Merkel und der Baker-Bericht

Am 7. Dezember veröffentlichte die Website der Bundesregierung folgende Stellungnahme: "Die Bundeskanzlerin begrüßte den Baker-Bericht zur Lage im Irak. Die Expertenkommission habe eine sehr realistische Darstellung der Situation geliefert..."

Vor zwei Tagen wiederholte die Financial Times Deutschland diese Einschätzung: "Der Baker-Bericht zeichne sich vor allem durch eine realistische Beschreibung der Situation im Irak aus, sagte Merkel. Insofern sei er ein ‚vernünftiger’ Ausgangspunkt für Überlegungen zur Befriedung des Landes."

Wie sieht die "realistische Beschreibung der Situation im Irak" aus, die der ehemalige US-Außenministers James Baker gemeinsam mit Lee Hamilton, dem ehemaligen Kongressabgeordneten der Demokratischen Partei, entworfen hat?

Nach dreieinhalb Jahren US-Besatzung und einer endlosen Propaganda über die Einführung "demokratischer Verhältnisse" zeichnet der Bericht ein außerordentlich düsteres Bild von der Lage im Irak. Er beginnt mit folgenden Worten: "Die Lage im Irak ist ernst und verschlechtert sich." Laut Baker und Hamilton befindet sich die von den USA eingesetzte irakische Regierung im Stadium der Auflösung. Die religiös motivierten Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten verschärfen sich und "können zum Zusammenbruch der irakischen Regierung und zu einer humanitären Katastrophe führen", heißt es warnend.

Die irakische Bevölkerung leidet unter schrecklichen Lebensbedingungen. Im Bericht heißt es hierzu: "Die irakische Regierung ist nicht in der Lage, ihre Bevölkerung mit dem Grundlegenden zu versorgen, wie Strom, Trinkwasser, Abwasserentsorgung, medizinische Betreuung und Bildung. In vielen Wirtschaftsbereichen bewegt sich die Produktion unterhalb des Vorkriegsniveaus oder erreicht dieses soeben." Verantwortlich für diese Lage sind laut Bericht die Gewalt, die Korruption, religiös motivierte Konflikte, die noch aus dem Sanktionsregime hervorgegangene Wirtschaftsschwäche sowie der Zusammenbruch des Justizwesens, des Finanzsystems und anderer ziviler Institutionen.

Bis zu 1,8 Millionen Iraker sind aufgrund dieser Bedingungen in die Nachbarländer geflohen und 1,6 Millionen sind innerhalb des Landes vertrieben worden, stellt der Baker-Report fest. Zwar wird die Studie der amerikanischen John Hopkins Universität, wonach durch Krieg und Besatzung etwa 655.000 Iraker ums Leben gekommen sind, nicht erwähnt. Und auch die fast 3.000 amerikanischen Soldaten, die im Irak getötet wurden, und die beinahe 20.000 US-Verwundeten - viele von ihnen schwer verstümmelt oder psychisch geschädigt und traumatisiert - werden im Bericht ebenso stillschweigend übergangen, wie die rund 400 Milliarden US-Dollar, die das Militärabenteuer im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris gekostet hat.

Dennoch macht der von der deutschen Kanzlerin gelobte Baker-Report deutlich, dass das militärische und politische Desaster im Irak die Vereinigten Staaten in eine Krise von historischen Dimensionen gestürzt hat.

Angela Merkel (CDU) gehört zu jenen Politikern, die politische Überzeugungen und Grundsätze als Hindernis für die politische Arbeit betrachten. Sie sagt einmal dies und einmal das, was die politische Tageskonjunktur und die persönliche Karriere gerade erfordern. Seit sie als Kanzlerin einer Großen Koalition vorsteht und im Parlament über eine beinahe unbegrenzte Mehrheit verfügt, ist sie mehr denn je davon überzeugt, niemals für ihre Worte und Taten zur Rechenschaft und zur Verantwortung gezogen zu werden.

