Perspektive

Europäischer Gewerkschaftschef unterstützt Sparpolitik

Ein Interview mit John Monks, dem Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds (ETUC), das der Online News Service EUobserver am vergangenen Freitag führte, gewährt erhellenden Einblick in die Diskussionen, die Spitzenfunktionäre des Europäischen Establishments hinter den Kulissen führen.

In dem Interview erklärt der europäische Gewerkschaftsboss, dass die Sparmaßnahmen, die alle Regierungen Europas zurzeit durchsetzen, eine Rückkehr der dreißiger Jahre für möglich erscheinen lassen. Monks nennt die gegenwärtige Situation in Europa "sehr gefährlich" und fährt fort: "Dies ist 1931, wir bewegen uns zurück in die 1930er Jahre mit der Großen Depression. Damals landeten wir in einer militaristischen Diktatur. Ich sage nicht, dass wir schon soweit sind, aber die Lage könnte nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch sehr gefährlich werden."

Monks berichtet über Befürchtungen für die politische Stabilität in Europa, die niemand Geringerer als der Präsident der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso, hegt.

Monks fährt fort und verrät dabei die vertrauliche Beziehung zwischen dem ETUC-Führer und dem konservativen Chef der EU-Behörde: "Ich habe vergangenen Freitag ein Gespräch mit Barroso über die Frage geführt, was für Griechenland, Spanien, Portugal und die übrigen Länder getan werden kann. Er hatte eine klare Botschaft: ’Wenn sie nicht die Sparprogramme umsetzen, dann werden diese Länder praktisch als Demokratien, wie wir sie kennen, verschwinden. Sie haben keine Wahl...’ Er ist sehr, sehr besorgt. Er hat uns regelrecht schockiert mit seiner apokalyptischen Vision von zusammenbrechenden Demokratien in Europa infolge der Staatsverschuldung."

Nachdem ihn Barroso damit erschreckt hatte, dass die einzige Alternative zu Sparmaßnahmen Diktaturen sind, machte Monks klar, dass er alles in seiner Macht Stehende tun werde, um sicherzustellen, dass die drakonischen Maßnahmen durchgesetzt werden, die von der EU und dem Internationalen Währungsfond verlangt werden.

Monks erklärt, Griechenland und die anderen europäischen Länder hätten keine andere Wahl, als die Bedingungen zu akzeptieren, die die EU und der IWF für die Gewährung der Kredite gestellt haben, d.h. die Durchsetzung drastischer Sparprogramme.

Er sagte dem EUobserver: "Griechenland muss sich offensichtlich umstellen. Es muss den Gürtel enger schnallen... Die Bedingungen des EU-IWF-Bailouts sind alternativlos. Griechenland hat keine Alternative. Es muss die Bedingungen erfüllen."

Das einzige Licht am Ende des Tunnels für Griechenland ist, Monks zufolge, die Aussicht auf eine Umschuldung seiner Kredite, "wenn es zeigt, dass es sich anstrengt, die Bedingungen der EU und des IWF zu erfüllen..."

Weitere Länder, die nach Monks Meinung, "keine Wahl haben", als den harten Rückzahlungsbedingungen der EU und des IWF Folge zu leisten, sind Irland, Ungarn und die baltischen Staaten.

Das Timing von Monks Bemerkungen ist auffällig. In den letzten Wochen haben zahlreiche Regierungen in ganz Europa weitgehende Kürzungsmaßnahmen für die kommenden Monate angekündigt. Alle diese Maßnahmen weisen als gemeinsame Merkmale starke Lohn- und Rentenkürzungen auf, verbunden mit weitgehenden Angriffen auf den Sozialstaat.

Das wichtigste Ziel der Kürzungen besteht darin, weitere Mittel frei zu machen, um sie in die Tresore der führenden Banken und Finanzinstitute zu schaufeln. Anfang der Woche wurde bekannt, dass die französischen und deutschen Banken den schwächsten europäischen Volkswirtschaften wie Spanien, Griechenland, Portugal und Irland fast 820 Milliarden Euro geliehen haben. Diese Zahl ist viel größer, als Analysten angenommen hatten. Weil die Liste schwächelnder europäischer Volkswirtschaften, die ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen können, immer länger wird, werden weitere staatliche Bailouts der Banken immer wahrscheinlicher.

