Landtagswahlen in Wien

Haiders antisemitische Hetze zahlt sich nicht aus

Mit einem Debakel für die rechtsradikale Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) endete am vergangenen Sonntag die mit Spannung erwartete Wiener Kommunalwahl, die in diesem Stadtstaat zugleich auch Österreichs wichtigste Landtagswahl war. Die Partei des Rechtspopulisten Jörg Haider rutschte um fast acht Prozentpunkte auf 20,1 Prozent ab. Sie verlor 25 Prozent ihrer Wähler. Nach dem Burgenland und der Steiermark ist das der dritte und stärkste Stimmenverlust der Freiheitlichen bei einer Landtagswahl seit ihrer Regierungsbeteiligung vor gut einem Jahr.

Die sozialdemokratische SPÖ gewann zu ihrer eigenen Überraschung 7,7 Prozentpunkte hinzu und kam auf 46,9 Prozent. Mit einem Zugewinn von neun Mandaten können die Sozialdemokraten nun wieder eine Alleinregierung im Wiener Rathaus und damit auf Landesebene bilden. Vor zehn Jahren hatten sie ihre traditionelle Alleinherrschaft im sogenannten "roten Wien" verloren und koalieren seither mit der konservativen Volkspartei (ÖVP).

Die Regierungspartei ÖVP, die mit Wolfgang Schüssel den Bundeskanzler stellt, konnte in der Hauptstadt nur 16,3 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen. Dieses sehr magere Ergebnis liegt allerdings noch um 1,1 Prozentpunkte über ihrem Abschneiden vor fünf Jahren.

Die Grünen erzielten 12,4 Prozent (plus 4,5) und sprechen bereits über eine rot-grüne Zusammenarbeit als Alternative zur rechtkonservativen Bundesregierung. Ein Großteil der grünen Zugewinne stammen aus dem Lager der Liberalen, die mit 3,4 Prozent (minus 4,5) an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten und damit nicht wieder ins Stadtparlament einzogen.

Die Wahlbeteiligung lag mit 66,5 Prozent für österreichische Verhältnisse sehr niedrig und sackte gegenüber 1996 erneut um zwei Prozent ab. In den Nachkriegsjahrzehnten waren nicht selten über 90 Prozent der Wiener Wahlberechtigten an den Urnen erschienen. Selbst 1983 waren es noch 85 Prozent, doch danach ging es stark abwärts. Am vergangenen Sonntag verweigerte jeder Dritte der rund 1,1 Millionen Wahlberichtigen seine Stimme und die Zahl der Nicht-Wähler (rund 360.000) überstieg die Zahl der SPÖ-Wähler (337.000).

Genaue Wählerwanderungen wurden bisher nicht veröffentlicht, aber es ist offensichtlich, dass zumindest ein Teil der SPÖ-Wähler, die vor fünf Jahren aus Protest gegen den sprichwörtlichen roten Wiener Filz aus Korruption und Vetternwirtschaft den Freiheitlichen des Jörg Haider die Stimme gaben, nun wieder sozialdemokratisch gewählt haben. Die großen Wiener Arbeiterbezirke, wie Simmering und Favoriten, mit ihren traditionsreichen Sozialwohnzentren wählten wieder mehrheitlich sozialdemokratisch.

Vor fünf Jahren erzielte die FPÖ mit ihrer rassistischen Ausländerhetze in den Gebieten mit hohem Ausländeranteil überdurchschnittliche Stimmengewinne, und Jörg Haider brüstete sich damals als der "neue Arbeiterführer Wiens". Jetzt verlor die FPÖ gerade in diesen Gebieten die meisten Stimmen, so etwa im Stadtteil Rudolfsheim-Fünfhaus, wo ein Drittel der Bewohner ausländischer Herkunft ist.

Die Stimmenverluste der Freiheitlichen sind Ausdruck einer wachsenden Opposition gegen die unsoziale Politik der rechts-konservativen Bundesregierung. Während Haider in der Vergangenheit sich gern als Interessensvertreter des "kleinen Mannes" aufspielte, nutzte die FPÖ ihre Regierungsbeteiligung, um eine neoliberale Politik im Interesse der Finanzmärkte und der transnationalen Konzerne durchzusetzen. In großer Eile wurde die Privatisierung der lukrativsten Staatsbetriebe eingeleitet und die sozialen Sicherheitssysteme abgebaut, bei gleichzeitiger Einschränkung der demokratischen Rechte.

