Washingtons Kolonialregime für Bagdad

Während die von den Vereinigten Staaten angeführte brutale Invasion im Irak in ihre dritte Woche geht, wird die Übernahme der Herrschaft in Bagdad durch ein Team vorbereitet, das sich aus Hunderten hauptsächlich US-amerikanischen Mitarbeitern zusammensetzt und südlich von Kuwait-Stadt in luxuriösen Strandvillen untergebracht ist. Die exakte Zusammensetzung der "irakischen Interimsregierung" und der Zeitpunkt ihrer Einsetzung sind der Anlass bitterer Auseinandersetzungen in der Bush-Regierung. Aber es kann kein Zweifel an ihrem politischen Charakter bestehen - es wird ein neokoloniales Regime sein, das die Washingtoner Diktate umsetzt.

Die Bush-Regierung drückt ihre Pläne für die neue Regierung durch, ohne dabei allzu viel Wert auf die Meinung ihrer engsten militärischen Alliierten - Großbritannien und Australien - zu legen oder gar andere Regierungen anzuhören. Nach der Invasion in Afghanistan hatten die Vereinigten Staaten dafür gesorgt, dass sie für die Installation ihrer Marionette Hamid Karsai und seiner Regierung in Kabul den offiziellen Segen der Vereinten Nationen (UN) erhielten. Im Falle des Iraks hat Washington deutlich gemacht, dass die UN nur dann eine Rolle spielen werden, wenn sie sich nach Amerikas Bedingungen richten.

Nach einem Bericht, der am 2. April in der Washington Port erschien, besteht das in Kuwait bereitstehende Regime "fast ausschließlich aus Amerikanern" - ehemaligen oder noch aktiven Mitarbeitern des Pentagons und Außenministeriums und anderer staatlicher Stellen wie dem Finanzamt, USAID und dem Ingenieurkorps der Armee. Hinzu kommen "eine Handvoll britischer und australischer Diplomaten und eine kleine Gruppe irakischer Exilanten", und es wird erwartet, dass die UN "eine Rolle im Gesamtkomplex spielen" werden.

Kopf der Gruppe ist der pensionierte Drei-Sterne-General Jay Garner, der das im Januar vom Pentagon geschaffene Amt für Wiederaufbau und Humanitäre Angelegenheiten (ORHA) leitet. Das Team ist den Invasionstruppen untergeordnet und Garner ist direkt dem Leiter des amerikanischen Zentralkommandos Tommy Franks unterstellt, der die militärischen Operationen leitet. Die extrem rechten Führungsfiguren im Pentagon - Neokonservative wie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sein Stellvertreter Paul Wolfowitz und Richard Perle, der bis vor Kurzem eine leitende Position bei der Ausarbeitung der Verteidigungspolitik einnahm - haben bei der Auswahl des Personals eine entscheidende Rolle gespielt.

Garner unterhält enge Beziehungen zu diesen so genannten "neo-cons" und teilt ihre Ansichten - insbesondere ihre Unterstützung für das rechte Likud-Regime in Israel. Er unternahm 1998 eine Israelreise, die von einer pro-israelischen Lobbygruppe - dem Jewish Institute for National Security Affairs (JINSA) - organisiert worden war. Das JINSA hat sich auf solche Reisen für pensionierte US-Militärs spezialisiert und bringt sie mit israelischen Politikern und Staatsvertretern zusammen.

Im Jahre 2000 unterzeichnete Garner ein Stellungnahme vom JINSA, in der erklärt wurde, dass Israel eine "bemerkenswerte Zurückhaltung" zeige angesichts der Gewalt, "die von der Palästinensischen Autonomiebehörde ausgeht". Sie stellte fest: "Ein starkes Israel ist ein Verbündeter, auf den sich amerikanische Militärplaner und politische Führer verlassen können." Zu den derzeitigen und ehemaligen Beratern des JINSA zählen Vizepräsident Dick Cheney, Perle und der Staatssekretär im Verteidigungsministerium Douglas Feith, der ebenfalls eine prominente Rolle bei der Organisierung der irakischen Interimsregierung spielt.

