WSWS-Chronologie

Das Jahr im Rückblick: 2011

Das Jahr begann mit dem Ausbruch revolutionärer Kämpfe in Tunesien und Ägypten und Volksaufständen in der ganzen arabischen Welt; darauf folgten Massenkämpfe in Europa und im US-Bundesstaat Wisconsin. Diese Ereignisse waren eine erste Antwort der Arbeiterklasse auf die Weltkrise des kapitalistischen Systems, die zweieinhalb Jahre zuvor ausgebrochen war. Sie markierten die Rückkehr der Arbeiterklasse auf die Bühne der Geschichte.

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Die herrschenden Klassen der Welt reagierten darauf, indem sie ihre konterrevolutionäre Politik beschleunigten. Es gab Krieg, Austeritätspolitik und Angriffe auf demokratische Rechte. Im Lauf des Jahres 2011 kam es zu einem imperialistischen Krieg gegen Libyen, Provokationen gegen Syrien und Kampfhandlungen in Afghanistan, Pakistan, im Irak und anderen Ländern.

Die Obama-Regierung destabilisierte den Pazifik durch ihre kriegstreiberische „Schwerpunktverlagerung auf Asien“ noch weiter und beanspruchte zum ersten Mal das Recht, amerikanische Staatsbürger zu töten, die sie als „Terroristen“ einstuft. Europa sank tiefer in die Krise. In Italien, Griechenland, Portugal, Irland und im übrigen Kontinent wurden zutiefst unpopuläre Sparmaßnahmen durchgesetzt.

Demonstranten im Regierungsgebäude von Wisconsin
Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten

Als Reaktion auf die Krise des Kapitalismus, die mit dem Finanzkrach an der Wall Street im Jahr 2008 begannen hatte, versuchte die herrschende Klasse, die Klassenbeziehungen im Weltmaßstab umzugestalten. Auf die Billionen Dollar teuren Bankenrettungen, deren Zentrum in den USA und Europa lag, folgte eine Kampagne mit dem Ziel, die Arbeiterklasse durch brutale Sparmaßnahmen dafür bezahlen zu lassen. Die WSWS hatte von Anfang an vorhergesehen, dass dies zu wachsender Ungleichheit und der Belebung des internationalen Klassenkampfes führen werde.

Die Ereignisse im Nahen Osten und Nordafrika in den ersten Monaten des Jahres 2011 bestätigten diese Analyse. Das erste Großereignis des Jahres war die Revolution in Tunesien, die am 14. Januar zum Sturz des von den USA gestützten Diktators Zine El Abidine Ben Ali führte. Auslöser für die Massenproteste in dem kleinen nordafrikanischen Staat war die Selbstverbrennung des Gemüseverkäufers Mohammed Bouazizi, nachdem die Polizei willkürlich seine Waren beschlagnahmt hatte.

Die Redaktion der WSWS schrieb in einer Stellungnahme mit dem Titel „Der Massenaufstand in Tunesien und die Perspektive der Permanenten Revolution“, dass dieses Ereignis den sozialen Sprengstoff entzündet habe, der sich unter der Oberfläche des politischen Lebens angesammelt hatte. Das tragische Ereignis „diente als Katalysator für den Zorn von Millionen Jugendlichen und Arbeitern über die allgegenwärtige Arbeitslosigkeit, Armut, soziale Ungleichheit, den Despotismus und die Korruption der Herrschenden.“

Die sozialen Bedingungen, die zu dem Ausbruch in Tunesien führten, herrschen im ganzen Maghreb und im Nahen Osten. Auch der Arbeiterklasse in den entwickelten Industrieländern sind solche Verhältnisse nicht unbekannt, seit sie der globalen Wirtschaftskrise und einer brutalen Offensive der Banken und Konzerne ausgesetzt sind.

Die WSWS warnte: „Die tunesischen Massen stehen aber erst am Anfang ihres Kampfes. Die andauernde Polizeigewalt unter dem neuen Interimspräsidenten zeigt, dass die Arbeiterklasse vor großen Gefahren steht. Die entscheidende Frage revolutionärer Führung und eines revolutionären Programms ist bisher ungelöst.“

Der Ausbruch von Massenkämpfen der Arbeiterklasse warf grundlegende Fragen von Programm und Perspektive auf und bestätigte die Theorie der Permanenten Revolution, d.h. die Strategie Trotzkis und der Vierten Internationale für die Weltrevolution. In Tunesien und allen anderen ehemaligen Kolonien war die nationale Bourgeoisie nicht in der Lage, die grundlegenden Aufgaben einer demokratischen Revolution zu lösen. Der Kampf gegen politische Diktatur erfordert die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System und die Führung der unterdrückten Massen sowohl gegen die nationale Bourgeoisie als auch den Imperialismus. Die WSWS schrieb:

Dieser Kampf kann nicht einfach im nationalen Rahmen geführt werden. In ganz Nordafrika und im Nahen Osten müssen trotzkistische Parteien aufgebaut werden, um die arbeitenden Massen unter dem Banner der Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens und des Maghreb als Teil der sozialistischen Weltrevolution zu vereinen.

Dieser Kampf muss bewusst mit den Kämpfen der Arbeiter in den entwickelten kapitalistischen Ländern verbunden werden. In diesen Ländern leben und arbeiten oft zahlreiche arabische Arbeiter aus Nordafrika und dem Nahen Osten.

Nur auf dieser internationalistischen Grundlage können die religiösen und nationalen Spaltungen überwunden werden, die immer wieder vom Imperialismus und von der Bourgeoisie angeheizt werden. Nur so kann die gesellschaftliche Kraft der Arbeiterklasse im Kampf gegen die imperialistische Vorherrschaft mobilisiert werden.

Kurz nach den Ereignissen in Tunesien kam es in Ägypten zur Revolution, die vom 25. Januar bis zum 11. Februar andauerte und zum Sturz der Diktatur führte, die in diesem größten arabischen Staat seit Jahrzehnten geherrscht hatte.

Bei den Kämpfen um den Tahrir-Platz und andere wichtige Städte im ganzen Land, die zwei Wochen und drei Tage andauerten, versuchten ägyptische Sicherheitskräfte, die von den USA ausgerüstet und ausgebildet worden waren, erfolglos, die Massenproteste und Streiks niederzuschlagen. Dabei wurden mindestens 846 Menschen getötet und 6.000 verletzt.

Die Obama-Regierung arbeitete wochenlang hinter den Kulissen daran, Hosni Mubarak zu stützen. Erst als sie zu dem Schluss kam, dass es nicht mehr möglich war, ihn an der Macht zu halten, versuchte sie, einen „geordneten Übergang“ zu organisieren, der den ägyptischen kapitalistischen Staat erhalten und die Interessen des US-Imperialismus schützen sollte.

Um die Demonstranten zu beschwichtigen, machte Mubarak vor laufenden Kameras mehrfach Zugeständnisse, unter anderem kündigte er am 1. Februar an, er werde sich nicht nochmals wählen lassen. Aber auf den Straßen trotzten weiterhin hunderttausende den Ausgangssperren, Drohungen, Folterungen, Entführungen und brutalen Angriffen von Mubaraks Schlägern und Undercover-Polizisten.

Als Mubarak am 1. Februar versuchte, die Demonstranten mit Gerede über einen „Kompromiss“ zu täuschen, schrieb der Vorsitzende der internationalen Redaktion der WSWS, David North, dass die Ereignisse in Ägypten und Tunesien das „selbstzufriedene und reaktionäre Szenario“ zum Platzen gebracht hätten, welches das kapitalistische Triumphgeschrei nach der Auflösung der Sowjetunion charakterisiert hatte. Revolutionäre Kämpfe gehörten angeblich der Vergangenheit an.

Eine entscheidende Rolle beim Sturz von Mubarak spielte das Auftreten der Arbeiterklasse als starke soziale Kraft. North schrieb am 10. Februar: „Während die Massenversammlungen und Zusammenstöße auf dem Tahrir-Platz in Kairo im Zentrum des Medieninteresses stehen, wird die wachsende Militanz der Arbeiterklasse in Form von Demonstrationen und Streiks einen immer größeren Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse nehmen.“ Aber wenn die Massenkämpfe Erfolg haben sollen, müssten sie von einem klaren politischen Programm angeleitet werden.

Der Kampf, der sich jetzt in Ägypten entwickelt, wird sich hinziehen. Es liegt in der Verantwortung revolutionärer Marxisten, unter den Arbeitern, die erhebliche politische Erfahrungen durchmachen, Verständnis für die Notwendigkeit eines unabhängigen Kampfes um die Macht zu entwickeln. Sie müssen die Arbeiter vor allen Illusionen warnen, dass ihre demokratischen Hoffnungen unter der Ägide bürgerlicher Parteien verwirklicht werden können. Sie müssen die falschen Versprechen der Vertreter der kapitalistischen Klasse schonungslos entlarven. Sie müssen die Schaffung unabhängiger Organe der Arbeitermacht ermutigen, die bei der Verschärfung des Kampfes zur Grundlage des Machtübergangs an die Arbeiterklasse werden können. Sie müssen erklären, dass die Verwirklichung der wesentlichen demokratischen Rechte der Arbeiter untrennbar mit der Durchsetzung sozialistischer Politik verbunden ist.

Vor allem aber müssen revolutionäre Marxisten den politischen Horizont aller ägyptischen Arbeiter über die Grenzen ihres eigenen Landes hinaus erweitern. Sie müssen ihnen erklären, dass die sich jetzt entfaltenden Kämpfe in Ägypten unauflösbar verbunden sind mit dem beginnenden Prozess der sozialistischen Weltrevolution und dass der Sieg der Revolution in Ägypten keine nationale, sondern eine internationale Strategie erfordert. Letztendlich ist der Kampf gegen das Mubarak-Suleiman-Regime und die ägyptische herrschende Klasse ein Kampf gegen die gesamte arabische Bourgeoisie, das zionistische Regime in Israel und den amerikanischen und europäischen Imperialismus. In diesem globalen Kampf ist der stärkste und unverzichtbare Verbündete der ägyptischen Massen die internationale Arbeiterklasse.

Am 11. Februar erfuhren die triumphierenden Massen vom Rücktritt Mubaraks. In „Hosni Mubaraks Sturz“ wies die Redaktion der WSWS auf den historischen Charakter dieser Ereignisse und die immensen politischen Herausforderungen hin, die noch bevorstanden:

So wichtig Mubaraks Rücktritt jedoch ist, so hat damit der Kampf doch erst begonnen. Zwar ist Mubarak gegangen, doch das Regime ist noch da, und die Macht befindet sich immer noch in Händen desselben Offizierscorps’, welches der kapitalistischen Diktatur seit Jahrzehnten als Dreh- und Angelpunkt in Ägypten dient.

Der Oberste Militärrat (Surpreme Council of the Armed Forces, SCAF) setzte mit Unterstützung der Obama-Regierung eine Militärjunta an die Macht und versprach Wahlen in sechs Monaten. Die WSWS warnte kurz nach Mubaraks Rücktritt:

Die Armee versucht, ihre eigene Macht zu bewahren, erfüllt aber keine einzige Forderung, für die Millionen Ägypter auf die Straße gegangen sind. Im Land herrscht jetzt eine Militärjunta, die alle Regelungen des Ausnahmezustands beibehält, sich auf die gleiche Polizei stützt und mit einem Netzwerk alter Mubarak-Kumpanen wie dem Ministerpräsidenten Ahmed Shafik zu regieren versucht.

Nachdem die Obama-Regierung Mubarak solange wie möglich gestützt hatte, unterstützt sie jetzt das Militärregime.

Auf Mubaraks Sturz folgte eine Reihe von langwierigen politischen Manövern, in denen die Militärjunta, rechte bürgerliche Kräfte wie die Moslembrüder und pro-imperialistische Figuren wie Mohammed ElBaradei um Einfluss stritten, während die Streiks und Massendemonstrationen, die Mubarak zu Fall gebracht hatten, immer wieder aufflammten. Die WSWS berichtete vor Ort und analysierte die politischen Fragen, vor denen die Massenbewegung stand.

Der ägyptische Kapitalismus konnte dank der Unterstützung durch kleinbürgerliche pseudolinke Tendenzen gerettet werden, die Illusionen in das Militär schürten und versuchten, eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern. Tendenzen wie die Revolutionären Sozialisten, die mit der amerikanischen International Socialist Organization (ISO) und der britischen Socialist Workers Party (SWP) verbündet sind, spielten eine hinterhältige und reaktionäre Rolle.

