Bundesregierung lockert den Kündigungsschutz

Die Bundesregierung versucht, mit einem leicht durchschaubaren Spiel den Kündigungsschutz zu lockern.

Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) erklärte am 17. Januar in einem Interview mit der Financial Times Deutschland, der Kündigungsschutz müsse wegen der Konjunkturkrise und der steigenden Arbeitslosigkeit auf den Prüfstand. Er sagte, der strenge deutsche Kündigungsschutz schon für Unternehmen ab sechs Mitarbeitern behindere die dringend notwendigen Einstellungen in Mittelstandsunternehmen.

Clement tritt für einen gleitenden Kündigungsschutz ein. Dabei soll der Kündigungsschutz ab einer bestimmten Betriebsgröße (derzeit sechs Beschäftigte) nicht für alle, sondern erst ab dem sechsten Mitarbeiter gelten. Fünf Arbeiter würden dann auch in einem größeren Unternehmen wie in einem Kleinbetrieb behandelt. Sie könnten je nach Konjunktur ohne Angabe von Gründen geheuert und gefeuert werden.

Für alle darüber hinaus Beschäftigten würde der Kündigungsschutz gelten, der selbstverständlich nicht im wörtlichen Sinne ein Schutz vor Kündigung ist. Er bewahrt dem einzelnen Beschäftigten lediglich bestimmte soziale Rechte bei der Kündigung (Angabe eines Grundes, Kündigungsfristen, sozial gerechtfertigte Kündigung im Falle von betriebsbedingten Kündigungen, usw.)

Eine Aufhebung des Kündigungsschutzes für einen Teil der Belegschaft würde der Wirtschaft noch freiere Hand einräumen, als sie bereits besitzt. Innerhalb der allgemein üblichen Probezeit von sechs Monaten können Arbeiter nämlich schon jetzt ohne Angabe von Gründen entlassen werden. Außerdem gibt es die massenhaft genutzte Möglichkeit, Beschäftigte ohne sachlichen Grund bis zu zwei Jahre befristet einzustellen.

Nach Aussage der Gewerkschaften wären von einer Lockerung des Kündigungsschutzes im Sinne Clements 80 Prozent aller Betriebe betroffen. Für acht Millionen Beschäftigte, also jeden vierten, fiele der Kündigungsschutz weg.

Neben den Medien und Vertretern von Union, FDP und Wirtschaftsverbänden unterstützten am Wochenende auch mehrere führende SPD-Politiker dieses Vorhaben - darunter Bundesinnenminister Otto Schily und die Spitzenkandidaten bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen, Gerhard Bökel und Sigmar Gabriel. Gabriel erinnerte daran, dass er den Vorschlag Clements bereits vor gut einem Jahr vorgebracht habe. Bundesaußenminister Josef Fischer (Grüne) meldete sich mit der Bemerkung: "Der Kündigungsschutz ist nicht heilig". Und der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen, Werner Schulz, erklärte: "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung."

Andere SPD-Politiker und Gewerkschafter kritisierten zaghaft Clements Forderungen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hielt sich zunächst zurück. Er sagte nur, man solle Vorschläge nicht voreilig zerreden. Es gehe ihm in einem Gesamtpaket um eine "Neubewertung der Balance" zwischen Arbeitnehmerrechten und Flexibilität für Unternehmer. Clement habe dazu einen "Denkanstoß" gegeben, ergänzte sein Sprecher Bela Anda.

Am Dienstag, einen Tag nach Gesprächen mit dem Arbeitgeberverband über ein neues "Bündnis für Arbeit" von Regierung, Gewerkschaften und Unternehmen, trat Schröder dann mit einem "Kompromissvorschlag" an die Öffentlichkeit. Grundsätzlich soll der Kündigungsschutz für Betriebe mit mehr als fünf Mitarbeitern weiterhin gelten. Allerdings wird er ab dem sechsten Mitarbeiter aufgeweicht, wie die Süddeutsche Zeitung aus Regierungskreisen erfahren haben will: Der Arbeitgeber darf die Mitarbeiter innerhalb der ersten vier Jahre entlassen, wenn er ihnen eine Abfindung zahlt. Diese Abfindung soll pro Jahr der Betriebszugehörigkeit ein Bruttomonatsgehalt betragen. Ab dem zehnten Mitarbeiter soll wieder der volle Kündigungsschutz gelten.

Die Gewerkschaften hätten vorsichtig ihre Zustimmung signalisiert, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Es ist davon auszugehen, dass führende Gewerkschafter nicht erst aus der Presse über Clements Pläne erfuhren. Er arbeitet aufs Engste mit dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Michael Sommer zusammen. Der Spiege l (52/2002) berichtet, dass Clement "fast täglich" mit ihm redet. "Die beiden haben vereinbart, alle anstehenden Projekte in drei Kategorien einzusortieren: Geht, geht zähneknirschend, aber nur mit Geschrei, geht überhaupt nicht."

