WSWS-Chronologie

Das Jahr im Rückblick: 2009

Das Jahr 2009 war von der Ausweitung der weltweiten Wirtschaftskrise dominiert, die der Kollaps an der Wall Street im September 2008 ausgelöst hatte. In Nordamerika, Europa und zunehmend auch in den „aufstrebenden“ Wirtschaften Asiens stiegen Arbeitslosigkeit und Armut.

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Die herrschenden Eliten aller Länder benutzten die Massenarbeitslosigkeit als Waffe, um Löhne zu senken, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und die Arbeitskosten stark zu senken. Sie begannen einen Frontalangriff auf Sozialleistungen – Gesundheit, Bildung, Renten –, die die Arbeiterklasse im Laufe des vorherigen Jahrhunderts in erbitterten Kämpfen errungen hatte.

Washington und die Wall Street gaben den Kurs vor. Präsident Barack Obamas Wahlsieg war das Ergebnis einer Marketingkampagne mit dem hohlen Schlagwort „Wandel“ im Zentrum. Mit diesem Schlagwort wollte er sich die Feindschaft in der Bevölkerung gegenüber der Bush-Regierung zunutze machen. Er führte eine Regierung, die sich schnell als die reaktionärste der amerikanischen Geschichte herausstellte. Die neue Regierung setzte trotz deutlicher demokratischer Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat die rechte Politik ihrer Vorgängerin fort und verschärfte sie. 

Arbeitslose Arbeiter auf einer Jobmesse in Detroit
Die globale Krise des Kapitalismus

Die Krise von 2008 war ein entscheidendes Ereignis in der Geschichte des Weltkapitalismus. Nick Beams schrieb im Januar 2009 in einer Perspektive:

Bei einem historischen Rückblick gibt es immer bestimmte Jahre, die besondere Aufmerksamkeit erregen, weil sie für entscheidende Ereignisse stehen. Es fallen einem die Jahre 1914, 1929, 1933, 1939 und in jüngerer Zeit 1956 und 1989 ein. Das Jahr 2008 wird seinen Platz in dieser Reihe einnehmen.

Der Zusammenbruch der Wall Street war Ausdruck einer systemischen Krise mit tiefgehenden Wurzeln. Der nationale Vorsitzende David North und der nationale Sekretär Joseph Kishore betonten in einem Bericht auf einem Treffen der amerikanischen Socialist Equality Party im Mittleren Westen am 10. Januar, dass die Krise die internationalen Klassenkonflikte verschärfen und „die objektiven Voraussetzungen für eine revolutionäre Krise“ schaffen werde.

Es wird keine friedliche und "gesellschaftlich neutrale" Lösung der Krise geben. Die improvisierten Reaktionen der amerikanischen herrschenden Klasse auf die wirtschaftlichen Turbulenzen werden das Problem nicht lösen. Schon jetzt wurden mit verschiedenen übereilt entwickelten Rettungsplänen Hunderte von Milliarden vergeudet. Was Präsident Obama angeht, so versucht er das Unmögliche. Eine Lösung der Krise, welche die Grundlagen des Kapitalismus und die Interessen der Finanzelite nicht anrührt.

Der Bericht erschien zehn Tage vor Obamas Amtseinführung am 20. Januar und beschrieb den Charakter der künftigen Regierung.

Noch bevor er formell seine Position als "Führer der freien Welt" einnimmt, zeigt Obama - in der Auswahl seiner Minister, seinem vorgeschlagenen Konjunkturpaket, seinem Schweigen zu den israelischen Angriffen auf Gaza - seine Treue zu den mächtigsten Teilen der Unternehmerelite. Was auch immer für Veränderungen in der Taktik und im Ton vorgenommen werden, es wird kein Abbau der amerikanischen Militärmaschinerie geben, ganz zu schweigen von einer Aufgabe der Ziele des amerikanischen Imperialismus... Obama hat deutlich gemacht, dass er die Regierungspolitik der massiven Geldgeschenke an die Banken fortsetzen will...

Obamas atemberaubend rasante Verleugnung seiner eigenen Wahlkampfversprechen drückt viel mehr aus als seine eigene Unaufrichtigkeit und seinen Zynismus. Sie reflektiert eine tiefe Krise der amerikanischen Demokratie. Die existierenden Institutionen zeigen sich gleichgültig gegenüber dem demokratischen Ausdruck des Volkswillens. Ob ein Demokrat oder ein Republikaner im Amt ist, hat keinen Einfluss auf die grundlegende Richtung der Regierungspolitik. Das Zwei-Parteien-System dient immer krasser als Instrument, mit dem die herrschende Finanzoligarchie ihre politische Macht ausübt und den Staat kontrolliert. Aus dieser grundlegenden politischen Tatsache folgert, dass die Richtung der Regierung Obama sich nicht durch Druck des Volks von "links" ändern wird, wie die linksliberalen und kleinbürgerlichen Protestorganisationen behaupten, die sich an der Demokratischen Partei orientieren. Ein Ende des Kriegs und der Ungleichheit sowie eine Abrechnung mit den Verbrechen des amerikanischen Imperialismus, kann nicht im Rahmen eines degenerierten kapitalistisch-imperialistischen Regimes erreicht werden. Erforderlich ist nicht "Veränderung" - das hohle Mantra des Obama-Wahlkampfs - sondern die soziale Revolution.

Zur erwarteten Zunahme der sozialen Kämpfe auf der ganzen Welt erklärte der Bericht:

Jede historische Krise zwingt die großen Klassen einen unabhängigen Standpunkt einzunehmen und mit mehr oder weniger Klarheit eine Klassenlösung zu entwickeln. Die anfänglichen Aufrufe zur nationalen Einheit und zu gemeinsamen Opfern werden sich schnell in gegenseitige Schuldzuweisungen, wachsende Feindseligkeit und offenen Konflikt auflösen.

Die Entwicklungen des Jahres 2009 bestätigten die Richtigkeit dieser Analyse. In den ersten Monaten des Jahres befand sich die Weltwirtschaft im freien Fall. Ende Januar wurden in den USA an einem einzigen Tag 74.000 Entlassungen angekündigt. Insgesamt wurden im Januar eine Dreiviertelmillion Stellen abgebaut, im Februar nochmals so viele.

Gleichzeitig gingen die Aktienkurse stark zurück. Im März drückten Aktienverkäufe den Dow Jones an einem einzigen Tag um 4,6 Prozent auf den niedrigsten Stand seit zwölf Jahren. Auf den anderen internationalen Aktienmärkten geschah Ähnliches.

Die zunehmende Rezession trieb in einem Land nach dem anderen die Haushaltsdefizite in die Höhe, da die Steuereinnahmen zurückgingen, während die Ausgaben für Arbeitslosenhilfe und andere Unterstützungsleistungen anstiegen. In Europa stiegen die Zinsen für Staatsanleihen von Spanien, Portugal, Irland und Italien und es wurde vor einem möglichen Auseinanderbrechen der Eurozone gewarnt. Wachsender Protektionismus in Europa verschärfte die Gegensätze sowohl zwischen den einzelnen EU-Staaten, als auch zwischen den USA und Europa

In Deutschland drängte die Große Koalition aus CDU und SPD alle europäischen Staaten zu strenger Haushaltsdisziplin. Dies bedeutete enorme Kürzungen der Sozialausgaben, wachsende Arbeitslosigkeit und Armut. Gleichzeitig wurde das Großkapital mit Steuergeld und anderen konjunkturfördernden Maßnahmen unterstützt. Die Banker trieben die Regierung vor sich her und erzwangen eine Rettungsmaßnahme nach der anderen. Die Unterstützung vor dem Zusammenbuch stehender Banken und auch die Verstaatlichung der Hypo Real Estate und der Commerzbank kosteten Milliarden an Steuergeldern. Die Arbeiterklasse bezahlte dafür mit Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, während Banker weiterhin hohe Abfindungen und Boni kassierten. 

Die isländische Regierung war die erste, die aufgrund der Krise zurücktreten musste, nachdem der Zusammenbruch des Währungs- und Bankensystems des Landes zu Massenprotesten geführt hatte. Ende Januar schrieb die WSWS: „Tausende von Demonstranten haben sich vor dem Parlamentsgebäude versammelt. Premierminister Geir Haarde von der Unabhängigkeitspartei wurde mit Eiern, Farbbeuteln und Klopapierrollen beworfen, die Polizei setzte daraufhin Tränengas ein – es war das erste Mal seit 1949, dass in Island Tränengas gegen die Bevölkerung eingesetzt wurde.“ Es war ein Vorbote für Dinge, die noch kommen sollten. Die Sozialdemokraten und Grünen bildeten ein Nationales Regierungsbündnis, führten eine starke Entwertung der Währung durch und lasteten der Arbeiterklasse riesige finanzielle Lasten auf.