Das Rentenantrittsalter wurde erhöht und Frühpensionen ebenso wie Witwen-, Waisen-, und Invalidenrenten gekürzt. Im Gesundheitssystem wurde das Krankengeld gekürzt und die Zuzahlung für Medikamente und besondere medizinische Behandlungen gekürzt. Dazu kommen Kürzungen des Arbeitslosengelds, Erhöhung von Massensteuern, Streichung von Zuschüssen für gemeinnützige Institutionen, die Einführung von Studiengebühren und gleichzeitig Angriffe auf die Rede- und Meinungsfreiheit, durch die Einrichtung einer staatlichen Medienbehörde.

Haiders antisemitische Hetze

Als sich einige Wochen vor der Wahl drastische Stimmenverluste abzeichneten, begann Jörg Haider eine üble antisemitische Kampagne, die seine bisherige rassistische Demagogie noch weit übertraf. In einer Aschermittwochsrede griff er den Präsident der israelischen Kulturgemeinde Ariel Muzicant frontal an. Bezugnehmend auf Werbespots für das Waschmittel Ariel rief er seinem grölenden und bierkrugschwingenden Publikum zu: "Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie einer Ariel heißen kann, der so viel Dreck am Stecken hat."

Ariel Muzicant wies die Behauptung, er sei in rechtlich nicht einwandfreie Spekulationsgeschäfte verwickelt, entschieden zurück und reichte sofort gegen Haider Klage ein. Mehrere jüdische Verbände in Europa und Amerika wiesen die Anschuldigung empört zurück, worauf Haider seine Aussage als "Scherz" bezeichnete und provokativ den Standpunkt einnahm, gegen Judenwitze sei doch nichts einzuwenden.

Als die Empörung über seine offen antisemitischen Tiraden stärker wurde, erklärte Haider in einem Interview mit der Wiener Tageszeitung Die Presse, er lasse sich nicht verbieten, "einen Repräsentanten einer Religionsgemeinschaft zu kritisieren, wenn dieser einer demokratisch gewählten Regierung den Krieg erklärt". Wieder war der Anklang an die nationalsozialistische Propaganda von der angeblichen "Kriegserklärung der Juden", die einst zur Begründung aller Untaten gegen sie herhalten musste, unüberhörbar. Haider wollte gezielt den braunen Bodensatz der Österreichischen Gesellschaft aufwühlen.

Das ist nicht ganz neu. Seit geraumer Zeit gehört Antisemitismus in Österreich zum Mittel der Politik, wie ein Hintergrundartikel der Süddeutschen Zeitung(23. 03. 01) aufzeigt. Bereits die Gründungslegende der zweiten österreichischen Republik, laut der Österreich das "erste Opfer des Nationalsozialismus" war, diente dazu, die wahren, jüdischen Opfer nicht zu entschädigen. Erst in jüngster Vergangenheit begann eine Debatte darüber, welche Verbrechen an den Wiener Juden begangen und was ihnen geraubt worden war.

Über 50 Synagogen sind in der Zeit des Anschlusses ans Deutsche Reich von 1938 bis 1945 zerstört worden. 600 Vereine, Stiftungen und Fonds wurden alleine in Wien aufgelöst. Auf über eine Milliarde Mark wird der Schaden beziffert, der durch Arisierung und sonstige Zerstörung unter dem NS-Regime der Jüdischen Gemeinde in Wien zugefügt wurde.

Nach 1945 wurde diese Zerstörung jüdischen Eigentums durch eine "stille Liquidation" fortgesetzt, denn die stark dezimierte Gemeinde musste zwischen 1945 und 1981 zwei Drittel ihres verbliebenen Vermögens veräußern, um die Fehlbeträge aus dem laufenden Betrieb zu decken. Meist war es die öffentliche Hand, die die jüdischen Liegenschaften und andere Werte "wohlwollend" übernahm.

