Vereinigte Staaten machen keine Angaben über irakische Kriegsopfer

Vertreter der Bush-Regierung und des Pentagons haben deutlich gemacht, dass es von ihrer Seite aus keine Schätzungen geben wird, wie viele irakische Soldaten und Zivilisten während des dreiwöchigen Krieges vom amerikanischen und britischen Militär getötet oder verwundet worden sind.

Nach Angaben der Militärführung praktizieren die Vereinigten Staaten nicht länger den "body count" - eine Anspielung auf die in den Frontberichten oft übertriebenen Angaben zur Zahl getöteter Gegner, die die Opposition gegen den Vietnamkrieg weltweit und in Amerika beträchtlich verstärkt hatten. Um das Image des amerikanischen Militärs aufzupolieren, haben das Pentagon und die US-Medien beschlossen, vor der amerikanischen und Weltöffentlichkeit das Ausmaß des Massakers, das im Irak stattgefunden hat, zu verheimlichen.

Das Militär folgte dabei dem Vorbild, das der damalige Generalstabschef Colin Powell abgegeben hatte, als er nach dem ersten Golfkrieg 1991 erklärte, dass er "nicht schrecklich interessiert" daran sei, festzustellen, wie viele irakische Soldaten getötet worden waren. Diese unverhüllte Gleichgültigkeit in Bezug auf die menschlichen Kosten der amerikanischen Invasion und die Verachtung für die internationale öffentliche Meinung zeigen, wie tatsächlich im Weißen Haus und in den Spitzen des Militärs gedacht wird. Die Masse der irakischen Bevölkerung wird von ihnen kaum als Menschen wahrgenommen.

Die New York Times berichtete, dass die Zahl der irakischen Opfer bei den täglichen Besprechungen der hochrangigen Kommandeure im Zentralkommando kein Thema war. Die Zeitung sagte, das Militär verlange nicht länger von seinen Kommandeuren, die getöteten und verwundeten gegnerischen Soldaten zu zählen.

Der Hauptsprecher des Zentralkommandos Captain Frank Thorp erklärte, dass die Kommandeure nicht aufgefordert wurden über die Zahl der getöteten und verwundete Gegner auf dem Laufenden zu sein, da es "zu zeitaufwändig" und "riskant" sei, die Toten auf dem Schlachtfeld zu zählen. "Dort draußen im Kampfgebiet," sagte er, "konzentriert sich der Kommandierende am Boden auf die Gegenwart, die Zukunft und auf die Frage, wie es seinen Soldaten geht. Wir werden ihn nicht auffordern, besondere Berichte über die Opfer des Feindes anzufertigen."

Diese Haltung, die an die Völkermordpolitik gegenüber den Indianern und die arrogante Barbarei der europäischen Kolonialisten in Afrika und Asien erinnert, wurde von Präsident Bush direkt gefördert. Dieser hatte bei mehreren Gelegenheiten erklärt, dass die Vereinigten Staaten sich bei ihrem Feldzug gegen den Irak nicht mit "Halbheiten" zufrieden geben würden.

Nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes waren die Opferzahlen im ganzen Irak so hoch, dass viele Krankenhäuser - die ohnehin aufgrund der Bombardierungen, Plünderungen und des Fehlens von Strom, Medikamenten und sauberem Wasser ihrer Arbeit kaum nachkommen konnten - zu viel zu tun hatten, um die Toten und Verwundeten zu verzeichnen. Es existiert keine irakische Autorität mehr, die die Toten zählen und ihre Angehörigen informieren könnte.

Einzelne Berichte vermitteln allerdings ein Bild vom Ausmaß des stattgefundenen Tötens und Verstümmelns. Allein in der südirakischen Stadt Basra kommen Rettungswagenfahrer und Krankenhauspersonal zu der Einschätzung, dass sie seit dem Ausbruch des Krieges am 20. März mit etwa 1.000 bis 2.000 Leichen zu tun hatten.

