Bush verurteilt Proteste gegen muslimfeindliche Karikaturen

Die Bush-Regierung hat ihre Haltung zur Frage der Veröffentlichung von muslimfeindlichen Karikaturen in der europäischen Presse verändert und verurteilt nunmehr die Proteste, die in der gesamten islamischen Welt stattfinden. Sie behauptet zudem, dass die Demonstrationen von Iran, Syrien und den afghanischen Taliban geschürt worden seien.

Ursprünglich hatten das Weiße Haus und das amerikanische Außenministerium die Veröffentlichung der Zeichnungen verurteilt, die den Propheten Mohammed als Terroristen darstellen. Nun hat die US-Regierung jedoch alle Kritik fallen lassen und versucht, die rassistischen und beleidigenden Karikaturen in den Mantel der "Pressefreiheit" zu hüllen. Gleichzeitig will Washington die sich entfaltende politische Krise für eigene geopolitische Ziele nutzen.

Die Washington Post berichtete am vergangenen Donnerstag auf ihrer Titelseite: "Bush hat eine bewusste Entscheidung getroffen, sich auf die Gewalt der vergangenen Tage zu konzentrieren, heißt es im Weißen Haus." Dies bedeute "einen Wechsel in der Strategie des Weißen Hauses. Sie konzentriere sich jetzt auf die Todesfälle und Zerstörungen im Rahmen der muslimischen Proteste in verschiedenen Ländern - im Gegensatz zu früheren Stellungnahmen, in denen auch die provokativen Zeichnungen kritisiert wurden."

Die erste Stellungnahme des US-Außenministeriums, die am 3. Februar erschienen war, begann mit der Feststellung, dass "ein Schüren von religiösem oder ethnischem Hass auf dieser Art und Weise nicht akzeptabel ist". Am letzten Donnerstag war nun in der Washington Post zu lesen, dass "einige US-Vertreter diese Antwort zu harsch und in ihr die Meinungsfreiheit nicht genügend verteidigt fanden."

Der Wechsel setzte am Dienstag ein, als Bush mit dem dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen telefonierte, um seine Solidarität mit Dänemark kundzutun. Der Sprecher des Weißen Hauses Scott McClellan sagte, der Zweck des Gespräches habe darin bestanden, "die Bedeutung der Toleranz und des Respekts gegenüber allen Glaubensbekenntnissen und der Pressefreiheit" zu betonen.

Fogh Rasmussens Regierung ist abhängig von der politischen Unterstützung der dänischen Volkspartei, einer rassistischen und ausländerfeindlichen Partei mit engen Verbindungen zu Jyllands-Posten, der dänischen Tageszeitung, die den Konflikt durch die erstmalige Veröffentlichung der Karikaturen im vergangenen Herbst in Gang gesetzt hatte. Nach jüngeren Presseberichten spielte Rasmussen selbst eine Schlüsselrolle dabei, den zunächst sehr begrenzten Konflikt um die Zeichnungen in einen internationalen Zwischenfall zu verwandeln, als er sich weigerte, auf eine Petition zu reagieren, mit der 17.000 dänische Muslime die Veröffentlichung der Karikaturen verurteilt hatten. Rasmussen legte dann noch nach und verweigerte ein Treffen mit den Botschaftern von zwölf islamischen Ländern, die ihre Besorgnis zum Ausdruck bringen wollten.

Ebenfalls am Dienstag vergangener Woche gab der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney im öffentlichen Fernsehen ein Interview. In der Sendung NewsHours erklärte er: "Wir glauben sehr fest an die Redefreiheit. Wissen Sie, natürlich denken wir, dass die Menschen gegenseitig ihren Glauben respektieren sollten, aber ich glaube nicht, dass die Veröffentlichung dieser Karikaturen die Gewalt rechtfertigt, die wir erlebt haben."

Als der jordanische König Abdullah am Mittwoch im Weißen Haus empfangen wurde, bemühte sich Bush, die Reaktion auf die muslimfeindlichen Karikaturen an Stelle der Provokation selbst in den Mittelpunkt zu rücken und sagte: "Wir lehnen Gewalt als Mittel ab, um Unzufriedenheit mit dem auszudrücken, was in einer freien Presse veröffentlicht wird."