Der ehemaliger CIA-Leiter James Woolsey berät zur Zeit des JINSA und dient als Aushängeschild anderer rechter Lobbygruppen der Republikanischen Partei, wie des "Komitees für die Befreiung des Irak", das im vergangenen November gegründet wurde, um auf ein militärisches Handeln zu drängen. Es wird vermutet, das Woolsey dem Informationsministerium in Bagdad vorstehen soll. Auch wenn dieser Vorschlag vielleicht abgelehnt wird, weil dies als zu offensichtliche amerikanische Anmaßung gelten könnte, ist Woolsey für andere Posten im Gespräch.

Die Diplomatin Barbara Bodine und die zwei pensionierten Generäle Buck Walters und Bruce Moore sind ausgewählt worden, um drei Verwaltungsbezirke zu regieren - mit ihren jeweiligen Sitzen in Bagdad, Basra und der nordirakischen Stadt Mosul. Robert Reilly, der ehemalige Leiter von Voice of America, arbeitet mit Exilirakern an der Entwicklung eines Propagandasenders. Verschiedene Experten des amerikanischen Finanzministeriums diskutieren, wie man am besten die irakische Währung für eine Übergangszeit durch den US-Dollar ersetzen kann.

Washingtons Ambitionen in Bezug auf Bagdad sind ziemlich offenkundig. Die Washington Post berichtete am 3. April von dem Plan, einen hochrangigen Vertreter der amerikanischen Ölindustrie einzusetzen, um die irakische Ölproduktion zu überwachen. "Irakische Experten, die sich derzeit nicht im Lande befinden, sollen angeworben werden, um die zukünftigen Ölverkäufe zu erledigen. Informanten aus der Industrie sagen, dass der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Shell, Philip J. Carroll, der führende Kandidat für die Leitung der Produktion ist."

Amerikanische Unternehmen gehen bereits von lukrativen Geschäftsmöglichkeiten aus, nicht nur in Bezug auf die Ölindustrie sondern auch in Hinblick auf Bauaufträge und andere Aspekte der irakischen Wirtschaft. Ein Artikel, der kürzlich im Magazin Fortune erschien, war voll des Lobes für Garners geschäftlichen Fähigkeiten. Der ehemalige General unterhält enge Beziehungen zur amerikanischen Rüstungsindustrie. Er war der Vorsitzende von SY Coleman, einem Rüstungsbetrieb, der das amerikanische Militär mit Patriot-Raketen beliefert und Israel geholfen hat, ein eigenes Raketensystem zu entwickeln.

Fortune zitierte zustimmend Ariel Cohen vom konservativen Thinktank American Heritage Foundation. Man brauche jemanden mit fundiertem Geschäftskenntnissen, erklärte Cohen, "um dort ein kapitalistisches System einzuführen, wo es seit den 1960-er Jahren zentral geleiteten Sozialismus gab". Der rechte Ideologe Cohen, der jedes Unternehmen in Staatsbesitz oder Beschränkungen im Bereich der Profitmaximierung als "Sozialismus" betrachtet, gehört zu jenen, die auf eine umfassende Privatisierung im Irak drängen, um den Weg für amerikanische Unternehmen und Investoren frei zu machen und ihnen die Übernahme der pofitabelsten Bereiche der irakischen Wirtschaft, vor allem der Ölindustrie, zu ermöglichen.

Bittere Kritik

Washingtons unverhüllte Vorbereitungen, um die Macht in Bagdad und die Kontrolle über das irakische Öl zu übernehmen, haben sowohl unter den europäischen Rivalen wie auch unter den engsten Alliierten Amerikas am Persischen Golf bittere Kritik hervorgerufen. Die herrschenden Eliten in Saudi Arabien und anderen Golfstaaten fürchten, dass die Vereinigten Staaten sowohl die Region politisch destabilisieren könnten als auch das irakische Öl nutzen wollen, um das Förderquoten-System der OPEC zu unterminieren und die Ölpreise erheblich zu senken.

