Frankfurt: 7000 Ärzte protestieren gegen Gesundheitsreform

Mehr als 7.000 niedergelassene Ärzte, Arzthelferinnen und Patienten aus Hessen protestierten am vergangenen Mittwoch mit Pauken und Trompeten, Trillerpfeifen und Rasseln auf dem Römerberg in Frankfurt gegen die Sparpolitik im Gesundheitssystem. Schon im September letzten Jahres hatten 3.500 Ärzte in der Frankfurter Jahrhunderthalle aus dem gleichen Grunde protestiert. Bundesweit sind die Proteste seither nicht mehr abgerissen.

Von den 11.000 Arztpraxen in Hessen war am Mittwoch die überwiegende Mehrheit geschlossen. Mindestens 37 Busse waren gechartert worden, um die Mediziner aus allen Teilen des Landes nach Frankfurt zu bringen.

Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Ärzte- und Patientenorganisationen in Hessen, Dieter Conrad, sagte, der Unmut sei inzwischen so groß, dass "viele Kolleginnen und Kollegen auch bereit wären, ihre Praxen wochenlang zu schließen und dauerhaften Protest zu organisieren".

Der Unmut der Mediziner richtet sich gegen die Politik der Bundesregierung und der gesetzlichen Krankenkassen. Sie fordern eine angemessene Bezahlung ihrer Leistungen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) bekomme pro Behandlungsfall von den Krankenkassen nur 55 Euro, während die tatsächlichen Kosten aber 66 Euro betrügen, erklärte Gerd Zimmermann, stellvertretender Vorsitzender der KV. Bei den Arzneimitteln sei es ähnlich. Da erstatteten die Krankenkassen nur 40 Euro statt der erforderlichen 47 Euro. Das Überleben vieler Praxen sei inzwischen gefährdet. Auch Arbeitsplätze von Arzthelferinnen und anderem Personal stünden dadurch auf dem Spiel.

"Wir wollen unseren Beruf in Würde ausüben", betonte die Präsidentin der Landesärztekammer, Ursula Stüwe, und forderte eine angemessene Bezahlung der Leistungen der Haus- und Fachärzte. Sie verurteilte vor allem das so genannte Bonus-Malus-System, demzufolge Ärzte, die teure Medikamente verschreiben und damit ihr Budget überschreiten, einen Teil der Kosten von ihrem Honorar abgezogen bekommen, und Ärzte, die billige und weniger Medikamente verschreiben, mit einem Zuschlag rechnen können. "Ein solches System widerspricht dem ärztlichen Selbstverständnis." Stüwe forderte ein neues Gesundheitssystem, bei dem der Patient im Mittelpunkt stehe und nicht die "gottverdammte Beitragsstabilität".

Das Bonus-Malus-System, Bestandteil des im Februar verabschiedeten "Arzneimittelverordnungswirtschaftlichkeitsgesetzes" AVWG, habe vor allem für chronisch Kranke verheerende Auswirkungen, wie die Bundesvorsitzende des Deutschen Allergie- und Asthmabundes berichtete. Viele Patienten seien verzweifelt. Generika, d.h. preiswerte Nachahmermedikamente, lösten bei Asthmatikern zum Teil "entsetzliche Folgen" aus. Viele blieben jetzt in der Heuschnupfenzeit einfach zu Hause.

"Das immer engere Finanzkorsett schränkt unsere Behandlungsmöglichkeiten immer mehr ein", beklagte die Chefin der Kassenärztlichen Vereinigung, Margita Bert. "Wir verbringen fast mehr Zeit am Schreibtisch, um bürokratische Auflagen zu erfüllen, als mit den Patienten", sagte sie. Die KV kritisiere, dass die Kosten inzwischen wichtiger geworden seien als der Anspruch der Patienten auf Gesundheit. Die Sparpolitik von Regierung und Krankenkassen gefährde immer mehr eine sachgerechte Versorgung der Patienten und untergrabe das Vertrauensverhältnis Arzt-Patient.