Die RS schürten von Anfang an Illusionen in das ägyptische Militär, in Verfassungsreformen, bürgerliche Kandidaten wie Mohammed ElBaradei und andere bürgerliche Parteien wie die Moslembrüder, während sie die Forderungen der Bevölkerung nach einer „zweiten Revolution“ gegen die Junta ablehnten. Die Verwirrung, die daraus entstand, verschaffte der Obama-Regierung und der Militärjunta genügend Zeit, um in den Monaten nach Mubaraks Sturz mit Gewalt gegen den Widerstand vorzugehen.

In „Die konterrevolutionäre Rolle der ägyptischen Pseudolinken“ gab die WSWS eine detaillierte historische, politische und soziologische Analyse der Rolle der RS und ähnlicher Tendenzen:

Diese Parteien lehnen die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die Junta ab. Politisch verteidigen sie das Vermächtnis der ägyptischen Militärherrschaft und die nationalistische Unterstützung der Stalinisten, auch nachdem die Arbeiterklasse sich gegen Mubarak und später den SCAF erhoben hat. Soziologisch rekrutieren sich die Mitglieder der Partei aus bessergestellten Teilen des Kleinbürgertums, eine soziale Schicht, die finanziell und politisch an den westlichen Imperialismus gebunden und bestrebt ist, die Arbeiter unter der Kontrolle des Staates und der Gewerkschaftsbürokratie zu halten.

Im deutlichen Gegensatz zu den kleinbürgerlichen pseudolinken Gruppen, die den von den USA inszenierten „Übergang“ in Ägypten unterstützten, forderte die WSWS – und nur die WSWS – die politische Unabhängigkeit der ägyptischen Arbeiterklasse und ihre Mobilisierung zum Sturz der Junta und den Aufbau einer Arbeiterregierung als Teil des Kampfes für die Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens.

Die vitale Bedeutung dieser Perspektive erwies sich in den letzten Monaten des Jahres, als eine neue Welle von Massenstreiks und Protesten zeigte, dass Millionen Arbeiter ihre Illusionen in das Militär verloren und forderten, mit der herrschenden Elite Ägyptens abzurechnen.

Demonstranten feiern auf dem Kairoer Tahrir-Platz die Ankündigung von Präsident Hosni Mubaraks Rücktritt
Nach Ägypten folgt Wisconsin

Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten wurden von Arbeitern weltweit unterstützt und lösten im ganzen Nahen Osten und Nordafrika Massenproteste aus, die als „Arabischer Frühling“ bekannt wurden. Unter anderem kam es in Algerien, Marokko, Dschibuti, Saudi-Arabien, dem Jemen, Bahrain, Libyen, Syrien und dem Irak zu großen Demonstrationen. Auch in dem afrikanischen Staat Gabun kam es zu Protesten, und im Laufe des Sommers zu den größten Sozialprotesten in der Geschichte Israels.

Eines der deutlichsten Anzeichen für den internationalen Charakters der Ereignisse im Nahen Osten und Nordafrika waren die Entwicklungen im US-Bundesstaat Wisconsin im Mittleren Westen der USA. Als der neugewählte republikanische Gouverneur Scott Walker versuchte, arbeiterfeindliche Gesetze durchzusetzen, die Angestellten im öffentlichen Dienst das Recht auf Tarifverhandlungen genommen und ihre Löhne und Zusatzleistungen gesenkt hätte, brachen in der Hauptstadt Madison, in Milwaukee und im ganzen Bundesstaat Massenproteste aus.

Anfang Februar drohte Walker mit dem Einsatz der Nationalgarde, wenn der Widerstand der öffentlichen Bediensteten gegen seine Angriffe anhalte. Lehrer und andere Staatsdiener reagierten darauf mit Arbeitsniederlegungen und protestierten täglich vor dem Regierungsgebäude, das wochenlang von einer großen Menschenmenge besetzt gehalten wurde.

Die WSWS berichtete vor Ort über die Proteste in Madison und Milwaukee. Im Laufe des Kampfes in Wisconsin weitete die WSWS ihren Einsatz von Videos aus, unter anderem erschienen am 18. und 21. Februar und am 7. und 14. März Reportagen.

Demonstranten trugen Schilder, die Walker mit dem gestürzten ägyptischen Diktator Mubarak verglichen und kündigten an, „es wie die Ägypter zu machen.“ Bill Van Auken schrieb über die Bedeutung der Tatsache, dass die amerikanische Arbeiterklasse dem Beispiel ihrer Klassenbrüder in der arabischen Welt folgte:

Der Sturz der Präsidenten durch die jüngsten Massenproteste in Tunesien und Ägypten ist ein Anzeichen für das Wiederaufleben revolutionärer Kämpfe der Arbeiterklasse. Die Bedingungen, die zu diesen Kämpfen geführt haben, sind jedoch universal: Massenarbeitslosigkeit, ein atemberaubendes Ausmaß an sozialer Ungleichheit und ein politisches System, das sich den Forderungen und Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung vollkommen verschließt. Das Ausbrechen von Massenprotesten in Wisconsin ist der erste Ausdruck einer neuen Periode offener Klassenkämpfe in dem Land, das seit langem das Zentrum des Weltkapitalismus ist, in den Vereinigten Staaten.

Die Perspektive wies auf die politischen Lehren hin, die viele amerikanische Arbeiter zogen:

Nach zweieinhalb Jahren der globalen Wirtschaftskrise, die mit der finanziellen Kernschmelze im Herbst 2008 an der Wall Street anfing, beginnt die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten zum ersten Mal wieder einen größeren Gegenangriff gegen die Politik der Finanzaristokratie. Sie merkt zunehmend, dass das politische und wirtschaftliche System versagt hat und eine neue gesellschaftliche Ordnung entstehen muss.

Im Rahmen der gnadenlosen Angriffe auf die Arbeiterklasse im ganzen Land versuchte Walker nicht nur, die Löhne und Zusatzleistungen im öffentlichen Dienst radikal zu kürzen, sondern auch das Recht auf Tarifverhandlungen abzuschaffen, um jede Form von organisiertem Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Politik der Wirtschafts- und Finanzelite illegal zu machen.

Der AFL-CIO und die anderen Gewerkschaften reagierten darauf, indem sie versuchten, ihre eigenen institutionellen und finanziellen Interessen zu schützen, indem sie weiter mit den Konzernen und der Regierung bei der Durchsetzung der Kürzungen gegen die Arbeiterklasse zusammenarbeiteten. Sie versuchten vom ersten Tag an, die Proteste zu unterdrücken und vor den Karren der Demokratischen Partei zu spannen. Sie betonten mehrfach, dass es ihnen nicht um die Kürzungen von Löhnen und Zusatzleistungen ging und dass sie diese unterstützten. Die WSWS schrieb in „Die politischen Fragen im Kampf gegen die Haushaltskürzungen“:

Was ist denn das entscheidende Argument des AFL-CIO? Es gibt keinen Grund, sagen sie, die Rechte und die Beiträge der Gewerkschaften anzugreifen. Denn der AFL-CIO ist willig und ganz und gar bereit mit den Regierungen der Staaten zusammenzuarbeiten, seien sie von Demokraten oder Republikanern geführt, wenn es darum geht ihre finanziellen und Haushaltsziele durchzusetzen.

Aber wo bleibt dabei die Arbeiterklasse? Die Antwort ist: Sie hat keine Arbeitsplätze mehr, keine angemessenen Löhne und Gehälter, keine soziale Absicherung oder Dienstleistungen, keine vernünftigen Schulen und Krankenhäuser, keine demokratischen Rechte und keine Zukunft.

Im Gegensatz zu den Gewerkschaften und der Demokratischen Partei rief die WSWS zu einem Generalstreik auf, um die gesamte Arbeiterklasse zu mobilisieren und die Walker-Regierung zu Fall zu bringen. Diese Kampagne traf auf große Unterstützung. Die WSWS schrieb: „Die Forderung nach Walkers Rücktritt bedeutet nicht, der Demokratischen Partei sein Vertrauen auszusprechen.“

Außerhalb der Grenzen von Wisconsin fordern demokratische Gouverneure und Bürgermeister Haushaltskürzungen, die nicht minder drakonisch sind als diejenigen, die Walker anstrebt. Die Obama-Regierung arbeitet mit den Gouverneuren der Bundesstaaten und dem Kongress in Washington zusammen, um die Haushaltskürzungen umzusetzen, die das Leben von Arbeitern im ganzen Land zerstören werden.

Aber durch die Inspiration des Beispiels, das die Arbeiter in Wisconsin gegeben haben, wird sich der Kampf für Arbeiterrechte von Staat zu Staat und durch das ganze Land ausdehnen, gegen den Widerstand aller politischen Vertreter der Kapitalistenklasse.

Daher führt die Forderung nach Walkers Rücktritt zum wichtigsten Thema – der Notwendigkeit der Schaffung einer eigenen unabhägigen sozialistischen Alternative zu den Parteien des Großkapitals, den Demokraten und Republikanern, durch die Arbeiterklasse.

Die International Socialist Organization, deren ganze Aktivität darauf gerichtet war, die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften und der Demokratischen Partei zu stärken, spielte eine wichtige Rolle bei der Demobilisierung der Proteste. Die ISO und die Gewerkschaften unterstützten ein politisches Spektakel von demokratischen Staatssenatoren, die aus dem Bundesstaat geflohen waren, um zu verhindern, dass Walker und die Republikaner im Parlament die notwendige Mindestanzahl von Senatoren zusammen bekämen. So wollten sie die Verabschiedung des arbeiterfeindlichen Gesetzesentwurfs verzögern.

Am 9. März konnte Walker seinen Gesetzesentwurf verabschieden. Die Gewerkschaften nutzten dies aus, um die einmonatigen Proteste abzubrechen. In der kurzen Zeit bevor das das Gesetz in Kraft trat, beeilten sich die Gewerkschaften, Tarifverträge mit mehrjähriger Laufzeit zu unterschreiben, um den automatischen Abzug der Gewerkschaftsbeiträge von den Lohnschecks der Arbeiter zu sichern und gleichzeitig umfassende Zugeständnisse von den Angestellten einzufordern.

Gleichzeitig organisierten die Gewerkschaften mit Unterstützung der ISO und anderer pseudolinker Organisationen eine Petition für die Abwahl der republikanischen Abgeordneten. Das war ein reaktionäres Ablenkungsmanöver, das die Arbeiterklasse demobilisieren und die Wut der Arbeiter für die Demokraten einspannen sollte.

Die Abstimmung über die Abwahl fand im August statt. Die Republikaner erlangten die Mehrheit im Parlament des Bundesstaates, was den bankrotten Charakter der ganzen Kampagne entlarvte. Die WSWS schrieb:

Die Abwahlkampagne war von Anfang an eine reaktionäre Ablenkung, die auf die Entmobilisierung und Unterdrückung des Widerstands der Arbeiterklasse abzielte. Die demokratischen Kandidaten machten keinen Hehl aus ihrer Unterstützung von Kürzungen bei den Sozialausgaben und Angriffen auf Angestellte des öffentlichen Dienstes. Hätten die Demokraten die Mehrheit im Senat gewonnen, gäbe es in Hinblick auf die Rechte und Interessen der Arbeiterklasse keine bedeutende Veränderung in der Regierungspolitik.

Die wichtigste Lehre, die sich aus der Erfahrung mit den Protesten in Wisconsin ziehen lässt, ist die Notwendigkeit einer revolutionären Partei und einer Perspektive, mit der sich die Kämpfe der Arbeiterklasse führen lassen.

Proteste in Wisconsin
Soziale Konterrevolution und der Klassenkampf in Europa

Europa geriet ins Zentrum der internationalen sozialen Konterrevolution. Die Banken arbeiteten daran, eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse von historischem Ausmaß durchzusetzen. Griechenland, Portugal und Irland mussten sich um Geld aus dem neu gegründeten Europäischen Finanzstabilitätsfonds (EFSF) bewerben, um einen Staatsbankrott und eine Gefährdung des Euro zu verhindern. Diese Länder, sowie Italien, wurden von den führenden Ratingagenturen abgewertet.

Ein „Triumvirat“ aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB), das auch als „Troika“ bekannt wurde, übte nahezu diktatorische Vollmachten in den Schuldnerstaaten aus und setzte brutale Sparmaßnahmen durch. Die Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa stieg von 2008 bis 2011 um 25 Prozentpunkte. Großkonzerne wie Fiat nutzten die Krise aus, um neue harte Tarifverträge durchzusetzen.