Die Washington Post berichtete, dass Totengräber auf einem Friedhof in Nadschaf, etwa 150 Kilometer südlich von Bagdad, davon sprachen, sie hätten während der drei Kriegswochen rund um die Uhr gearbeitet und Hunderte, wenn nicht Tausende beerdigt. Die Zeitung schrieb: "In einem endlosen Trauerzug kamen sie in Minibussen und Pickups, in Taxis und Kleinlastwagen, mit einfachen Holzsärgen, die auf die Wagendächer gespannt waren. Einige Leichen waren kaum identifizierbar, als sie nach Tagen und gar Wochen aus den eilig aufgeworfenen Gräber exhumiert wurden. Andere wurden erst kürzlich in Krankenhäusern und Moscheen entdeckt, wo sie mit anderen Leichen im Chaos des Krieges liegen geblieben waren.

’Alles im Irak ist reich - unser Öl, unsere Ressourcen, unser Land,’ sagte Shamil Abdel-Sahib, ein 33-jähriger Mann, der die rituelle Waschung der Leichen vor dem Begräbnis vornimmt. ‚Das einzige, was im Irak billig ist, sind seine Menschen.’"

Während das Pentagon jede Herausgabe von offiziellen Zahlen verweigert hat, berichtete das amerikanische Zentralkommando, dass bei nur einem Gefecht - dem Wüten einer Reihe amerikanischer Panzer und gepanzerter Fahrzeuge in Bagdad am 5. April - zwischen 2.000 und 3.000 irakische Soldaten getötet wurden.

Ungenannte Vertreter des amerikanischen Militärs haben gesagt, dass insgesamt zwischen 10.000 und 15.000 irakische Soldaten getötet worden sind, doch Berichte über die so genannte "Verminderung" der Stärke irakischer Einheiten lassen vermuten, dass die tatsächlichen Zahlen wesentlich höher liegen.

Vor dem Krieg sagten Militäranalytiker, dass der Irak über 389.000 aktive Vollzeitsoldaten verfügte, darunter 80.000 Soldaten der Republikanischen Garde. Nach Angaben des US-Militärs sind diese Streitkräfte auf unter 20 Prozent ihrer Kampfstärke reduziert worden. Dies würde bedeuten, dass Zehntausende irakische Soldaten getötet oder verwundet wurden. Da sich die irakische Armee zu zwei Dritteln aus Wehrpflichtigen zusammensetzt - die mit Erreichen des 18. Lebensjahrs den Militärdienst leisten müssen - hätte der amerikanische Angriff somit einen großen Teil der jüngeren Generation irakischer Männer ausradiert.

Als klar wurde, dass die Vereinigten Staaten bei ihrer Invasion auf harten Widerstand stießen, beschlossen das Weiße Haus und das Pentagon, die irakischen Verteidiger mit massiver Feuerkraft zu bekämpfen, unabhängig von der Zahl der Opfer unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung. Ihr Ziel bestand darin, durch den Einsatz von Präzisionswaffen so viele gegnerische Soldaten wie möglich zu töten, bevor die amerikanischen Bodentruppen mit ihnen in Kontakt kommen würden.

"Die Bombenabwürfe, welche die Bodenoperationen begleiteten, um irakische Militäreinheiten in immer kleinere ‚kill boxes’ zu drängen, haben sicherlich zum Tod von Tausenden, vielleicht Zehntausenden Soldaten geführt", berichtete die New York Times.

Die Strategie wurde von Lt. Col. Bryan McCoy prägnant beschrieben. McCoy kommandierte eine 1.500 Mann starke Einheit der Marines, die mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen ausgerüstet war und von Artillerie, Kampfhubschraubern und Kampfflugzeugen gedeckt wurde. Sie gehörte zu den ersten Einheiten, die Bagdad erreichten.

McCoy sagte gegenüber einem Reporter der Times, dass seine Strategie zur Erlangung einer "gewaltsamen Überlegenheit" darin bestand, jeden zu töten, der eine Waffe gegen die amerikanisch-britischen Invasoren erhoben hatte, selbst wenn der Gegner davonlief. Er sagte: "Wir sind hier, bis Saddam und seine Gefolgsleute tot sind... Für uns ist es vorbei, wenn der letzte Kerl, der für Saddam kämpfen will, Fliegen auf seinen Augäpfeln sitzen hat. Dann gehen wird nach Hause."