In Großbritannien überstieg die Zahl der Arbeitslosen die Zwei-Millionen-Marke. Im Februar stieg die Zahl der Arbeitslosen so stark an wie zuletzt im Jahr 1971. In Frankreich führte eine Welle von Entlassungen zu großem Widerstand in der Arbeiterklasse und zwang die Gewerkschaften dazu, Ende Januar einen nationalen Protesttag auszurufen, um Dampf abzulassen und eine Bewegung zum Sturz der rechten Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy zu verhindern.

In ganz Osteuropa kam es zu Protesten, da die arbeitende Bevölkerung in den ehemaligen stalinistisch regierten Ländern die Hauptlast der Krise des Kapitalismus trug. Die Regierungen Lettlands, Tschechiens und Ungarns mussten zurücktreten. Die Arbeitslosigkeit in Skandinavien stieg an, in Schweden waren eine halbe Million Menschen arbeitslos, der Autobauer Saab ging pleite.

Die exportabhängigen asiatischen Wirtschaften schrumpften seit Beginn des Jahres stark. In China verloren mehr als zwanzig Millionen Wanderarbeiter im ganzen Land ihre Stellen, als Fabriken geschlossen wurden. Das Regime reagierte darauf mit einem großen Konjunkturprogramm. Gleichzeitig senkte es die Löhne, um Chinas Position als größtes Billiglohnland der Welt zu erhalten.

Japan, dessen exportorientierte Wirtschaft vom weltweiten Abschwung geschädigt wurde, verzeichnete einen Rekordrückang des Bruttoinlandsproduktes von 12,7 Prozent im Jahr. Indiens Wirtschaft stürzte ebenfalls ab; im ersten Quartal wurden mehr als eine halbe Million Stellen abgebaut, für den Rest des ersten Halbjahres rechnete man mit weiteren 1,5 Millionen Stellen. In der Türkei, einer weiteren schnell wachsenden regionalen Wirtschaftsmacht, stieg die Arbeitslosigkeit in den zweistelligen Bereich.

Als Reaktion auf die Krise hielten die amerikanische SEP und die WSWS eine Reihe von Versammlungen ab, unter anderem eine Serie von Regionalkonferenzen unter dem Motto „Die Weltwirtschaftskrise, das Scheitern des Kapitalismus und das Eintreten für den Sozialismus.“ Eine Resolution erklärte eine sozialistische Perspektive als Antwort auf die Krise.

Im Frühjahr 2009 hielt der Vorsitzende der internationalen Redaktion der WSWS, David North, zwei wichtige Vorträge, in denen er die historischen Ursachen und politischen Auswirkungen der Krise erklärte. Der Vortrag „Die kapitalistische Krise und die Rückkehr der Geschichte“, der auf Versammlungen im März gehalten wurde, begann mit der Erklärung, dass die Krise die ideologischen Grundlagen des Kapitalismus untergraben habe.

Wie seriöse bürgerliche Ökonomen konstatieren, hat die globale Wirtschaftskrise - die schwerste seit den 1930er Jahren - die Glaubwürdigkeit des kapitalistischen Systems auf der ganzen Welt schwer beschädigt. Die Heilslehren über den freien Markt, die Politiker, Journalisten, Moderatoren und viele Wirtschaftswissenschaftler fast dreißig Jahre lang als der Weisheit letzten Schluss predigten, haben sich als theoretisch unbegründet und moralisch verwerflich erwiesen.

North wies auf die „intellektuelle Doppelmoral“ der Verteidiger des Kapitalismus hin, die behauptet hatten, der Zusammenbruch der Sowjetunion habe gezeigt, dass Planwirtschaft nicht funktioniere. Jetzt versuchten sie jedoch, die historische Bedeutung des internationalen Wirtschaftszusammenbruchs zu ignorieren und zu leugnen, dass er ein Versagen des marktwirtschaftlichen Profitsystems bedeute.

North erklärte, die Wurzeln der Krise müssten zurückverfolgt werden zum langfristigen Niedergang des amerikanischen Kapitalismus und den Widersprüchen, die sich aus dem Wirtschaftssystem der Nachkriegszeit ergaben. Der Vortrag befasste sich detailliert mit den verschiedenen Phasen der Geschichte der Fusionen und Firmenaufkäufe in den Vereinigten Staaten, von den frühen Perioden der Expansion der amerikanischen Industrie zu den jüngeren, in denen amerikanische Konzerne auf die zunehmende Konkurrenz mit einem Konsolidierungsprozess reagierten. Seit den 1980er Jahren begann die Börse eine immer dominantere Rolle zu spielen, und so wurden die „parasitären, destruktiven und kriminellen Verfahrensweisen“ des neuen, vom Finanzsektor dominierten Wirtschaftsmodells etabliert.

North kam zu dem Schluss:

Die allgegenwärtigen, durch Kredite angeheizten Finanzspekulationen sind nicht die Ursache der Krise, sondern ein Ausdruck tief verwurzelter Widersprüche der amerikanischen und internationalen Wirtschaft. Gerade die Maßnahmen, mit denen der amerikanischen Kapitalismus vor mehr als vierzig Jahren seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu lösen versuchte, bildeten die Saat für die heutige Krise. Präsident Obama behauptet, dass der gegenwärtige Abschwung binnen einer gewissen Frist einem neuen, nachhaltigen Wirtschaftswachstum weichen werde, das den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten wiederherstellt und anhebt. Doch die historischen und globalen Widersprüche, die der heutigen Krise zugrundeliegen, schließen das Eintreffen dieser Ankündigung aus. In Wirklichkeit wird die aktuelle Krise, unabhängig von monatlichen oder quartalsmäßigen Konjunkturschwankungen, den Lebensstandard der Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten dauerhaft und empfindlich senken.

Unter dem Punkt „Die soziale Physiognomie der amerikanischen herrschenden Klasse“ erklärte North die sozialen und politischen Auswirkungen der Umwandlung der Struktur des amerikanischen Kapitalismus.

Es besteht kein Anlass zu der Annahme, dass die herrschenden Eliten im ersten und zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts weniger brutal auf den Zusammenbruch des Kapitalismus reagieren werden, als in den 1930er und 1940er Jahren. Unsere zeitgenössische Kultur lässt nicht darauf schließen, dass die Elite der Wirtschafts- und Finanzkreise ihre Interessen heute mit zivilisierteren und weniger gewaltbereiten Methoden verteidigt als die Magnaten des letzten Jahrhunderts. Die kapitalistische Wirtschaft ist in die Klassenbeziehungen und -interessen eingebettet, die sie selbst hervorbringt, und kann nicht in metaphysischer Manier davon getrennt werden. Im Verlauf der letzten 25 Jahre hat der Verfall des amerikanischen Kapitalismus eine einflussreiche gesellschaftliche Klientel hervorgebracht, die enorm reich ist und deren soziale und politische Arroganz von ihrem parasitären Dasein geschürt wird. Die ersten Reaktionen der herrschenden Klasse auf die Konkurse und Zusammenbrüche, die ihre eigene Politik hervorgebracht hat, lassen jedenfalls keinen Zweifel daran, dass sie entschlossen ist, die Masse der Bevölkerung für die Krise bezahlen zu lassen.

In dem Vortrag „Die Wirtschaftskrise und das Wiederaufleben des Klassenkampfs in den USA“, den  North auf den Regionalkonferenzen im Mai hielt, befasste er sich nochmals mit den Ursprüngen der Krise, mit besonderer Betonung auf der Geschichte des Klassenkampfes in den USA. Die herrschende Klasse Amerikas hatte seit 30 Jahren gnadenlose Angriffe auf die Arbeiterklasse geführt, die zu einem enormen Anwachsen der sozialen Ungleichheit auf ein Niveau wie zuletzt in den 1920er Jahren geführt hatte. Dennoch ging dies mit einem Zusammenbruch der Streikaktivitäten einher, da die offiziellen Gewerkschaften versuchten, den sozialen Widerstand abzuwürgen.

Der Report befasste sich mit der Zunahme der Finanzkraft der Gewerkschaften, obwohl die Mitgliederzahlen zurückgingen und die Arbeiter, die in ihnen gefangen waren, immer wieder Zugeständnisse bei Löhnen und Zusatzleistungen machen mussten.

Die Unterdrückung des Klassenkampfs in den fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten und die Wiedereinführung des Kapitalismus in Osteuropa und China schufen ein günstiges Umfeld für die Politik,  die zum massiven Wachstum der überschuldeten Finanzindustrie in den 1980er, 1990er Jahren und den ersten zehn Jahren des 21. Jahrhunderts führte. Dieses Umfeld erforderte die Abschaffung aller Hemmnisse – sozialer, politischer und sogar juristischer – für die rücksichtslosen Spekulationen des Kapitals.