Ein paar Stunden später brachte US-Außenministerin Condoleezza Rice die wahren Ziele der amerikanischen Regierung zum Ausdruck, als sie erklärte: "Ich zweifle nicht daran, dass der Iran und Syrien alles drangesetzt haben, um die Empfindungen aufzupeitschen und sie für ihre eigenen Zwecke zu benutzen. Die Welt sollte sie dafür zurechtweisen."

Zwei wichtige Faktoren stehen hinter der Entscheidung, sich von der ursprünglichen Provokation ab- und der Reaktion unter Muslimen zuzuwenden - und keiner von beiden hat auch nur das Geringste mit der Sorge um Pressefreiheit zu tun.

Kurzfristig sind amerikanische Vertreter durch die explosive Reaktion in Afghanistan alarmiert, wo die von den USA installierte Marionettenregierung unter Hamid Karzai gerade mal die Hauptstadt Kabul unter Kontrolle, aber ansonsten im Land nicht viel zu sagen hat. In Washington wächst die Besorgnis, dass die muslimischen Proteste eine größere Oppositionsbewegung in Gang setzen könnten, die das Land vollends unregierbar machen oder eine Verstärkung der US-Besatzungstruppen erfordern würde. Die amerikanische Armee ist allerdings schon durch die Besatzung des Iraks stark belastet und verfügt nicht über unbegrenzte Kapazitäten zur Aufstockung der Truppen in Afghanistan.

Mindestens ein Dutzend Demonstranten sind bereits von US- und NATO-Soldaten sowie afghanischen Truppen in Kabul und vor Militärbasen der USA und NATO getötet worden. Die jüngste Gräueltat ereignete sich in Kalat, im Süden des Landes, wo die afghanische Polizei am Mittwoch in eine Menge feuerte, die zu einer amerikanischen Militärbasis marschierte. Vier Menschen starben.

Ein US-Militärsprecher in Afghanistan versuchte gegenüber dem amerikanischen Nachrichtensender CBS, die Gewalt Al Qaida oder Taliban-Anhängern zuzuschreiben, musste aber schließlich zugeben, dass es keine Beweise für diese Behauptung gibt. Das Pentagon steht offensichtlich vor einem Dilemma, wenn es eine wichtige Rolle der Taliban bei den Protesten behauptet, denn zuvor wurde von gleicher Stelle immerzu erklärt, dass die islamistischen Fundamentalisten eine kleine und diskreditierte Minderheit seien, die kaum Unterstützung genieße.

Langfristig - und das bezieht sich wohl eher auf einen Zeitraum von Monaten als auf Jahre - versucht die Bush-Regierung muslimfeindliche Stimmungen in den Vereinigten Staaten und Europa zu schüren, um eine neue politische Basis zu schaffen, die ihre Pläne für weitere militärische Aggressionen im Nahen und Mittleren Osten, insbesondere gegen den Iran und Syrien, unterstützt. Das Weiße Haus und das US-Außenministerium sind davon überzeugt, dass neben dem britischen Beistand auch Unterstützung aus Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ländern eine unabdingbare Voraussetzung für solche militärischen Vorhaben ist.

In den Vereinigten Staaten ist das Schlagwort "Pressefreiheit" eingesetzt worden, um Teile der liberal gesonnenen Mittelklasse irrezuführen, so dass sie eine zutiefst reaktionäre und antidemokratische Provokation unterstützt. All jene, die dieser Propaganda aufgesessen sind, sollten einen Moment innehalten, um ihre Übereinstimmung mit der Bush-Regierung zu bedenken, dem übelsten Feind aller demokratischen Rechte.

