Perspektive

Weltwirtschaft 2013:

Schein und Wirklichkeit

Wenn einmal die Wirtschaftsgeschichte der jüngsten historischen Phase geschrieben wird, dann könnte es sein, dass das Jahr 2012 als genauso bedeutend wie das Jahr 2008 eingeschätzt wird.

Der Zusammenbruch der Großbank Lehman Brothers vor viereinhalb Jahren gab den Anstoß für den Zusammenbruch des globalen kapitalistischen Systems. Aber das vergangene Jahr hat seine eigenen Zeichen gesetzt. Es war Zeuge, wie einige der nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise am eifrigsten verbreiteten Illusionen der Fürsprecher der herrschenden Eliten zerplatzten.

Vor allem hat es die Behauptung widerlegt, die Weltwirtschaft werde durch die Funktionsweise des Konjunkturkreislaufes irgendwie von allein gesunden und die „Magie des Marktes“ werde ihr dabei zu Hilfe kommen. Knapp fünf Jahre nach dem globalen Zusammenbruch wird das Finanzsystem nur durch die größten Zentralbanken der Welt am Leben erhalten, die den Großbanken und Finanzinstituten mit Hilfe von „quantitative easing“ – einem beschönigenden Ausdruck für Gelddrucken - Hunderte von Milliarden von Dollar zur Verfügung stellen.

Weit davon entfernt, eine „Erholung“ zu bewirken, finanzieren diese Operationen die Akkumulation von Profiten durch Spekulation – genau durch den Vorgang, der zum Zusammenbruch von 2008 führte – und schaffen damit die Voraussetzungen für den nächsten Crash.

In der Montagsausgabe der Financial Times schreibt Mohamed El-Erian, Chef und stellvertretender Leiter der Investmentabteilung der gigantischen Kapitalanlagegesellschaft Pimco, dass „zahlreiche Wertpapierklassen derzeit wegen experimenteller Bankaktivitäten, sowohl aktueller, als auch angekündigter, hochmanipulative Preise aufweisen“, und dass „diese Situation an 2006 – 2007 erinnert.“

Die vergangenen zwölf Monate haben auch die Illusion begraben, dass nach einer Periode finanzieller Turbulenzen eine „Erholung“ bereits in Sichtweite sei. Alle Daten zur Weltwirtschaft deuten auf geringeres Wachstum oder Rezession in allen größeren Ländern hin.

In ihrem im Dezember veröffentlichten Bericht über die Weltwirtschaft verweisen die Vereinten Nationen auf „Schwächen in den großen Industrieländern“ als Ursache der anhaltenden „globalen ökonomischen Sorgen“. Die meisten dieser Länder, insbesondere in Europa, werden „in eine Abwärtsspirale hineingezogen“, da hohe Arbeitslosigkeit, nachlassender Konsum, anhaltende Bankenrisiken, geringere Staatsausgaben und langsameres Wachstum einander auf „gefährliche Weise verstärken“. Berichte anderer großer Finanzinstitutionen bestätigen diese Sichtweise.

Den Vereinten Nationen zufolge erwartet die Eurozone 2013 ein Wachstum von nur 0,3 Prozent und 2014 gerade einmal 1,4 Prozent, nach einer Schrumpfung um 0,5 Prozent im Jahr 2012. Für die USA wird ein Rückgang des Wachstums auf 1,7 Prozent vorausgesagt, nachdem es 2012 nur einen Wert von 2,1 Prozent erreicht hat – weit unter dem Niveau, das das Land in allen anderen „Erholungsphasen“ seit dem zweiten Weltkrieg erlebt hat. Für Japan, dessen Wirtschaft im letzten Quartal geschrumpft ist, wird für 2013 ein Wachstum von nur 0,6 Prozent erwartet, nachdem es 2012 ein Wachstum von 1,5 Prozent gegeben hatte.

Der UN-Bericht weist auch auf Handelsdaten hin, die die grundlegenden Schrumpfungsprozesse in der Weltwirtschaft erhellen. Der Welthandel fiel 2009 um zehn Prozent, erholte sich aber 2010 wieder. 2011 jedoch begann das Exportwachstum sich zu verlangsamen, um dann 2012 stark nachzulassen, vor allem „auf Grund der nachlassenden Importnachfrage in Europa... und anämischer Gesamtnachfrage in den USA und Japan.“

Die britische Wirtschaft steht in diesem Jahr vor einer dritten Rezessionswelle, nachdem die Aktivitäten im Dienstleistungssektor, der etwa 75 Prozent der britischen Wirtschaft ausmacht, im Dezember scharf zurückgingen.

