Schlecker: Verdi setzt entlassene Mitarbeiter unter Druck

Im Insolvenzverfahren bei Schlecker, in dessen Zuge bereits 11.000 Beschäftigte entlassen wurden, sind die Mitarbeiter mit einer Verschwörung der Schlecker-Familie, der Insolvenzverwaltung und Verdis konfrontiert. Nachdem eine Transfergesellschaft gescheitert ist, versucht die Dienstleistungsgewerkschaft alles, die Arbeiter daran zu hindern, ihre Rechte zu verteidigen.

Von Anfang an deutete alles darauf in, dass die Gewerkschaft frühzeitig über die Insolvenz des Schlecker-Konzerns informiert war und sie zusammen mit der Unternehmensleitung geplant hatte. Verdi organisierte keinerlei Kampfmaßnahmen zur Verteidigung der Arbeitsplätze und beschränkte ihre Aktivitäten darauf, die Bundesländer aufzufordern, eine Bürgschaft für eine Transfergesellschaft zu unterzeichnen, in der die entlassenen Mitarbeiter für sechs Monate einen Teil ihres Lohns erhalten hätten und erst anschließend in die Arbeitslosigkeit entlassen worden wären.

Dieser Plan ist am vergangenen Donnerstag an den Regierungsfraktionen der FDP in Bayern, Niedersachsen und Sachsen gescheitert. Diese hatten sich kategorisch geweigert, landeseigene Mittel zur Finanzierung bereitzustellen.

Noch bevor die Transfergesellschaft überhaupt beschlossen war, wurden Schlecker-Mitarbeiter von der Gewerkschaft unter Druck gesetzt, in die Transfergesellschaft überzutreten. Damit hätten sie alle Rechte auf mögliche Abfindungen wie auch auf Anfechtung der Kündigung aufgegeben. Der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz, der zusammen mit den Gewerkschaften bereits manroland abgewickelt hatte, erklärte öffentlich, es sei das Ziel, möglichst viele Angestellte zum Übertritt zu bewegen, um Schlecker damit eine größere Zahl von Kündigungsschutzklagen zu ersparen. Diese würden sich negativ auf die Suche nach einem Investor auswirken.

Nun, da die Möglichkeit einer Transfergesellschaft gescheitert ist, setzen Geiwitz und Verdi die Arbeiter mit vielfältigen Mitteln unter Druck, um Klagen gegen das Unternehmen abzuwenden. Der Insolvenzverwalter versuchte am Donnerstag ganz offen, ehemalige und verbleibende Angestellte gegeneinander auszuspielen. Natürlich stehe jedem Mitarbeiter das Recht auf Klage zu, sagte er, „aber mit hoher Wahrscheinlichkeit werden solche Klagen nichts bringen, im Fall einer hohen Gesamtzahl jedoch massiv den verbleibenden Schleckerfrauen schaden.“

Verdi-Verhandlungsführer Bernhard Franke schloss sich dem an. „Ich sehe nicht furchtbar viel Sinn in Kündigungsschutzklagen, vor allem wenn sie jetzt massenhaft erhoben würden. Wenn sich jetzt ein paar Tausend einklagen wollen, gibt es die Arbeitsplätze gar nicht mehr, die Märkte haben alle schon dichtgemacht.“, zitiert ihn die Zeitung Rheinpfalz.

Im neuesten Flugblatt spricht Verdi von einer „bitteren Stunde für die Schlecker-Frauen“, nachdem die Transfergesellschaft nun nicht zustande gekommen ist. In geradezu zynischer Art heißt es dann: „Verdi wird die betroffenen Kolleginnen und Kollegen weiter begleiten. Wir beraten sie und unterstützen sie bei ihrem schwierigen Weg in die Arbeitslosigkeit.“

Damit erreicht die arbeiterfeindliche Politik der Gewerkschaft eine neue Stufe. Sie weigert sich nicht nur, irgendwelche Kampfmaßnahmen zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu ergreifen, sondern setzt Arbeiter direkt unter Druck, selbst die ihnen gesetzlich zustehenden Rechte auszuschlagen. Dabei geht es nicht einmal mehr um die Arbeitsplätze, sondern einzig um eine angemessene Abfindung für Menschen, die zehn, zwanzig oder dreißig Jahre für die Gewinne der Schlecker-Familie geschuftet haben.

Für letztere sieht es laut derzeitigem Verhandlungsstand gar nicht so schlecht aus. Während der offizielle Besitzer Anton Schlecker größere Teile seines Vermögens an Frau und Kinder übertragen hat, könnten diese jetzt das angeblich insolvente Unternehmen wieder übernehmen. Der Spiegel meldete am Sonntag, dass Lars und Meike Schlecker den Konzern mit Hilfe eines Co-Investors zurückkaufen wollen. Geiwitz hatte sich schon früher positiv gegenüber dieser Option geäußert.