Auch die gewerkschaftsnahe Frankfurter Rundschau verteidigt in einem Kommentar von Markus Sievers Clements Kurs: "Dass er sich wie beim Kündigungsschutz über Tabus hinwegsetzt, darf in Zeiten chronischer Massenarbeitslosigkeit als legitim gelten."

Mit diesem abgekarteten Spiel - Clement prescht vor, die Rechten jubeln, die Gewerkschaften äußern Missfallen, Schröder tritt als Schlichter auf - will die Bundesregierung ihre scharfe Rechtswendung kaschieren.

1996 hatte die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP unter Helmut Kohl den Kündigungsschutz für Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten abgeschafft. Die SPD Bundestagsfraktion verurteilte das 1997 mit den Worten: "Man kann jetzt schneller entlassen" und "Das soll angeblich Arbeitsplätze schaffen".

1999 hatte der damalige Arbeitsminister Walter Riester (SPD) dann die Grenze, ab der das Kündigungsschutzgesetz gilt, von zehn auf fünf Mitarbeiter herabgesetzt. Im Vorwort der vom Arbeitsministerium herausgegebenen Broschüre "Kündigungsschutz und Kündigungsfristen" (Stand: Januar 2002) heißt es dazu: "Die Wiederherstellung des Kündigungsschutzes durch den Gesetzgeber ist eine wesentliche Maßnahme zum Schutz der Beschäftigten, die auf ihren Arbeitsplatz angewiesen sind. Denn für den größten Teil aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet der Arbeitsplatz die einzige Einnahmequelle und damit Existenzgrundlage für sich und die Familie.... Denn Schutz vor sozial ungerechtfertigter Kündigung ist auch ein Motivationsfaktor für die Beschäftigten und somit ein wesentlicher Baustein für die Leistungsfähigkeit der einzelnen Unternehmen."

Im Bundestagswahlkampf des letzten Jahres hatte die SPD immer noch den Erhalt des Kündigungsschutzes versprochen. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering erhob damals schwere Vorwürfe gegen den Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU), der den Kündigungsschutz in kleinen Unternehmen in Frage stellte, und warf ihm vor, mit seinen Äußerungen für "sozialen Unfrieden im Lande" zu sorgen. Noch im Oktober vergangenen Jahres wurden Berichte über eine Lockerung des Kündigungsschutzes abgewiegelt: "Da ist nichts dran."

Immer deutlicher wird, dass der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement aus Düsseldorf abberufen und von Schröder nach Berlin geholt worden ist, um die Forderungen der Wirtschaft gegen die arbeitende Bevölkerung durchzusetzen. Wirtschaftsnähe zeichnete schon seine Arbeit in Nordrhein-Westfalen aus. Den Interessen und Sorgen der Bevölkerung fühlte und fühlt er sich hingegen in keiner Weise verpflichtet.

Clement versucht, begleitet von einem wahren Trommelfeuer seitens der Medien, den Abbau von sozialen Errungenschaften der Vergangenheit als alternativlos darzustellen. "Wir sind schlichtweg in einer Situation, in der wir alles, was wir bisher getan haben, überprüfen müssen."

"Das Jahr 2003 muss zum Reformjahr werden", betont Clement fast täglich. Die Regierung werde "in jedem Monat des Jahres neue Reformmaßnahmen auf den Weg bringen". Mit den "monatlichen Reformmaßnahmen" meint er den stetigen Abbau sozialer Rechte der arbeitenden Bevölkerung und die Befreiung der Konzerne von allen Restriktionen und sozialen Verpflichtungen.

So hat er beispielsweise fast gleichzeitig mit der Reform des Kündigungsschutzes auch eine Reform des Kartellrechts angekündigt. Ziel der letzteren ist es zu verhindern, dass Fusionen oder Übernahmen durch Gerichte verhindert werden können. Aktuell geht es um die Übernahme des Ruhrgas-Konzerns durch Eon. Obwohl die Bundesregierung dieser gewaltigen Konzentration auf dem Energiemarkt zugestimmt hatte, blockierte das Oberlandesgericht Düsseldorf die Übernahme. Dies soll zukünftig nicht mehr geschehen können. Das Wirtschaftsministerium unter Clement soll das letzte Wort haben.

Auch bei den Angriffen auf die arbeitende Bevölkerung ist noch lange kein Ende erreicht: Sollten die von der Hartz-Kommission vorgeschlagenen Reformen des Arbeitsmarkts am Ende nicht ausreichen, "dann werden wir weitergehen, keine Frage", sagte Clement. "Wir stehen unter erheblichem Zeitdruck, wir müssen Tempo machen."

Die Financial Times Deutschland berichtete: "Gleichzeitig kündigte Clement Sonderwirtschaftszonen in Problemregionen an" - wie sie in den Armenhäusern der Welt in Südamerika, Afrika und Asien existieren.

Siehe auch:
Regierungsberater fordert "mehr soziale Ungleichheit"
(20. November 2003)
Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement plant massive Kürzung der Arbeitslosenunterstützung
( 2. November 2003)
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