Der starken verarbeitenden deutschen Wirtschaft steht Ähnliches bevor. Dem jüngsten Bericht des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zufolge steht Deutschland vor einer „beträchtlichen wirtschaftlichen Verlangsamung“, nachdem das Wachstum 2012 bereits nachgelassen hat. Es wird erwartet, dass der Gesamtausstoß im vierten Quartal infolge „schleppender Exporte“ und eines „bedeutenden Rückgangs bei den Investitionen“ um 1,2 Prozent fällt.

Die wirtschaftlichen Ereignisse des Jahres 2012 räumten ebenfalls mit dem Mythos auf, dass die sogenannten BRIC-Länder ungeachtet der Stagnation in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern zum Motor einer neuen Expansion des globalen Kapitalismus werden könnten. Die Behauptung, „Schwellenländer“ seien in der Lage, sich von den größeren Wirtschaften „abzukoppeln“ wird durch fallende Wachstumsraten eindeutig widerlegt.

Im vergangenen Jahr fiel die Wachstumsrate in China von 10,4 Prozent auf 7,7 Prozent. Brasilien, wo das Wachstum 2010 7,5 Prozent erreichte, meldete für das vergangene Jahr eine Wachstumsrate von gerade einmal 1,3 Prozent, während Indiens Wachstum von 8,9 Prozent auf 5,5 Prozent zurückging.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des McKinsey Global Institute (MGI) stellt klar, dass die kapitalistische Weltwirtschaft keinen konjunkturellen Abschwung durchmacht, sondern einen Zusammenbruch, der mit dem vergleichbar ist, der 1914 begann und drei Jahrzehnte andauerte. Diese Ansicht, die von der World Socialist Web Site bereits vor mehr als vier Jahren vertreten wurde, wird jetzt durch unwiderlegbare Zahlen und Fakten bestätigt.

Der McKinsey-Bericht stellt fest, dass der zunehmenden Rezession in Europa ein Zusammenbruch der privaten Investitionen zugrunde liegt. Von 2007 bis 2011 brachen die privaten Investitionen in der 27 Mitglieder starken Europäischen Union um mehr als 350 Milliarden Euro ein, „absolut gesehen, ein größerer Rückgang als je zuvor“. Die Zahl entsprach dem Zwanzigfachen des Rückgangs beim privaten Konsum und dem Vierfachen beim Rückgang des Bruttosozialproduktes.

Private Investitionen liegen jetzt um 15 Prozent unter dem Wert von 2007. Das heißt, dass die Firmen zwischen 2009 und 2020 543 Milliarden Euro weniger Einnahmen haben werden, als sie sonst gehabt hätten. Der MGI-Bericht stellt fest, dass europäische Firmen auf Barbeständen von 750 Mrd. Euro sitzen, für die sie keine profitable Verwendung finden konnten. Diese Anhäufung von Barbeständen deutet auf einen Zusammenbruch in der grundlegenden Dynamik der kapitalistischen Produktion hin, in der Investitionen zur Akkumulation von Profit führen, was dann wiederum zu weiteren Investitionen und wirtschaftlicher Expansion führt.

Denselben Prozess kann man in der amerikanischen Wirtschaft beobachten. Auch hier häufen die Firmen Bargeldbestände an, während die Profite zunehmend durch Spekulation an den Finanzmärkten erzielt werden.

Die objektive Logik des Profitsystems ist die Haupttriebkraft hinter den Sparprogrammen, die die herrschenden Klassen in den USA, Europa und der gesamten Welt durchsetzen. Sie versuchen, die Krise durch die Verarmung der Arbeiterklasse zu lösen, indem sie ihre Lebensbedingungen auf die der 1930er Jahre oder sogar darunter senken.

Die internationale Arbeiterklasse muss mit ihrer eigenen unabhängigen Strategie antworten, die auf den Sturz des bankrotten Profitsystems und die Errichtung des Sozialismus ausgerichtet ist. Der schlimmste Fehler, den sie machen kann, besteht in dem Glauben, dass halbherzige Maßnahmen ausreichen werden oder dass die kapitalistische Wirtschaft von allein gesunden werde. Die Ereignisse des Jahres 2012 haben diese Illusion zerstört und die Grundlagen für große soziale Kämpfe im kommenden Jahr gelegt.

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