CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz fordert politisches Betätigungsverbot für Asylsuchende

Ende Februar erreichte die ausländerfeindliche Kampagne der Unionsparteien einen neuen Höhepunkt. Zeitgleich mit der Bekanntgabe, dass die rechtsradikale, rassistisch motivierte Gewalt im vergangenen Jahr sich beinahe verdoppelt hat, forderte der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag, Friedrich Merz ein Verbot der politischen Betätigung für Asylbewerber. Während der ganzen Zeit ihres Asylverfahrens in Deutschland, das sich oft über mehrere Jahre hinzieht, soll Asylsuchenden das grundlegende Recht auf freie Meinungsäußerung und politischer Kritik untersagt werden.

Merz begründete seinen Ruf nach einem Maulkorb für Asylbewerber in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Es sei eine wirkungsvolle Maßnahme, um die Zahl der Asylbewerber zu reduzieren. So könne das Asylrecht weiter eingeschränkt werden, selbst wenn man im Moment das individuelle Recht auf Asyl noch nicht völlig abschaffen und aus der Verfassung streichen könne, wie dies die CSU in ihrem jüngsten Thesenpapier zur Ausländerpolitik gefordert hat.

Merz sagte: "Ich könnte mir vorstellen, wir lassen es vorerst bei den Grundgesetzartikeln, wenn wir in die Asylgesetze ein Verbot der politischen Betätigung während des laufenden Asylverfahrens hineinschreiben. Damit könnte man möglicherweise eine Reihe von Asylgründen ausschließen." Seine Logik ist bestechend. Durch das Verbot von politischer Betätigung, das heißt vor allem das Verbot jeglicher Kritik am Regime im Heimatland, soll verhindert wenden, dass die politische Verfolgung eines Asylsuchenden von seiner Heimat aus verstärkt wird und somit erst ein Asylgrund entsteht.

Merz gehört zu jener Sorte konservativer Politiker, die ihre rechte, rassistische Gesinnung und vollständige Ignoranz gegenüber demokratischen Rechten mit einer ordentlichen Portion provinzieller Borniertheit verbinden. Er merkt noch nicht einmal, dass sein Vorschlag der bisher gängigen ausländerfeindlichen Propaganda den Boden entzieht. Immer wieder wurde in der Vergangenheit betont, es handle sich bei Asylbewerbern vorwiegend um Leute, die keinerlei politischer Verfolgung ausgesetzt seien und nur aus wirtschaftlichen Gründen ihr Heimatland verließen, folglich keinerlei Anspruch auf politisches Asyl hätten.

Jetzt sagt Merz, wenn man zulasse, dass Asylsuchende in Deutschland gegen die Politik ihres Heimatstaates protestieren, schaffe das einen Asylgrund. Was sagt das über diesen Heimatstaat aus? Wie kann man dann noch behaupten, die Flucht aus einem solchen Staat sei "Missbrauch" des Asylrechts? Oder umgekehrt: Wenn das Heimatland demokratisch ist, warum würde dann Regimekritik einen Asylgrund rechtfertigen?

Was hätten Thomas Mann, Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht oder all die anderen Flüchtlinge aus Nazideutschland gesagt, wenn ihnen ein damaliger Merz verboten hätte, in ihren Exilländern gegen die faschistische Diktatur in Wort und Schrift offen aufzutreten?

Tatsächlich war damals und ist heute in diktatorisch oder autoritär regierten Ländern die Exilpolitik im Ausland oft die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas Effektives gegen das herrschende Regime unternehmen zu können. Nicht umsonst haben etwa die Türkei oder der Iran immer wieder gedrängt, in Deutschland tätige Oppositionsgruppen schärfer zu verfolgen.

Um Ausländer abzuschrecken, scheuen sich Merz und seine Anhänger nicht, sich vollständig auf die Seite der diktatorischen Regime zu stellen und deren Argumentation zu übernehmen. Erstens behaupten sie, es gäbe keine politische Verfolgung und Unterdrückung und zweitens verbieten sie jegliche politische Opposition dagegen.

Nachdem Asylsuchenden und ihren Familien bereits seit mehreren Jahren die Sozialleistungen stark eingeschränkt wurden - sie erhalten weit weniger als deutsche Sozialhilfeempfänger und dies meist nur in Sachleistungen oder Gutscheinen - soll ihnen nun auch noch das Recht genommen werden, sich gegen das Unterdrückerregime, das sie zum Verlassen ihres Heimatlandes gezwungen hat, zur Wehr zu setzen. Sind sie zuhause der politischen Unterdrückung entronnen, sollen sie in Zukunft hier wegen der selben politischen Aktivität eingekerkert oder abgeschoben werden.

