Gewerkschaften in Rumänien entschärfen Streik im Öffentlichen Dienst

Mehrere Hunderttausend Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes streikten am vergangenen Montag in Rumänien gegen die vom IWF diktierten Sparmaßnahmen der konservativen Regierung von Emil Boc. Es war der größte Streik in Rumänien seit dem Zusammenbruch des stalinistischen Regimes von Nicolei Ceaucescu.

Nach Gewerkschaftsangaben beteiligten sich rund 700.000 Lehrer, Krankenhausangestellte, Beschäftigte im öffentlichen Nahverkehr und andere Bedienstete. Zahlreiche Beschäftigte blieben über den Montag hinaus im Streik oder planen weitere Streiks in den kommenden Wochen.

In den öffentlichen Krankenhäusern des Landes wurde nur eine Notversorgung durchgeführt. Ämter blieben geschlossen und vier Grenzstationen im Land waren fast den ganzen Tag dicht. Zahlreiche Polizisten beteiligten sich ebenfalls am Ausstand.

Auch die Angestellten der Bukarester U-Bahn Metrorex legten die Arbeit nieder. Von vier Uhr in der Früh bis Mittag fuhren keine Züge unter der Hauptstadt, wie die rumänische Nachrichtenagentur Mediafax berichtete.

Darüber hinaus behielten sich die U-Bahn Angestellten einen unbefristeten Streik in den kommenden zwei Wochen vor, sollten den Angestellten die Gehälter gekürzt werden. "Das Gesetz sieht vor, dass wir den unbefristeten Streik ausrufen können, wenn die verhandelten Gehälter - also der Tarivvertrag - nicht mehr respektiert werden", so Ion Radoi, Präsident der Gewerkschaft der U-Bahn-Angestellten.

Auch einige Tausend Rentner protestierten in Bukarest und anderen Städten gegen die Kürzungen.

Der Streik fiel mit den Abiturprüfungen zusammen, den wichtigsten Prüfungen im Schuljahr. Die Bildungsminister entschied, die Prüfungen trotz des Streiks durchzuführen. Sofort wurde das Gesetz geändert, um den Streik mit Hilfskräften brechen zu können. Hunderte Lehrer protestierten vor dem Bildungsministerium.

Nach dem Generalstreik vom 31. Mai wurden die Proteste in mehreren großen Städten am nächsten Tag fortgesetzt. Kundgebungen fanden vor den Präfekturen von Alba, Arges, Bacau, Bistrita, Botosani, Buzau, Calarasi, Dambovita, Dolj, Galati, Iasi, Mures und Timis statt. Nach Angaben der Gewerkschaften nahmen an den Kundgebungen ungefähr 14.000 Menschen teil. In Timisoara hielt starker Regen die Staatsdiener aus verschiednen Bereichen und Rentner nicht davon ab, ihr Klagen laut hinauszurufen. Einige Demonstranten warfen Eier in das Gebäude der Präfektur von Timis, andere aßen öffentlich Gras, um das Ausmaß des Elends zu demonstrieren, das die Regierung über sie gebracht hat.

Die Proteste gingen am 2. Juni in Gorij, Cluij, Constanta, Targu Jiu, Arad und Sibiu weiter. Mehr als 13.000 Menschen gingen auf die Straße. In Targu Jiu riefen 600 Beschäftigte aus dem Gesundheitsbereich, aus dem Innenministerium und dem Bildungsbereich vor der Präfektur Parolen, mit denen sie auf ihre Lage aufmerksam machten. In Sibiu versammelten sich hunderte Rentner vor der Präfektur. Die Leute verlangten den Regierungsvertreter für die Region zu sprechen. In Arad demonstrierten 300 Lehrer.

Gelegentlich wurde der Rücktritt der Regierung gefordert. Es wird erwartet, dass die Proteste weitergehen und nächste Woche Bukarest erreichen, wenn das Sparprogramm in Parlament verabschiedet werden soll. Die Oppositionsparteien stellten am Montag einen Misstrauensantrag, der aber keine Chance hatte.

Die arbeitende Bevölkerung hat trotz des Verrats der Gewerkschaftsführer in großer Zahl demonstriert. Die Gewerkschaftsführer taten alles in ihrer Macht stehende, die Folgen der Arbeitsniederlegungen gering zu halten, abzuschwächen, und zu dämpfen. Sie arbeiteten mit juristischen Tricks und weigerten sich in einigen Fällen schlicht, in ihrem Bereich einen Streik auszurufen.