Eine längere Periode sozialer und politischer Reaktion bedeutet die gewaltsame und künstliche Unterdrückung sozialer und wirtschaftlicher Widersprüche. Der Grad, in dem diese Widersprüche unterdrückt wurden, bestimmt die Kraft und Intensität der Krise, die darauf folgt. Deshalb ist zu erwarten, dass die aktuelle Krise zu explosiven sozialen Unruhen führen wird.

Polizisten werden vor dem isländischen Parlamentsgebäude mit Eiern und Farbbeuteln beworfen.
Obama legt den Amtseid ab
Die Obama-Regierung und die internationale soziale Konterrevolution

Wie die WSWS gewarnt hatte, reagierten die Regierungen weltweit nicht „gesellschaftlich neutral“ auf die Krise, sondern verteidigten bedingungslos die Interessen der Finanzaristokratie. Das traf vor allem auf die Vereinigten Staaten zu.

Die Obama-Regierung reagierte auf den Zusammenbruch der Wall Street, indem sie aggressiv begann, das amerikanische Finanzsystem auf Kosten der Arbeiterklasse zu sanieren. Obama bildete ein Kabinett für den Klassenkampf von oben und setzte sich in seiner Amtsantrittsrede für Sparpolitik ein, durch die die Arbeiterklasse für die Krise zahlen sollte.

Die neue Regierung vergrößerte das 700 Milliarden Dollar Rettungspaket für die Banken, das unter der Bush-Regierung mit Unterstützung des von den Demokraten kontrollierten Kongresses beschlossen wurde. Bis zum Sommer wurden die potenziellen Kosten für das Rettungspaket auf über dreiundzwanzig Billionen Dollar geschätzt

Obama brachte ein Konjunkturpaket durch den Kongress, das viel kleiner war als die Gelder, die er der Wall Street zur Verfügung stellte und nicht eine einzige Maßnahme zur direkten Schaffung von Arbeitsplätzen enthielt. Es bestand aus Steuersenkungen und Subventionen für Unternehmer, sowie geringen Hilfszahlungen an Bundesstaaten, denen der unmittelbare Bankrott drohte.

Obama lehnte die Forderung nach Lohnobergrenzen für die Vorstände geretteter Firmen ab und sicherte der Wall Street-Elite damit zu, dass er ihre institutionellen und persönlichen Interessen verteidigen werde. Die Reaktion darauf waren Kursgewinne Mitte März, da die Wall Street das Vertrauen gewann, dass die neue Regierung alles notwendige tun werde, um die Superreichen zu verteidigen und die Arbeiterklasse für die Krise bezahlen zu lassen.

Dies ging einher mit Versuchen, die Kosten für wichtige Sozialprogramme zu senken, allen voran Obamas betrügerischer und reaktionärer Gesundheitsreform. Sie war so konzipiert, dass sich vor allem die Versicherungsfirmen und Pharmakonzerne daran bereichern konnten. Die neue Regierung verschärfte durch ihr „Race to the Top“-Programm auch Bushs Angriffe auf das Bildungswesen, das die Bundesstaaten dazu anhalten sollte, die Gehälter der Lehrer zu senken und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, mehr Privatschulen zu eröffnen und die Zahl der verbindlichen Prüfungen zu erhöhen.

Die Aktienkurse stiegen zwar, allerdings auch die Arbeitslosigkeit. Das Jahr 2009 zeigte, dass die Lage der Wall Street und die Lage der Arbeiterklasse immer weiter auseinander drifteten. Die Arbeitslosigkeit in den USA stieg unentwegt und erreichte im Oktober den Stand von 10,2 Prozent. Die tatsächliche Zahl, inklusive der Unterbeschäftigten und derjenigen, die nicht mehr nach Stellen suchten, lag eher bei siebzehn Prozent.

In mehrheitlich von Arbeitern bewohnten Gebieten verschärften sich Armut und soziales Elend. Dies zeigte sich vor allem daran, dass Tausende von Verzweifelten auftauchten, sobald Stellenangebote oder kostenlose Gesundheitsleistungen angeboten wurden

Der Höhepunkt der sozialen Konterrevolution der Obama-Regierung war ihre Einverständnis zur Senkung der Löhne der amerikanischen Autoarbeiter zur „Rettung“ der amerikanischen Autoindustrie – das Weiße Haus setzte eine allgemeine Lohnsenkung in Höhe von 50 Prozent für neu eingestellte Arbeiter bei General Motors und Chrysler durch.

Als Obama bekannt gab, er habe eine Rettungsaktion für die Autoindustrie zugunsten eines Plans abgelehnt, der größere „Opfer“ von den Autoarbeitern forderte, schrieb die WSWS:

Die Investmentbanker nutzen die Wirtschaftskrise, um die Klassenbeziehungen in Amerika gründlich umzukehren. Zur Krönung einer dreißigjährigen Offensive gegen die arbeitende Bevölkerung zerstören sie jetzt auch noch die restlichen Errungenschaften, die von Generationen von Arbeitern erkämpft wurden, um die Ausbeutung der Arbeiterklasse zu erhöhen.

Der Angriff auf die Autoarbeiter wird zur Speerspitze für ähnliche Angriffe auf Arbeiter im ganzen Land und international in allen Teilen der Wirtschaft.

Die SEP warb unter den Autoarbeitern aggressiv dafür, das Abkommen bei General Motors und Chrysler abzulehnen, mit der Gewerkschaft United Auto Workers zu brechen und unabhängige Basiskomitees aufzubauen, um die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze und ihres Lebensstandards anzuführen. In einem Statement, das in großem Umfang bei Abstimmungen über den Tarifvertrag verteilt wurde, wies die SEP darauf hin, dass die Gewerkschaft Vermögen im Wert von 1,2 Milliarden Dollar angesammelt habe, während Hunderttausende von Arbeitern ihre Stellen verloren:

Die UAW ist nur noch dem Namen nach eine Gewerkschaft. Ihre Verwandlung in ein Unternehmen - das man korrekter Weise "UAW AG" nennen sollte - ist der Höhepunkt Jahrzehnte langen Verrats. Die materiellen Interessen dieser korrupten Schicht haben nichts mehr mit denen der Basis der Gewerkschaft zu tun, sondern befinden sich in einem Interessensgegensatz zu ihnen.

In Kanada wurden den Arbeitern der GM-, Ford- und Chrysler-Werke ähnliche Lohn- und Leistungskürzungen abverlangt, und die Canadian Auto Workers zeigte sich genauso gefügig wie die UAW. Die Kürzungen, die von der konservativen Landesregierung und der liberalen Provinzregierung von Ontario unterstützt wurden, beliefen sich auf mehr als zwanzig Dollar beim Stundenlohn und bei Zusatzleistungen. Die kanadische SEP rief dazu auf, diese Kürzungen zurückzuweisen und forderte die kanadischen Autoarbeiter dazu auf, gemeinsam mit den Arbeitern der amerikanischen Autowerke zu kämpfen.

Das deutsche GM-Tochterunternehmen Opel setzte die gleichen Erpressungstaktiken ein: Es drohte, Werke zu schließen oder gänzlich in die Insolvenz zu gehen, wenn die Arbeiter nicht große Zugeständnisse bei Löhnen und Arbeitsplätzen machten. Opel erklärte, es müssten etwa 30 Prozent der europäischen Autoindustrie stillgelegt werden. Deutschlands größte Gewerkschaft, die IG Metall, versuchte die Arbeiter unter Druck zu setzen, Opfer für „ihre eigenen“ nationalen Unternehmen zu bringen, anstatt sich mit den GM- und anderen Autoarbeitern in den USA und der Welt zu vereinen.

Der europäische Opel-Gesamtbetriebsratsvorsitzende lobte die neue GM-Spitze und stimmte allen Forderungen des Managements zu -- dem Abbau von europaweit 9.000 Arbeitsplätzen sowie Lohnkürzungen von jährlich 265 Millionen Euro. Mit Hochdruck arbeitete er daran, massive Lohn- und Arbeitsplatzverluste durchzusetzen, indem er die einzelnen Opel-Standorte  gegeneinander ausspielte. Wenn sie die Arbeiter zu Aktionen aufforderten, dann um das Gift des Gewerkschaftsnationalismus zu verbreiten.

Die Autozulieferer folgten dem Beispiel von GM, Ford, Chrysler und den anderen Autobauern. In Großbritannien besetzten Arbeiter eines Visteon-Werkes ihren Betrieb als Reaktion auf Lohnsenkungen, Arbeiter eines Vestas Blades-Windturbinenwerkes folgten dem Beispiel.

