Reichtum und Armut in Amerika

Diese Woche erschienen zwei Meldungen, die die schockierende gesellschaftliche Ungleichheit in den Vereinigten Staaten deutlich machen. Die historisch beispiellose Konzentration von Reichtum in den Händen einiger weniger korrespondiert mit Massenarmut, wie es sie seit der Großen Depression nicht mehr gegeben hat.

Am Mittwoch veröffentlichte das Magazin Forbes seine jährliche Auflistung der vierhundert reichsten Amerikaner. Diese verfügen zusammen über ein Vermögen von 1,53 Billionen Dollar; das ist zwölf Prozent mehr als im letzten Jahr. Um überhaupt in dieser Liste aufzutauchen, muss man über ein Vermögen von mindestens 1,5 Milliarden Dollar verfügen, mehr als das zehntausendfache des mittleren Vermögens eines amerikanischen Haushaltes.

Angeführt wurde die Liste von den bekanntesten Konzernchefs und Wall Street-Spekulanten: von Bill Gates von Microsoft (59 Milliarden Dollar, im letzten Jahr waren es 54 Milliarden); Hedgefond-Manager Warren Buffet (39 Milliarden); Larry Ellison von Oracle (33 Milliarden); die Familie Walton, die Besitzer von Walmart (zwischen 20,9 und 25 Milliarden), usw.

Besonders auffällig ist, dass die am stärksten repräsentierte Branche unter den Superreichen die Investoren sind, d.h. Menschen, die hauptberuflich auf den Finanzmärkten spekulieren. Von ihnen stehen 96 auf der Liste, nur vier kommen aus einer verarbeitenden Industrie.

Ein typisches Beispiel für die parasitäre Beziehung dieser Schicht zur Gesamtgesellschaft ist der Hedgefond-Manager John Paulson, mit einem Vermögen von 15,5 Milliarden Dollar auf Platz 17. Forbes wies auf das „Paulson-Paradoxon“ hin, d.h. auf die Tatsache, dass Paulsons Privatvermögen um 25 Prozent gestiegen ist, obwohl sein Haupt-Hedgefond durch verlorene Wetten auf die Aktien der Bank of America und auf andere 30 Prozent an Wert verloren hat. Letztes Jahr erzielte Paulson ein persönliches Einkommen von 4,9 Milliarden Dollar.

Dass diese Schicht ihr Vermögen so vergrößern konnte, ist eine direkte Folge der Geldspritzen in Billionenhöhe, die die Obama-Regierung ins Finanzsystem gepumpt hat. Drei Jahre nachdem unkontrollierte Spekulationen die größte Wirtschaftskrise seit Generationen ausgelöst hatten, geht es den Spekulanten besser als je zuvor.

Während auf der einen Seite die Reichtümer angehäuft werden, verarmen die Massen. Am Donnerstag veröffentlichte das Statistische Bundesamt seine „American Community Survey“, eine detaillierte Auflistung von Armut, Einkommen und anderen Messgrößen in verschiedenen Teilen des Landes, darunter in den wichtigsten Bundesstaaten und Städten.

Vor diesem Bericht waren im Verlauf des Monats bereits Zahlen veröffentlicht worden, die zeigen, dass die Anzahl der Armen in Amerika – d.h. derjenigen, die als vierköpfige Familie 22.000 Dollar oder weniger verdienen – im letzten Jahr auf 46,2 Millionen gestiegen ist. Das ist der höchste Stand seit Beginn der Aufzeichnungen. Die offizielle Armutsquote liegt bei 15,1 Prozent. Die Kinderarmut liegt bei zweiundzwanzig Prozent.

In bestimmten Teilen des Landes ist das Anwachsen der Armut und das Ausmaß der Ungleichheit sogar noch schockierender. In New York, der Heimat der Wall Street, wo die Lebenshaltungskosten weitaus höher sind als in vielen anderen Teilen des Landes, ist die offizielle Armutsquote im letzten Jahr auf 20,1 Prozent gestiegen. Die Kinderarmutsquote ist in einem Jahr um fast drei Prozent auf 30 Prozent, gestiegen – und das ein Jahr nach dem angeblichen Beginn der wirtschaftlichen „Erholung.“

Paulsons persönliches Vermögen von 15,5 Milliarden Dollar entspricht ungefähr dem Gesamtvermögen der untersten zwanzig Prozent der Bevölkerung der Metropolregion New York, bestehend aus 1,6 Millionen Menschen.