Die amerikanischen Pläne für die irakische Ölindustrie stehen in direktem Gegensatz zum vorherigen "Food-for-oil"-Programm der Vereinten Nationen wie auch im Widerspruch zum Völkerrecht - sie sind wie ein Raubüberfall an helllichtem Tage. Der ehemalige energiepolitische Mitarbeiter von Clinton, David Goldwyn, sagte gegenüber der Washington Post vorsichtig: "Ich glaube nicht, dass die Vereinigten Staaten nach internationalem Recht eine legale Möglichkeit haben, ohne eine neue Resolution des Sicherheitsrats das irakische Öl in Beschlag zu nehmen und zu verkaufen. Es ist äußerst zweifelhaft, ob irgendeine angesehene Ölfirma Öl kaufen wird, ohne dass die Eigentumsverhältnisse klar sind."

Frankreich, Deutschland und andere europäische Mächte haben darauf gedrängt, dass die Vereinten Nationen eine zentrale Rolle bei der Umgestaltung des Iraks und vor allem der Leitung der Ölindustrie spielen sollen. Solch ein Schritt würde die Versuche der Vereinigten Staaten durchkreuzen, ihr eigenes Monopol auf die wirtschaftliche und politische Macht in Bagdad zu errichten. Washington hat diese Appelle allerdings barsch zurückgewiesen. Der amerikanische Außenminister Colin Powell, der in der vergangenen Woche anlässlich eines NATO-Treffens in Brüssel war, erreichte keine Übereinkunft mit seinen europäischen Gegenspielern. "Wir verstehen alle, dass die UN eine Rolle spielen müssen. Das Wesen dieser Rolle und wie sie gespielt wird, steht noch nicht fest," kommentierte er.

Powell ist in den herrschenden Kreisen Europas als Gegengewicht zu Rumsfeld und anderen Hardlinern im Pentagon betrachtet worden. Tatsächlich sind die scharfen Auseinandersetzungen zwischen dem amerikanischen Verteidigungs- und Außenministerium, von denen die Medien in den Vereinigten Staaten berichten, von rein taktischem Charakter - wobei Powell und andere Diplomaten versuchen, die Kritik an den amerikanischen Plänen in Europa und der arabischen Welt zu besänftigen. Powells Kommentare machen deutlich, dass die Bush-Regierung als Ganze jede Beteiligung der Vereinten Nationen nur als Kosmetik betrachtet.

Washington hat ebenfalls den verschiedenen irakischen Oppositions- und Exilgruppen nur eine zweitrangige Rolle zugewiesen. Garners Gruppe in Kuwait lässt nur eine Handvoll von Exilirakern an ihrer Seite arbeiten. Laut einem Artikel in der Londoner Times plant das Team, etwa einhundert "freie Iraker" anzuheuern, die als Berater für die amerikanischen Leiter der Ministerien in Bagdad fungieren sollen. Ebenso soll ein machtloses irakisches Beratungsgremium eingerichtet werden.

Der schamlose Charakter der Washingtoner Entwürfe für den Irak hat Opposition von Seiten der Exilgruppen hervorgerufen, die zum Teil seit Jahren von den Vereinigten Staaten Gelder erhalten. Selbst Ahmad Chalabi, der Favorit der Neokonservativen im Pentagon, sah sich genötigt, sich öffentlich von den Vorschlägen für eine amerikanische Regierung in Bagdad zu distanzieren. Er forderte eine Übergangsregierung unter irakischer Leitung - ein Schritt, der von seiner eigenen Organisation, dem Irakischen Nationalkongress (INC), und anderen Oppositionsgruppen unterstützt wird. Gleichzeitig wird Chalabi nicht außen vor bleiben. Der britische Guardian berichtete, dass der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz darauf dränge, dass Chalabi einen Beraterposten im irakischen Finanzministerium erhält. Chalabi, ein Investmentbanker, der in Jordanien wegen Betrugs verurteilt worden ist, teilt die pro-israelischen Ansichten der Rechten im Pentagon. Wolfowitz möchte auch Chalabis Neffen Salem und andere enge Verbündete im INC auf Schlüsselposten im neuen Regime setzen.

