Dramatischer Anstieg der privaten Überschuldung

Immer mehr Privathaushalte in Deutschland gelten als überschuldet. Dies geht aus den Veröffentlichungen mehrerer Organisationen und Unternehmen hervor, die mit dieser Problematik befasst sind.

Claudia Kurzbuch von der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung erklärte vergangene Woche in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, im Jahr 2003 sei die Zahl der Hilfesuchenden, die sich an die Schuldnerberatungen wandten, gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel gestiegen. Im Jahr 2002 seien 21.440 Privathaushalte in die Überschuldung geraten, im Folgejahr seien es rund 36.000 gewesen. Insgesamt liege ihre Zahl inzwischen bei über drei Millionen.

Eines der führenden unabhängigen deutschen Inkasso-Unternehmen, die Seghorn Inkasso GmbH, rechnet für das Jahr 2004 mit einem Anstieg der zahlungsunfähigen Privathaushalte um mehr als 40.000. Von derselben Größenordnung geht der Sprecher des Verbands der Vereine Creditreform e. V. aus.

"Die Zahl der Privatinsolvenzverfahren hat im vergangenen Jahr nach den jetzt vorliegenden Zahlen dramatisch zugenommen... Das Gesamtschadensvolumen stieg um 31 Prozent von knapp 2.375 Milliarden Euro auf nunmehr 3.113 Milliarden Euro 2003", heißt es in dem "Seghorn Inkasso Report 1/2004". "Wir rechnen damit, dass sich die Zahl der Verbraucherinsolvenzen in diesem Jahr deutlich über der 40.000er Marke bewegen wird. Damit werden in diesem Jahr in Deutschland voraussichtlich erstmals mehr Verbraucher als Firmen pleite gehen", erklärte der Geschäftsführer von Seghorn, Stephan Jender.

Bezieht man die Angaben für mehrere Vorjahre mit ein, so tritt die rasante Steigerungsrate deutlich hervor: Für das Jahr 1999 meldete das Statistische Bundesamt 3357 Verbraucher-Insolvenzen. Es folgte ein Sprung auf 10.479 im Jahr 2000, eine weitere Steigerung auf 13.277 im Jahr 2001, dann wieder ein großer Sprung auf 21.441 im Jahr 2002 und nun die genannte Steigerung um fast 70 Prozent, auf 33.684 im vergangenen Jahr (wobei die letztere Zahl noch nicht die endgültige Angabe des Statistischen Bundesamts darstellt). Daraus ergibt sich eine Steigerung um mehr als das Zehnfache im Verlauf von nur vier Jahren.

Dabei ging die Höhe der durchschnittlichen Forderungen pro Verfahren, die von 1999 bis 2001 stetig angestiegen war, in den folgenden beiden Jahren recht stark zurück (von dem Spitzenwert von rund 185.000 Euro 2001 auf etwas über 90.000 Euro im Jahr 2003), was darauf schließen lässt, dass verstärkt ärmere Haushalte in das finanzielle Aus gerieten.

Das Inkasso-Unternehmen hat seine Statistiken über die Eröffnung von Verbraucher-Insolvenzverfahren nach Bundesländern aufgeschlüsselt. Dabei fällt auf, dass auch diejenigen Bundesländer, die als privilegiert und sozial besonders stabil gelten, recht hohe Steigerungsraten aufweisen: Baden-Württemberg knapp 66, und Bayern knapp 60 Prozent (Bundesdurchschnitt: knapp 70). Bremen blieb mit einem Anstieg um 0,9 % nahezu stabil auf dem höchstem Niveau, und Sachsen, das angebliche Vorzeige-Land im Osten, verzeichnet mit mehr als 200 Prozent die höchste Steigerungsrate von allen Bundesländern.

Trotz dieser dramatischen Entwicklung hat das Bundesland Hessen die staatlichen Fördergelder für die Schuldnerberatungsstellen im Haushalt 2004 bereits gestrichen, und der Landtag in München ist gerade dabei, ein entsprechendes Gesetz auch für Bayern zu erlassen. Selbst dort, wo noch Zuschüsse gezahlt werden, liegen die Wartezeiten für einen Beratungstermin oftmals bei mehreren Monaten. Aufgrund dieser Engpässe und anderer Gründe gehen die Schuldnerberatungsstellen von einer hohen Dunkelziffer überschuldeter Haushalte aus, die in keiner Statistik erscheinen.

In den meisten Untersuchungen werden lang andauernde Arbeitslosigkeit, die Anhäufung zahlreicher Konsumentenkredite, familiäre Krisen sowie - bei jüngeren Leuten - horrende Handy-Rechnungen als Hauptursachen für Überschuldung genannt. Doch die Umstände, aufgrund derer so viele Privathaushalte ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, hängen nicht nur mit der allgemeinen Zuspitzung der sozialen Krise und mit den immer aggressiveren Kredit- und Absatzstrategien von Banken und Konsumanbietern zusammen. Eine wichtige Rolle spielt auch die Politik der rot-grünen Bundesregierung, die, als Förderung von Klein- und Kleinstunternehmen verkauft, immer mehr Menschen in prekäre und ungesicherte Einkommensverhältnisse stößt.

Das Diakonische Werk wies in einer Stellungnahme aus Stuttgart bereits Mitte letzten Jahres darauf hin, dass sich bei ihren Schuldnerberatungsstellen neben der "klassischen" Klientel aus Alleinerziehenden, Langzeitarbeitslosen und kinderreichen Familien auch immer mehr Existenzgründer melden. Diese Tendenz, so der Vorstand der Diakonie Württemberg, werde mit der Ausbreitung von Ich-AGs voraussichtlich weiter zunehmen.

Siehe auch:
Rot-grün besiegelt Ende des Sozialstaats
(27. Januar 2004)
Eine politische Antwort auf Sozialabbau und Krieg
( 31. Oktober 2003)
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