Für einige Redner und offensichtlich auch eine ganze Reihe Kundgebungsteilnehmer stand neben der Sorge um die Versorgung der Patienten auch die standespolitische Interessenvertretung der Ärzte als Selbständige oben an. Es war auffallend, dass es keinerlei Versuche gab, ihren Kampf gegen die Kürzungen im Gesundheitssystem mit dem der angestellten Krankenhausärzte oder mit dem Widerstand gegen die Privatisierung von Krankenhäusern in Zusammenhang zu bringen oder gar mit der Opposition gegen Sozialabbau im Allgemeinen.

Nicht zufällig war als einziger Vertreter einer politischen Partei mit Dirk Niebel der Generalsekretär der Partei der Marktwirtschaft und des freien Unternehmertums par excellence, nämlich der FDP, eingeladen worden. Seine Vorschläge von Privatisierungen auch im Gesundheitssystem, z.B. der Krankenkassen, seine Verurteilung der drohenden "Staatsmedizin" und seine Befürwortung der Aufspaltung der Gesundheitsleistungen in eine allgemeine kostenlose Grundversorgung und in zusätzliche, privat zu bezahlende Zusatzleistungen wurden zum Teil heftig beklatscht.

Der Chirurg Dr. Andreas Werner verurteilte als Redner zwar die "vor der Lobby der Pharmaindustrie und der großen Krankenhausgesellschaften zu Kreuze kriechenden Politiker". Aber er wandte sich nicht generell gegen die Unterordnung des Gesundheitssystems unter das Profitinteresse und befürwortete Niebels Forderung nach weiteren Privatisierungen. Er setzte sich dafür ein, mehr Geld für die niedergelassenen Ärzte abzuzweigen, und beklagte den Zustand "einer Gesellschaft, in der Fordernden [d.h. den Patienten und sozial Schwachen] mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als den Leistenden [z.B. den Ärzten]".

Dagegen hoben sich die Äußerungen von Dr. Fink, einem Landarzt aus der Nähe von Hanau, gegenüber der WSWS wohltuend ab.

"Wir sind dadurch bedroht, dass wir mit unserem persönlichen Honorar herhalten müssen, wenn wir mehr Medikamente verschreiben als andere Ärzte in der Stadt,. Das macht die Landarztpraxen kaputt, die werden sich so nicht halten lassen. Im Endeffekt geht die ganze Tendenz dahin, dass die kleinen Leute immer mehr und die großen Gutverdiener und die Firmen weniger belastet werden, bzw. immer mehr Verdienst haben. Das ist ja auch global so, dass die großen Konzerne immer mehr Gewinne haben und die kleinen Leute es durch Krankenversicherung, durch Steuern, durch mehr Belastung auf allen Ebenen bezahlen sollen, und das muss verhindert werden. Ich denke es muss einen regelrechten Wechsel der Politik geben, nicht nur in der Gesundheitspolitik."

Die Arzthelferin Frau Rothe sagte: "Es müssen mehr Mittel bereitgestellt werden für die Patienten. Es müssen immer mehr Patienten versorgt werden, aber das Geld wird immer weniger, und wenn der Doktor die Patienten angemessen versorgen will, ist dafür nicht genug Geld da. Das kann es ja nicht sein. Wo bleiben die ganzen Gelder der Versicherten, die müssen ja irgendwo bleiben. Dass der Doktor letztendlich mit seinen Privateinnahmen dafür haften soll, geht ja auch nicht. Jeder Handwerker kann seine Rechnung stellen, und das muss auch den Ärzten zugestanden werden.

Siehe auch:
30.000 Ärzte demonstrieren gegen die Gesundheitspolitik der Großen Koalition
(25. März 2006)
Klinikärzte demonstrieren in Hannover
( 24. März 2006)
22.000 Klinikärzte beginnen unbefristeten Streik
( 18. März 2006)
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