Die bisherigen Kürzungsmaßnahmen in west- und osteuropäischen Ländern wurden mit Streiks und Protesten beantwortet. In Rumänien kam es nach der Ankündigung der Regierung von einer 25-prozentigen Lohnsenkung im öffentlichen Dienst und einer fünfzehnprozentigen Rentenkürzung zu den größten Demonstrationen seit dem Zusammenbruch des stalinistischen Regimes. Am Dienstag gab es weitere Streiks der Staatsbeschäftigten, und sie demonstrierten vor dem Parlament in Bukarest gegen die geplanten Lohnsenkungen.

Diese breite Bewegung der arbeitenden Bevölkerung gegen die Kürzungspolitik in vielen europäischen Ländern lässt die Alarmglocken in Brüssel schrillen und treibt die Gewerkschaften in die Arme der EU-Kommission.

Barroso weist warnend darauf hin, dass die einzige Alternative zu brutalen Kürzungen am Lebensstandard der Arbeiterklasse in der Diktatur besteht. Diese wird die Gewerkschaften entweder stark einschränken oder ganz verbieten. Monks reagiert darauf, indem er der europäischen Bourgeoisie seine Bereitschaft signalisiert, alle Mittel des Gewerkschaftsapparats einzusetzen, um die Opposition gegen die Kürzungen zu unterlaufen.

Die Geschichte hat jedoch schon oft gezeigt, dass eine Diktatur keineswegs dadurch verhindert wird, dass der Widerstand der Arbeiterklasse gegen Angriffe auf Arbeitsplätze und Lebensstandard unterdrückt wird - im Gegenteil. In Wirklichkeit wird so gerade der Weg zur Diktatur bereitet. Es gibt keine "demokratische" Lösung für die globale Krise des Kapitalismus außer einer revolutionären Mobilisierung der Arbeiterklasse für die Abschaffung des Kapitalismus und den Aufbau des Sozialismus. Für Monks kommt das selbstredend nicht in Frage, und dabei spricht er generell für die Gewerkschaften. Vor die Wahl gestellt zwischen der Revolution der Arbeiterklasse und der kapitalistischen Diktatur, werden sie sich bis zum letzten Mann für letztere entscheiden.

Monks gibt nicht nur zu, dass Europa vor der größten Diktaturgefahr seit den 1930er Jahren steht. Er macht auch klar, dass der ETUC so lange wie möglich keinen Finger rühren wird. Er schließt breite gemeinsame Aktionen der europäischen Arbeiter aus. Stattdessen plant der ETUC für den 29. September (d.h. erst in drei Monaten!) einen europaweiten "Aktionstag", der mit einem Treffen der europäischen Finanzminister in Brüssel zusammenfallen soll - mit anderen Worten, einen harmlosen Protest.

Monks versichert seinem Interviewer, dass diese eintägige Aktion nichts mit einem Massenstreik zu tun hat. "Wir ermutigen unsere Mitglieder, aus einer ganzen Palette möglicher Aktivitäten auch Streikaktionen in Betracht zu ziehen, aber es ist kein Generalstreik", betont Monks.

Monks offene Solidaritätserklärung mit der EU und dem IWF ist eine vernichtende Anklage an politische Organisationen wie die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) in Frankreich, die Linkspartei in Deutschland, die Socialist Workers Party in Großbritannien, Rifondazione Comunista in Italien und SYRIZA und Antarsya in Griechenland. Sie alle bestehen darauf, dass der Widerstand der Arbeiter gegen die Kürzungen in den Händen der Gewerkschaften bleiben müsse.

Die völlig korrupten, undemokratischen und rechten Gewerkschaften sind den Arbeitern nicht weniger feindlich als die Banker und ihre politischen Sprachrohre.

Ein wirkungsvoller Kampf gegen die Sparprogramme beginnt mit einer europaweiten Rebellion gegen die Gewerkschaftsbürokratien und ihre kleinbürgerlichen Anhängsel. Er erfordert die Schaffung neuer demokratischer Organisationen der Arbeiterklasse, die für Arbeitermacht und Sozialismus kämpfen.

aus dem Englischen (16. Juni 2010)

Siehe auch:
Europäische Medien fürchten weltweit soziale Unruhen
(3. Juni 2010)
Sparprogramme in ganz Europa
( 29. Mai 2010)
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