Vereinigte Staaten

Aus der Demokratischen Partei tönt der Ruf nach Wiedereinführung der Wehrpflicht

Nur zwei Wochen nach den US-Kongresswahlen, bei denen die Antikriegsstimmung in der amerikanischen Bevölkerung deutlich hervortrat, hat sich die politische Debatte in Washington deutlich verschoben. Vorbei ist die Diskussion über auch nur einen Teilabzug der Truppen in naher Zukunft. Im politischen Establishment wird vielmehr darüber diskutiert, ob die USA mehr Truppen in den Irak schicken sollten oder nicht, und wenn ja, wie viele und für wie lange.

Als eine der Hauptschwierigkeiten, für längere Zeit mehr Truppen in den Irak zu schicken, hat sich in diesem Zusammenhang die unzureichende Personalstärke der amerikanischen Armee herausgestellt. Das war auch der Haupteinwand, den John Abizaid, der Kommandeur der US-Truppen im Mittleren und Nahen Osten, vor dem Streitkräfteausschuss des Senats in der vergangenen Woche gegen eine Erhöhung der Truppenzahl im Irak vorbrachte.

Inmitten dieser Diskussionen hat der designierte Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der Demokratische Abgeordnete Charles Rangel, zum wiederholten Male lautstark die Wiedereinführung der Wehrpflicht gefordert.

Rangels Forderung nach der Wehrpflicht ist nicht neu. Einen ersten Gesetzentwurf brachte er schon 2003 ein. Aber sein Vorschlag findet jetzt eine viel größere Resonanz in den Medien als in der Vergangenheit. Rangels Erklärungen wurden in den Mainstream-Medien am Montag groß herausgebracht. Er wurde in der CNN-Sendung Situation Room interviewt, und auch in den Abendnachrichten und in den Printmedien wurde ausführlich über seine Position berichtet.

Auf CBS sagte Rangel am Sonntag in der Sendung Face the Nation, ihm sei es mit der Forderung nach der Wehrpflicht überaus ernst. "Ich werde diesen Gesetzentwurf einbringen, sobald der neue Kongress zusammengetreten ist", sagte er. Rangel hat in den vergangenen dreieinhalb Jahren zwei verschiedene Entwürfe zur Wiedereinführung des Kriegsdienstes eingebracht. Nach dem einen wären Männer und Frauen im Alter von 18 bis 26 Jahren betroffen, nach dem anderen Männer und Frauen im Alter von 18 bis 42 Jahren.

"Für mich steht fest, dass dieser Präsident und diese Regierung niemals in den Irak eingefallen wären, wenn wir die Wehrpflicht hätten, und schon gar nicht bei der dünnen Beweislage, die dem Kongress vorgelegt wurde", erklärte Rangel in Face the Nation. Es wäre niemals zu einer Invasion gekommen, wenn "die Kongressabgeordneten und die Regierung hätten befürchten müssen, dass junge Leute aus ihren Wahlkreisen zu Schaden kommen".

Rangels Forderung nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht beruht also auf zwei miteinander verbundenen Annahmen: Erstens, dass die Wehrpflicht einen Krieg unwahrscheinlicher machen würde, weil der Widerstand in der Öffentlichkeit viel größer wäre, und zweitens, dass Abgeordnete einen Krieg eher ablehnen würden, der das Leben ihrer eigenen Kinder bedrohen könnte.

Zum ersten Argument ist zu sagen, dass es auch bisher kein Mangel an öffentlicher Opposition herrscht. Die Invasion des Irak war nie populär, und im Moment ist eine deutliche Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung für einen Rückzug der US-Truppen. Auch ohne Wehrpflicht ist dies der Grundtenor der öffentlichen Meinung. Nur im politischen Establishment findet diese Opposition keine wirkliche Resonanz.

Wenn es tatsächlich eine Wehrpflicht brauchen sollte, um die Republikaner wie Demokraten dazu zu bringen, den Krieg abzulehnen, dann ist das in Wirklichkeit kein Argument für die Wehrpflicht, sondern für den Aufbau einer politischen Bewegung, die den beiden Parteien entgegensteht.