Sollte es dazu kommen, hätte Geiwitz in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften die Familie Schlecker von unprofitablen Teilen des Betriebs, sowie fast der Hälfte der Mitarbeiter befreit, um ihnen gestützt darauf neue Milliardengewinne zu sichern.

Wie rücksichtslos und brutal Gewerkschaft und Betriebsräte dabei vorgehen, zeigt ein Blick in das firmeneigene Internet-Forum schlecker-blog.com. Dort tauschen sich Beschäftigte über ihre Erfahrungen aus, wenn sie auch von Vertretern des Betriebsrats moderiert und ggf. zensiert werden.

Einer der Moderatoren, Phillip Kuebber, erklärt in dem Blog, dass der Sozialplan „mit dem GBR [Gesamtbetriebsrat], Verdi und dem Team des Insolvenzverwalters zusammen erarbeitet“ werde. Welchen Charakter dieser Plan trägt, wird in der Diskussion deutlich.

Eine Userin namens „Patricia“ meint dazu: „Der BR [Betriebsrat] hat erstmal nur seinen Arsch gerettet. Da hat keiner mehr fair gespielt. Mein Laden wird nicht geschlossen, aber nach 16 Jahren, Alleinerziehende mit 2 Kids, durfte ich das Feld für ein Br-Mitglied räumen. Die haben uns genauso verarscht wie die Firma selber. Alle haben nur ein falsches Spiel gespielt und dann sagen sie noch, dass sie für UNS gekämpft haben.“

„Elfimaus“ stimmt ihr zu: „Ja da gebe ich Dir recht, so ist es leider. Filiale bleibt offen, Leiterin muss gehen. Betriebsrat muss ja schließlich auch untergebracht werden und vielleicht noch Freunde, weiß es nicht, darum würde ich ja sehr gern den Sozialplan mal sehen.“

Ähnlich sieht es auch „mustermann“: „Unser BR in Lünen hat auch gekämpft, aber nur für sich selbst.“ User „sternstunde“ bringt es auf den Punkt: „Auch in Hannover haben Betriebsräte ihren Arbeitsplatz behalten. Wer das Kreuz hat segnet sich zuerst.“

Die Äußerungen im Forum lassen darauf schließen, dass es nicht die Ausnahme, sondern die Regel war, dass Betriebsräte rigoros für ihr eigenes Wohl gesorgt haben. „Antje“ hat eine Erklärung dafür: „... war gestern zur Betriebsversammlung und da hat der BR klipp und klar gesagt, dass der GBR letztes Wochenende in Kassel über unsere Zukunft entschieden [hat]. Der BR hat auch alle Sozialdaten von seinen BR-Mitgliedern abgeglichen und was ist mit denen die nicht im BR sind? Achso, ich vergaß, sie sind Freiwild!“ Unabhängig vom Inhalt des Sozialplans entsteht der Eindruck, dass hier ohnehin nur diejenigen erfasst wurden, die im Betriebsrat sitzen – ein Vorgang, der natürlich nur vom Betriebsrat kontrolliert werden konnte.

In den Filialen herrscht derweil eine Atmosphäre der Unsicherheit. „Auch die, die jetzt noch Arbeit haben, sind ja nicht sicher. Wenn jetzt die Klageflut kommt, hat Schlecker nochmal riesige Kosten für die Prozesse.“, sagt eine Verkäuferin in Ludwigshafen. „Wer weiß, ob sie die nicht auch noch auf uns abwälzen und weitere Leute entlassen oder Filialen schließen.“

„Viele werden gar nicht erst klagen“, meint dagegen eine Kollegin aus Mannheim. „Erstens weil sie völlig fertig sind und zweitens weil so ein Verfahren ja auch riskant ist. Das kann sich nicht jeder mal eben leisten. Und Schlecker hat ja auch eigene Anwälte für so was.“

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Insolvenzverwaltung und Gewerkschaft es nicht bei den Entlassungen belassen werden, sondern grundlegendere Angriffe auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der verbliebenen Beschäftigten planen.

„Um wichtige Voraussetzungen für die Fortführung zu gewährleisten, haben Insolvenzverwalter und Verdi mehrere Tarifverträge wie den Sozialtarifvertrag, einen Tarifvertrag zur Verbesserung der Sicherheit in den Filialen und eine Vereinbarung über die künftigen Betriebsratsstrukturen unterschrieben. Der Gesamtbetriebsrat hat dem Interessenausgleich einstimmig zugestimmt“, heißt es in einem Flugblatt Verdis. Die Schlecker-Frauen sollten das als Drohung verstehen.

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