Die Arbeiter reagierten mit zahlreichen Generalstreiks und zahllosen Protesten. Nach den Aufständen in Nordafrika kam es in Portugal, Spanien, Griechenland und anderen Ländern zu großen Demonstrationen gegen steigende Arbeitslosigkeit, Armut und Angriffe auf Lebensbedingungen. In vielen Fällen identifizierten sich die Arbeiter offen mit den Kämpfen auf der anderen Seite des Mittelmeeres.

Die Sparprogramme der EU riefen unter Arbeitern und Jugendlichen Empörung hervor, aber die Gewerkschaften taten, wie in Griechenland, alles in ihrer Macht stehende, um den Aufbau einer effektiven Bewegung der Arbeiter zu sabotieren, den Kampf zu isolieren, ihn auf alibihafte Proteste zu beschränken und die Arbeiterklasse zu demoralisieren.

Die Pseudolinken unterstützten die Rolle der Gewerkschaften bei diesen sozialen Angriffen. SYRIZA in Griechenland, die Linkspartei in Deutschland und die NPA in Frankreich unterstützten die EU. Der Vorsitzende von SYRIZA, Alexis Tsipras garantierte der EU sogar, dass seine Partei nichts tun werde, um die Sparmaßnahmen zu verhindern.

Als in Spanien im Juni die Bewegung der Indignados als Vorgeschmack auf die Occupy-Bewegung entstand, unterstützten die pseudolinken Parteien ihre unpolitische Perspektive und benutzten die Forderung „keine Politik“, um sie im Korsett der prokapitalistischen Politik zu halten.

Die politische Instabilität nahm zu und brachte eine Regierung nach der anderen zu Fall:

In Irland wurde am 25. Februar die Koalition aus Fianna Fail und Grünen abgewählt, ihre Nachfolge trat eine Koalition aus der rechten Fine Gael und der sozialdemokratischen Labour Party an.

In Portugal erlitt die Sozialistische Partei von Premierminister Jose Socrates bei der Wahl im Juni eine schwere Niederlage; sein Nachfolger wurde Pedro Passos Coelho von der konservativeren Sozialdemokratischen Partei.

In Dänemark wurde die rechte Koalitionsregierung von Lars Lokke Rasmussen bei der Wahl am 15. September abgewählt. Sein Nachfolger wurde Helle Thorning-Schmidt von den Sozialdemokraten, er wurde von drei weiteren populistischen und sozialdemokratischen Parteien unterstützt.

In Slowenien wurde die sozialdemokratische Regierung von Premierminister Borut Pahor im September durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Im Dezember fand eine Neuwahl statt, die ein rechter Geschäftsmann gewann.

In der Slowakei zerbrach die rechte Regierungskoalition unter Iveta Radicova an einer Abstimmung im Parlament über die Annahme des neuen europäischen Rettungsschirmes. Eine Übergangsregierung wurde eingesetzt bis Neuwahlen abgehalten werden konnten.

Der griechische Premierminister und Parteichef der sozialdemokratischen Pasok Giorgos Papandreou trat zurück, sein nicht gewählter Nachfolger wurde der ehemalige Banker Lukas Papademos, der einer Technokratenregierung vorstand, die von den beiden großen bürgerlichen Parteien Pasok und Nea Dimokratia unterstützt wurde.

Der italienische Premierminister Silvio Berlusconi trat am 10. November zurück, sein nicht gewählter Nachfolger wurde Mario Monti, ein Technokrat, ehemaliges Mitglied der EU-Kommission, Goldman Sachs-Banker und Wirtschaftsprofessor.

In Spanien trat Premierminister Jose Luis Zapatero, der zuvor zwei Amtszeiten lang regiert hatte, zurück, nachdem seine (sozialdemokratische) Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) bei der Wahl am 20. November von der rechten Volkspartei besiegt worden war.

In Kroatien wurde die langjährige nationalistische Regierungspartei HDK bei der Wahl am 4. Dezember durch eine Koalition der Oppositionskräfte unter Führung der Sozialdemokraten besiegt.

Der Sturz von neun Regierungen wurde zum offensichtlichsten Anzeichen für den Verfall der kapitalistischen Demokratie. Millionen von Arbeitern gaben ihre Stimme ab und versuchten, ihren Widerstand gegen die Politik der EU klar zu machen, die den Bankern Milliarden zur Verfügung stellte, während Arbeitsplätze, Löhne und Sozialleistungen abgebaut wurden. Aber egal welche Partei oder Koalition die Wahl gewann, sozialdemokratische oder konservative, die Angriffe auf die Arbeiterklasse wurden nur noch heftiger.

In mehreren der wichtigsten Länder setzten die Banker überparteiliche Regierungen ein, die praktisch von allen demokratischen Hemmnissen befreit waren. In Griechenland hatte Papandreou die oberste Militärführung entlassen, weil er befürchtete, dass ein Militärputsch vorbereitet wurde, um die Sparpläne durchzusetzen. Als er vorschlug, die Sparpläne durch ein Referendum bestätigen zu lassen, schritt die EU ein, zwang ihn, den Vorschlag zurückzunehmen und übertrug die Macht einem neuen Kabinett, das noch entschlossener war, die Sparmaßnahmen durchzusetzen.

In Italien wurde der ehemalige Banker Mario Monti von Präsident Giorgio Napolitano, einem langjährigen treuen Anhänger der stalinistischen Partei, zum Premierminister ernannt. Seine überparteiliche Austeritätsregierung wurde von allen offiziellen „linken“ Parteien offen unterstützt, darunter den Demokraten, der Haupt-Nachfolgepartei der stalinistischen KPI und einer anderen ex-stalinistischen Abspaltung. Der SEL. Sie wurde außerdem stillschweigend von Rifondazione Comunista unterstützt, der politischen Heimat der Pablisten und anderer pseudolinker Elemente.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die WSWS analysierten jedes Stadium der europäischen Krise und berichteten vor Ort aus Griechenland. Es verteidigte die griechische Arbeiterklasse, kämpfte für eine enge internationale Zusammenarbeit der Arbeiter gegen diese Angriffe, wies auf die Klassenfragen hin und zeigte den Weg vorwärts.

Im August brach die soziale Unzufriedenheit in Großbritannien auf andere Weise aus: nachdem der 29-jährige Vater von vier Kindern, Marc Duggan, im Nord-Londoner Stadtteil Tottenham von der Polizei erschossen worden war, löste das Vorgehen der Polizei gegen eine friedliche Protestveranstaltung landesweite Unruhen unter der Jugend des Landes aus.

Zehntausende Jugendliche gingen auf die Straße, griffen Läden, Geschäfte und öffentliche Gebäude an. Die Gewaltausbrüche waren ein direktes Ergebnis der enorm gewachsenen Armut und Arbeitslosigkeit, die die Krise des Kapitalismus und die Sparmaßnahmen der herrschenden Klassen verursacht hatten.

Die gleiche herrschende Klasse reagierte nun mit brutalen Polizeieinsätzen. Das Parlament forderte harte Strafen, die Polizei erhielt umfassende Vollmachten zur Unterdrückung der Jugendlichen, darunter auch die Erlaubnis zum Einsatz scharfer Munition. Jugendliche, die das brutale Vorgehen der Polizei in sozialen Netzwerken kritisierten, wurden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, unter anderem zwei schottische Teenager. Gegen die Familien der Opfer der Hetzkampagne der Medien wurden Kollektivstrafen verhängt.

Die WSWS verurteilte den Aufbau eines Polizeistaates in Großbritannien und forderte die Freilassung aller verhafteten und eingesperrten Jugendlichen. Die Analyse der britischen SEP unterschied sich von den diversen pseudolinken Gruppen und Prominenten wie dem slowenischen Pseudophilosophen Slavoj Zizek, der eine Hasstirade gegen die Rebellion der Jugendlichen veröffentlichte.

Robert Stevens warnte am 6. September in einer Perspektive:

Vor einem Monat sind in mehreren britischen Großstädten Unruhen ausgebrochen. Seither findet ein beispielloser Angriff auf demokratische Rechte statt... Seither ist die Tagespresse voll von reißerischen Berichten und Rufen nach Vergeltung. Alle bisher gültigen Strafkriterien werden aufgehoben. Die Regierung hat den Gerichten bedeutet, sie bräuchten sich nicht an den Buchstaben des Gesetzes zu halten.

Er beschrieb die sozialen Bedingungen, die Anlass für die Unruhen der Jugendlichen waren und kam er zu dem Schluss:

Jedenfalls kann es nicht weitergehen wie bisher, und das wird es auch nicht. Die Kluft zwischen den Superreichen und der großen Mehrheit der Bevölkerung ist nicht aufrecht zu erhalten. Die Bedingungen für Massenkämpfe sind herangereift, und die Gewerkschaften und die Labour Party werden sie nicht aufhalten können, da beide zu Recht als Instrumente der Wirtschaft berüchtigt sind.

Demonstration in Madrid im Oktober
Der Krieg gegen Libyen und die Rolle der Pseudolinken

Die herrschende Klasse Amerikas reagierte auf die sozialen Aufstände in Ägypten und Tunesien, indem sie die Beziehungen zu ihren Klientelstaaten, den Monarchien und Diktaturen in der Region verstärkte. Es gab blutige Unterdrückungskampagnen in Bahrain, Saudi-Arabien und im Jemen. Die Rolle der USA zeigte sich besonders deutlich in Bahrain, wo das Hauptquartier der amerikanischen 5. Flotte liegt, die die wichtigsten Öltankerrouten vom Persischen Golf bewacht.

Gleichzeitig verschärften die USA ihre Intervention in der Region, indem sie zuerst in Libyen und danach in Syrien Bürgerkriege schürten. In beiden Fällen gingen die Intervention der CIA und die Bewaffnung islamistischer Kräfte, darunter Gruppen, die mit Al Qaida verbündet waren, mit einer Kampagne pseudolinker Gruppen einher. Sie versuchten, diese imperialistischen Interventionen als Fortsetzung der Bewegungen des „Arabischen Frühlings“ in Tunesien und Ägypten darzustellen.

Das Gaddafi-Regime in Libyen hatte seit dem Irakkrieg im Jahr 2003 mit den USA zusammengearbeitet und ihnen unter anderem erlaubt, Libyen als Zielland für „Überstellungsflüge“ zu nutzen und Terrorverdächtige zu foltern. Dennoch sahen Washington und seine europäischen Verbündeten, dass die Proteste in Libyen als Anlass genommen werden konnten, eine Regierung an die Macht zu bringen, die direkter unter ihrer Kontrolle stand. Damit würde es leichter werden, auf Kosten ihrer Rivalen, vor allem Chinas, Libyens Ölvorkommen zu beanspruchen.

In den Wochen vor dem Krieg benannte die WSWS die wichtigsten Ziele des amerikanischen und europäischen Imperialismus in Libyen, lehnten jede amerikanische Intervention ab und erklärte, der Sturz Gaddafis sei die Aufgabe der Arbeiterklasse, die man nicht dem Imperialismus anvertrauen dürfe. In einer Perspektive am 1. März mit dem Titel „Imperialisten: Hände weg von Libyen!“ schrieb die WSWS:

Wie in jeder amerikanischen Operation in dieser Weltgegend geht es um zweierlei: um den Griff nach den Bodenschätzen eines wichtigen, Öl produzierenden Landes und um breitere strategische Interessen des amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten und in Nordafrika. Imperialistische Truppen vor Ort in Libyen könnten den künftigen Gang der Ereignisse in Ägypten, Tunesien, Algerien und Marokko beeinflussen, d.h. in allen Ländern, in denen Unruhen im Gange sind. Sie könnten auch Einfluss auf die Region jenseits der Sahara, den Sudan, Niger und Nigeria nehmen.

Dass die WSWS gegen den Krieg der USA und der Nato war, bedeutete nicht, dass sie Gaddafi unterstützte. Sie machte deutlich, dass nur die Arbeiterklasse, im Bündnis mit den Massen Nordafrikas, Gaddafi stürzen und durch eine demokratische und wirklich aus dem Volk stammende Regierung ersetzen könne.