Ein anderer Exiliraker - Adnan Pachachi, 79, ehemaliger irakischer Außenminister - ist in jüngster Zeit als Konkurrent Chalabis im Irak nach Hussein hervorgetreten. Er hat in den Vereinigten Arabischen Emiraten gelebt und dort als Regierungsberater gewirkt, seit er Ende der 1960-er Jahre, nach der Machtergreifung der Baath Partei, ins Exil gegangen war. Er wurde von Zalmay Khalizad, dem US-Sondergesandten für die irakische Opposition, ermutigt eine Rolle im Nachkriegsirak zu spielen und nahm im Januar am Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos teil.

Pachachi hat abgelehnt, sich Chalabi und dem INC anzuschließen, und Ende März in London seine eigene Konferenz mit 300 Exilirakern einberufen. Die Versammlung lehnte Versuche ab, eine amerikanische Regierung in Bagdad zu errichten, und verabschiedete eine Resolution, in der die Schaffung einer provisorischen Regierung in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen gefordert wurde. Ähnlich wie Chalabi lehnt Pachachi die amerikanische Invasion oder die Installation eines neokolonialen Regimes nicht grundsätzlich ab. Er versucht offensichtlich, die Unterstützung Europas wie auch der Golfstaaten zu erhalten, die die Vereinten Nationen benutzen wollen, um im Nachkriegsirak stärker mitreden zu können und einen Anteil an der Beute zu erhalten.

Alles weist jedoch darauf hin, dass die Bush-Regierung beabsichtigt, die internationalen Einwände zu ignorieren und möglichst bald eine irakische Übergangsregierung unter amerikanischer Kontrolle einzusetzen. Die Washington Post berichtete am vergangenen Freitag, Rumsfeld habe Bush empfohlen, dass die Regierung schnell ausgerufen werden und ihren Sitz im Südirak einnehmen soll, selbst wenn Bagdad und andere irakische Städte noch nicht gefallen sind. Der Grund ist leicht ersichtlich: Ein solcher Schritt würde effektiv jede Debatte in den Vereinten Nationen und anderswo über die zukünftigen Machthaber im Irak verhindern.

Obwohl Garner öffentlich erklärt hat, dass seine Rolle im Irak nicht von langer Dauer sein wird - begrenzt auf nur 90 Tage - glaubt niemand ernsthaft, dass die Vereinigten Staaten auf die Kontrolle wieder verzichten werden. Wie ein Mitglied von Garners Team gegenüber den Medien sagt: "Einige von uns sind hierhin gekommen mit der Vorstellung, dass es sich um eine drei- bis viermonatige Operation handeln würde. Jetzt ist klar, dass wir hier und schließlich in Bagdad viel länger bleiben werden, als erwartet wurde."

In der Zwischenzeit warten Hunderte amerikanischer Mitarbeiter in ihren Luxusvillen in Kuwait auf den Ruf, entwerfen Pläne und versuchen ihre kollektive Ignoranz in Bezug auf die Geschichte des Iraks und seiner Bevölkerung wettzumachen. Die Washington Post beschrieb die Situation folgendermaßen: "Nun, da der Krieg länger dauert, als ihnen zu verstehen gegeben worden war, wartet man ungeduldig und hat Zeit zum Lesen. Nur wenige dieser Menschen sind Experten in Sachen Irak. Aber einige haben sich mit Büchern und Artikeln zur Geschichte des Iraks bewaffnet. Die Kapitel über die Fehler der britischen [Kolonial-] Herrschaft werden besonders gründlich studiert."

Siehe auch:
Politische Lehren aus dem Irakkrieg
(10. April 2003)
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