich am Ende als ebenso untauglich erwies wie zuvor ver.di.

Am 18. März demonstrierten 1,5 Millionen Menschen in Paris und anderen Städten Frankreichs gegen die Einführung des Ersteinstellungsvertrages (CPE), der Arbeitgebern das Recht gab, junge Arbeiter willkürlich zu entlassen. Diese Demonstration war der Höhepunkt einer Bewegung von Schülern und Studenten, die von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wurde und die konservative Villepin-Regierung überrascht hatte.

Die WSWS erklärte, vor welchen politischen Aufgaben Arbeiter und Jugendliche in Frankreich standen und betonte die Notwendigkeit eines bewussten Bruchs mit reformistischen und nationalistischen Perspektiven. Wir warnten, dass die Sozialistische Partei und die Kommunistische Partei eine wichtige Rolle dabei gespielt hatten, die Sparmaßnahmen durchzusetzen, und dass eine weitere „linke“ Regierung eine genauso verräterische Rolle spielen würde.

Als die Regierung den Ersteinstellungsvertrag Anfang April zurücknahm und ihn in leicht abgewandelter Form wieder einbrachte, bezeichneten alle Parteien des angeblich „linken Randes“ dies als großen Sieg. In Wirklichkeit war keines der Probleme der französischen Arbeiter und Jugendlichen gelöst worden. Die WSWS hielt eine Reihe von Treffen in Frankreich ab, auf denen sie über die Lehren aus dem Kampf gegen den Vertrag diskutierte.

Im April wurde in Italien die rechte Regierung von Silvio Berlusconi bei der Parlamentswahl abgewählt, knapper Sieger war die Mitte-Links-Koalition unter Romano Prodi. Die WSWS erklärte, dass dies keinen Politikwechsel bedeutete, da Prodi versprach, die Angriffe auf Sozialleistungen und Arbeitsplätze fortzuführen, aber auf die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und der PDL, der Nachfolgepartei der stalinistischen Kommunistischen Partei Italiens, Wert lege.

Das wichtigste Ergebnis der Wahl war die Tatsache, dass Rifondazione Comunista (RC), eine Fraktion von ehemaligen Stalinisten, die aufs Engste mit den kleinbürgerlichen Linken verbündet war, zu Hauptstütze der neuen Regierung und ihrer Austeritäts- und Kriegspolitik wurde (italienische Truppen waren im Rahmen des US- und Nato-Kriegs in Afghanistan stationiert). Fausto Bertinotti, der Vorsitzende der RC, wurde als Dank für seine Unterstützung zum Sprecher des Unterhauses gewählt, der wichtigsten Position im Parlament.

Arbeiter demonstrieren in Paris gegen den Ersteinstellungsvertrag
Weitere politische Entwicklungen

Am 2. Januar wurden bei einer Explosion im Kohlenbergwerk Sago in West Virginia dreizehn Bergarbeiter durch eine Explosion eingeschlossen. Das Bergwerk war in den Jahren 2004 und 2005 durch viele Sicherheitsmängel aufgefallen. In den nächsten fünf Monaten untersuchte die WSWS die Details der Tragödie, die zum Tod von zwölf Bergarbeitern führte und zeigte, dass zahlreiche Sicherheitsmängel die Rettung behindert hatten.

Die WSWS veröffentlichte Briefe, die uns über die Zustände in den Bergwerken in verschiedenen Staaten geschickt wurden, und führte Interviews mit Freunden und Verwandten der toten Bergarbeiter. Wir befassten uns auch mit der Geschichte der Bergbauindustrie und den Kämpfen der Bergarbeiter für bessere Arbeitsbedingungen. „Die meisten, oder sogar alle Todesfälle in amerikanischen Kohlebergwerken in diesem Jahr hätten verhindert werden können, wenn die Sicherheitsmaßnahmen, die seit fast zwanzig Jahren gefordert wurden, nicht von Vertretern der Regierungen Clinton und Bush verzögert und schließlich abgelehnt worden wären,“ hieß es in einem Artikel über die Deregulierung des Kohlebergbaus.

Durch diese Berichterstattung machte sich die WSWS zum Sprachrohr der Bergarbeiter und enthüllte, welche sozialen und politischen Umstände zum Tod der Bergarbeiter geführt hatten. Sie erklärte die Geschichte des Bergbaus und der Kämpfe der Bergarbeiter und gab ihnen die Perspektive, die sie brauchten, um gegen die schrecklichen Bedingungen in den Bergwerken zu kämpfen.