Als die Nato-Luftangriffe auf Libyen symbolisch auf den Tag genau acht Jahre nach Beginn des völkerrechtswidrigen Einmarsches im Irak unter der Bush-Regierung begannen, analysierte die WSWS Obamas Rechtfertigungen, die zum Anlass für eine enorme Ausweitung imperialistischer Interventionen der USA auf der ganzen Welt wurden. Am 28. März erklärte Obama in einer Rede, die im Fernsehen übertragen wurde, die Anwendung militärischer Gewalt sei auch gerechtfertigt, wenn „unsere Sicherheit nicht direkt bedroht ist, jedoch unsere Interessen und Werte.“ Zu diesen „Interessen und Werten“ gehörten „Erhaltung des Friedens, regionale Sicherheit und Aufrechterhaltung des freien Handels.“

Das ist eine wesentlich weitergehende Beanspruchung des Rechts, Krieg zu führen, als selbst unter Bush. Die Bush-Regierung behauptete auf der Grundlage von Lügen, dass ihre Kriege aufgrund unmittelbarer Bedrohung durch Terrorismus und Massenvernichtungswaffen notwendig gewesen seien.

Obama erklärt, eine solche Bedrohung müsse gar nicht vorliegen, sondern es müssten lediglich amerikanische „Interessen und Werte“ bedroht sein. Gibt es einen Winkel der Welt, in dem amerikanische Banken und Konzerne nicht solche „Interessen und Werte“ haben – bis hin zur „Aufrechterhaltung des freien Handels“? Obama argumentiert hier für militärische Aggressionen der USA wo immer und wann immer sie den Interessen der amerikanischen herrschenden Elite dienen.

Der Krieg gegen Libyen war Teil eines neuen Wettlaufs um Afrika. Fast alle imperialistischen Mächte Europas – Frankreich, Spanien und Großbritannien – sowie Australien und Kanada – unterstützten den Krieg als Mittel, ihre eigenen Interessen in der Region durchsetzen zu können, darunter auch Italien, das Libyen als Kolonie regiert hatte.

Im Laufe der sechsmonatigen Militäraktion, die umfassende Bombenangriffe, den Aufbau und die Bewaffnung eines Rates von imperialistischen Marionetten in Bengasi und wechselhafte Bodenkämpfe umfasste, bis das Gaddafi-Regime endgültig zusammenbrach, entlarvte die WSWS die barbarischen Verbrechen, die im Namen der Demokratie begangen wurden, und die räuberischen Motive der imperialistischen Mächte. Der Libyenkrieg fand im Oktober seinen Höhepunkt in der Ermordung Gaddafis und von Mitgliedern seiner Familie.

Pseudolinke und liberale Gruppen in ganz Europa und den USA, darunter die deutsche Linkspartei und die Grünen, die französische NPA, die italienischen Ex-Stalinisten, die katalanischen Grünen in Spanien und die New Democratic Party in Kanada, unterstützen den Krieg und erklärten, der Luftkrieg der USA und der Nato sei notwendig, um das libysche Volk zu schützen und die Demokratie zu fördern.

Die WSWS verurteilte die Versuche dieser Gruppen, den imperialistischen Krieg gegen Libyen als Fortsetzung der Massenrevolten in Tunesien und Ägypten darzustellen. Die WSWS schrieb über eine Konferenz der NPA mit ihren Schwesterparteien aus dem Mittelmeerraum:

Während die Arbeiter in Nordafrika den politischen Kampf gegen diktatorische Regimes aufnehmen, wird der soziale Inhalt einer derartigen Orientierung immer deutlicher. Sie ist bürgerlich und konterrevolutionär. Sie verteidigt die grundlegenden Klasseninteressen der Kapitalisten und des Imperialismus gegen die Gefahr, dass eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse die unterdrückten Massen führt.

Von besonderer Bedeutung war eine Polemik zwischen der WSWS und Professor Juan Cole von der Universität von Michigan, der während der Bush-Regierung ein prominenter liberaler Kritiker des Irakkrieges gewesen war, sich aber zum Unterstützer des Krieges in Libyen unter der Obama-Regierung entwickelt hatte. Am 27. März veröffentlichte Cole einen „offenen Brief an die Linken“, in dem er erklärte, die Linken sollten es vermeiden, „ausländische Interventionen zu einem absoluten Tabuthema zu machen.“

In dem Artikel „Libyen, Imperialismus und die Kapitulation der ‚linken‘ Intellektuellen: Der Fall des Professors Juan Cole“ schrieb die WSWS, dass Cole eine Schicht von Intellektuellen repräsentiert, die sich durch das Medium der Obama-Regierung mit imperialistischem Krieg ausgesöhnt hat.

Eines der auffälligsten Merkmale des Nato-Krieges gegen Libyen war die allgemeine Unterstützung für diesen „selbst gewählten Krieg“ von linksliberalen Parteien und dem bessergestellten kleinbürgerlichen Milieu, aus dem sich ihre Anhänger rekrutieren. Die liberalen benutzen den Vorwand der „Menschenrechte“ – die heuchlerischste und betrügerischste aller Rechtfertigungen für imperialistische Kriege – um diesen Krieg zu ihrem Krieg zu machen. Man hätte denken können, der Imperialismus hätte sich zum ersten Mal in seiner Geschichte auf „Menschenrechte“ und Demokratie berufen, um seine räuberischen Interessen zu rechtfertigen!

Cole griff die WSWS öffentlich auf seinem vielgelesenen Weblog Informed Comment an und setzte die Ablehnung des Nato-Krieges mit Unterstützung für Gaddafi gleich. In einem offenen Brief und einem Kommentar zu Coles Antwort auf die Kritik der WSWS erklärte Bill Van Auken die Rolle der liberalen und pseudolinken Elemente als Deckmantel und Rechtfertigung für imperialistische Kriege. In einer direkten Botschaft an Cole kritisierte Van Auken seine Weigerung, die tatsächlichen materiellen Interessen zu untersuchen, die in dem Krieg auf dem Spiel standen:

Ihre Überzeugung, die Obama-Regierung handele nur aus der altruistischen Absicht, libysche Zivilisten zu retten, wurde in keiner Weise dadurch beeinträchtigt, dass die selbe Regierung gleichzeitig Krieg gegen die Zivilbevölkerungen von Afghanistan und Pakistan führt und Unterdrückung der Massen in Bahrain durch die Saudis ebenso verteidigte wie die Ermordung von Palästinensern durch Israel.

Sie lehnten rundheraus die Möglichkeit ab, dass Washington und die westeuropäischen Mächte die Ereignisse in Libyen als Vorwand für eine Militärintervention nutzen, die das Ziel hat, direktere und uneingeschränkte Kontrolle über die beachtlichen Erdölreserven des Landes und den weltweiten Ölmarkt zu erlangen.

Dieser Krieg wurde unter dem Vorwand begonnen, libysche Zivilisten zu schützen, aber durch ihn wurden Tausende von Männern, Frauen und Kindern getötet oder verletzt, die Infrastruktur des Landes zerstört und wirtschaftliches Leid über die Region gebracht, da hunderttausende von ausländischen Arbeitern fliehen mussten, viele von ihnen starben dabei.

Während die US-Regierung in Libyen Luftangriffe befahl und in Syrien politische Subversion betrieb, vernachlässigte sie ihre Kriege im Irak, in Afghanistan und Pakistan ebenso wenig wie ihre Provokationen gegen den Iran. Luftangriffe, die regelmäßig dutzende von zivilen Todesopfern forderten, wurden von den Medien ignoriert.

Im Lauf des Jahres nahmen die Angriffe amerikanischer Soldaten und Drohnen in Pakistan zu und führten zu Massenprotesten. Im März erpresste Washington die pakistanische Regierung, einen CIA-Mitarbeiter ohne Gerichtsverfahren freizulassen, der auf einem Markt in Lahore zwei pakistanische Jugendliche erschossen hatte.

Der Irakkrieg wurde offiziell beendet, der Abzug fast aller US-Truppen Ende 2011 war jedoch nicht das Ende der amerikanischen Kontrolle über das Land. Die WSWS zog in mehreren Kommentaren Bilanz über den achtjährigen Krieg und seine Auswirkungen auf den Irak, seine Bevölkerung und die Region.

Ein amerikanischer Zerstörer im Mittelmeer schießt während Operation Odyssey Dawn eine Tomahawk-Rakete auf Libyen ab
Die Morde an bin Laden und al-Awlaki und der Angriff auf demokratische Rechte

Die Verschärfung der tödlichen Krise der Demokratie, deren Zentrum in den USA lag, war untrennbar verbunden mit Militarismus und zunehmender sozialer Ungleichheit. Die Obama-Regierung untergrub bei jeder Gelegenheit, die grundlegendsten Verfassungsprinzipien und maßte sich selbst das Recht an, überall auf der Welt Menschen töten zu dürfen, selbst amerikanische Staatsbürger.

Im Mai organisierten die USA die Ermordung von Osama bin Laden und mehrerer anderer Personen. Anfängliche Medienberichte, laut denen bin Laden bewaffnet war und bis zum bitteren Ende gekämpft habe, wurden später als Erfindungen entlarvt, vielmehr wurde er regelrecht hingerichtet. Danach wurde seine Leiche fortgebracht und heimlich im Meer bestattet.

Die Umstände seiner Ermordung unterstrichen die undurchsichtige Beziehung zwischen Al Qaida und dem US-Imperialismus. Der saudische Millionär bin Laden wurde in den 1980er Jahren im Krieg der afghanischen Mudschaheddin gegen die pro-sowjetische Regierung als Kämpfer rekrutiert. Der Krieg wurde von der CIA gelenkt. Später verbündete er sich mit den Taliban, die Afghanistan mit offener Unterstützung des pakistanischen Militärs und stillschweigender Unterstützung Washingtons regierten. Er wurde nicht in einer Höhle aufgespürt, sondern in einem exklusiven Anwesen in einer Stadt, die nur 40 Meilen vom Hauptquartier des pakistanischen Militärs entfernt liegt. Die WSWS kommentierte: „Das ist, als ob ein Flüchtiger sich in der Nähe einer Polizeistation versteckt.“

Bin Ladens Tod beleuchtete die Krise der amerikanischen Demokratie. Eine Perspektive von David North wies darauf hin, dass die Versuche der Obama-Regierung, in der Bevölkerung Begeisterung über die Ermordung zu schüren, nur von geringem Erfolg gekrönt waren. Die liberalen Medien reagierten auf jeden Zweifel an der Ermordung mit wütenden Verurteilungen. Maureen Dowd schrie auf den Seiten der New York Times: „Ich will Erinnerung, Gerechtigkeit und Rache... Die wirklich hirnverbrannte Annahme hinter einigen Zweifeln ist, dass die Tötung Osamas uns irgendwie mit Osama gleichsetzt, als ob alles Töten auf einer Stufe stünde.“ North erklärte hierzu:

Dowd hat die Ironie ihrer Bemerkung nicht einmal bemerkt. Mord ist in der Tat eine sehr außergewöhnliche und illegale Art des Tötens. Ihre Ausübung durch den Staat – und insbesondere die Vereinigten Staaten – hat weitreichende politische Folgen, denn der Akt selber gilt als die extremste Verletzung demokratischer und juristischer Normen. Die Verstrickung der USA in politische Morde in den 1960ern war Teil einer Reihe illegaler Aktionen, die zur umfassenden Kriminalität der Nixon-Administration beitrugen und zu ihrer Verletzung demokratischer Rechte in den USA führte.

Endlose Gewalt, Verstöße gegen das Gesetz und Unterdrückung der Demokratie: das sind die reaktionären Kennzeichen des heutigen amerikanischen Kapitalismus.

Nach bin Laden fand die Obama-Regierung ein neues Ziel, diesmal einen amerikanischen Staatsbürger. Kaum dass bin Ladens Tod bestätigt wurde, startete das US-Militär einen Drohnenangriff im Jemen. Der Jemen ist ebenfalls ein Land, das als „Verbündeter“ der USA gilt, aber trotzdem immer wieder militärisch angegriffen wird. In diesem Falle war das Ziel die Ermordung des amerikanischen Staatsbürgers Anwar al-Awlaki, eines muslimischen Geistlichen, der nach den Anschlägen vom 11. September das Pentagon beraten hatte, danach jedoch radikal antiamerikanische Predigten in Englisch hielt, die im Internet veröffentlicht wurden.

Der Angriff schlug fehl, stattdessen kamen zwei andere Männer ums Leben, aber es war das erste Mal, dass offen zugegeben wurde, dass ein amerikanischer Bürger Opfer einer „gezielten Tötung“ werden sollte. Der nächste Angriff war erfolgreich; al-Awlaki und ein weiterer amerikanischer Bürger namens Samir Khan wurden getötet. Wie schon bei der Ermordung von bin Laden übernahm Obama auch diesmal öffentlich die Verantwortung für die Tötung und kündigte ihren Erfolg bei einer Pressekonferenz vor dem Weißen Haus an.