Konkret würde die Verwirklichung dieses Vorschlags bedeuten, dass für einen Teil der Bevölkerung grundlegende demokratische Rechte außer Kraft gesetzt werden. So dürften beispielsweise Kurden aus der Türkei sich nicht mehr an Demonstrationen, Mahnwachen oder anderen Protestaktionen gegen die türkische Regierung und deren brutale Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung beteiligen. Tamilen dürften nicht mehr gegen den Bürgerkrieg in Sri Lanka protestieren, iranische Oppositionelle nicht gegen das Regime im Teheran, palästinensische Flüchtlinge nicht gegen das Vorgehen der israelischen Armee in den Autonomiegebieten.

Natürlich dürfte sich auch keiner der Asylsuchenden an Protestaktionen gegen die deutschen Regierung beteiligen - sei es wegen der deutschen Waffen, die seit vielen Jahren an die Türkei geliefert und im Krieg gegen die Kurden eingesetzt werden - oder anderer Formen von Unterstützung und Zusammenarbeit mit repressiven Regimes, von Protesten gegen die restriktive Asylpolitik mit immer schlimmeren Sozialkürzungen, Arbeitsverbot und unmenschlichen Abschiebebedingungen ganz zu schweigen.

Friedrich Merz machte in seinem dpa-Gespräch auch deutlich, dass er diese Maßnahme nur als einen Zwischenschritt ansieht. Nach seiner Meinung müsse eine einheitliche europäische Lösung für die Einschränkung des Asylrechts gefunden werden. Diese würde letztlich doch zu einer Verfassungsänderung führen.

Bereits davor möchte er aber die Rechtswege-Garantie für Asylbewerber, das heißt das Recht, die ablehnende Entscheidung gegen einen Asylantrag vor Gericht überprüfen zu lassen, außer Kraft setzen. Stattdessen soll ein "Beschwerdeausschuss" über Asylanträge entscheiden. So soll der Rechtsanspruch auf politisches Asyl weiter ausgehöhlt und der Behördenwillkür Tür und Tor geöffnet werden. Ähnliches hatte auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) schon mehrfach in Zeitungsinterviews gefordert.

Seine Vorstellung von demokratischen Rechten erläuterte Merz gegenüber der Deutschen Presse-Agentur mit folgenden Worten: "Wir müssen Einwanderung so regeln, dass sie aus den Interessen des Staates heraus geregelt wird und nicht aus den Interessen der Einwanderer." Und: "Einen Rechtsanspruch auf Einwanderung darf es nicht geben." Stattdessen: "Es muss eine klare Definition der deutschen Interessen geben, welche Einwanderung wir wollen."

Wenn also Grundprinzipien der Verfassung und internationalen Rechts "deutschen Interessen" im Wege stehen, dann sollen diese demokratischen Grundrechte für diejenigen außer Kraft gesetzt werden, deren Schutz sie dienen. Die ständige Betonung, dass die Interessen des Staat höher stehen, als die Rechte der Bürger, zeigt wie dünn die demokratische Fassade in diesem Land ist und hat weitreichende Implikationen.

Heute trifft es mit Ausländern und Flüchtlingen die schwächsten und rechtlosesten Teile der Gesellschaft, morgen kann es jeden treffen, der mit Protesten oder auch Streiks "deutsche Interessen" gefährdet, d.h. den Interessen des Staats und der Wirtschaft entgegentritt.

SPD-Politiker, die sich zu den Forderungen von Merz geäußert haben, lehnten seine Vorschläge nicht prinzipiell ab, sondern bezeichneten sie lediglich als nicht durchdacht und unpraktikabel. Bundesinnenminister Otto Schily erwiderte Merz in der Bild-Zeitung: "Der Vorschlag bringt gar nichts, weil er die Asylverfahren weder verkürzt noch vereinfacht. Politische Betätigungsverbote sind bereits nach geltendem Recht möglich".

Der Innensenator von Hamburg, ebenfalls von der SPD, Hartmuth Wrocklage lehnte den Vorschlag von Merz deshalb ab, weil er "schlicht nicht durchführbar" sei. Er stellte die Frage: "Oder soll die Polizei bei jeder Demonstration von Ausländern die Pässe aller Teilnehmer kontrollieren?"

Die weitgehende Abschaffung des Asylrechts und die Forderung nach Einschränkung der politischen Rechte für Asylsuchende müssen als Angriff auf die demokratischen Grundrechte der gesamten Bevölkerung verstanden und zurückgewiesen werden. Wohin die Reise geht, zeigt ein Gesetzentwurf der Berliner Unionsfraktion zur Neuregelung des Demonstrations- und Versammlungsrechts. "Unter dem Eindruck der NPD-Demos im Zentrum Berlins" fordert die CDU, in Zukunft Demonstration auch dann zu verbieten, wenn "außenpolitische Belange der Bundesrepublik" im Spiel sind.

Siehe auch:
Großbritannien fordert Änderung der Genfer Flüchtlingskonvention
(22. Februar 2001)
Wie die Union gegen Ausländer hetzt
( 22. November 2000)
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