Tatsächlich ist Rangels Argument ebenso demagogisch wie vereinfachend. Hinter dem Ausbruch des imperialistischen Militarismus stehen tiefere Ursachen als die subjektiven Ängste und Sorgen einzelner Politiker. Da sie Vertreter der herrschenden Wirtschaftselite sind, werden ihre Entscheidungen letztlich von Klasseninteressen bestimmt. Der Kongress ist als Institution völlig den Interessen der Wirtschafts- und Finanzelite untergeordnet. Wenn es Wehrpflicht gäbe, würde sich schon das nötige Personal finden, um den globalen Ambitionen des US-Imperialismus gerecht zu werden und die damit verbundenen Maßnahmen durchzusetzen.

Einzelne Abgeordnete, die aus Angst um das Leben ihrer Kinder oder gar der Kinder ihrer Wähler zu zimperlich wären, würden durch Politiker mit mehr Rückgrat ersetzt. Auch im derzeitigen Kongress herrscht keinen Mangel an ausreichend hartgesottenen Politikern. Ein gutes Beispiel ist Senator John McCain, der eine Aufstockung der Truppen im Irak entschieden befürwortet. Er hat zwei Söhne beim Militär.

Die Vereinigten Staaten sind in Afghanistan und im Irak einmarschiert, weil die herrschende Klasse Amerikas ein grundlegendes Interesse daran hat, die Kontrolle über den Mittleren Osten sowie Zentralasien und damit über die wichtigen Rohstoffe dieser Regionen auszuüben. Es geht dabei um die geostrategische Position des amerikanischen Kapitalismus. Zu glauben, Kongressabgeordnete würden sich aus Sorge um ihre Kinder oder die Kinder ihrer Nachbarn über diese Interessen hinwegsetzen, ist politisch naiv.

Rangels Argument wird außerdem durch die historische Erfahrung widerlegt. Im Ersten Weltkrieg und am Vorabend des Zweiten Weltkriegs führte der Kongress trotz beträchtlichen Widerstands in der Bevölkerung die Wehrpflicht ein. Sobald die allgemeine Wehrpflicht galt, lieferte sie den rechtlichen Vorwand für eine rücksichtslose Unterdrückung jeglicher Opposition gegen den Krieg. Rangel ignoriert offensichtlich die Tatsache, dass der erbarmungsloseste Angriff auf die Redefreiheit in der Geschichte der Vereinigten Staaten eine Reaktion auf den Widerstand gegen die Einführung der Wehrpflicht im Ersten Weltkrieg war. Die Erfahrung wiederholte sich im Zweiten Weltkrieg und während der Vietnamkriegszeit, als die Regierung Kriegsgegner wegen Störung der Einberufung strafrechtlich verfolgte. Eins der berühmtesten Opfer dieser Verfolgung war damals Mohammed Ali.

Rangels kleidet seine Argumentation zum großen Teil in eine pseudo-demokratische und populistische Sprache und erklärt so zum Beispiel, dass die Wehrpflicht für eine Art "gleiche Verteilung der Opfer" sorgen werde. Aber dieses Argument ist völlig falsch: Würde die allgemeine Wehrpflicht gelten, wäre die Besatzung des Irak in keiner Weise weniger verbrecherisch. Der Umstand, dass auch die Söhne und Töchter der Reichen gezwungen wären, im Irak zu töten und getötet zu werden, würde am barbarischen und widerrechtlichen Charakter des Kriegs nichts ändern. Niemand sollte gezwungen werden an diesen Raubzügen zur Eroberung der Ölreserven teilzunehmen.

Auch würde die allgemeine Einberufung nichts am Klassencharakter des kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem in den Vereinigten Staaten ändern. Amerika braucht Gleichheit für die Lebenden und ihr Leben, und nicht den gleichen Tod für alle.

Rangels Eintreten für die Wehrpflicht zielt darauf ab, eine Diskussion über die Grundfrage zu verhindern, dass die Demokratische Partei die Besetzung des Irak unterstützt. Rangel ruft nicht dazu auf, die Besetzung zu beenden, und er lehnt ausdrücklich die Möglichkeit ab, die Gelder für amerikanische Militäroperationen zu kürzen.

