Perspektive

Europäische Medien fürchten weltweit soziale Unruhen

Als Karl Marx einst im Kommunistischen Manifest schrieb: "Ein Gespenst geht um in Europa", da stand der Kontinent am Vorabend revolutionärer Ereignisse. Sie begannen 1848 in Italien und Frankreich und ergriffen große Teile Europas.

Seit einigen Tagen weisen immer wieder Journalisten darauf hin, dass die Wirtschaftskrise einen ähnlichen Ausbruch sozialer Unruhen mit revolutionären Konsequenzen hervorbringen könnte. Sie hegen die düstere Befürchtung, dass Europa einmal mehr nationalistische Spannungen, neue faschistische Bewegungen und sogar Kriege erleben wird.

Am 24. Mai erklärte der Historiker Simon Schama in der Financial Times : "Es liegt mir fern, die Situation prekärer als nötig darzustellen, aber wer den Schwefel in der Luft riecht, der kann nicht ignorieren, dass wir an der Schwelle eines Zeitalters des Zorns stehen. ... In Europa und in Amerika besteht die klare Möglichkeit eines langen, heißen Sommers sozialer Verwerfungen."

Schama schreibt: "Zwischen dem Ausbruch einer Wirtschaftskrise und dem Ausbruch aufgestauter sozialer Wut kommt es oft zur Verzögerung", aber nach einer anfänglichen Periode "bedrohlicher Desorientierung" bestehe die Gefahr einer "organisierten Mobilmachung der Empörung".

Diese Empörung wird sich gegen die Superreichen wenden, schreibt er, und gegen jene, die als Verantwortliche für die Krise gelten. Er vergleicht "unsere eigenen Plutokraten" mit den Financiers, die als "reiche Egoisten" so beispielhaft ins Visier der Französischen Revolution von 1789 gerieten.

In einem Observer- Artikel vom 30. Mai von Will Hutton, seinem ehemaligen Herausgeber und heutigen Berater der britischen, konservativ-liberaldemokratischen Koalitionsregierung, heißt es: "Die Zukunft Europas steht auf dem Spiel. Das mögliche Scheitern des Euro wäre ein wirtschaftliches und politisches Desaster ersten Ranges. In der Wirtschaft Europas führt es zur konkurrierenden Abwertung, zur Zahlungsunfähigkeit, Banken-Bailouts, dem Einfrieren der Kreditvergabe, Handelsprotektionismus und einer längeren Stagnation. Politisch wird sich die Entschlossenheit, unseren so ungleichartigen Kontinent zusammenzuhalten, schnell in Luft auflösen. Die alten Feindschaften und das Misstrauen lauern ohnehin nie weit unter der Oberfläche. ... Wir werden ein Europa erleben, das mehr den 1930er Jahren ähnelt. Ängstlich und stagnierend wird es eine leichte Beute für die schlimmsten rassistischen und nationalistischen Ideologien sein."

Die unheilvollste Zukunftswarnung brachte am 26. Mai die Deutsche Welle. Der Artikel beginnt mit einem Rückblick auf Warnungen dreier Führungspolitiker. Ban Ki-moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen, IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn und Robert Zoellick, Chef der Weltbank, hatten 2008 vor den Folgen des globalen Wirtschaftszusammenbruchs gewarnt. Strauss-Kahn hatte zum Beispiel darauf hingewiesen, dass es "in mehreren Ländern, auch in hochentwickelten Industrieländern, zu sozialen Unruhen kommen könnte".

Die Deutsche Welle schreibt, diese Warnungen "erscheinen heute realistischer als zu irgendeinem Zeitpunkt seit dem Ausbruch der Finanzkrise, der schwersten seit 1929".

Der Artikel erinnert an die Demonstrationen von Hunderttausenden in Griechenland und warnt, das gleiche Schicksal drohe anderen "finanziell angeschlagenen europäischen Regierungen, wie in Spanien, Portugal und Italien". "In Ländern in aller Welt wächst die Sorge vor wachsender sozialer Unzufriedenheit".

"Viele Experten sind der Meinung, der tiefe Zorn, der in diesen Ländern wächst, richte sich gegen die gleichen Institutionen und die gleichen Leute, er wende sich gegen das Versagen des globalen Kapitalismus", fährt der Artikel fort.

Er zitiert den US-Geheimdienstdirektor Dennis C. Blair, der vor dem Geheimdienstausschuss des Senats von einer andauernden Wirtschaftskrise gesprochen hatte. Er hatte gesagt, diese Krise führe "zu Regime bedrohender Instabilität, wogegen die Vereinigten Staaten nicht immun wären".

Die Deutsche Welle schließt mit Bemerkungen von Marie-Hélène Caillol, der Präsidentin eines Beratergremiums namens European Laboratory of Political Anticipation, und Gerald Celente, dem Herausgeber des Journals Trends.