McCoys Gleichsetzung von Widerstand gegen die Invasion mit politischer Unterstützung für das Regime von Saddam Hussein ist typisch für die Kriegspropaganda, die von der Bush-Regierung, dem Pentagon und den Massenmedien ausgegeben wurde. Aus den Fernsehreportagen und der Berichterstattung in den Printmedien ging hervor, dass es Anweisungen gegeben hatte, Widerstandleistende stets als überzeugte Anhänger Husseins, Unterstützer des Regimes o.ä. zu bezeichnen. Diese Sprachregelung sollte der Öffentlichkeit die Idee einimpfen, dass alle, die sich gegen die amerikanische Eroberung des Iraks stellten, gleichzeitig die repressive Politik des Hussein-Regimes unterstützten und daher den Tod verdienten. Zugleich wurde die Möglichkeit ausgeschlossen, dass Irakis, die gegen das Regime waren, auch gegen die amerikanischen Invasion und die Besetzung des Landes sein könnten.

In den internationalen Medien sind mittlerweile auch Berichte aus der Perspektive irakischer Soldaten erschienen. Zum Beispiel beschrieb ein Infanterist des 6. Korps der Republikanischen Garde, wie ein neuntägiges Bombardement seine 2.000 Mann starke Einheit dezimierte, die zur Verteidigung von Kut, etwa 150 Kilometer südöstlich von Bagdad gelegen, entsandt worden war.

Obwohl die amerikanischen Medien stets die Soldaten der Republikanischen Garde als die am besten ausgebildeten und härtesten Kämpfer dargestellt haben, war Baha Aldin Jalal Abdul Ameer ein 21-jähriger Mathematikstudent, als er eingezogen wurde und nach zweimonatiger Ausbildung zur Verteidigung Kuts geschickt wurde.

Er sagte gegenüber der in Toronto erscheinenden Zeitung Globe and Mail : "Von Beginn an wurden viele meiner Freunde durch die Bomben getötet. Da waren mindestens 150, die ich kannte, die in den ersten paar Tagen starben. Die Bomben fielen überall, rissen Menschen in Stücke und zerstörten alles... Jeden Moment dachte man, dass man sterben würde." In der Nacht, sagte Ameer, hatten die amerikanischen Soldaten "Nachtsichtgeräte und sie gingen ständig aus der Dunkelheit auf uns los. Wir konnten sie nicht sehen, und sie konnten uns nach Belieben töten."

Das einseitige Gemetzel verstörte viele amerikanische Soldaten, denen gesagt worden war, dass die irakischen Soldaten kampflos aufgeben würden. Ein Artikel im Christian Science Monitor bemerkte, dass ein Marine vom Dritten Batallion nach einem Kampf im Privaten gesagt hatte: "Mir fällt kein besseres Wort ein, ich fühle mich beinahe schuldig an dem Massaker. Wir haben eine Menge Leute umgelegt. Man fragt sich, wie viele unschuldig waren. Das nimmt einem einen Teil des Stolzes. Wir haben gewonnen, aber um welchen Preis?"

Opfer unter der Zivilbevölkerung

Die Verachtung gegenüber irakischen Leben erstreckt sich auch auf die Zivilbevölkerung. Obwohl sie sich bemühen, den Krieg so darzustellen, als sei sein Ziel die "Befreiung" der irakischen Bevölkerung gewesen, haben amerikanische Vertreter erklärt, dass sie weder die getöteten und verwundeten Zivilisten beziffern noch eine Schätzung zum entstandenen Schaden an der zivilen Infrastruktur abgeben werden.

Anfängliche Berichte aus Krankenhäusern, Tagesberichte der Medien und andere Quellen ließen die Schätzung zu, dass mindestens 3.500 Zivilisten getötet und 5.000 weitere verwundet wurden. Diese Zahlen nehmen noch zu, da die Besatzungstruppen weiterhin Gewalt einsetzen, besonders gegen antiamerikanische Demonstranten, und Tausende weitere Menschen tödlichen Gefahren ausgesetzt sind - nicht-explodierten Sprengkörpern, Hunger sowie Krankheiten wie Cholera und Diarrhöe, die durch verschmutztes Trinkwasser und unhygienische Bedingungen verursacht werden.

Vertreter des Pentagons haben diese Schätzungen zur Zahl der zivilen Opfer abgetan und behauptet, dass viele der Toten Kämpfer in Zivilkleidung oder Opfer der irakischen Verteidiger waren und nicht den amerikanischen Cruise Missiles, Bomben und Invasionstruppen zum Opfer fielen.