Im Mai besetzten hunderte von Arbeitern des Autobauers Ssangyong Motors in Südkorea ein Werk, nachdem das Unternehmen als Reaktion auf die Krise Konkurs anmeldete und Pläne vorlegte, 2.600 Arbeiter, d.h. mehr als ein Drittel der Belegschaft, zu entlassen. Während der 77-tägigen Besetzung kam es mehrfach zu Zusammenstößen zwischen Arbeitern und der Polizei, bis sie auf Befehl der Regierung von Präsident Lee Myung-bak von 4000 Bereitschaftspolizisten brutal niedergeschlagen wurde. Die WSWS erklärte in einer Perspektive die politischen Lehren des Kampfes:

Der Staat hat die Besetzung von Ssangyong zerschlagen, was beweist, dass die Verteidigung des Rechts auf einen Arbeitsplatz eine revolutionäre Aufgabe ist. In der Krise des Kapitalismus sind die elementarsten Rechte der Arbeiterklasse nicht mehr mit den Interessen der Wirtschaft vereinbar. Jeder Kampf um Arbeitsplätze wird zwangsläufig zu einem politischen Kampf, der nicht nur gegen eine einzelne Firma geführt wird, sondern gegen die Regierung, die Wirtschaftselite und ihre Komplizen in den Gewerkschaften.

Abgesehen von den internationalen Kämpfen der Autoarbeiter, berichtete die WSWS auch über viele andere bedeutende Klassenkämpfe, die von Arbeitgebern und Regierungen provoziert wurden, die versuchten, die Arbeiter für die Krise des Kapitalismus bezahlen zu lassen. Die WSWS gab diesen Kämpfen Führung. Unter anderem handelte es sich um:

Riesige Proteste in Irland gegen die Sparpolitik und die Besetzung der Waterford-Kristallwerke durch Arbeiter aus Protest gegen ihre Schließung und eine starke Streikbewegung im Herbst, die ihren Höhepunkt im eintägigen Streik von 300.000 Angestellten im öffentlichen Dienst fand.

Den Streik bei der Ölraffinerie in Lindsey, bei dem die SEP die Versuche der Gewerkschaften und der pseudolinken Gruppen zurückwies, den Kampf unter dem Slogan „Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter“ in nationalistische Bahnen zu lenken.

Streiks im britischen öffentlichen Dienst, unter anderem bei der Londoner U-Bahn-, den Postbeschäftigten, Universitätsdozenten und der Müllabfuhr in Leeds. Der lange Kampf der Postbeschäftigten umfasste eine Reihe von Streiks, die schließlich mit Unterstützung der pseudolinken Gruppen verraten wurden, die in den Postgewerkschaften beträchtlichen Einfluss haben.

Lange Streiks der städtischen Beschäftigten von Toronto und Windsor, Ontario, bei denen die Streikenden von den Medien verteufelt wurden; in einer Stadt ging die Polizei gewaltsam gegen sie vor, eine andere stellte Streikbrecher ein.

November 2009: Obama trifft sich mit seinem Kabinett
Juni 2009: Obama hält seine Rede „Das Ende des alten GM und der Beginn des neuen GM“
Kriege in Gaza, Afghanistan, Pakistan, Irak und Sri Lanka

Obamas Wahlsieg ging größtenteils auf die Illusion der Bevölkerung zurück, er stelle eine Alternative zum Kriegskurs der Bush-Regierung dar. Der wahre Charakter der neuen Regierung zeigte sich noch vor der Amtseinführung: der scheidende Präsident Bush und der künftige Präsident Obama unterstützten den verheerenden Angriff Israels auf den Gaza-Streifen. Im Laufe von vier Wochen brutaler, einseitiger Gewalt tötete das israelische Militär mehr als 1300 Palästinenser und verlor selbst nur eine Handvoll Soldaten.

Die WSWS verurteilte den Krieg in einer Stellungnahme:

Eineinhalb Millionen Menschen sind hier auf einem Streifen Land zwischen der Wüste und dem Mittelmeer zusammengepfercht, auf einer Fläche, die nicht größer ist als die Innenstadt von Detroit. Im Norden und Osten verhindern israelische Truppen das Entkommen aus dieser Falle, und im Süden die Truppen des ägyptischen Diktators Hosni Mubarak.

Am 10. Januar veröffentlichte die WSWS eine Erklärung mit dem Titel „Eine sozialistische Antwort auf die Gaza-Krise“, die weltweit auf Demonstrationen gegen Israels Krieg gegen Gaza verbreitet wurde. Die Erklärung lehnte es ab, die Politik des israelischen Staates mit der Gesamtbevölkerung gleichzusetzen, und wies auf die immense Ungleichheit innerhalb Israels hin:

Die israelische Gesellschaft ist durch scharfe soziale Gegensätze gespalten, die Regierung bis über den Kopf in Korruption verstrickt. Der Angriff auf Gaza mitten im Wahlkampf dient nicht zuletzt dazu, von den sozialen Spannungen im eigenen Land abzulenken.

Der Zionismus hat sich als Falle für die Juden erweisen. Sozialisten hatten stets gewarnt, dass die jüdische Frage nicht durch die Gründung eines kapitalistischen Nationalstaats auf religiöser Grundlage gelöst werden kann. Die Überwindung von Antisemitismus und Judenverfolgung ist untrennbar mit der Abschaffung der kapitalistischen Klassengesellschaft und dem Schicksal der internationalen Arbeiterklasse verbunden. Schon der Holocaust war nur möglich, weil die Nazis vorher die deutsche Arbeiterbewegung zerschlagen hatten.

Ein weiterer Kommentar entlarvte die perfide Rolle der diversen bürgerlichen arabischen Regimes im Nahen Osten, der Monarchien wie auch der vom Militär geführten Polizeistaaten.

Nur wenige Wochen nach seinem Einzug ins Weiße Haus begann Obama, den Krieg in Afghanistan zu verschärfen, während das Marionettenregime von Hamid Karsai, das nach dem Einmarsch der USA im Jahr 2001 eingesetzt worden war, zerfiel. Im Februar schickte Obama 17.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan, im März weitere 4.000. Ende November kündigte er eine noch größere Erhöhung der Truppenstärke um weitere 30.000 Mann an, sodass die Gesamtstärke der US-Truppen auf fast 100.000 stieg. Die WSWS schrieb als Reaktion auf eine landesweit übertragene Fernsehansprache am 1. Dezember:

Wenn sich Obama auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 beruft, um den Krieg als Verteidigung gegen den Terrorismus hinzustellen, dann ist das Betrug. Der wirkliche Grund für die Besetzung Afghanistans, der im außenpolitischen Establishment intensiv diskutiert wird, besteht in der Verteidigung einer beherrschenden Position im ölreichen Zentralasien im Interesse der globalen Strategie des amerikanischen Imperialismus.

Die Truppenverstärkung ging einher mit verschärften Angriffen auf Ziele im Nachbarstaat Pakistan, wo die Guerillatruppen, die gegen die amerikanischen Besatzungstruppen kämpften, Stützpunkte und Zufluchtsorte hatten. Die Bush-Regierung hatte begonnen, diese Ziele mit Drohnen anzugreifen, aber Obama weitete Ausmaß und Heftigkeit dieser Angriffe stark aus. Das Ergebnis waren tausende von Toten, viele davon unschuldige Dorfbewohner.

Die WSWS befasste sich mit den Auswirkungen der Eskalation in Afghanistan und Pakistan auf die wachsenden Spannungen und die Gefahr eines Krieges in der Region, unter anderem auf Indien, China, Russland, Zentralasien, den Kaukasus und den Iran. Nachdem Obama zusammen mit seinem Verteidigungsminister Robert Gates, einem Überbleibsel aus der Bush-Regierung, und Außenministerin Hillary Clinton eine neue Militärstrategie für Zentralasien vorstellte, veröffentlichte die Redaktion der WSWS eine Stellungnahme, in der sie vor deren ominösen Auswirkungen warnte.

In Afghanistan führte die Eskalation für die Bevölkerung zu noch mehr Leid und Blutvergießen. Obama setzte den amerikanischen Oberbefehlshaber in Afghanistan, General David McKiernan, ab und ersetzte ihn durch den Antiterrorexperten General Stanley McChrystal, der für die brutalen Mordkampagnen seiner Spezialkräfte im Irak berüchtigt war.

Das Karsai-Regime verschob eine geplante Präsidentschaftswahl, um die Ankunft weiterer US-Truppen zu ermöglichen. Als die Wahl im endlich August unter der Kontrolle der amerikanischen und Nato-Besatzungstruppen stattfand, war sie eine Farce: Oppositionskandidaten wurden disqualifiziert, es gab umfassenden Wahlbetrug, geringe Beteiligung und die Opposition boykottierte die geplante Stichwahl, die schließlich mit Washingtons Segen zu Karsais zweiter Amtszeit führte.