Der Führer der U-Bahnfahrer zum Beispiel verzögerte den Streik der Arbeiter der Verkehrsbetriebe bis zum Tag nach dem Streik der Lehrer und brach ihn dann mehrere Stunden früher mit der Begründung ab, dass eine nicht kommerzielle Organisation darum gebeten habe, die Teilnahme an einem Wohltätigkeitskonzert nicht zu behindern.

Auch die oberirdischen Verkehrsmittel kündigten für den 1. Juni Streikaktionen an, aber die Gewerkschaftsführer der Busfahrer trafen "im Interesse der Öffentlichkeit" mit dem Bürgermeister eine Vereinbarung, den Streik auf die Straßenbahnen zu begrenzen. Am Morgen fuhren die meisten Straßenbahnen dann aber doch.

Die Gewerkschaftsführer sind nicht prinzipiell gegen das Sparprogramm. Sie fordern von der Regierung, gegen Steuersünder vorzugehen und die Korruption im öffentlichen Sektor zu bekämpfen. Sie erwarten von den oppositionellen Sozialdemokraten(PSD) und Nationalliberalen (PNL) eine Lösung. Die Oppositionsparteien fordern aber noch mehr Kürzungen und Steuererhöhungen und haben beide in der Vergangenheit schon klar gezeigt, dass von ihnen genauso arbeiterfeindliche Maßnahmen zu erwarten wären.

Die Proteste und Streiks zeigen, wie ernsthaft die geplanten Kürzungen die Lebensgrundlage der rumänischen Bevölkerung bedrohen. Die Gehälter im Öffentlichen Dienst sollen um 25 Prozent gekürzt werden und die Renten um 15 Prozent. Dabei liegt das Durchschnittsgehalt im Öffentlichen Dienst schon jetzt bei nur 300 Euro. Die durchschnittliche Rente liegt bei umgerechnet 180 Euro.

Euronews zitierte eine wütende Frau: "Sollen die Minister doch mal von unserem Gehalt leben. Mal sehen, wie sie dann zurecht kommen." Ein anderer Rumäne erklärte: "Die Regierung sollte diesen kriminellen Pläne fallen lasen. Sie sollte lieber einige vernünftige mittel- und langfristige ökonomische Maßnahmen ergreifen. Sonst nagen wir bald am Hungertuche."

Die Regierung in Bukarest reagierte auf die Streiks arrogant und provokativ. Vor Tagen gab Verkehrsministerin Radu Berceanu in einem Fernsehinterview zu, dass die Politiker gezögerten hätten, im Wahlkampf über die wirkliche wirtschaftliche Lage Rumäniens zu sprechen. Sie "haben durch Verschweigen gelogen", sagte sie, weil keine Partei Lust hatte, durch das Ausplaudern der Wahrheit "Selbstmord" zu begehen.

Jetzt erklärte Finanzminister Vladescu: "Wir hätten noch sechs Monate weiter Lügen und warten können, was passiert. Wir hätten sagen können, in Europa sei alles in Ordnung und in Rumänien sei alles gut. Aber die Regierung hat sich entschieden, die Wahrheit zu sagen und das Volk darüber aufzuklären, dass die Dinge in Europa nicht zum Besten stehen und dass sie in Rumänien noch schlimmer werden könnten."

Während die Bevölkerung im ganzen Land protestierte, erklärte Arbeitsminister Mihai Seitan, wenn die Sparmaßnahmen der Regierung nicht die erhoffte Wirkung hätten, dann müssten die Löhne nächstes Jahr noch weiter gekürzt werden, möglicherweise um dreißig bis fünfzig Prozent.

Die jetzigen Proteste sind lediglich der Auftakt zu heftigen sozialen Konfrontationen. Eine Umfrage der Group of Social Studies 2000 hat vor Kurzem ergeben, dass 79,2 Prozent der Rumänen der Meinung sind, dass sich ihr Land auf dem falschen Kurs befindet. 61 Prozent der Befragten äußerten sich negativ über die regierende Demokratisch-Liberale Partei (PDL), 56,6 Prozent äußerten sich so über die oppositionellen Sozialdemokraten (PSD) und 46,8 Prozent über die Nationalliberale Partei (PNL).

40,3 Prozent waren der Meinung, dass die gesamte politischen Klasse für die Wirtschaftslage verantwortlich sei, 22,8 Prozent machten die Regierung Boc verantwortlich und 26,7 Prozent Präsident Traian Basescu. 88 Prozent halten die Art und Weise, wie die Regierung das Haushaltsdefizit reduzieren will für falsch und nur zwölf Prozent halten sie für richtig.

Siehe auch:
IWF-Chef diktiert Rumänien Bedingungen
(15. April 2010)
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