Die WSWS verurteilte in einem Kommentar mit dem Titel „Obamas weltweite Mord-GmbH,“ der zum Jahresende erschien, die zunehmende Anwendung von Drohnen und die offizielle Politik staatlich sanktionierter Morde.

Die staatlich geschützten außergerichtlichen Tötungen sind eine Metastase des „weltweiten Kriegs gegen den Terror“, eine Eskalation internationaler Kriminalität, in deren Rahmen zwei Angriffskriege geführt und unbeschränkte Haft und Folter angewandt wurden. Er ist eine der zentralen Komponenten der amerikanischen Militärpolitik geworden, darunter auch beim Libyenkrieg, der mit der Ermordung Muammar Gaddafis unter Beihilfe der USA endete. Obama nannte die rechtswidrige Ermordung von Osama bin Laden zum Höhepunkt seiner Präsidentschaft.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Regierung diese fliegenden Mordroboter gegen Amerikaner einsetzen würde. Im September wurde Anwar al-Awlaki auf Befehl der Obama-Regierung getötet, später wurden zwei weitere amerikanische Staatsbürger von Drohnen getötet, einer davon war Awlakis sechzehnjähriger Sohn.

Die WSWS veröffentlichte einen umfassenden Essay über die rechtliche Problematik von al-Awlakis Ermordung. Wir stellten das Ereignis in seinen historischen Kontext und schrieben:

Letzten Endes überschreitet die Obama-Regierung mit der Ermordung von al-Awlaki unwiderruflich einen politischen, juristischen und moralischen Rubikon. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die Politik der außergerichtlichen Morde an amerikanischen Staatsbürgern die grundlegenden Errungenschaften der Amerikanischen Revolution in Frage stellt.

Der Vorwurf des „Terrorismus“ war weiterhin die Grundlage für Angriffe der US-Regierung auf demokratische Rechte im In- und Ausland. Die USA verschärften ihre Anstrengungen, die Überstellung von WikiLeaks-Gründer Julian Assange zu erreichen, um ihn in den USA wegen Spionage vor Gericht zu stellen, wofür ihm möglicherweise die Todesstrafe droht.

Im Februar verurteilte die WSWS die Beihilfe britischer Gerichte zur Auslieferung Assanges an Schweden unter dem haltlosen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs. Assange wäre in Schweden im Gefängnis gelandet, von wo aus er in amerikanische Haft hätte überstellt werden können. Wir wiesen auf die Kehrtwende der liberalen und pseudolinken Presse angesichts der Sexvorwürfe hin, mit denen die Vendetta der USA gegen WikiLeaks gerechtfertigt wurde.

Die WSWS setzte sich auch für den Soldaten Bradley Manning ein, der angeklagt war, weil er WikiLeaks Dokumente zur Verfügung gestellt hatte. Wir verurteilten Obama dafür, dass er öffentlich gebilligt hatte, wie Manning in einem Militärgefängnis behandelt wurde. Er  wurde dort in Einzelhaft gehalten, litt unter Schlafentzug und war gezwungen, lange Zeit nackt zu verbringen, was von Menschenrechtsgruppen als eine Form von Folter angesehen wird.

Die WSWS forderte, Manning freizulassen und alle Anklagepunkte fallenzulassen und warnte, dass die Entschlossenheit der US-Regierung, ihn wegen Kapitalverbrechen anzuklagen, darauf abzielte, an jedem ein Exempel zu statuieren, der die Verbrechen des amerikanischen Imperialismus enthüllen wollte.

Die Obama-Regierung setzte die Praxis der zeitlich nicht begrenzten Militärhaft fort, die unter ihrer Vorgängerin begonnen worden war, behielt das Gefängnislager Guantanamo offen und ordnete die Wiederaufnahme der Militärgerichtsverfahren gegen die dortigen Gefangenen an. Obama unterzeichnete die Verlängerung des Patriot Act und unterstützte die Verabschiedung des National Defense Authorization Act, mit dem der Kongress erstmals ausdrücklich die unbegrenzte Militärhaft von amerikanischen Staatsbürgern und Ausländern auf Anordnung des Präsidenten billigte.

Mitglieder der US-Regierung beobachten den Überfall auf Osama bin Ladens Anwesen
Obamas „Schwerpunktverlagerung“ auf Asien

Eine der bedrohlichsten Entwicklungen, die die WSWS im Jahr 2011 analysierte, war die „Schwerpunktverlagerung“ der Obama-Regierung auf Asien, eine verantwortungslose und provokante diplomatische, wirtschaftliche und militärische Strategie, mit der sie Chinas Aufstieg zur Weltmacht eindämmen, den historischen wirtschaftlichen Niedergang des US-Imperialismus ausgleichen und ihre internationale Dominanz wiederherstellen wollte. 

Eine wichtige Verbündete in dieser Kampagne war die australische Premierministerin Julia Gillard, die Mitte 2010 durch einen auf Washingtons Betreiben hin inszenierten Putsch innerhalb der Labor Party gegen den damaligen Premierminister Kevin Rudd an die Macht gekommen war. Im März 2011 sprach Gillard vor einer gemeinsamen Sitzung des amerikanischen Kongresses. Es war erst das dritte Mal, dass einem australischen Regierungschef diese Ehre zuteil wurde. Daran zeigte sich ihr Status als wertvolle Unterstützerin des US-Imperialismus.

Die herrschenden Eliten der pazifischen Region standen, wie die in Australien, vor dem Problem, einen Ausgleich zwischen ihren wachsenden Wirtschaftsbeziehungen mit China und den strengen Forderungen des US-Imperialismus zu finden. Washington schürte vorsätzlich eine Reihe von Konflikten zwischen China und seinen Nachbarstaaten. Dabei ging es um Streitigkeiten um Inseln  und Korallenriffe im Süd- und Ostchinesischen Meer, um Länder wie Vietnam, die Philippinen und Japan enger an die USA zu binden.

Im März kam es zu einer Konfrontation zwischen den Philippinen und China, als ein philippinisches Schiff auf der Suche nach Erdöl in den umstrittenen Reed Banks im Südchinesischen Meer angeblich von chinesischen Patrouillenbooten belästigt wurde. Im Mai fuhren amerikanische Kriegsschiffe unter Führung des Flugzeugträgers USS Carl Vinson nach Manila und Hongkong. Das war eine eine eindeutige Machtdemonstration, um die „Freiheit der Seewege“ für den US-Imperialismus zu bekräftigen. Zwischen Vietnam und China kam es wegen der Suche nach Erdöl in der gleichen Region zu einem Streit. Im Oktober stieß ein Kanonenboot der philippinischen Marine in umstrittenen Gewässern mit einem chinesischen Fischereischiff zusammen.

Jeder dieser Zwischenfälle hatte das Potential, in einen heißen Krieg auszuarten. Das unterstrich, die Verantwortungslosigkeit aller beteiligten Parteien, aber besonders des US-Imperialismus. Auf dem Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation im November in Honolulu, verlangte Obama von China Maßnahmen in einer ganzen Reihe von Wirtschafts- und Handelsfragen, sonst müsse es mit Vergeltung rechnen. Er schlug die Transpazifische Partnerschaft vor, die den regionalen Handel zu den Bedingungen Washingtons regeln sollte. Auf dem Ostasiengipfel auf der indonesischen Insel Bali im gleichen Monat erzwang Obama gegen den Widerstand Chinas mit Unterstützung südostasiatischer Länder eine Diskussion über das Südchinesische Meer.

Dieser Kurs fand seinen Höhepunkt in einer Rede Obamas in der australischen Hauptstadt Canberra, wo er die Stationierung von US-Marines in Nordaustralien und eine stärkere Nutzung australischer Luftwaffen- und Marinestützpunkte ankündigte. Das ist die größte Stärkung des militärischen Einflusses der USA in Asien seit dem Ende des Vietnamkrieges.

Die Grundsatzrede, die Obama am 17. November vor einem begeisterten australischen Parlament hielt, machte seine neue außenpolitische Ausrichtung auf Asien deutlich. Nach zehn Jahren Krieg im Irak und in Afghanistan „wenden wir unsere Aufmerksamkeit jetzt dem enormen Potenzial in der asiatischen Pazifikregion zu“, erklärte Obama: „Während wir für die Zukunft planen, werden wir die notwendigen Ressourcen bereitstellen, um unsere starke Militärpräsenz in dieser Region aufrechtzuerhalten... Da wir weiterhin Interessen in der Region haben, werden wir auch weiterhin präsent sein. Die Vereinigten Staaten sind eine Pazifikmacht, und wir bleiben hier.“

„Es soll also niemand daran zweifeln: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind im 21. Jahrhundert im asiatischen Pazifik aktiv.“

Diese Offensive sorgte in Peking für Unruhe und führte zur Beschleunigung der Entwicklung einer Hochseemarine zum Schutz der wichtigen Handelsrouten. Ein Kommentar in den offiziellen chinesischen Medien erklärte: „Für China ist die Straße von Malakka eine lebenswichtige Arterie für seine Ölversorgung. Darwin liegt in der Nachbarschaft der Straße von Malakka und der internationalen Schifffahrtswege im Indischen Ozean. Die amerikanischen Truppenentsendungen zielen unzweifelhaft auf die Kontrolle über diesen Flaschenhals der chinesischen Energieversorgung.“

Obama inspiziert australische Truppen
Die soziale und politische Krise in Asien und dem Pazifik

Am 11. März erschütterte ein schweres Erdbeben mit einer Stärke von 9.0 auf der Richterskala die japanische Pazifikküste. Es löste einen Tsunami aus, der die ostjapanische Küste überschwemmte und fast 16.000 Todesopfer forderte. Unmittelbar nach der Katastrophe kam es in dem Atomkraftwerk Fukushima Daiichi zu einer Krise, die schnell eskalierte, als die vom Tsunami beschädigten Notstromsysteme ausfielen, wichtige Kühlsysteme abschalteten und eine Woche nach dem Tsunami eine vollständige Kernschmelze eintrat.

Die WSWS berichtete fast täglich über die dreifache Katastrophe. Unter anderem veröffentlichte sie den Bericht eines Korrespondenten in Tokio und eine Auswertung der Schäden, die durch den Tsunami entstanden waren. Wir beschrieben das Vorgehen der Tokyo Electric Power Corporation (TEPCO), der das Kernkraftwerk Fukushima gehörte und von der japanischen Regierung unter Premierminister Naoto Kan unterstützt wurde. Das Unternehmen versuchte, seine Investitionen zu schützen und weigerte sich, die Reaktoren mit Meereswasser zu kühlen. Die Berichterstattung wurde vervollständigt durch eine umfassende historische Analyse, der Ursprünge der japanischen Atomindustrie, die in der Entschlossenheit der herrschenden Elite begründet war, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, obwohl die Gefahren des Betriebs von Atomkraftwerken in einer Region bekannt waren, die anfällig für Erdbeben und Tsunamis ist. 

Die WSWS betonte in zwei wichtigen Perspektiven („Was bedeutet die Katastrophe in Japan?“ und „Wer ist für die Nuklearkatastrophe in Japan verantwortlich?“), dass zwar das Erdbeben und der daraus entstandene Tsunami auf das Zusammenstoßen von tektonischen Platten zurückgingen, die Atomkatastrophe von Fukushima jedoch ein Produkt des Kapitalismus war und die Leichtsinnigkeit und Verantwortungslosigkeit der herrschenden Wirtschaftselite zeigte, nicht nur der japanischen, sondern der auf der ganzen Welt.

Es gab noch weitere wichtige Entwicklungen in Südasien. In Indien erlitt die Linksfront, die von den Stalinisten dominiert wird, in Westbengalen eine Wahlniederlage. In Nepal  wurde am 28. August inmitten einer langen Verfassungskrise ein hochrangiger Führer der Maoisten als Premierminister eingesetzt.

In Australien begann das Jahr mit den schwersten Überschwemmungen im Bundesstaat Queensland in der Geschichte des Landes. Sie forderten 33 Todesopfer, ein Großteil des Bundesstaates und dessen Hauptstadt Brisbane wurden überschwemmt. Die Berichterstattung umfasste Reportagen vor Ort und Videoberichte. Die Socialist Equality Party erklärte in einer Stellungnahme, dass die Katastrophe auch ein Versagen der Regierung und des Profitsystems darstellte.