Ein neuer Aspekt der Krise in Afghanistan war die deutlich offensivere Rolle, die deutsche Truppen zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg spielten. Dies führte im September zum Massaker von Kundus, bei dem 119 Menschen durch einen Luftangriff ums Leben kamen, der von einem deutschen Offizier angefordert wurde. Verteidigungsministerium und Bundesregierung versuchten zunächst, das Kriegsverbrechen  zu vertuschen. Der neue Kriegsminister Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg verteidigte es und stellte der Bundeswehr gleichsam einen Freibrief zum gezieltenTöten aus

Die USA hielten 2009 ihre Besetzung des Irak aufrecht, da sich Obama an den Zeitplan hielt, den Bush und der irakische Premierminister Nuri al-Maliki in dem Stationierungsabkommen von 2008 festgelegt hatten. Obama beschleunigte die Geschwindigkeit des Abzugs nicht um einen einzigen Soldaten.

Die WSWS schrieb in einer Perspektive mit dem Titel „Irak – der vergessene Krieg“:

Die derzeitige relative Stabilität wurde durch mehr als fünf Jahre blutige Unterdrückung des irakischen Widerstands gegen die amerikanische Besatzung erreicht – die am brutalsten während der Jahre der Truppenverstärkung war. Bis zu 1,2 Millionen Iraker und mehr als 4.500 amerikanische und andere Besatzungstruppen verloren das Leben. Das Vermächtnis der amerikanischen Besatzung ist eine zerstörte und traumatisierte Gesellschaft, die von kommunalistischen Spaltungen geprägt ist und nicht einmal die grundlegendsten sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllen kann.

Bis Ende Juni zogen sich die US-Truppen aus den irakischen Großstädten zurück, bis Ende August waren die Kampftruppen aus dem Land abgezogen, viele davon wurden nach Afghanistan versetzt. Der wahre Grund für die amerikanische Invasion und Eroberung des Irak – die Kontrolle über die riesigen Ölreserven des Landes – wurde offensichtlich, als die großen Ölkonzerne Verhandlungen mit Malikis Marionettenregime aufnahmen. Im November unterschrieb Exxon-Mobil einen Vertrag zur Entwicklung des riesigen Ölfeldes West Kurna und war damit der erste amerikanische Ölkonzern, der direkt von dem Krieg profitierte.

Eine Serie von blutigen Autobombenanschlägen in Bagdad und erbitterte politische Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Kräften der irakischen Bourgeoisie, d.h. zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden, brachten das Land an den Rand eines neuen Bürgerkriegs. Sie zeigten, dass die Lage im Irak auch weiterhin instabil und von Gewalt geprägt blieb. Todesschwadronen, die im Auftrag der USA agierten, blieben der wichtigste Faktor im Irak.

Bis zum Ende des Jahres hatte die Obama-Regierung die Zahl der Soldaten, die in Kriegen im Ausland aktiv waren, im Vergleich zur Bush-Regierung sogar erhöht. Der Abzug aus dem Irak wurde von der Eskalation in Afghanistan mehr als ausgeglichen. Das hinderte das norwegische Parlament nicht daran, dem Politiker, der mehr Kriege führte als jeder andere Mensch, den Friedensnobelpreis zu verleihen: Präsident Obama.

Die WSWS erklärte in einer Perspektive mit dem Titel „Der Kriegsnobelpreis“, dass die Auszeichnung eine Solidaritätserklärung des europäischen Imperialismus mit dem neuen Oberhaupt des amerikanischen Imperialismus war:

...die europäischen Mächte [hoffen], ihren eigenen wachsenden Militarismus besser gegen die eigene Bevölkerung durchsetzen zu können, wenn sie diese Kriege legitimieren und die Rückkehr der amerikanischen Außenpolitik zum Multilateralismus fördern.

Der Nobelpreis für Obama ist also kein Zeichen für eine Hinwendung der größten Militärmacht der Welt zum Frieden, sondern eine Billigung von Krieg. Er sollte als Warnung verstanden werden, dass die Krise des Weltkapitalismus die Bedingungen für das Wiederaufleben von Militarismus schafft und scharfe internationale Konflikte heraufbeschwört.

In den Monaten vor der Verleihung des Nobel-Preises hatte die Obama-Regierung ihr wahres Gesicht gezeigt, indem sie praktisch eine Amnestie für unter der Bush-Regierung begangene Folter und andere Kriegsverbrechen aussprach. Im August kam heraus, dass das Weiße Haus die Politik der Überstellung von Terrorverdächtigen im Wesentlichen fortsetzte. Auch das Wahlversprechen, das Gefangenenlager Guantanamo Bay zu schließen, setzte sie nicht in die Tat um.

Auch ein anderer militärischer Konflikt fand im Jahr 2009 sein blutiges Ende: der langjährige Bürgerkrieg in Sri Lanka. Die Regierung von Präsident Mahinda Rajapakse startete im Frühjahr eine Militäroffensive, die die separatistischen Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) zerschlug, Hunderttausende von Tamilen zur Flucht zwang und mindestens 40.000 Menschen das Leben kostete.

Die srilankische SEP hatte den Krieg gegen die tamilische Bevölkerung stets genauso abgelehnt wie die Perspektive des nationalen Separatismus, die die LTTE vertrat, und mit der die tamilische Bourgeoisie versuchte, bessere Bedingungen für ihre eigene Ausbeutung der tamilischen Arbeiter zu schaffen. Im März veröffentlichte die SEP eine Stellungnahme, in der sie die Offensive der Regierung verurteilte und eine alternative Perspektive propagierte:

Nur wenn sie sich auf der Grundlage eines sozialistischen Programms zusammen schließt, kann die Arbeiterklasse die unterdrückten Massen hinter sich mobilisieren und eine Offensive gegen die wirkliche Ursache sozialer Ungleichheit, von Kommunalismus und Krieg führen - das Profitsystem selbst.

Der Generalsekretär der srilankischen SEP, Wije Dias verurteilte die Kriegsverbrechen des srilankischen Regimes in einer Stellungnahme:

Die letzte Schlacht ist alles andere als ein Akt der Befreiung. Vielmehr treibt die Armee die Zivilisten in schmutzigen Lagern zusammen, die von Stacheldraht umgeben sind und von bewaffnetem Wachpersonal bewacht werden. Sie werden wie Kriegsgefangene behandelt, nicht wie Flüchtlinge. Rajapakses "Krieg gegen den Terror" ist ein Krieg, um die politische Macht und die Privilegien der herrschenden singhalesischen Elite zu festigen. In diesem Konflikt wird die gesamte tamilische Minderheit des Landes als Feind betrachtet.

In einem weiteren Kommentar, der nach der endgültigen Vernichtung der LTTE veröffentlicht wurde, schrieb Dias:

Alle Arbeiter müssen den widerlichen Nationalismus zurückweisen, der vom politischen Establishment und seinen Medien verbreitet wird. Die SEP sagt den Arbeitern: Das war nicht euer Krieg und es ist nicht euer Sieg. Wir warnen davor, dass hinter der Fassade der Siegesparaden neue brutale Angriffe auf die wirtschaftliche und soziale Position der Arbeiterklasse vorbereitet werden.

Das Krankenhaus Al-Kuds in Gaza nach einem israelischen Artillerieangriff
November 2009: Amerikanische Kampfflugzeuge werfen Bomben im Osten Afghanistans ab.
Die „Grüne Revolution“ im Iran und andere politische Entwicklungen

Die iranische Präsidentschaftswahl am 12. Juni offenbarte erbitterte Spaltungen in der politischen Elite der islamischen Republik. Der amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad wurde zum Sieger über mehrere Rivalen erklärt. Darauf folgten Massendemonstrationen hauptsächlich in kleinbürgerlichen und besser gestellten Wohngebieten von Teheran, in denen die Oppositionskandidaten den größten Rückhalt hatten. Die WSWS kritisierte die dubiosen Behauptungen über einen Volksaufstand im Iran, der von den westlichen Medien als „Grüne Revolution“ bezeichnet wurde.

Die WSWS gründete ihre Herangehensweise an diese Krise auf eine historische Analyse der iranischen Revolution und auf die fundamentalen Lehren des zwanzigsten Jahrhunderts. Notwendig war vor allem, dass die Arbeiterklasse einen unabhängigen politischen Standpunkt einnahm, statt sich hinter eine Fraktion der Bourgeoisie zu stellen.