Celente schreibt: "Was wir in Griechenland erleben, wird sich mit dem Rückgang der Volkswirtschaften weltweit ausbreiten.... In allen Ländern mit einer Staatsschuldenkrise werden die sozialen Unruhen wachsen, am offensichtlichsten in Spanien, Irland, Portugal, Italien, Island, der Ukraine, Ungarn, gefolgt von Großbritannien und den USA."

Calliol erklärt: "Diese Krise ist direkt mit dem Ende der Weltordnung verbunden, wie wir sie seit 1945 kennen, und selbst seit der Entwicklung des europäischen Kolonialismus. Das gesamte globale Geflecht, dass sechzig Jahre lang auf die USA konzentriert war, bricht langsam zusammen und führt allerorten zu Chaos."

Auf die Frage, wo die sozialen Unruhen enden werden, antwortete sie: "Im Krieg. So einfach ist das, und so entsetzlich."

Calliol und Celente gehen beide nicht davon aus, dass Agitatoren hinter der Welle sozialer Unruhe stecken könnten.

"Hinter dieser Reaktion stehen keine Organisationen, es ist die Reaktion der Bevölkerung", schrieb Celente, der sich auch auf Marx’ Monumentalwerk berief. "Es ist das ’Arbeiter aller Länder vereinigt euch’ des 21. Jahrhunderts. Die Leute wissen genau, dass sie für die enormen Rettungsaktionen bezahlen müssen, die jenen zugute kommen, die ’zu groß zum Scheitern’ sind. Je mehr die Steuern steigen, je mehr Arbeitsplätze verlorengehen, desto stärker werden die Proteste ansteigen."

Solche Stellungnahmen zeigen, wie ernst die Regierenden in Europa die wachsende Gefahr sozialer Revolution auf dem Kontinent nehmen. Ihre Berater sagen ihnen, dass dies das unvermeidliche Ergebnis der Wirtschaftskrise ist. Aber sie machen es noch schlimmer, indem sie - im Interesse der großen Banken und Konzerne - die ganze Last der Krise der arbeitenden Bevölkerung aufladen. Im Zuge dieser Politik gehen sie daran, die letzten Reste des Sozialstaats und der Arbeitsbedingungen zu zerstören, die Arbeiter früher erkämpft haben.

Die herrschenden Klassen Europas bereiten sich auf Massenkämpfe der Arbeiterklasse vor, indem sie kleinbürgerliche, scheinbar linke Organisationen fördern, die die Entstehung von sozialistischem Bewusstsein und die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse verhindern sollen. Beispiele dafür sind die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) in Frankreich, die Linkspartei in Deutschland und Syriza in Griechenland. Außerdem bereiten sie den Einsatz staatlicher Unterdrückung und diktatorische Herrschaftsformen vor.

Die herrschende Klasse ist im Moment im Vorteil, weil der Arbeiterklasse die nötige sozialistische und revolutionäre Perspektive fehlt, die sie für ihre Gegenoffensive benötigen würde. Stattdessen arbeiten die Organisationen, von denen fälschlicherweise behauptet wird, sie verträten die Arbeiter, als fünfte Kolonne der Wirtschaft.

Ob sie nun eintägige Proteststreiks organisieren, wie in Griechenland, Portugal, Italien oder Spanien, oder ob sie gar nichts tun, wie der britische Gewerkschaftsbund - in beiden Fällen sind die Gewerkschaften Hilfstruppen, um Sparmaßnahmen und Kürzungen durchzusetzen, indem sie bewusst den Klassenkampf unterdrücken und unter Kontrolle halten. Sie arbeiten mit Unternehmern und Regierungen zusammen, gleichgültig, ob diese sozialdemokratisch oder erzkonservativ sind.

Am Ende des Tages wird das dazu führen, dass der Klassenkampf über diese Organisationen wie eine Flutwelle hinweggehen wird. Die World Socialist Web Site teilt die Prognose Trotzkis im Übergangsprogramm : "Die Orientierung der Massen ist einerseits durch die objektiven Bedingungen des verfallenden Kapitalismus, andererseits durch die Politik des Verrats der alten Arbeiterorganisationen bestimmt. Entscheidend von diesen beiden Faktoren ist selbstverständlich der erste: Die Gesetze der Geschichte sind mächtiger als die bürokratischen Apparate."

Die Prognose verleitet nicht zu Selbstgefälligkeit oder Fatalismus. Sie unterstreicht die entscheidende Bedeutung der revolutionären Führung. Das unerlässliche Instrument, das benötigt wird, um die Kluft zwischen den revolutionären Folgen der Weltkrise und dem aktuellen Niveau des politischen Bewusstseins der Arbeiterklasse zu schließen, ist die marxistische Partei. Wer die Notwendigkeit einer sozialistischen Alternative erkennt, muss in die Socialist Equality Party eintreten und dazu beitragen, sie aufzubauen.

aus dem Englischen (2. Juni 2010)

Siehe auch:
Sparprogramme in ganz Europa
(29. Mai 2010)
Das Gespenst großer Katastrophen kehrt zurück
( 18. Mai 2010)
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