In Detroit, wo sich der Zusammenbruch der produzierenden Industrie so stark zeigt wie nirgendwo sonst in den Vereinigten Staaten, liegt die Armutsquote bei 37,6 Prozent. Mehr als die Hälfte aller Kinder – 53,6 Prozent – leben in Armut. Insgesamt stieg die Armutsquote im Bundesstaat Michigan auf 16,8 Prozent. Das Medianeinkommen ist seit dem Jahr 2000 um 19,3 Prozent, d.h. fast ein Fünftel, gefallen.

In Kalifornien lebten im Jahr 2010 sechs Millionen Menschen unter der offiziellen Armutsgrenze, das sind 16,3 Prozent im Vergleich zu 15,3 Prozent im Vorjahr. Ähnliche Zahlen gibt es für fast jeden Staat.

Der Anstieg der Armut wird angetrieben durch eine beispiellose Krise auf dem Arbeitsmarkt, deren Ausmaß durch die offizielle Arbeitslosenquote von 9,1 Prozent verborgen wird. Die Beschäftigungsquote ist in den vergangenen Jahren stark gesunken. Um nur ein Beispiel zu nennen, waren im letzten Jahr nur 55 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen sechzehn und 29 Jahren beschäftigt; im Jahr 2000 waren es 67,3 Prozent. Das ist der niedrigste Stand seit dem Zweiten Weltkrieg.

Vor fast genau drei Jahren löste der Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers eine Finanzkrise aus, die die Welt in eine Depression gestürzt hat. Damals, kurz vor Obamas Wahlsieg zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, erklärte die World Socialist Web Site, dass es keine „sozialneutrale“ Reaktion auf diese Krise geben kann. Die Reaktionen der Regierungen in aller Welt, allen voran die der Vereinigten Staaten, richteten sich nach den Interessen der Wirtschafts- und Finanzelite, die das ganze politische System kontrolliert.

Die derzeitigen Bedingungen sind das Ergebnis der Reaktion der herrschenden Klasse auf die Krise. Sie sind eine Anklage gegen das ganze politische Establishment und gegen das kapitalistische System.

Jetzt, wo es mit der Wirtschaft wieder bergab geht, das Wachstum nachlässt und Europa am Rande des Zusammenbruchs steht, reagiert die herrschende Klasse, indem sie die Sparmaßnahmen verschärft.

In den Vereinigten Staaten führt die Obama-Regierung einen beispiellosen Angriff auf Sozialprogramme. Diese Woche veröffentlichte sie Pläne zur Kürzung von hunderten Milliarden Dollar bei staatlichen Gesundheitsprogrammen. In den nächsten zwei Monaten wird in Washington darüber diskutiert, wie weit man bei der Aushöhlung und Abschaffung von Medicare, Medicaid, Social Security und anderen Sozialprogrammen gehen kann.

Am Donnerstag erklärte Finanzminister Timothy Geithner, dass die Unruhe auf den Finanzmärkten bedeutet, dass man mit verdoppelter Energie an diesen Maßnahmen arbeiten müsse. Er machte sich Sorgen, ob Washington in der Lage sein werde, die „langfristigen Herausforderungen bei Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und finanzieller Nachhaltigkeit“ anzugehen – mit anderen Worten: Steuersenkungen für Konzerne und starke Kürzungen an allen Programmen, die der Arbeiterklasse zugute kommen.

Die Arbeiterklasse der Vereinigten Staaten und der Welt muss ihr eigenes Programm gegen die Krise des Kapitalismus in Stellung bringen. Zuerst muss sie begreifen, dass ohne Massenkämpfe nichts gewonnen werden kann. Sie muss sich aus dem Würgegriff der offiziellen Gewerkschaften und der Unterordnung unter die Demokraten befreien.

Ohne einen Angriff auf den Reichtum und die Macht der Wirtschafts- und Finanzaristokratie kann es keine Lösung für die Krise geben, die den Interessen der Arbeiter entspricht. Dazu müssen die Vermögen der vierhundert reichsten Männer und des Restes der herrschenden Elite enteignet werden. Die Finanzinstitute, die sie kontrollieren, müssen verstaatlich werden und im Interesse der gesellschaftlichen Bedürfnisse demokratisch geführt werden.

Angesichts der gnadenlosen Offensive der herrschenden Klasse erfordert selbst der Kampf für die minimalsten Reformen revolutionäre Aktion. Notwendig ist die unabhängige wirtschaftliche und politische Mobilisierung der Arbeiterklasse in Massenkämpfen, um die politische Macht zu erlangen und das Wirtschaftslebens sozialistisch umzugestalten.

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