Die USA und die europäischen Regierungen nutzten die Krise für die Förderung ihrer eigenen imperialistischen Interessen aus. Die imperialistische Propagandamaschinerie inszenierte eine Kampagne für „Menschenrechte“, um Unterstützung für ihren bevorzugten Flügel des zerstrittenen politischen Establishments in Teheran zu schaffen, ähnlich wie sie es bei den diversen „Farbrevolutionen“ in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion getan hatte, um Regimes an die Macht zu bringen, die ihren Interessen mehr entsprachen.

Wie die WSWS erklärte, hatten die Obama-Regierung, die europäischen Imperialistischen Mächte und ihre liberalen Unterstützer wie die New York Times und das Magazin The Nation, neue Verbündete in ihrer Kampagne gegen den Iran: die kleinbürgerlichen „linken“ Gruppen, die noch gegen die Bush-Regierung aktiv waren, sich jetzt jedoch hinter Obama stellten. In den kommenden Jahren unterstützten sie auch die Kriege in Libyen und Syrien. Die WSWS schrieb:

Die Wahl im Iran vom 12. Juni hat praktisch das gesamte Milieu der "progressiven" und "linken" Organisationen der Welt auf die Linie ihrer jeweiligen Regierungen gebracht. Gemeinsam unterstützen sie die Oppositionsbewegung unter Führung des geschlagenen Präsidentschaftskandidaten Mirhossein Mussawi.

Diese Gruppen unterstützen nicht nur unkritisch Mussawis Behauptung, die Wahl sei gefälscht worden, sondern sie ignorieren auch die rechte Wirtschafts- und Außenpolitik der iranischen Opposition, den bürgerlichen Charakter ihrer Führung und die Tatsache, dass ihre gesellschaftliche Basis hauptsächlich aus besser gestellten Teilen der Mittelschichten besteht. Die Masse der iranischen Arbeiter hat sich an den Protesten nicht beteiligt. Dagegen haben sich die imperialistischen Regierungen der USA und Europas wie ein Mann hinter die Opposition gestellt, was einiges über den angeblich demokratischen und progressiven Charakter von Mussawis Bewegung sagt. Das gibt diesen Gruppen offenbar nicht zu Denken.

Eine so breite politische Bewegung wie sie sich als Reaktion auf die Ereignisse im Iran entwickelte, zeigt deutliche Wendungen in der politischen Orientierung bestimmter sozialer Schichten. In diesem Falle zeigen sie den Rechtsruck der kleinbürgerlichen Schichten, die bisher die linke Politik dominiert hatten.

Während sich die Krise im Iran monatelang hinzog, wurde die Haltung der kleinbürgerlichen Protestbewegung, die sich um Mussawi gebildet hatte, immer klarer, und entlarvte dabei die diversen pseudolinken Organisationen wie die französische Neue Antikapitalistische Partei und die britische International Marxist Tendency, die sich als Sozialisten oder Marxisten inszenieren.

Im Februar 2009 löste sich in Frankreich die alte pablistische Organisation Ligue Communiste Revolutionnnaire (LCR) auf und wurde zur „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (NPA). Die neue Organisation distanzierte sich ausdrücklich von allen Beziehungen zum Trotzkismus. Stattdessen erklärte sie die „Einheit“ aller Organisationen des Kleinbürgertums und der bürgerlichen „Linken,“ die sie als „antikapitalistisch“ bezeichneten – inklusive der diskreditierten Gewerkschaften und der Sozialistischen Partei von Francois Hollande – zu einem ihrer Ziele.

Die WSWS wies darauf hin, dass die NPA den Fragen der historischen und politischen Perspektive völlig feindselig gegenüberstand und Verachtung für diese Fragen kultivierte, um ihre Kollaboration mit allen Arten von Elementen rechts und links im politischen Spektrums zu erleichtern. Die Gründung der NPA zeigte das tief sitzende Bedürfnis der herrschenden Elite angesichts der zunehmenden Wirtschaftskrise und des wachsenden Widerstandes der Arbeiterklasse gegen die Sparpolitik, die Wut der Bevölkerung in sichere Kanäle zu lenken. Die WSWS erklärte, die NPA bremse die nach links gerichtete politische Entwicklung der Arbeiterklasse ab.

In Asien gab es 2009 eine Reihe von wichtigen Wahlen. Im Januar gewann ein Bündnis von siebzehn Parteien unter Führung der Awami-League die Wahl in Bangladesch mit einem Erdrutschsieg und brachte der Bangladesh Nationalist Party und ihren Verbündeten, den islamischen Fundamentalisten eine schwere Niederlage bei. Daran zeigte sich der weit verbreitete Widerstand gegen das bisherige, vom Militär unterstützte Regime.

Die Wahlen in Indien, die im April und Mai stattfanden, führten zur Stärkung der UPA-Koalition, die von der Kongresspartei angeführt wird. Die größte Verliererin war die von den Stalinisten angeführte Linksfront, die mehr als die Hälfte ihrer Sitze im indischen Unterhaus, der Lok Sabha, verlor. Besonders bemerkenswert war die Niederlage der Stalinisten in Westbengalen, wo die stalinistisch geführte Regierung des Bundesstaats ausdrücklich eine „wirtschaftsfreundliche“ Politik verfolgte – unter anderem setzte sie staatliche Gewalt und Schläger ein, um den Widerstand der Bauern gegen die Enteignung ihrer Äcker für Sonderwirtschaftszonen und andere große Entwicklungsprojekte durchzusetzen.

Kurz nach der Wahl ließ die Kongress-Regierung unter Manmohan Singh die Kommunistische Partei Indiens (Maoisten) als „terroristische“ Vereinigung verbieten. Die undemokratischen „Antiterror“-Maßnahmen – die von den Stalinisten der KPI und der KPM unterstützt wurden – zielten darauf ab, die Enteignung der traditionellen Ländereien der Stämme für Bergbau und Rohstoffabbau zu erleichtern. Darauf folgte eine große Militäroffensive gegen maoistische Aufständische, für die mehr als 100.000 Soldaten mobilisiert wurden.

In Japan drückte sich die enorme soziale Wut bei den landesweiten Wahlen im August aus. Die Liberaldemokratische Partei (LDP) wurde – erst zum zweiten Mal seit ihrer Gründung im Jahr 1955 – mit einer verheerenden Niederlage abgewählt. Die Demokratisch-Liberale Partei (DLP) – bestehend aus ehemaligen LDP-Mitgliedern und der Sozialistischen Partei und unterstützt von der stalinistischen Kommunistischen Partei Japans – bildete eine neue Regierung unter Yukio Hatoyama. Die WSWS erklärte in einer Perspektive: „Inmitten der tiefsten globalen Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren zeigt der Zusammenbruch der LDP, dass die Politik sowohl in Japan als auch weltweit in unerforschte und stürmische Gewässer gerät.“

Im September fand in Deutschland die Bundestagswahl statt. Angela Merkels CDU und die SPD, die seit 2005 zusammen in einer Großen Koalition regierten, wichen jeder ernsthaften Diskussion über die Auswirkungen der Weltkrise auf Deutschland und Europa aus.

Die Wahl endete mit dem Sieg der CDU, die eine Koalition mit ihrem angestrebten Partner, der FDP, einging und die Große Koalition auflöste. Die rechten Parteien verloren zwar insgesamt an Stimmen, aber die Sozialdemokraten verloren noch mehr und landeten bei 23 Prozent. Darin zeigte sich die tiefe Entfremdung der Bevölkerung von der SPD und dem ganzen politischen Establishment; allerdings profitierten davon Parteien wie die Grünen und die Linkspartei, die keine politische Alternative darstellen.

Während die Aushöhlung demokratischer Rechte in Folge der Krise immer rapider voranschritt, feierten die Berliner Parteien groß das Inkrafttreten des  Grundgesetzes vor 60 Jahren:

Die demokratische und soziale Fassade des deutschen Kapitalismus wird umso lauter wegen ihrer angeblichen Schönheit gepriesen, je mehr Risse und Sprünge sie aufweist und je einsturzgefährdeter sie ist.

Im mittelamerikanischen Honduras kam es zu einer großen Krise, als sich am 28. Juni der erste Militärputsch in einem lateinamerikanischen Land seit dem Ende des Kalten Krieges ereignete. Präsident Manuel Zelaya, der als Konservativer sein Amt angetreten, aber später teilweise politische Entscheidungen getroffen hatte, die die winzige wirtschaftliche und politische Elite von Honduras verärgerten, wurde gestürzt und ins unfreiwillige Exil in Costa Rica gezwungen. Das amerikanische Außenministerium kritisierte den Putsch zwar öffentlich, unterstützte ihn jedoch hinter den Kulissen. Verhandlungen, die von den USA unterstützt wurden, legitimierten die Absetzung von Zelaya alsbald. Ab August beschuldigte das US-Außenministerium Zelaya, seine eigene Absetzung „provoziert“ zu haben.

