Clintons Schweigen zu der Verschwörung um die Amtsenthebung

Am Vorabend seiner Ansprache zur Lage der Nation haben Sprecher des Weißen Hauses deutlich gemacht, daß Bill Clinton das Verfahren des Senats zu seiner Amtsenthebung nicht zu erwähnen beabsichtigt. Obwohl dies seine letzte Gelegenheit sein könnte, öffentlich seinen Anklägern vor einem großen Fernsehpublikum entgegenzutreten, wird Clinton das tun, was er beständig getan hat, seit die derzeitige Krise vor fast einem Jahr ausgebrochen ist - einer Konfrontation mit den Kräften des rechten Flügels, die seine Absetzung erzwingen wollen, ausweichen.

Die offizielle Rechtfertigung für Clintons Schweigen ist die gebetsmühlenartig wiederholte Formel, der Präsident widme seine Aufmerksamkeit lieber den "Angelegenheiten des Volkes". Eine bemerkenswerte Behauptung. Clinton ist der erste gewählte Präsident in der Geschichte Amerikas, gegen den ein Verfahren zur Amtsenthebung läuft. Nur wenige Stunden vor seiner Rede werden seine Anwälte mit seiner Verteidigung vor dem Senat beginnen - der nächste Schritt in einem Prozeß, der schnell zu seinem Sturz führen kann.

So zu tun, als ob solch eine beispiellose politische Krise nicht die "Lage der Nation" betreffe, ist Blindheit oder Selbsttäuschung. Es ist so fadenscheinig, wie es absurd ist.

Wenn das Schicksal der Regierung nicht zu den "Angelegenheiten des Volkes" zählt, wessen Angelegenheit ist es dann? Die der Geldgeber aus Wirtschaftskreisen und Broker der politischen Macht? Die der Medienkonzerne? Die der rechten Verschwörer und ihrer Sprecher in der Republikanischen Partei, die die Kampagne zur Amtsenthebung organisiert haben?

Clintons Schweigen zu den Vorgängen um die Amtsenthebung sagt tatsächlich mehr über die wirkliche Lage der Nation aus, als jede Schönfärberei der amerikanischen Gesellschaft oder Aufzählung von politischen Initiativen. Es bringt zum Ausdruck, daß das Weiße Haus und die Demokratische Partei Komplizen einer politischen Verschwörung sind, die im Grunde nicht gegen Bill Clinton, sondern gegen die demokratischen Rechte des amerikanischen Volks gerichtet ist.

Die amerikanischen Medien werden ihr Bestes geben, um Clintons Schweigen herunterzuspielen und dadurch die Illusion aufrechtzuerhalten, daß die Vorgänge in Washington der Verfassung entsprächen. Doch überall sonst auf der Welt werden die Vorgänge in Amerika allgemein als Staatsstreich des rechten Flügels aufgefaßt.

Die französische Tageszeitung Le Monde brachte am Sonntag einen Artikel mit der Überschrift: "Extremistische Minderheit versucht sich im Herzen der Republikanische Partei festzusetzen". Die Zeitung vermerkt die Verbindungen zwischen führenden Republikanern und dem rassistischen "Council of Conservative Citizens" ("Rat Konservativer Bürger") und spricht von einem "unüberschaubaren Geflecht politischer Organisationen... von der Rechten und der extremen Rechten, die auf die eine oder andere Art mit der Republikanischen Partei verbunden sind".

Clintons Schweigen spiegelt sich in dem Auftritt seiner Rechtsanwälte vor dem Senat. Diese haben erklärt, daß sich ihre Argumentation ausschließlich im Rahmen der von den Republikanern konstruierten Anschuldigungen bewegen wird. Sie werden sich auf die Beweismittel der Grand Jury berufen, welche den Anklagepunkten des Meineids und der Behinderung der Justiz widersprechen, aber vor allen Dingen werden sie argumentieren, daß die Beschuldigungen, selbst wenn sie wahr sind, nicht für eine Verurteilung und Absetzung Clintons ausreichen.

Sie haben nicht die Absicht, daraus einen eigenen Fall zu machen, das heißt, den Spieß umzudrehen und die Kläger anzuklagen, indem die Ermittlungen zu Monica Lewinsky und die Kampagne zur Amtsenthebung als politische Hexenjagd offengelegt werden.

Es ist legitim und notwendig, daß die Verteidigung des Weißen Hauses die spezifischen Anschuldigungen der Anklage als unwahr nachweist, aber dem Wesen des Falles - seinem antidemokratischen Inhalt und den neofaschistischen Kräfte dahinter - aus dem Weg zu gehen heißt, die Verschwörung zu fördern und sie zu decken.

Weder hat ein einziger Politiker der Demokraten die Legitimität der Vorgänge im Senat in Frage gestellt, noch haben die Demokraten nur einmal an die weitverbreitete Opposition gegen die Amtsenthebung unter der amerikanischen Bevölkerung appelliert.

Statt dessen haben sie, bei Clinton angefangen, versucht zu beschwichtigen und ein Übereinkommen zu treffen mit ihren Republikanischen Gegnern - von denen sie wissen, daß sie mit rechtsextremen Kräften verbündet sind. Tatsächlich äußerte am Wochenende ein Senator der Demokraten nach dem anderen seine Bewunderung für den "kraftvollen und überzeugenden" Prozeß der Republikanischen Ankläger gegen Clinton.