Wenn Rangel wirklich gegen den Krieg wäre, gäbe es einen viel direkteren Weg, für ein Ende des Gemetzels einzutreten, als die Einführung der Wehrpflicht zu fordern - er könnte ein Ende des Krieges selbst fordern. Man kann die Interessen der Arbeiterjugend in der Armee nicht dadurch verteidigen, dass man fordert, noch mehr Menschen ins Militär zu zwingen. Stattdessen muss man den unverzüglichen Rückzug aller amerikanischen Soldaten aus dem Irak und aus Afghanistan fordern. Dies ist jedoch nicht Rangels Haltung, und seine Partei lehnt eine solche Position rundweg ab.

In Wirklichkeit dienen Rangels pseudo-populistische Argumente objektiv einer bösen Absicht. Der Kongressabgeordnete trägt mit seiner Haltung zur Verschleierung der Tatsache bei, dass die Wehrpflicht hauptsächlich die Truppenstärke der Armee vergrößern soll, um die Besetzung des Irak und zukünftige Kriege zu unterfüttern.

So sagte er am Sonntag in der Sendung Face the Nation : "Wenn wir es mit dem Iran und mit Nordkorea aufnehmen und noch mehr Soldaten in den Irak schicken, was schon einige gefordert haben, dann können wir das ohne Wehrpflicht gar nicht leisten. [...] Ich verstehe nicht, wie jemand den Krieg unterstützen kann, ohne die Wehrpflicht zu unterstützen."

Im Mai 2005 hatte Rangel bereits folgende Stellungnahme abgegeben: "Jeder weiß, dass wir mit einer ungenügenden Anzahl Soldaten in diesen Krieg gezogen sind, aber jetzt besteht das Problem darin, die Reihen jener Einheiten aufzufüllen, die schon im Feld stehen. [...] Wir können die Soldaten nur im Feld halten, wenn wir die Einsatzzeit verlängern, die Veteranen wieder einberufen, die schon aktiven Dienst geleistet haben, und den Reservisten eine unerträgliche Last aufbürden."

Im politischen Establishment herrscht allgemein die Überzeugung, dass eine Vergrößerung der Armee notwendig sei. Rangels Kommentare nehmen in den Medien deshalb eine so prominente Stellung ein, weil sie dazu beitragen, die Diskussion über die Wehrpflicht salonfähig zu machen. Gleichzeitig diskutiert die herrschende Elite bereits seit geraumer Zeit über die Notwendigkeit, die Zahl der Soldaten im Irak zu erhöhen und sich auf mögliche Schläge gegen den Iran vorzubereiten. Rangels Position ist ein Testballon, um die Reaktion der Bevölkerung zu erfahren und die öffentliche Meinung auf einen Schritt in diese Richtung vorzubereiten.

Während die Führungsriege der Demokraten sofort erklärte, sie lehne Rangels Vorschlag ab, gibt es in den Reihen der Partei schon seit längerem eine Diskussion über die Notwendigkeit einer Art allgemeinen Wehrdienstes. Vor den Wahlen erschienen mehrere Bücher von Politstrategen der Demokratischen Partei, in denen diese Frage angesprochen wird. Rangel hat sich reiflich überlegt und bewusst geplant, wann und wie er eine politische Debatte zu der Frage anstößt.

Klassenbewusste Arbeiter sollten sich ebenso wie Studenten und Jugendliche, die den Krieg ablehnen, nicht von Rangels Demagogie einwickeln lassen. Ihr Widerstand gegen den Krieg und gegen alle Pläne, die Wehrpflicht wiedereinzuführen, darf nicht nachlassen.

Siehe auch:
Washington diskutiert über Ausweitung der Gewalt im Irak
(18. November 2006)
Rumsfelds Entlassung: Das erste Bauernopfer nach den Wahlen in den USA
( 11. November 2006)
Beachtliches Ergebnis der SEP-Kandidaten bei US-Wahlen
( 14. November 2006)
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