Die Massen leisteten noch monatelang Widerstand gegen den Putsch und das neue Regime, das vom Militär eingesetzt worden war, reagierte mit Unterdrückung. Als der gestürzte Präsident heimlich nach Honduras zurückkehrte und in der brasilianischen Botschaft Zuflucht suchte, verhängte das Regime den Notstand. Zelaya selbst war weder in der Lage, noch daran interessiert, seinen Kampf gegen den Putsch auf die Arbeiterklasse zu stützen. Am 29. November wurde eine neue rechte Regierung unter Porfirio Lobo gewählt. Die Wahlbeteiligung lag bei weniger als 50 Prozent.

Auch die konservative kanadische Regierung setzte auf undemokratische Methoden und schickte zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres das Parlament nach Hause, um sich aus einer politischen Krise zu befreien. Im Dezember 2008 hatten die Konservativen einen „Verfassungsputsch“ inszeniert, indem sie den nicht gewählten Generalgouverneur das Parlament aussetzen ließen, um die Oppositionsparteien daran zu hindern, die Regierung abzuwählen. Zwölf Monate später verfolgten die Konservativen das Ziel, parlamentarische Anhörungen über Kanadas Beteiligung an Folterungen in Afghanistan zu verhindern. Als ein hoher kanadischer Diplomat in Afghanistan aussagte, dass die Regierung und die kanadischen Streitkräfte Gefangene an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben hatten, die sie folterten, reagierten Premierminister Stephen Harper und die Militärführung mit Lügen und Verleumdungen.

Proteste während der von den USA unterstützten „Grünen Revolution“ im Iran
Zusammenstöße nach einem von den USA unterstützten Putsch in Honduras
Die Arbeit des Internationalen Komitees

Ein wichtiger Höhepunkt der Arbeit des IKVI im Jahr 2009 war die Entlarvung der Trotzki-Biografie des britischen Historikers Robert Service als dreiste Verfälschung. Der Vorsitzende der internationalen Redaktion der WSWS David North nutzte seine Kritik an Services Schmähschrift, um die jüngsten Versuche zurückzuweisen, den Marxismus und Trotzkis historischen Kampf gegen den Stalinismus zu verfälschen. North schrieb:

Trotsky: A Biography ist ein geschmackloses und widerwärtiges Buch und wurde ohne Rücksicht auf elementare geschichtswissenschaftliche Standards verfasst. Service betrieb seine "Forschung", wenn man sie denn so nennen will, in böser Absicht. Sein Trotsky ist nicht Geschichte, sondern vielmehr der Versuch, einen Ruf zu vernichten.

North entlarvte Services Arbeitsweise: er ignorierte Trotzkis tatsächliche Ansichten und konzentrierte sich auf Angriffe auf seinen persönlichen Charakter. Das Buch ist voll von sachlichen Fehlern und zeigt Services begrenztes Verständnis des historischen Materials und von Trotzkis Leben.

Obwohl Service seine Biographie selbstgerecht als "ausführlich" taxiert, finden sich darin buchstäblich keinerlei Auszüge oder adäquate Zusammenfassungen von Trotzkis wichtigsten politischen Werken. Service geht nicht einmal auf die wesentlichen Auffassungen und Perspektiven der Theorie der permanenten Revolution ein, die über 35 Jahre hinweg für Trotzkis politische Arbeit grundlegend waren. Seine umfangreichen Schriften zu China, Deutschland, Spanien, Frankreich und sogar Großbritannien werden kaum erwähnt...

Wie ist es möglich, eine "ausführliche Biographie" eines Mannes zu schreiben, der zu den produktivsten Schriftstellern des zwanzigsten Jahrhunderts gehört, ohne seinem literarischen Werk die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken?

North wies Services Behauptung zurück, Trotzki habe versucht, seine jüdische Abstammung herunterzuspielen und zeigte detailliert, dass dieses Argument in einer Weise angewandt wurde, die an Antisemitismus appellierte.

Auf diese Antwort auf Service folgte eine wichtige öffentliche Versammlung in London, auf der North einen Vortrag mit dem Titel „Historiker im Dienste der ‚Großen Lüge‘: Eine Untersuchung von Prof. Robert Services Trotzki-Biografie“ hielt. In dieser Rede kommt er zu dem Schluss:

Leo Trotzki und Alexandra Sokolowskaja waren außergewöhnliche Menschen, Vertreter einer revolutionären Generation, deren Fähigkeit zur Selbstaufopferung für die Verbesserung des Daseins der Menschheit keine Grenzen zu kennen schien. Wie können Professor Service und seinesgleichen glauben, sie würden mit Verunglimpfungen, Fälschungen und Rufmord diese Titanen auf ihr eigenes jämmerliches Niveau herunterziehen können!

Norths Kritik und der Vortrag waren zusammen eine vernichtende Entlarvung von Services Methoden und waren gleichzeitig, 70 Jahre nach Trotzkis Tod, eine starke Verteidigung der revolutionären Perspektive, für die er gekämpft hatte, und die er symbolisierte.

Ein weiterer wichtiger Beitrag zur theoretischen und politischen Arbeit des Internationalen Komitees war die Veröffentlichung der englischen Ausgabe des Werkes Stalins Terror von 1937-38: Politischer Völkermord in der UdSSR des 1998 verstorbenen marxistischen Historikers und Soziologen Wadim Rogowin. Die deutsche Ausgabe war 1999 unter dem Titel Die Partei der Hingerichteten erschienen.

Hierbei handelt es sich um den fünften Band einer siebenteiligen Serie, die Rogowin von 1990 bis zu seinem Tod im Jahr 1998 geschrieben hat. Der Autor war ein marxistischer Gegner der stalinistischen Bürokratie innerhalb der Sowjetunion, ein Mann, den man „zurecht als den größten sowjetischen Historiker der Post-Stalin-Ära bezeichnen kann.“ Er war Gegner der antikommunistischen Angriffe auf den Sozialismus und die Russische Revolution nach der Auflösung der UdSSR und pflegte in den Jahren vor seinem frühzeitigen Tod mit 61 Jahren eine ergiebige und enge Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee.

Neben dieser wichtigen theoretischen und historischen Arbeit führten die Sektionen des Internationalen Komitees Kampagnen, um ihr sozialistisches Programm breiten Teilen der arbeitenden Weltbevölkerung bekannt zu machen. In Sri Lanka beteiligte sich die SEP dazu an den Provinzwahlen und den landesweiten Wahlen und warb zu Beginn des Jahres unter Plantagenarbeitern, in Fischerdörfern, in der Hauptstadt Colombo, unter Bahnarbeitern, tamilischen Arbeitern, etc. um Unterstützung. Später im Jahr begann die SEP ihren Wahlkampf für die landesweiten Wahlen im Januar 2010.

Im Herbst 2009 brach unter den Arbeitern der srilankischen Teeplantagen ein großer Streik aus. Die Arbeiter entstammen größtenteils der tamilischen Minderheit und wurden lange Zeit brutal unterdrückt und um ihre demokratischen Rechte betrogen, während die Gewerkschaften, die von korrupten Funktionären geleitet wurden, keinen Finger für sie rührten.

Die SEP warnte die Arbeiter der Teeplantagen, dass die Gewerkschaften sich darauf vorbereiteten, in einem weiteren Tarifvertrag Armutslöhne mit den Arbeitgebern und der Regierung auszuhandeln.

Die Partei rief die tamilischsprachigen Plantagenarbeiter dazu auf, sich unabhängig von den Gewerkschaften auf der Grundlage eines sozialistischen Programms zu mobilisieren. Die Arbeiter der Teeplantage Balmoral in Agarapathana im zentralen Hügelland bildeten daraufhin mit politischer Unterstützung durch die SEP ein Aktionskomitee. Sie schrieben in einem Appell an die Arbeiter: „Wir sind nicht [für den Wirtschaftszusammenbruch] verantwortlich und sollten nicht für eine Krise zahlen, die von dem anarchischen Profitsystem verursacht wurde. Wir müssen uns mit Arbeitern überall zusammentun, um für eine Gesellschaft zu kämpfen, die auf sozialistischen Prinzipien aufgebaut ist, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen und nicht die einer dünnen Schicht von Reichen.“

Anfang 2009 berichtete die WSWS ausführlich über die schlimmsten Buschbrände aller Zeiten in Australien. Bei dieser großen sozialen Katastrophe im Bundesstaat Victoria kamen 173 Menschen ums Leben. Die Berichterstattung umfasste Berichte vor Ort, Interviews mit Überlebenden, mit Buschbrand-Experten und Klimatologen und enthüllte die politischen Beschönigungsversuche der Regierung.