Sofern die Demokraten überhaupt eine Strategie haben, besteht sie in der Drohung, daß sie für den Fall, daß die Republikaner Zeugen aufrufen, ihrerseits Zeugenaussagen der Schlüsselfiguren der Verschwörung verlangen werden. Der Demokratische Senator Robert Torricelli zum Beispiel sagte am Sonntag in einer Fernsehsendung des Senders CBS: "An erster Stelle und im Mittelpunkt wird Kenneth Starr stehen." Er beeilte sich hinzuzufügen, daß "niemand" - das heißt niemand in der Führung der Demokratischen Partei - wolle, daß es so weit komme.

Solche Äußerungen zeigen, daß die Demokraten sich der politischen Kräfte, die hinter dem Amtsenthebungsverfahren stehen, sehr wohl bewußt sind, sie aber vor der Öffentlichkeit verbergen. Dies unterstreicht auch ein Artikel über Clinton, der am Sonntag im New York Times Magazine erschien. Der Autor Jacob Weisberg schildert ein privates Treffen mit einer Gruppe Historiker, das Clinton vor einem Jahr veranstaltete, am Vorabend der Vernehmung im Fall Paula Jones:

"Clinton wandte sich an eine kleine Gruppe um ihn herum. Die Rechte, behauptete er heftig, kontrolliere den größten Teil der amerikanischen Politik. Sie habe beide Kammern des Parlaments, die Denkfabriken und das große Geld hinter sich. Er sei der einzige, der einer konservativen Kontrolle des gesamten Regierungsapparats im Weg stünde. Einer der Teilnehmer erinnert sich, wie der Präsident gegen Mitternacht donnerte, die Republikaner würden ihn niemals als legitim anerkennen, weil er ihnen den Zugang zur Macht blockiere."

Privat erklärt Clinton mithin, daß er das Opfer einer Kampagne zur politischen Destabilisierung durch rechtsextreme Kräfte sei, die den "gesamten Regierungsapparat" zu übernehmen planen. Er weiß, daß ihre Methoden der Umgehung des Parlaments bereits zeigen, welche Art autoritäre Herrschaft sie zu errichten vorhaben. Aber gegenüber der amerikanischen Bevölkerung schweigt er sich aus.

Millionen von Amerikanern, die gegen das Amtsenthebungsverfahren sind, werden durch die Taktik der Demokraten vor den Kopf gestoßen. Sie hat nur Clintons Position geschwächt und die Chancen für seine Absetzung erhöht, sei es durch eine Verurteilung im Senat oder durch einen mittels ständigem Druck erzwungenen Rücktritt.

Die Unfähigkeit und fehlende Bereitschaft der Regierung Clintons und der Demokratischen Partei, dem rechten Flügel zu widerstehen, hat tiefliegende objektive Ursachen. Ihre Kraftlosigkeit und Unfähigkeit zu reagieren ist nicht nur das Ergebnis einer verfehlten Taktik oder persönlicher Schwäche. Dieser Zustand hängt mit grundlegenden Klassenfragen zusammen. Wie schwer der Konflikt zwischen den beiden Parteien auch immer sein mag, letztendlich verteidigen sie beide die gleichen sozialen Interessen.

Die Demokratische Partei ist eine bürgerliche Partei. Sie wird niemals Maßnahmen gegen den rechten Flügel ergreifen, die in irgendeiner Form die grundlegenden ökonomischen und politischen Interessen der Kapitalisten in Frage stellen. In der Klasse der Unternehmer, der großen Aktienbesitzer und Spekulanten an der Wall Street ist die Unterstützung für liberale Reformpolitik in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch zurückgegangen. Je stärker sie die Angriffe auf die sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse geführt hat, desto mehr hat die amerikanische herrschende Klasse das Anwachsen des rechtsextremen Flügels inmitten des politischen Establishments gefördert.

Die unvermeidliche Antwort der Demokratischen Partei war, daß sie ihre frühere Politik der bürgerlichen Reform aufgab und sich auf die politischen Forderungen des "big business" einstellte. Die gegenwärtige Schwäche der Demokraten reflektiert die Zersetzung der demokratischen Einrichtungen in Amerika und die politische und moralische Erschöpfung des bürgerlichen Liberalismus. Die Krise der Amtsenthebung hat aufgedeckt, daß die traditionellen Säulen des Liberalismus - die Medien, die akademischen Betriebe und das politische Establishment - der Verteidigung demokratischer Rechte weitgehend gleichgültig gegenüberstehen.

Der liberale Rumpf der amerikanischen Politik fürchtet die Aussicht auf eine aufständische Bewegung von unten weitaus mehr, als die Angriffe von Seiten der äußersten Rechten. Clinton und die Demokraten lehnen jeden Appell an die Masse der amerikanischen Arbeiter ab, weil sie fürchten, dies könne eine politische und soziale Protestbewegung auslösen, die den kapitalistischen Status quo gefährdet.

Die einzige gesellschaftliche Kraft, die eine tiefe Verpflichtung gegenüber demokratischen Rechten behält, ist die arbeitende Klasse, die die breite Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung stellt. Diese Kraft muß in ihrer eigenen politischen Partei organisiert werden, um die Bedrohung von Seiten des rechten Flügels zu bekämpfen.

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