Wer gibt sich hier als Verteidiger der "Meinungsfreiheit" und "Pressefreiheit" aus? Eine Regierung, die ihre Kritiker nach dem 11. September 2001 warnte, "aufzupassen, was sie sagen", die das Fotografieren von Särgen mit den sterblichen Überresten von Soldaten aus dem Irakkrieg verboten hat, die regelmäßig Anfragen nach der Freigabe und Veröffentlichung von Regierungsdokumenten nach dem Freedom of Information Act zurückweist, die nun das Bekanntwerden ihrer illegalen Überwachungsmethoden als Vorwand benutzt, um Pressezensur einzuführen, und eine Sicherheitsüberprüfung durchführt, um das Leck zu finden, durch das die NSA-Spionagegeschichte an die New York Times gelangt ist.

Die Behauptung, dass die Veröffentlichung der provokativen Karikaturen eine Geltendmachung demokratischer Rechte darstelle, ist absurd. Selbst die Washington Post, die zu den Kriegsbefürwortern zählt, bemerkte in einem Leitartikel am vergangenen Dienstag: "Die Pressefreiheit in Europa ist nicht in Gefahr - keine Zeitung wurde davon abgehalten, die Karikaturen zu veröffentlichen, und Forderungen von Muslimen, dass die europäischen Regierungen eine solche Zensur verhängen sollten, wurden schnell abgetan. Als sie die Zeichnungen nachdruckten, demonstrierten die europäischen Zeitungen nicht ihre Liebe zur Pressefreiheit, sondern ihre Gleichgültigkeit - oder Feindseligkeit - gegenüber der wachsenden kulturellen und ethnischen Vielfalt ihrer eigenen Gesellschaften. Gerade eine solche Haltung hat viel mehr als jede Beleidigung des Islam dazu geführt, dass Muslime Vorbehalte gegenüber dem Westen haben und in Europa lebende Muslime wachsenden Ärger verspüren."

Dass sich ein Großteil der liberalen wie konservativen Presse in Europa einig ist, ihr "Recht" auf die Veröffentlichung von muslimfeindlichen Karikaturen zu behaupten, ist eine politische Entwicklung, die Böses erahnen lässt. Sie bedeutet, dass sich alle Teile der herrschenden Elite Europas hinter einer Politik sammeln, die im Inland rassistische und ausländerfeindliche Stimmungen schürt und im Ausland größere Bereitschaft zum Einsatz von Militärgewalt zeigt.

Man kann diesen Vorfall unmöglich von der blutigen Geschichte der Länder im Nahen und Mittleren Osten trennen, in denen die Erinnerung an die brutalen Kolonialregime europäischer Mächte wie Großbritannien, Frankreich und Italien noch lebendig ist. Und trotz aller formellen Unabhängigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die gesamte Region weiterhin vom Imperialismus beherrscht - dem der Vereinigten Staaten - wenn auch an die Stelle der direkten politischen Herrschaft die Konzernriesen traten, die die Öl- und Gasressourcen unter ihre Kontrolle brachten. Heute kehrt mit der US-Besatzung im Irak und Afghanistan die direkte kolonialistische Beherrschung zurück.

Diese materiellen Interessen - vor allem der Kampf um die Kontrolle über Öl- und Gasreserven - und nicht Glaubensfragen oder kulturelle Unterschiede stehen hinter dem derzeitigen Konflikt. Es handelt sich um einen Zusammenstoß der imperialistischen Mächte mit unterdrückten und ausgebeuteten Menschen und nicht um einen "Clash of Civilisations", einen Zusammenstoß der Kulturen. Wenn Hindus an Stelle von Muslimen in den Gebieten leben würden, wo drei Viertel der Weltenergiereserven lagern und vermutet werden, würde sich die westliche Presse höchstwahrscheinlich über heilige Kühe und das Kastensystem das Maul zerreißen und nicht über das Verbot der bildlichen Darstellung Mohammeds.

Siehe auch:
Dänemark und die Jyllands-Posten : Die Hintergründe einer Provokation
(9. Februar 2006)
Immer mehr Tote bei weltweiten Protesten gegen moslemfeindliche Karikaturen
( 10. Februar 2006)
Münchner Sicherheitskonferenz: Imperialisten rücken näher zusammen
( 8. Februar 2006)
Europäische Medien veröffentlichen moslemfeindliche Karikaturen: Eine üble# kalkulierte Provokation
( 7. Februar 2006)
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