Im Dezember hatte das Oberste Gericht von Australien die Anklage gegen den ehemaligen Generalbundesanwalt der Salomonen, Julian Moti, wegen angeblichem sexuellem Missbrauch endgültig abgewiesen. Sie war von der konservativen Howard-Regierung in die Wege geleitet und von seinen Nachfolgern, den Labor-Regierungen von Rudd und Gillard fortgeführt worden. Damit endete Canberras gnadenlose, vier Jahre andauernde Vendetta gegen den Anwalt für internationales- und Verfassungsrecht, die von der WSWS in jedem Stadium sorgfältig analysiert und entlarvt worden war.

Moti war von der australischen und amerikanischen Regierung als Gefahr für die neokoloniale Regional Assistance Mission to Solomon Islands (RAMSI) und ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen auf den Salomonen und in der ganzen asiatischen Pazifikregion ausgemacht worden. Er schien ihnen vor allem ihren Widerstand gegen den wachsenden Einfluss Chinas zu behindern. Nachdem die australischen Medien zuerst eine Verleumdungskampagne gegen Moti begonnen hatten, berichteten sie fehlerhaft und verzerrt über den Rechtsstreit. Das ganze pseudolinke Milieu machte sich durch sein Schweigen über die Hexenjagd der Regierung und der Medien zu Lakaien der Labor-Regierung und der imperialistischen Interessen Australiens.

In Indien erlitt die Linksfront-Regierung des Bundesstaates Westbengalen, die von den Stalinisten dominiert wurde, eine Wahlniederlage, nachdem sie offen investorenfreundliche Reformen durchgeführt und Unruhen der Bauern durch Polizei und Schläger unterdrückt hatte. Ferner sprachen indische Gerichte in einem Schauprozess 31 Moslems für schuldig an dem Brand in einem Zug, der im Jahr 2001 in Gujarat ein Pogrom gegen Moslems ausgelöst hatte. In Nepal wurde am 28. August inmitten einer langen Verfassungskrise ein hochrangiger Führer der Maoisten als Premierminister eingesetzt.

Schäden nach dem Tsunami in Japan
Die Occupy Wall Street-Proteste

Die Occupy Wall Street-Bewegung in den USA begann am 17. September mit der Besetzung des Zuccotti-Parks im New Yorker Finanzdistrikt Wall Street. Eine Woche später verhaftete die Polizei mehr als 700 Demonstranten, die über die Brooklyn Bridge marschierten. Nur wenige Tage nach diesen Angriffen breitete sich die Occupy-Bewegung in den gesamten Vereinigten Staaten und weltweit aus. In fast allen Großstädten der Welt wurden Proteste organisiert und Lager aufgebaut.

Die Occupy-Bewegung traf bei großen Teilen der Arbeiterklasse auf Sympathie. Mit dem Slogan „Wir sind die 99 Prozent“  appellierte sie an den Widerstand der Massen gegen die außergewöhnlich große soziale Ungleichheit in Amerika und der ganzen Welt.

Allerdings war die soziale und politische Perspektive der Führung der Proteste – darunter anarchistische Organisationen aus dem Umfeld des kanadischen Magazins Adbusters, die ursprünglich zu den Protesten aufgerufen hatten – der Arbeiterklasse fundamental feindselig gesonnen. In der Parole „99 Prozent“ verbarg sich bereits ein Versuch, die tiefe soziale Kluft zwischen der Arbeiterklasse und den privilegierten Schichten des Kleinbürgertums zu verbergen, für das diese Gruppen sprachen. Die Parolen „keine Politik“ und „keine Führung“ sollten einen politischen Kampf gegen die Demokratische Partei verhindern.

Die Perspektive der Organisatoren der Occupy-Bewegung traf sich mit der Agenda der Gewerkschaften und der Organisationen rund um die Demokratische Partei, die schnell handelten, um sicherzustellen, dass sich die Bewegung nicht zu einem wirklichen Kampf gegen das wirtschaftliche und politische Establishment entwickelte. AFL-CIO-Präsident Richard Trumka, ein Anhänger der Obama-Regierung, erklärte seine Unterstützung und die Gewerkschaften beteiligten sich an Occupy-Kundgebungen. Im Oktober warnte die WSWS: 

Viele der Gruppen, die sich an den Demonstrationen beteiligten, haben sich den Ansichten der Indignados in Spanien und Griechenland angeschlossen, es solle „keine Politik“ und keine Führung geben. Die Forderung „keine Politik“ bedeutet die Ablehnung einer prinzipiellen und kohärenten Alternative zur bürgerlichen Politik und dem kapitalistischen Zweiparteiensystem, das heißt die Ablehnung sozialistischer Politik. Sie spielt den Demokraten in die Hände, die das politische Vakuum füllen werden.

Pseudolinke Organisationen wie die International Socialist Organization hatten in die Proteste eingegriffen, um Unterstützung für die Gewerkschaften zu mobilisieren und Identitätspolitik zu propagieren, mit der sie die grundlegenden Klassenfragen überdecken wollten. Das Aufzeigen von sozialer Ungleichheit, selbst in verwirrter Form rief Besorgnis, bei Gruppen wie der ISO hervor, die, wie WSWS schrieb:

...seit Jahrzehnten von Politik, die sich auf Geschlechterfragen und Ethnien bezieht, lebten und gestärkt wurden. Das ist nicht bloß eine ideologische Frage. Diese Art gesellschaftlicher Aktivität ist eine eigene Branche, die mit Instituten an Universitäten, Werbefirmen, Magazinen und andere Publikationen, Think Tanks und Forschungsbetrieben, etc. verbunden ist. Viele Millionen Dollar stehen dabei auf dem Spiel.

Die Unterstützung der Occupy-Bewegung seitens der ISO lief von Anfang darauf hinaus, die Proteste erbarmungslos in die Hände der reaktionären Gewerkschaftsbürokratie und ins Milieu der Identitätspolitik zu treiben. Dies geschah im Namen einer „Verbreiterung“ des Protests. Das bewusste Ziel war es, die Bewegung entweder zu unterdrücken oder in eine Erweiterung dieser verschiedenen Flügel der Demokratischen Partei zu verwandeln.

Die Strategie, den Widerstand innerhalb des politischen Systems zu halten, ging einher mit einer Welle von Verhaftungen und Polizeiaktionen. Tatsächlich wurden die Proteste als Gelegenheit gesehen, Unterdrückungsmaßnahmen auszuprobieren. Die Proteste wurden systematisch und koordiniert von der Polizei angegriffen. Demokratische Bürgermeister wie Rahm Emanuel (Chicago) und Jean Quan (Oakland, Kalifornien) standen dabei an der Spitze.

In „Occupy-Bewegung am Scheideweg“ schrieb die WSWS, die Unterdrückung „macht die fundamentalen politischen Fragen, die von den Protesten aufgeworfen wurden, noch drängender, vor allem die Notwendigkeit eines politischen Kampfes gegen die Obama-Regierung, die Demokratische Partei und den kapitalistischen Staat. Obwohl sie Massenverhaftungen durchführen lässt, versuchen die Demokratische Partei und ihre Anhängsel – die Gewerkschaften, verschiedene „linke“ Organisationen der Mittelschicht und akademische Berühmtheiten – weiterhin, die Proteste zur Unterstützung von Obamas Wahlkampf zu nutzen.“

Im Laufe des Novembers wurden die Zeltlager der Demonstranten von der Polizei umstellt, durchsucht oder einfach aufgelöst. Die WSWS verurteilte dies als „Kriminalisierung von Protesten“. Das gewaltsame Vorgehen fand seinen Höhepunkt in der Räumung des ursprünglichen Occupy Wall Street-Zeltlagers im Zuccotti-Park in New York auf Anweisung von Bürgermeister Michael Bloomberg. Er hatte dabei die volle Unterstützung des demokratisch kontrollierten Stadtrats und der Medien.

Bei einem der brutalsten Vorfälle, der aufgenommen wurde und im Internet große Verbreitung fand, sprühten Polizisten Studenten der Universität von Kalifornien in Davis, die einen friedlichen Sitzstreik veranstalteten, Pfefferspray direkt in die Gesichter. Die International Students for Social Equality, die Jugend- und Studentenorganisation der SEP, verurteilte diesen Angriff in einer Stellungnahme.

Auf dem Campus in Davis gingen die Proteste weiter, die Studenten nahmen eine Resolution an, die von einem Unterstützer der ISSE verfasst wurde und zum Bruch mit der Demokratischen Partei und dem Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung auf Grundlage der Arbeiterklasse aufrief.

Occupy-Demonstranten in New York City
Der Angriff auf die Arbeiterklasse in den USA und Kanada

Im Lauf des Jahres inszenierten die Obama-Regierung und die Republikaner einen Kampf zwischen ihren Parteien, um zu verbergen, dass beide die grundlegenden Forderungen der Finanzelite unterstützten. Im Februar schlug das Weiße Haus Kürzungen in Höhe von einer Billion Dollar vor. Damit setzte es einen Mechanismus in Gang, bei dem jedes Zugeständnis an die Republikaner zu weiteren Forderungen nach der Zerstörung von Sozialprogrammen führte, darunter die offene Privatisierung von Medicare und die Zerstörung von Medicaid.

Im April begann die erste einer Reihe von inszenierten Krisen. Die Bundesregierung wurde fast eingestellt, da die Republikaner im Repräsentantenhaus die Genehmigung eines Haushaltes blockierten, der den Rest des Geschäftsjahres abdeckte. Erst in letzter Minute einigten sie sich mit dem Weißen Haus, das noch größere Kürzungen der Sozialausgaben hinnahm. Daraufhin schlug Obama in einer Rede, in der er seine Regierung zu Haushaltsdisziplin verpflichtete, weitere Kürzungen in Billionenhöhe vor.

Die WSWS untersuchte die Bedeutung dieses Konsenses zwischen den Parteien in einer Perspektive mit dem Titel „Die soziale Konterrevolution in Amerika und die Aufgaben der Arbeiterklasse“. Darin stellte sie die Angriffe auf Arbeitsplätze, Lebensstandard und Sozialleistungen in ihren historischen Kontext und zog den politischen Schluss, dass die Arbeiterklasse keine Alternative hat als den Kampf für den Sozialismus:

Die gesamte Logik der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung bringt die Arbeiterklasse in Konflikt mit dem kapitalistischen System und seinen politischen Vertretern.

Für die Arbeiter gibt es nur eine Lösung der Krise, wenn sie sich direkt dagegen wenden, dass die Wirtschaft den Profitinteressen der Bank- und Wirtschaftsgiganten untergeordnet bleibt. Die politischen Vertreter des Kapitalismus, die Demokraten und die Republikaner, verkünden, dass es keine Alternative zu einer drastischen Absenkung des Lebensstandards der großen Mehrheit der Bevölkerung gebe. Das ist in Wirklichkeit das Eingeständnis, dass ihr System völlig bankrott ist.

Die nächste inszenierten Krise, der Konflikt zwischen Obama und dem Sprecher des Repräsentantenhauses John Boehner über die Erhöhung der staatlichen Schuldenobergrenze, brachte weitere Haushaltskürzungen und Sparmaßnahmen mit sich. Sie begann bei einem Haushaltsgipfel im Weißen Haus, bei dem Obama erstmals anbot, die Mittel für Social Security zu kürzen.

Die WSWS stellte die Krise um die Schuldenobergrenze in einer Perspektive in ihren tatsächlichen Klassenkontext:

Die herrschende Elite ist dabei, den größten Raub an den arbeitenden Menschen in der Geschichte der USA zu begehen. Bei der Bankenrettung von 2008–2009 hat die Finanzaristokratie ihre faulen Schulden und ihre Verluste aus einem Jahrzehnt unverantwortlicher Spekulation auf die Regierung in Washington übertragen. Jetzt soll die Arbeiterklasse gezwungen werden, den Preis für die Plünderung der Staatsfinanzen durch die Wall Street mit der Zerstörung ihrer sozialen Errungenschaften zu bezahlen. Sie soll es hinnehmen, dass Medicaid und Medicare und andere soziale Programme im Bereich Bildung, Umwelt, Verkehr und Wohnraum zerschlagen werden.

Die Gespräche endeten am 2. August mit einer Einigung über die Schuldenobergrenze. Diese „setzt vernichtende Kürzungen bei lebenswichtigen Sozialprogrammen in Kraft, die Millionen von arbeitenden Menschen betreffen. Den Konzernen oder den Reichen dagegen wird nicht ein Cent an Steuererhöhungen aufgebürdet.“ Einen Monat später veröffentlichte das Weiße Haus einen Plan, laut dem die Ausgaben in den nächsten zehn Jahren um vier Billionen Dollar gekürzt werden sollen, und verschob die „Haushaltsdebatte“ noch weiter nach rechts.