Doch das ist ein Irrtum. Historische Verbrechen, wie sie im Irak begangen wurden, werden nicht ungesühnt bleiben. Deshalb ist es wichtig daran zu erinnern, dass Angela Merkel ein hohes Maß an Mitverantwortung für die Katastrophe im Irak trägt. Sie war es, die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Bush-Regierung ausdrücklich unterstützte.

Unmittelbar vor Kriegsbeginn reiste sie als CDU-Vorsitzende nach Washington, um Bush, Rumsfeld und Cheney die Zusammenarbeit mit den damals oppositionellen Unionsparteien anzubieten. In einem Artikel für die Washington Post unter der Überschrift "Schröder spricht nicht für alle Deutschen" griff sie die Weigerung der rot-grünen Bundesregierung an, sich mit eigenen Truppen am Irakkrieg zu beteiligen.

Sie warf dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) vor, er habe aus wahltaktischen Gründen die "wichtigste Lektion deutscher Politik", dass es nie wieder einen deutschen Sonderweg geben dürfe, leichtfertig in den Wind geschlagen.

Schon zwei Wochen davor hatte Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz (2003) eine Rede zur Unterstützung der amerikanischen Kriegspolitik gehalten. Nur die konkrete Gewaltandrohung und der massive amerikanische Truppenaufmarsch in der Region habe Saddam Hussein zur Zusammenarbeit mit den Waffeninspektoren gezwungen, erklärte sie damals und behauptete, Schröders Politik widerspreche der "deutschen Staatsräson". Presseberichte machten damals darauf aufmerksam, dass Merkel im persönlichen Gespräch den Vertretern der amerikanischen Delegation zu verstehen gegeben habe, eine von der Union geführte Bundesregierung hätte die Erklärung der acht europäischen Staaten unterschrieben, die der US-Kriegspolitik ihre volle Unterstützung zusicherten.

Seit Amtsantritt vor einem Jahr hat die Kanzleramtschefin diese Politik fortgesetzt und bei jeder Gelegenheit der Bush-Regierung den Rücken gestärkt. Man denke nur an die Umarmungen während des letzten Bush-Besuchs und des G8-Gipfels in St. Petersburg im vergangenen Sommer, wenige Stunden vor dem Beginn der israelischen Bombardierung des Libanon.

Die Fakten des Baker-Berichts machen deutlich, dass es sich beim US-Militäreinsatz im Irak um ein Kriegsverbrechen handelt, dessen Verantwortliche auch juristisch zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, dass der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), Berlin, das Center for Constitutional Rights (CCR), New York, die Internationale Liga für Menschenrechte (FIDH), Paris und weitere internationale Anwalts- und Menschenrechtsorganisationen Strafanzeige gegen Ex- US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und andere zivile und militärische Verantwortliche wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingereicht haben.

Der Vertreter der Anzeigenerstatter, Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck vertritt 12 Folterüberlebende, 11 ehemalige Insassen von Abu Ghraib sowie einen Gefangenen aus Guantanamo Bay wegen Straftaten, die Verbrechen nach dem 2002 in Deutschland in Kraft getretenen Völkerstrafgesetzbuch darstellen.

Vor zwei Jahren hatte sich die Bundesanwaltschaft geweigert, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und zur Begründung angegeben, es bestünden "keine Anhaltspunkte, dass die Behörden und Gerichte der Vereinigten Staaten von Amerika wegen der in der Strafanzeige geschilderten Übergriffe von strafrechtlichen Maßnahmen Abstand genommen hätten oder Abstand nehmen würden".

Nun haben Rechtsanwalt Kaleck und seine Mitarbeiter in einer annähernd 300 Seiten umfassenden Strafanzeige sowie sechs Gutachten von renommierten Rechtswissenschaftlern nachgewiesen, dass eine Strafverfolgung in den USA unterdrückt wird und von daher das in Deutschland geltende Völkerstrafgesetzbuch die hiesigen Strafverfolgungsbehörden verpflichtet aktiv zu werden.

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