Im Januar wurde außerdem die liberale Regierung in Kanada, die seit zwölf Jahren an der Macht war, abgewählt, nachdem die mächtigsten Teile des kanadischen Kapitals auf die Unterstützung der Konservativen Partei umgeschwenkt waren, die erst zwei Jahre zuvor durch den Zusammenschluss der rechtspopulistischen Reformpartei/Kanadische Allianz mit den Progressiven Konservativen, der traditionellen alternativen Regierungspartei der kanadischen Elite, entstanden war. Die Liberalen hatten die größten Sozialkürzungen in der Geschichte Kanadas umgesetzt, die Steuern für das Großkapital und die Reichen gesenkt und große Anstrengungen zur Wiederbewaffnung des kanadischen Militärs unternommen, dennoch forderte die herrschende Klasse einen noch rechteren Kurs.

Die neue Regierung von Premierminister Stephen Harper eskalierte Kanadas Beteiligung am Krieg in Afghanistan und übernahm die undemokratischen Methoden der Bush-Regierung im Inland. Dazu gehörte die inszenierte Verhaftung einer „islamistischen Terrorzelle“ in Toronto. Das war eine Gruppe von jungen Menschen, die von staatlichen Provokateuren manipuliert waren. Die Medien nutzten das für eine große hysterische Kampagne aus.

Im Mai schickte die australische Howard-Regierung 1300 Soldaten nach Osttimor, nur wenige Wochen nachdem sie ihre neokoloniale Militär- und Polizeitruppe auf den Salomonen verstärkt hatte, nachdem es dort zu Protesten gegen die Regierung gekommen war. Die australische SEP bezeichnete die Intervention in einer Stellungnahme als „unverhüllten Akt neokolonialer Bedrohung und Aggression, durch den die wirtschaftlichen und strategischen Interessen des australischen Imperialismus im asiatisch-pazifischen Raum gesichert werden sollen.“

Die SEP und die WSWS hielten öffentliche Veranstaltungen gegen die Intervention in Osttimor ab. Nick Beams beschrieb in seinem Bericht auf den Versammlungen, wie die kleinbürgerlichen „Linken“ sich wie schon 1999 auf die Seite des australischen Imperialismus gestellt und die Intervention unterstützt hatten.

Innerhalb von nur sechs Wochen wurde Premierminister Mari Alkatiri von der nationalistischen Fretilin-Bewegung durch einen von Australien unterstützten Putsch gestürzt, und durch Jose Ramos Horta ersetzt, der sich auf die Seite von Canberra stellte. Die WSWS veröffentlichte eine detaillierte dreiteilige Analyse mit dem Titel „Wie Australien den Regimewechsel in Osttimor organisiert hat“, die Canberras Manöver in den letzten fünf Jahren analysierte, die zum Sturz der gewählten Regierung führten.

Die WSWS enthüllte außerdem Canberras hinterhältiges Vorgehen in anderen Teilen des Südpazifik, unter anderem den Versuch der Howard-Regierung, Julian Moti, den Justizminister der Salomonen, wegen Vergewaltigungsvorwürfen an Australien ausliefern zu lassen, um so die Regierung der Salomonen zu destabilisieren und eine Untersuchung der neokolonialen Unterwerfung des Landes durch Australien zu verhindern.

Die Präsidentschaftswahl in Mexiko am 1. Juli führte zu einer schweren politischen Krise, als Felipe Calderon von der amtierenden rechten PAN den Sieg über Andres Manuel Lopez Obrador von der populistischen PRD beanspruchte, obwohl sein Vorsprung nur gering war. Lopez Obrador klagte gegen das Ergebnis, sprach von weitverbreitetem Wahlbetrug und seine Anhänger legten Mexiko-Stadt monatelang mit Protesten lahm. Calderon kam schließlich am 1. Dezember ins Amt

Die WSWS erklärte, dass Lopez Obrador einen politischen Drahtseilakt versucht habe. „Einerseits wollte er an die Forderungen der mexikanischen Arbeiter nach Sozialprogrammen und Arbeitsplätzen appellieren und führte demagogische Angriffe auf die herrschende Oligarchie in Mexiko. Andererseits wollte er den mexikanischen und ausländischen Geschäftsinteressen versichern, dass er als Präsident keine Politik machen werde, die die politische und wirtschaftliche Dominanz der herrschenden Elite ernsthaft gefährden würde.“

Im September wurde der milliardenschwere populistische Demagoge Thaksin Shinawatra in Thailand durch einen Militärputsch gestürzt und ins Exil geschickt. Zuvor hatten rechte Fraktionen der herrschenden Elite sich monatelang untereinander bekämpft – unter anderem die Fraktion der Monarchie, die befürchtete, dass soziale Zugeständnisse an Thaksins politische Basis, die bäuerlichen Massen im landwirtschaftlich dominierten Nordosten, unkontrollierbare politische Folgen haben könnten.