Die herrschende Klasse in Kanada setzte ähnliche Methoden ein. In der kanadischen Wirtschaft gab es große Unterstützung für einen Wahlsieg Premierminister Stephen Harpers und seiner Konservativen bei der Wahl am 2. Mai.  Die einflussreichste Tageszeitung des Landes, die Globe and Mail, unterstützte die Konservativen. Sie lobte Harpers „Hartnäckigkeit“, d.h. seine Bereitschaft, die Ziele des Klassenkampfes der Bourgeoisie mit undemokratischen Methoden zu erreichen.

Die sozialdemokratische New Democratic Party (NDP), die den rechtesten Wahlkampf ihrer Geschichte betrieben hatte, reagierte auf ihre Rolle als offizielle Opposition, wie zu erwarten war, mit einem weiteren Rechtsruck. Unter anderem unterstützte sie vorbehaltlos die Ausweitung von Kanadas Rolle im Nato-Krieg gegen Libyen.

Die Konservativen beeilten sich, ihre neue Mehrheit zu nutzen, um den Angriff auf die Arbeiterklasse zu verschärfen. In den Wochen unmittelbar nach der Wahl kriminalisierten sie die Streiks bei Canada Post und Air Canada, um die Forderungen der Arbeitgeber nach Rentenkürzungen und anderen Zugeständnissen durchzusetzen.

Barack Obama und John Boehner beim Handschlag kurz vor Obamas Rede zur Lage der Nation
Andere wichtige Entwicklungen

Im Januar warf eine Bluttat Licht auf die sozialen Verhältnisse in Amerika. Ein Amokschütze eröffnete das Feuer auf die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords, als diese sich vor einem Supermarkt in Tucson, Arizona, mit Wählern traf. Sechs Menschen kamen dabei ums Leben, Giffords wurde schwer verwundet. Die verwirrten politischen Ansichten des Schützen Jared Lee Loughner waren eindeutig von den Konzepten der Ultrarechten beeinflusst.

Wichtiger war jedoch, wie ein Kommentar der WSWS festhielt, dass die Ursprünge seiner geistesgestörten Tat in der sozialen Krise lagen, die den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung zerstörte und die Zukunftsaussichten der jungen Generation trübte:

Die Unzufriedenheit staut sich unaufhaltsam auf und sucht einen Ausweg. Wenn sie keinen fortschrittlichen und optimistischen Weg in Form kollektiv organisierten Klassenkampfs finden kann, dann kommt es zum bösartigen Ausbruch verzweifelter Einzelpersonen. Teile der Gesellschaft, und zwar nicht nur psychologisch gestörte, werden für die Demagogen der extremen Rechten empfänglich, die immer Zugang zu Finanzhilfen der Wirtschaft und zu Publicity haben.

Im Mai wurde der Direktor des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, in New York wegen angeblicher Vergewaltigung verhaftet. Seine Verhaftung löste ein Trommelfeuer der Medien aus, allen voran der New York Times, die Strauss-Kahns Schuld schon durch die Anschuldigung selbst für erwiesen hielten.

Ein Kommentar der WSWS wies auf die grundlegenden Fragen demokratischer Rechte und der Unschuldsvermutung in dem Fall hin:

Mit seiner Klassenstellung, seinen Privilegien und seinen gesellschaftlichen Ansichten steht Strauss-Kahn für alles, dem sich die World Socialist Website widersetzt. Aber er ist auch ein menschliches Wesen und hat damit Anspruch auf demokratische Rechte, einschließlich eines geordneten Rechtswegs und der Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils. Betrachtet man Strauss-Kahns Behandlung seit seiner Verhaftung und die Berichterstattung über den Vorfall in den amerikanischen Medien, so scheint es diese Vermutung dort nicht zu geben.

Innerhalb von sechs Wochen gab die Staatsanwaltschaft zu, dass die Antragstellerin mehrfach gelogen hatte, der Fall Strauss-Kahn brach zusammen, aber zu diesem Zeitpunkt war er bereits als Direktor des IWF zurückgetreten und hatte sich aus der offiziellen französischen Politik zurückgezogen. Wie zu erwarten war, reagierten das pseudolinke Milieu und der Liberalismus allgemein, die tief in Identitätspolitik verstrickt sind, auf die Affäre Strauss-Kahn auf übelste Weise und zeigten ihre Verachtung für grundlegende Fragen demokratischer Rechte. Die International Socialist Organization verurteilte das Ergebnis als „einen Fall, in dem das Rechtssystem die wohlhabende Elite schützt.“

Die WSWS schrieb dazu:

Die ISO thematisiert nicht die Frage demokratischer Rechte. Sie zeigt daran nicht das geringste Interesse und im ganzen Artikel sucht man vergebens danach. Auch nach den Begriffen „Unschuldsvermutung“, „Verfassung“ oder „perp walk“ hält man vergebens Ausschau. Jeder unvoreingenommene Mensch, der die Identität des Angeklagten außen vor lässt, muss diesen Fall als äußerst problematisch erkennen. Nicht so der Socialist Worker.

In Großbritannien kam es im Juli zu einem Skandal, als ans Licht kam, dass Journalisten und Polizisten, die für den Medienmogul Rupert Murdoch arbeiteten, in großem Umfang Telefone abgehört hatten. Der Skandal führte zur Verhaftung von Andy Coulson, eines ehemaligen Redakteurs einer von Murdochs Zeitungen, der später Pressesprecher von Premierminister David Cameron wurde.

Die WSWS berichtete ausführlich über den Skandal, der zeigte, dass der Eigentümer eines rechten Medienimperiums, das sich unermüdlich für „Law and Order“ einsetzte, in Wirklichkeit ein Unternehmen betrieb, dessen Modus Operandi Bestechung, Erpressung und Einschüchterung waren. Auch hochrangige Polizeibeamte waren darin verwickelt.

Wir sagten voraus, dass der Milliardär und seine Familie Immunität genießen würden. Vielleicht würden einige Untergebene angeklagt und einige politische Karrieren ruiniert. Diese Warnung bestätigte sich schnell durch die unterwürfige Befragung von Rupert Murdoch und seinem Sohn James vor Parlamentsausschüssen.

Im Juli verübte außerdem der rechtsradikale Fanatiker Anders Breivik eines der größten Massaker der jüngeren Weltgeschichte: er legte in Oslo eine Bombe und eröffnete danach auf der Insel Utoya das Feuer auf Jugendliche, die an einem sozialdemokratischen Sommerlager teilnahmen. Insgesamt kamen 87 Menschen ums Leben.

Die WSWS erklärte in einem von mehreren Kommentaren über die Tat:

Trotz – oder besser: wegen – Breiviks offen faschistischen Zielen und ultrarechten Verbindungen, bemühen sich die Medien, ihn als krankhaften Einzelgänger und Psychopathen darzustellen. Aber seine Ideen sind nicht die Ausgeburten des krankhaften Gehirns eines Einzelnen, sondern die Produkte einer kranken Gesellschaft.

Rettungsfahrzeuge vor dem Schauplatz der Schüsse auf Gabrielle Giffords
Die Arbeit des Internationalen Komitees

Die srilankische Sektion des Internationalen Komitees hielt vom 27. bis 29. Mai in Colombo ihren Gründungskongress ab, nachdem die amerikanische, australische, deutsche und britische Sektion dies bereits getan hatten. Die Resolution, die dort angenommen wurde, „Die historischen und Internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party (Sri Lanka)“ erklärte die wichtigsten strategischen Erfahrungen des Kampfes für den Trotzkismus auf dem indischen Subkontinent. Sie zog die wichtigen Lehren aus den Kämpfen, die in Sri Lanka und Südasien für die Perspektive der Permanenten Revolution ausgetragen wurden und erklärte vor allem, dass der Kampf für demokratische Grundrechte und angemessene Lebensbedingungen für die Massen nur unter Führung der Arbeiterklasse im Kampf für die sozialistische Revolution Erfolg haben könne. 

Die srilankische SEP setzte sich in der zunehmenden Welle von Kämpfen der Arbeiterklasse auf den Teeplantagen, in den Freihandelszonen und im öffentlichen Dienst, in der Elektro-, Telekommunikations- und Universitätsbranche, für diese Perspektive ein.

Im Dezember hielten die SEP und die ISSE eine öffentliche Versammlung in Colombo ab, auf der sie die Freilassung aller politischen Gefangenen forderten, die von der Regierung von Präsident Mahinda Rajapakse gefangen gehalten wurden. Darunter befanden sich mehr als 6.000 tamilische Gefangene, die noch zwei Jahre nach der Zerstörung der tamilischen Separatistenorganisation LTTE im Gefängnis saßen. Diese Kampagne wurde von dem Film- und Theaterregisseur Prasanna Vithanage unterstützt und fand unter Studenten der Universität Sri Jayewardenepura (J’pura) nahe Colombo großen Anklang.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale machte im Jahr 2011 noch einen wichtigen Fortschritt auf dem indischen Subkontinent: die pakistanische Gruppe Marxist Voice erklärte sich mit unseren Perspektiven einverstanden und nahm die Zusammenarbeit mit dem IKVI auf. Die Erklärung von Marxist Voice, die auf der WSWS veröffentlicht wurde, erläuterte eine revolutionäre Perspektive für die Arbeiter Pakistans und Südasiens.

In Australien trat die Socialist Equality Party im März mit vier Kandidaten zu den Bundesstaatswahlen in New South Wales an. Die Wahl endete mit einer Niederlage für die amtierende Labor Party. In der Wahlerklärung der SEP hieß es, die bedeutsamen sozialen und politischen Kämpfe, die im Nahen Osten und weltweit als Reaktion auf den Zusammenbruch der kapitalistischen Weltordnung stattfanden, seien Vorboten ähnlicher Ausbrüche in Australien.

Später im Lauf des Jahres organisierte die SEP große Konferenzen in Sydney und Melbourne mit dem Titel „Das Versagen des Kapitalismus und der Kampf für Sozialismus heute,“ auf denen drei Resolutionen angenommen wurden: „Der Zusammenbruch des Kapitalismus und die Aufgaben der Arbeiterklasse“, „Die wirtschaftliche und politische Krise in Australien und der Aufbau der SEP“ und „Die Jugend und der Kampf für den Sozialismus“.

In Europa führte die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) einen wichtigen Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus. Die PSG erklärte ihr historisches Programm und verurteilte die kapitalistische Politik der Linkspartei, die seit zehn Jahren zusammen mit der SPD das Bundesland regierte .

Die PSG stellte eine Wahlkampfwebseite ins Netz, mit der sie ihren Wahlkampf weit über Berlin hinaus ausdehnte und für eine europaweite Mobilisierung gegen die Diktatur der Banken und für den Aufbau des IKVI als sozialistischer Partei der Arbeiter aufrief, die den aufkommenden Kämpfen in ganz Europa eine revolutionäre Führung und Perspektive geben konnte. Um den internationalen Charakter ihres Wahlkampfes zu zeigen, veranstaltete die PSG eine Solidaritätskundgebung mit den britischen Jugendlichen, die nach den Unruhen vom August ins Fadenkreuz der Polizei geraten waren und verteilte mehr als eintausend Flugblätter.

Am 17. September hielt die PSG als Abschlussveranstaltung ihres Wahlkampfes in Berlin eine Europäische Arbeiterversammlung gegen Rassismus, Krieg und Sozialkahlschlag ab. Die Partei bekam 1687 Stimmen, dreimal so viel wie bei der letzten Wahl im Jahr 2006. Es war das höchste Ergebnis, das die Partei bis dahin in der Bundeshauptstadt erzielt hatte. Die WSWS schrieb, dass angesichts der zahlreichen Parteien, die in Berlin angetreten waren, die Stimmen für die PSG nicht nur ein Ausdruck allgemeiner Unzufriedenheit und Proteste waren, sondern vielmehr eine bewusste Entscheidung, ihr revolutionäres Programm zu unterstützen.

In den USA organisierte das Committee Against Utility Shutoffs, das in Detroit im Vorjahr auf Initiative der amerikanischen SEP gegründet worden war, am 12. März eine Demonstration gegen Stromsperren. Mehr als einhundert Menschen nahmen daran teil, darunter Bewohner des Stadtviertels, Lehrer, Angestellte im Gesundheitswesen, Arbeitslose, Rentner und Schüler.