Als Ariel Muzicant 1981 die Verwaltung der jüdischen Gemeindefinanzen übernahm, stoppte er die "stille Liquidation" durch Notverkäufe und forderte - bisher vergeblich - Wiedergutmachung. So entstand der gegenwärtige Schuldenstand von über 20 Millionen Mark, den Haider zu seinen antisemitischen Tiraden nutzt.

Dabei koppelt Haider seine Attacken auf den Präsidenten der jüdischen Gemeinde mit der neoliberalen Ideologie vom Nulldefizit und Schuldenabbau. Während auf der einen Seite die Verschuldung von Staatsbetrieben und öffentlichen Einrichtungen dazu dienen, eine schnelle Privatisierung zu propagieren, wird auf der anderen Seite das Schuldenmachen als "typisch jüdisches Verhalten" dargestellt.

Darüber hinaus dient der Versuch, dem Immobilienmakler Muzicant unlautere Geschäfte anzudichten, auch dazu, die alte antisemitische Behauptung wiederzubeleben, wonach es einen Gegensatze zwischen "schaffendem" bodenständigen Nationalkapital und "raffendem", unstetem - eben jüdischem - Spekulationskapital gäbe.

In den Wahlkampfreden der FPÖ-Politiker wurden auch die so EU-Sanktionen gegen Österreich neu bewertet. Ihre Urheber sitzen nun angeblich nicht mehr in den "sozialistischen" Regierungen der EU, sondern an der "amerikanischen Ostküste", das österreichische Code-Wort für eine "Weltverschwörung von Juden".

Haider hatte tief in die antisemitische Propagandakiste gegriffen, doch der Schuss ging nach hinten los. Er mobilisierte mehr seine Gegner, als seine Anhänger. Am Vorabend der Wahlen demonstrierten mehrere Tausend Haider-Gegner vor dem Wiener Regierungssitz und erinnerten an die Verbrechen der Nazis und ihrer österreichischen Helfer. Der Aufruf, den Stimmzettel zu benutzen, um dem antisemitischen Spuk ein Ende zu bereiten, wurde von vielen unterstützt.

So zeigt das Wahlergebnis auch, wie schmal die gesellschaftliche Basis von Haiders rechtsradikaler FPÖ im Grunde ist. Sein starker und manchmal sogar dominierender Einfluss in der österreichischen Politik kommt daher, dass ihm keine der anderen offiziellen Parteien ernsthaft entgegentritt. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der vor Jahresfrist die Koalition mit den Freiheitlichen rechtfertigte und damit begründete, dass die Rechtsradikalen dadurch in die "demokratische Verantwortung" eingebunden würden, reagierte auf Haiders antisemitische Ausfälle überhaupt nicht und hüllte sich die ganze Zeit über in Schweigen.

Das Ausmaß der Stimmenverluste verschlug Haider am Wahlabend die Sprache. Drei Tage ließ er sich krank melden. Als er sich am Mittwoch wieder zu Wort meldete, wurde klar, dass sich nicht nur die Auseinandersetzung innerhalb der FPÖ verschärfen wird. Der Spagat zwischen ihrer sozialen Demagogie und ihrer tatsächlichen unsozialen und wirtschaftsfreundlichen Politik wird immer schwieriger. Um die verbleibende Zeit der Legislaturperiode zu nutzen, wird die FPÖ ihren Rechtskurs verschärfen und in der Regierung noch aggressiver auftreten, um soziale und demokratische Rechte weiter und schneller abbauen.

Weder die Sozialdemokraten noch die Grünen haben dem etwas entgegenzusetzen. Michael Häupl, der Wiener SPÖ-Chef, erhebt nun Anspruch auf stärkeren Einfluss in der Bundespolitik und Mitspracherecht bei der Wahl des künftigen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten. Auf dem letzen Landesparteitag seiner Partei hatte Häupl ein Wirtschaftsprogramm durchgesetzt, das in vielen Fragen den Plänen der rechtskonservativen Regierung gleicht wie ein Ei dem anderen.

Siehe auch:
Ein Jahr rechts-konservative Regierung in Österreich
(7. Februar 2001)
Loading