Im November und Dezember bestätigten Wahlergebnisse in Lateinamerika den Aufstieg einer Fraktion der herrschenden Elite, die mit sozialdemokratischer und populistischer Rhetorik versuchte, eine Linkswende der Arbeiterklasse aufzuhalten. Diese Entwicklung zeigte sich unter anderem in der Wiederwahl des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, der Rückkehr von Daniel Ortega als Präsident von Nicaragua und die Wahl von Rafael Correa in Ecuador.

Kunst, Kultur und Philosophie

Zum Ende des Jahres 2006 stellte die WSWS fest, dass es ein schlechtes Jahr für amerikanische und englischsprachige Filme gewesen war. Tatsächlich war es ein fürchterliches Jahr, und die Überschriften einiger WSWS-Filmkritiken geben einen Eindruck davon:

Kunst-Redakteur David Walsh schrieb in seinem Jahresrückblick, dass den Filmemachern, auch denen mit guten künstlerischen Instinkten, ein Verständnis für die Gesellschaft fehle, in der sie lebten und arbeiteten: „Anständige und menschliche Absichten müssen bereichert und durch Wissen vertieft werden – vor allem über die Geschichte und die Gesellschaft. Um wichtige Arbeit zu leisten, muss man über wichtige Dinge informiert sein.“

Es gab zwar Ausnahmen, aber nur wenige davon kamen auf den amerikanischen Markt, und viele waren nur auf Filmfestivals zu sehen, wie Water, dessen Besprechung um ein Interview mit der Regisseurin Deepa Mehta ergänzt wurde, die Opfer einer Zensurkampagne rechter hinduistischer Fundamentalisten wurde; die Irakkriegsdokumentation The Prisoner or: How I Planned to Kill Tony Blair; oder Ken Loachs mit Makeln behafteter Film über die irische Rebellion von 1916, The Wind that Shakes the Barley.

Es gab zwei Nachrufe auf wichtige Filmemacher: auf Robert Altman und den Japaner Shohei Imamura

Im Bereich Musik veröffentlichten die Dixie Chicks ein Album, in dem sie ihre Antikriegshaltung und ihre Empathie gegenüber der sozialen Lage der Arbeiterklasse aufrecht hielten. Nachdem ihre Leadsängerin Natalie Maines George W. Bush im Jahr 2003 wegen des Irakkriegs kritisiert hatte, begann eine rechte Kampagne gegen sie, die wenig Erfolg hatte.

Die WSWS veröffentlichte außerdem eine Reihe von Artikeln zum 250. Geburtstag von Mozart und befasste sich mit dem sozialen und politischen Kontext, der diesen großen Komponisten geformt hatte. Wir beschrieben seine Karriere, seine einzigartige Mischung italienischer und deutscher Musikstile und seine Wurzeln in der barocken Tradition und die Rolle seines Freundes und Mentors Josef Haydn.

Die WSWS berichtete außerdem über eine Ausstellung über 800 Jahre russische Kunst im New Yorker Guggenheim-Museum. Die WSWS erklärte den politischen Zweck der Ausstellung, der darin bestand, das „neue“ Russland als Mitspieler auf der Weltbühne darzustellen. Wir kritisierten, dass Kunst aus der Zeit der Russischen Revolution eindeutig ausgeklammert wurde. Deutlich wurden die Auswirkungen der Revolution auf die Kunst bevor die zerstörerischen Folgen des Stalinismus einsetzten.

Die WSWS berichtete auch über Honour Bound, eine multimediale Performance über die Behandlung des Australiers David Hicks, der fast fünf Jahre lang in Guantanamo Bay gefangen gehalten wurde.

Zum Bereich der Philosophie veröffentlichte die WSWS eine zweiteilige Besprechung von David North über Marx after Marxism: The Philosophy of Karl Marx von Tom Rockmore. North wies Rockmores Versuche zurück, Marx als Idealisten darzustellen, der im Grunde ein Hegelianer geblieben war; und ebenso seinen Angriff auf Engels als vulgären, mechanischen Materialisten. North schrieb:

Eine beträchtliche Menge an neuerer akademischer Literatur redet einer Wiederbelebung verschiedener Formen vormarxistischer Philosophie und Politik das Wort. Das Erscheinen des jungen Dr. Marx in den frühen 1840er Jahren habe der Entwicklung von alternativen links-progressiven philosophischen und sozialen Bewegungen ein Ende gesetzt. Da sich Marx' Werk auf der Grundlage einer vernichtenden Kritik Hegels entwickelte, so die Argumentation, müsse der Schaden behoben werden, den Marx angerichtet habe. Nachdem Marx ihn auf die Füße gestellt habe, heißt es bei diesen Autoren, sei es nun an der Zeit, den alten idealistischen Philosophen wieder auf den Kopf zu stellen.

Szene aus Deepa Mehtas Film Water