Die Demonstration begann an dem Haus in der Dexter Avenue, in dem am 5. Januar 2010 drei Menschen durch ein Feuer ums Leben gekommen waren. Das CAUS organisierte die Demonstration und andere Versammlungen das ganze Jahr über, um den Kampf gegen Stromsperren mit dem weitergehenden Kampf der arbeitenden Bevölkerung der USA gegen die zunehmenden Angriffe auf ihren Lebensstandard durch Demokraten und Republikaner zu verbinden.

Die SEP und die International Students for Social Equality (ISSE) hielten im Frühjahr drei Regionalkonferenzen in den USA zum Thema „Der Kampf für den Sozialismus in der Gegenwart“ ab. Auf jeder dieser Konferenzen wurde diskutiert und eine Reihe von Resolutionen über die grundlegenden politischen Fragen angenommen, vor denen die Arbeiterklasse in den USA und international steht.

Im August griff die SEP aggressiv in einen Streik von 45.000 Verizon-Arbeitern gegen die Forderungen des Unternehmens nach massiven Zugeständnissen bei Löhnen, Arbeitnehmerschutz, Krankenversicherung und Renten ein. Die WSWS berichtete ausführlich über den Streik, unter anderem vor Ort aus Boston, New York City, dem Bundesstaat New York, Pittsburgh, Philadelphia und Washington DC. Die Arbeiter kritisierten die Einschüchterungsversuche des Unternehmens, das unter anderem Streikposten gerichtlich verbieten ließ und die Leistungen der Krankenversicherung einstellte. Die WSWS veröffentlichte außerdem Video-Interviews mit streikenden Arbeitern.

Die Communications Workers of America und die International Brotherhood of Electrical Workers versuchten den Streik von Anfang an, auf die Forderung nach Verhandlungen mit der Gewerkschaft zu beschränken. Wie die WSWS vorhergesagt hatte, verübten die Gewerkschaften einen schamlosen Verrat und brachen den Streik nach zwei Wochen ohne Tarifvertrag ab.

Protestveranstaltung der srilankischen Telekommunikations-Arbeiter
Das CAUS demonstriert in der Dexter Avenue
Die Entlarvung von Robert Service‘ Trotzki-Biografie

Im Jahr 2011 setzte die WSWS ihre Kampagne zur Verteidigung der historischen Wahrheit und gegen die Verleumdungen gegen Leo Trotzki fort. Diese Kampagne drehte sich hauptsächlich darum, die Verfälschungen und Angriffe auf Trotzkis Charakter zu widerlegen, die der britische Historiker Robert Service in einer umfangreichen Biografie begangen hatte, die im Jahr 2009 bei Harvard University Press erschienen war. Im Jahr 2010 gab die WSWS als Antwort David Norths auf Service das Buch Verteidigung Leo Trotzkis heraus.

Im Juni 2011 veröffentlichte der amerikanische Historiker Bertrand Patenaude in der renommierten Zeitschrift American Historical Review eine Bewertung der Bücher von Service und North, Er schrieb über Services Werk, es entspreche nicht einmal den „elementarsten Standards der Geschichtswissenschaft“; Norths Buch Verteidigung Leo Trotzkis bezeichnete er als „ausführlich, peinlich genau, gut dargelegt und verheerend in seiner Kritik.“

Patenaude schrieb: „Die Anzahl von sachlichen Fehlern in Services Buch ist, wie North es sagt, ‚erstaunlich‘. Ich habe mehr als vier Dutzend gezählt.“ Services Biografie sei „als Referenz völlig ungeeignet.“ Weiter hieß es, Service „schafft es nicht, auf Trotzkis politische Ideen in seinen Werken und Reden einzugehen. Es scheint auch, als habe er sie manchmal gar nicht zu verstehen versucht.“ Er beendete seine Besprechung mit der Stellungnahme: „North nennt Services Biografie eine ‚Schmiererei‘. Das ist ein hartes Wort, aber es trifft zu. Harvard University Press hat ein Buch drucken lassen, das den elementarsten Anforderungen an Geschichtswissenschaft nicht entspricht.“

Das Politische Komitee der amerikanischen SEP erklärte in einer Stellungnahme zur Veröffentlichung von Patenaudes Kritik:

Service sonnt sich im Lob reaktionärer Journalisten und nützt das zynische und intellektuell feige Klima aus, das in einem Großteil der akademischen Zirkel vorherrscht. Er nahm an, dass seine verleumderischen Verfälschungen von Trotzkis Leben und Ideen unwidersprochen bleiben würden. Und selbst wenn die trotzkistische Bewegung auf seine Lügen und Verdrehungen hinweisen würde, glaubte Service, würde niemand Notiz davon nehmen.

Aber Service machte den Fehler, anzunehmen, dass alle anderen auch so zynisch wären wie er. Und als schlechter Historiker konnte sich Service nicht vorstellen, dass veränderte objektive Bedingungen zu einem neuen Interesse am Leben und den Ideen von Trotzki und anderer großer marxistischer Revolutionäre des zwanzigsten Jahrhunderts führen würden. Bertrand Patenaude ist zwar weder Marxist, noch ist ihm Trotzki politisch sympathisch, aber er versteht, dass Trotzki eine wichtige historische Figur ist, deren Ideen und Taten man mit Ernsthaftigkeit behandeln muss, – das heißt, mit intellektueller Ernsthaftigkeit und, wie Trotzki gesagt hätte, mit „Treue zur Wahrheit“.

Als der deutsche Suhrkamp-Verlag ankündigte, eine deutsche Ausgabe von Services Buch zu veröffentlichen, veröffentlichten vierzehn namhafte Historiker und Politikwissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz einen offenen Brief, in dem sie gegen diese Entscheidung protestierten. Sie schrieben: „Das Ziel seiner Arbeit ist vielmehr die Diskreditierung Trotzkis, und er greift dabei bedauerlicherweise vielfach auf Formeln zurück, die aus der stalinistischen Propaganda bekannt sind.“ Es genügt selbst akademischen Mindeststandsrds nicht.

Professor Hermann Weber, einer der vierzehn Unterzeichner und Experte für die Geschichte der sozialistischen Bewegung und des Stalinismus, sprach mit der WSWS über den offenen Brief. Er erklärte: „… hier wird mit Lügen, Geschichtsfälschungen, unseriösen Quellenangaben und sogar antisemitischen Vorurteilen hantiert. Solche Pamphlete sollten in einem wissenschaftlichen Verlag mit liberalen Traditionen und einer Geschichte wie Suhrkamp keinen Platz haben.“

In einer späteren Perspektive lobte die WSWS die Integrität dieser Historiker und schrieb, dass dieser Schlag gegen die stalinistische Fälschung seine Wurzeln in den wachsenden Klassenkonflikten und Spaltungen der Weltpolitik habe, die im Jahr 2011 offen zutage getreten waren. Wir schrieben: „Poststrukturalisten, Postmodernisten und postsowjetische Fälscher mögen die Objektivität der Geschichte leugnen, das bewahrt sie nicht davor, dass die Geschichte sie einholt.“

Kultur, Kunst und Wissenschaft

Im Jahr 2011 berichtete die WSWS über Entwicklungen des Mediums Film, unter anderem über die 83. Oscar-Verleihung, die Berliner Filmfestspiele, das Internationale Filmfestival in Toronto, das Filmfestival in Sydney und viele neue kommerzielle Filme, einige nennenswerter, andere weniger. Darunter befanden sich The Fighter, The King’s Speech, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes, Contagion, Der Plan, The Help, Take Shelter und My Week With Marilyn.

Sie befasste sich weiterhin mit der Geschichte der Filmindustrie, unter anderem durch einen würdigenden Nachruf auf Elizabeth Taylor und eine Diskussion mit dem Filmhistoriker Joseph McBride, dessen Biografie über Steven Spielberg im Jahr 2011 in Zweitauflage erschien.

Kunstredakteur David Walsh kritisierte Roland Emmerichs anmaßenden und reaktionären Anti-Shakespeare-Film Anonymous in einer Filmkritik und später einem Kommentar. Darauf folgte ein Interview mit dem australischen Shakespeare-Experten, Schauspieler und Regisseur John Bell, das sich mit der Universalität der Werke Shakespeares befasste.

Ein weiterer Kommentar befasste sich mit dem Angriff auf die Kultur, den die britische Bourgeoisie durch Kürzungen der Finanzierung von Museen führt. Außerdem wurde über eine historische Ausstellung über die Beteiligung der deutschen Polizei an der Mordpolitik des Dritten Reiches berichtet.

Anlässlich des 50. Todestages von Ernest Hemingway lieferte David Walsh in einem Bericht für ein Treffen im Raum Detroit, der später auf der WSWS veröffentlicht wurde, eine detaillierte Untersuchung der historischen und literarischen Bedeutung des großen Romanautoren. Er schrieb:

Heute gibt es nur wenige Schriftsteller, die auf starke und elegante Weise das Leben so beschreiben wie es ist. Es gibt viel Scharlatenerie und Faulheit. Die Idee, direkt und künstlerisch über Menschen und ihr Leben zu schreiben, ist in Kreisen akademischer Literaten verpönt. Allerdings sind diese Kreise für wenig zu gebrauchen.

Die WSWS berichtete über die Ausstellung zu Diego Rivera im Museum of Modern Art und veröffentlichte Bemerkungen, die Leo Trotzki im Jahr 1938 über die Werke des großen mexikanischen Wandmalers geschrieben hatte.

Die Berichterstattung der WSWS über kulturelle Fragen umfasste Artikel über eine Ausstellung in Europa über russische und sowjetische Moderne, Robert Motherwell und die abstrakten Expressionisten und eine Fotoausstellung über burmesische Wanderarbeiter.

Die WSWS konnte ihre Berichterstattung über wissenschaftliche Themen deutlich ausweiten, unter anderem über die Evolution der Menschheit, die sie als besonders wichtiges Feld der Wissenschaft ansieht. Ein Artikel über die Analyse antiker Genome, die durch die Denisowa-Entdeckung in Sibirien möglich wurde, und ein internationales Team von Wissenschaftlern, zeigte, was über den Fortschritt der menschlichen Evolution und alternative Hypothesen bekannt ist, die die Existenz mehrerer Untergattungen von Humanoiden in den letzten 200.000 Jahren postulierten.

Eine Besprechung des Buches „The Artificial Ape“ diskutierte die Rolle, die frühe technische Innovationen in der menschlichen Evolution spielten. Auch wenn es schwer ist, exakte Details zu beschreiben, schrieben wir, dass die Hypothese, „die die zentrale Bedeutung der Technologie vom Beginn der Existenz des Menschen an betont“ ein „faszinierender Beitrag zum materialistischen Studium der Menschwerdung ist.“

Wir berichteten außerdem über Fossilienfunde in Äthiopien und Südafrika und über die Unsicherheit über das Schicksal der Neandertaler.

Andere WSWS-Artikel über wissenschaftliche Themen befassten sich mit neuen Entwicklungen aus dem Bereich der Weltraumforschung und der Kosmologie. Dieses Feld der wissenschaftlichen Forschung enthüllt wohl das meiste über den Platz der Menschheit im Universum, wird jedoch ständig von Etatkürzungen bedroht. In einem Kommentar über die Mission zum Merkur heißt es: „Die Gesamtkosten der Messenger-Mission betragen 446 Millionen Dollar, d.h. weniger als die Summe, die das Pentagon in sechs Stunden ausgibt.

Eine Reihe von Artikeln befassten sich mit Themen aus dem Bereich der Physik, unter anderem mit der Suche nach dem Higgs-Boson und der Anwendung von Quantenphysik in der Computertechnologie.

Ein Artikel mit dem Titel „Kapitalismus und der Klimawandel“ beschrieb die sozialistische Perspektive zur Umweltkatastrophe, die der Menschheit droht:

Der Klimawandel ist ein weiterer zerstörerischer Ausdruck des fundamentalen Widerspruchs zwischen dem System der Nationalstaaten, auf dem der Kapitalismus beruht, und der global integrierten Weltwirtschaft. Die ökologische Krise erfordert eine internationale Lösung, doch aufgrund der Rivalitäten zwischen den Großmächten mit der sich rasch auflösenden globalen Hegemonie der USA und dem Aufstieg Chinas und anderer aufstrebender Staaten kann kein rationaler Plan entwickelt werden.

Ernest Hemingway in Spanien während des Spanischen Bürgerkriegs