Die amerikanische SEP trat im August mit einem eigenen Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl in Detroit an. Der städtische Angestellte D’Artagnan Collier, seit zwanzig Jahren Mitglied der SEP und ihrer Vorgängerorganisation, der Workers League, begann im Mai seinen Wahlkampf. Er sprach zu vielen Arbeiter darüber, wie sie sich politisch gegen die Krise wehren konnten, die die Stadt zerstört. Detroit, früher ein riesiges Industriezentrum und ein Zentrum der internationalen Autobranche, hat in den letzten Jahrzehnten mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung verloren.

Im Januar nahm die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) an der Landtagswahl in Hessen, im Juni an der Europawahl und im September an der Bundestagswahl teil und kämpfte für ein sozialistisches Programm. Für alle Wahlen mussten Tausende von Unterschriften gesammelt werden. In ihrem Wahlaufruf zur Bundestagswahl kritisierte die Partei die kapitalistische Europäische Union und rief die Arbeiter zum Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa auf:

Die PSG lehnt die Europäische Union, ihre Institutionen und geplante Verfassung entschieden ab. Eine fortschrittliche Einigung Europas ist nur auf sozialistischer Grundlage möglich.

Dieser Aufruf wurde ins Türkische übersetzt, der Sprache vieler eingewanderter Arbeiter in Deutschland, sowie ins Englische und Französische. Die PSG trat im größten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen und in Berlin mit eigenen Kandidaten an und hielt Veranstaltungen in Leipzig, Hamburg, München, Frankfurt und anderen Städten ab. Im Wahlkampf wurden intensive Debatten über die sozialistischen Perspektiven des Internationalen Komitees geführt.

Das IKVI sponserte eine Reihe von politischen Versammlungen zum 70. Jahrestag des Zweiten Weltkriegs. Die europäischen Sektionen hielten in London ein Treffen ab, auf dem Redner aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland den imperialistischen Krieg und seine Auswirkungen auf die europäische Arbeiterklasse analysierten.

David North hielt an der Universität von San Diego in Kalifornien einen Vortrag zum gleichen Thema. Nick Beams hielt in Sydney und Melbourne Vorträge mit dem Titel „Der Zweite Weltkrieg: Lehren und Warnungen.“

North beschrieb zuerst die Ursachen und schrecklichen Folgen des Ersten und Zweiten Weltkrieges; danach wies er auf ähnliche Widersprüche hin, die auch heute das System des Weltkapitalismus auseinanderreißen. Er kam zu dem Schluss:

Bei allen Veränderungen, die seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs vor 95 Jahren und dem des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren eingetreten sind, leben wir doch immer noch im Zeitalter des Imperialismus. Daher steht die Menschheit heute vor folgenden großen Fragen: Wird die Entwicklung von politischem Bewusstsein in der internationalen Arbeiterklasse den zunehmend zerstörerischen Tendenzen des Imperialismus entgegenwirken? Wird die Arbeiterklasse rechtzeitig genügend politisches Bewusstsein entwickeln, bevor der Kapitalismus und das imperialistische Nationalstaatensystem die Menschheit in den Abgrund stürzen?

Dies sind keine rein akademischen Überlegungen. Allein diese Frage zu stellen, verlangt nach einer aktiven Reaktion. Die Antworten erhält man nicht im Hörsaal sondern im realen Konflikt der gesellschaftlichen Kräfte. Die Sache wird im Kampf entschieden. Und das Ergebnis dieses Kampfes wird in entscheidendem Maße durch die Entwicklung revolutionären, d.h. sozialistischen Bewusstseins bestimmt. Der Kampf gegen imperialistischen Krieg findet seinen höchsten Ausdruck im Kampf für eine neue politische Führung der Arbeiterklasse.

Trotzki während der Anhörung der Dewey-Kommission im Jahr 1937, eine von vielen Episoden, die Robert Service verfälscht hat.
Eine Gruppe von Teepflückern in Sri Lanka
Kunst, Wissenschaft und Geschichte

Die WSWS berichtete weiterhin über internationale Filmfestivals, unter anderem die Berlinale, und Filme wie Der Vorleser, Revolutionary Road, Slumdog Millionäre, Tulpan, The Hurt Locker, Inglourious Basterds, Bright Star, Vincere, A Serious Man und viele andere. 

Von besonderem Interesse war eine Reihe von Interviews mit wichtigen Persönlichkeiten aus der Welt des Films und Theaters, darunter Bertrand Tavernier und Trevor Griffiths. Kunstredakteur David Walsh setzte seine Betrachtung der Filmgeschichte mit Artikeln über die schwarzen Listen im Hollywood der 1950er und der Karriere von Orson Welles fort. Ferner erschienen ein Nachruf auf den britischen Stückeschreiber Harold Pinter und eine Bewertung der Karriere des amerikanischen Romanautoren John Updike.

Im Januar befasste sich die WSWS mit einer wichtigen Fernsehserie auf HBO über John Adams und die amerikanische Revolution. Die Serie „dramatisierte zwar das Alltagsleben ihres Protagonisten (vor allem seine Beziehung zu seiner brillanten Frau Abigail) und sein öffentliches Leben, schafft es jedoch, das Anwachsen von revolutionärem Bewusstsein und den inneren Konflikt über die Frage, welche Art von Nation Amerika werden sollte, einzufangen.“

Die WSWS widmete sich besonders dem Thema der Verhaftung des Regisseurs Roman Polanski durch Schweizer Behörden im September. Polanski, der die Staatsbürgerschaften von Polen und Frankreich besitzt und Holocaust-Überlebender ist, drohte die Auslieferung an die USA wegen einer Anklage wegen Sex mit einer Minderjährigen vor 32 Jahren.

Die WSWS wies die reaktionäre Kampagne des liberalen und pseudolinken Milieus gegen Polanski zurück. Die Versuche, die Vorwürfe wieder auszugraben, wurden von der New York Times, bürgerlichen Feministinnen und Pseudolinken wie der International Socialist Organization unterstützt. Die liberalen und „linken“ Heuchler ignorierten die Umstände, unter denen Polanski aus den USA geflohen war – ihm drohte ein Prozess vor einem rachsüchtigen Richter, der zu erkennen gegeben hatte, ein Gnadengesuch abzulehnen. Polanski saß in Zürich zwei Monate im Gefängnis, dann wurde er auf Kaution freigelassen und unter Hausarrest gestellt. Die Schweizer Behörden beschlossen später, ihn nicht auszuliefern.

Im Laufe dieser Ereignisse befasste sich die WSWS außerdem mit Polanskis Karriere und stellte die Hetzkampagne gegen ihn in den Kontext seiner eigenen Erfahrungen und der Art, wie diese Eingang in seine Arbeiten gefunden hatten.

Die Berichterstattung der WSWS über wissenschaftliche Entwicklungen, unter anderem die Geschichte der Wissenschaft, nahm weiter zu. Unter anderem befasste sie sich mit der Paläontologie und der menschlichen Evolution, sowie über die Arbeit des Hubble-Weltraumteleskops.

Nennenswerte Jahrestage, die Artikel verdienten, waren unter anderem der 400. Jahrestag von Galileos bekanntesten Entdeckungen, der 40. Jahrestag der ersten Mondlandung und angesichts des 200. Jahrestags von Charles Darwin eine Besprechung der Verbindung zwischen der bahnbrechenden Arbeit Darwins und seines großen Zeitgenossen, Karl Marx.

Zum Thema Umweltschutz veröffentlichte die WSWS zwei wichtige Vorträge, die auf öffentlichen Treffen der australischen SEP gehalten wurden, mit dem Titel „Marxismus, Sozialismus und der Klimawandel“.

Die WSWS befasste sich auch zunehmend mit geschichtlichen Themen, von der Geschichte der Arbeiterbewegung über den Amerikanischen Bürgerkrieg bis hin zu aktuelleren Entwicklungen im 20. Jahrhundert. In diesem Rahmen wurde auf der englischsprachigen Webseite die Kolumne „Diese Woche in der Geschichte“ eingeführt.

Es gab Artikel über die Generalstreiks in Toledo, Minneapolis und San Francisco im Jahr 1934, die Haymarket-Unruhen in Chicago im Jahr 1886, das 150-jährige Jubiläums des Überfalls des Abolitionisten John Brown auf Harper’s Ferry, den 70. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes und den Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Weitere wichtige Artikel befassten sich mit der Tragödie der chinesischen Revolution von 1925-27, dem zwanzigsten Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platz der chinesischen stalinistischen Bürokratie, dem zwanzigsten Jahrestags des Falls der Berliner Mauer, dem 60. Jahrestags der chinesischen Revolution, dem 50. Jahrestag der kubanischen Revolution und dem 25. Jahrestag des britischen Bergarbeiterstreiks.

Paul Giamatti (links, als Adams) und David Morse als George Washington in John Adams auf HBO