Der amerikanische Außenminister Colin Powell sagte am 13. April gegenüber einem BBC-Reporter: "Wir wissen wirklich nicht, wie viele tote Zivilisten es gegeben hat, und wir wissen nicht, wie viele davon den Handlungen der Koalition zuzuschreiben sind, und nicht den Taten der irakischen Streitkräfte bei ihrer Verteidigung."

Um den immer fadenscheiniger werdenden Vorwand zu stützen, der Krieg sei zu Gunsten der Irakis geführt worden, beschloss der amerikanische Kongress im Rahmen seines 78,5-Milliarden-Dollar-Notprogramms für den Krieg einen Posten, um den Angehörigen von "unschuldig" getöteten oder verwundeten Zivilisten eine symbolische Unterstützung zukommen zu lassen. Das Geld wird aus den 2,5 Milliarden Dollar des Hilfs- und Wiederausbaufonds genommen, der zur Finanzierung von Lebensmitteln, Wasser, medizinischer Versorgung, Transport und anderen Grundbedürfnissen vorgesehen ist.

Ein Sprecher des Demokratischen Senators Patrick Leahy, der führend für diese Maßnahme eintrat, sagte, dass der Kongress allerdings nicht vorsehe, ein formelles Verfahren einzurichten, so dass Irakis Ansprüchen erheben könnten oder das Militär verpflichtet wäre, Individuen oder Gemeinschaften zu benennen, die Schaden erlitten haben.

Das Pentagon reagierte auf diese Maßnahme mit einer Stellungnahme, die ganze zwei Sätze umfasste und aussagte, dass das Verteidigungsministerium "keine Pläne hat", die Gesamtzahl der Zivilopfer zu bestimmen.

Die Behauptung, dass die amerikanischen Vertreter nicht wissen können, wie viele Irakis getötet und verletzt wurden, ist eine Lüge. Das Verteidigungsministerium verfügt über die modernsten Mittel, um die Zerstörungskraft seiner Waffen einzuschätzen, unter anderem über Satellitenfotos zur "Bombenbewertung", die den Medienvertretern regelmäßig bei den Pressekonferenzen des Pentagons vorgeführt wurden.

Außerdem haben Militärvertreter bestätigt, dass amerikanische Soldaten gemäß dem Protokoll der Genfer Konventionen zur Handhabung von menschlichen Überresten die Identifikation der toten gegnerischen Soldaten vermerkten und die Information an das Personal für "Leichenangelegenheiten" in Kuwait sandten, bevor man die Toten in gekennzeichneten Gräbern begrub. Solch eine Dokumentation könnte zusammengestellt werden, um eine Schätzung zur Mindestzahl der gefallenen Irakis zu erhalten. Dies zu verweigern, ist eine politische Entscheidung.

Robert Turner vom Zentrum für Nationale Sicherheitsgesetze an der Universität von Virginia sagte gegenüber der Pittsburg Post-Gazette, dass das Militär die Zahl der Opfer so gering wie möglich halten will, weil der langfristige Plan vorsieht, nach dem Krieg die Regierung des Iraks zu stellen. "Je mehr Mütter und Väter ihre Kinder verlieren, je mehr Frauen ihren Mann verlieren, umso mehr Zorn wird sich gegen die Leute richten, die sie getötet haben", sagte Turner.

Zudem will das Pentagon die Lüge aufrechterhalten, dass der Krieg gegen einen hervorragenden Gegner geführt wurde, der die Vereinigten Staaten mit Massenvernichtungswaffen bedrohte. Die Tatsache, dass 165 Soldaten der Koalitionstruppen getötet wurden und auf der anderen Seite Zehntausende Irakis, ist ein erdrückender Beweis dafür, dass die Vereinigten Staaten die schrecklichsten Massenvernichtungswaffen einsetzten, um einen kolonialen Feldzug gegen ein verarmtes und wehrloses Land durchzuführen.

Für das Zahlenverhältnis zwischen gefallenen amerikanischen Soldaten und den getöteten Gegnern finden sich in der Geschichte kaum Beispiele. Eines ist, laut dem deutschen Militärhistoriker Ralph Rotte, die Schlacht von Omdurman im Sudan 1898, wo die Briten, ausgerüstet mit Büchsen und Maschinengewehren, Tausende von sudanesischen Stammesangehörigen niedermähten, die nur mit Schwertern und Lanzen bewaffnet waren.

Siehe auch:
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