Der Kampf gegen Sarkozys Sparmaßnahmen erfordert eine neue sozialistische Perspektive

Die Arbeiter, die sich am 7. September an den Gewerkschaftsdemonstrationen gegen die Rentenkürzungen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy beteiligten, befinden sich an einer politischen Weggabelung. Die Anzahl der Demonstranten ist nicht entscheidend. Sie allein ist kein politisch wirksamer Ausdruck der Wut der Menschen über die Ausplünderung durch die Finanzaristokratie. In der umfassendsten Krise des Weltkapitalismus seit den 1930er Jahren braucht die Arbeiterklasse eine neue Politik und neue Formen der gesellschaftlichen Mobilisierung.

Wiederholte eintägige Aktionen haben Sarkozy nicht von Rentenkürzungen, einer Ausweitung der Wochenarbeitszeit und Beschneidung der Sozialausgaben abgehalten. Auch seine Vorstöße für Law-and-Order-Gesetze und seine Pläne für Massenverhaftungen und Deportationen von Immigranten konnten mit solchen Aktionen nicht gestoppt werden. Dieser gefährliche Verfall demokratischer Rechte ist der Wegbereiter umfassender polizeilicher Repression.

Dass die Arbeiter mit eintägigen Protestaktionen politischen entwaffnet werden, zeigte sich in der gegenwärtigen europäischen Finanzkrise überdeutlich. Die griechischen Gewerkschaften, sowie der sozialdemokratische Premierminister Griechenlands, Giorgos Papandreou unterwarfen sich ohne Umschweife den Anweisungen der von der Europäischen Union (EU) und dem Internationalen Währungsfond (IWF) verkörperten Finanzwelt. Zeitgleich mit den zahnlosen eintägigen Protesten, welche die von Papandreous PASOK geführten Gewerkschaften organisierten, führte die Regierung eine Reihe von Angriffen durch, die zu einer atemberaubenden bis zu fünfzehnprozentigen Senkung des Lebensstandards der griechischen Arbeiter führten.

Diese Agenda von EU und IWF hat nicht nur Griechenland im Visier, sondern alle Länder, einschließlich Frankreich. Premierminister Francois Fillon lobte vor kurzem Bernard Thibault, den Chef der stalinistisch geprägten Gewerkschaft CGT, er habe bei der Organisierung der Demonstrationen am 7. September „seinen Part gespielt“. Die Metaphorik fortführend, hätte er noch hinzufügen können, dass die von Thibault vorgetragenen Zeilen aus einem von Sarkozy verfassten Drehbuch stammten und von den großen Banken autorisiert waren.

Thibault verhandelt mit Arbeitsminister Eric Woerth weiter über Rentenkürzungen und äußert gleichzeitig sein Bedauern, dass Woerth durch neue Enthüllungen über seine korrupten Beziehungen zur Milliardärin Liliane Bettencourt diskreditiert wurde. Er tut das, weil die CGT Sarkozys Kürzungen unterstützt. Das beruht auf der kaltschnäuzigen Logik der Verteidigung des französischen Kapitalismus durch die CGT. Nach dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 kann der französische Kapitalismus im globalen Kampf um Profite und Märkte seine weltweite Konkurrenzfähigkeit nur erhalten, wenn er die Löhne und Sozialausgaben kürzt.

Die Illusion, den Staat mit eintägigen Streiks zum Verzicht auf rechte politische Maßnahmen zwingen zu können, zerschellt an schmerzlichen Erfahrungen. 67 Prozent der Bevölkerung hießen bei einer Umfrage im Juni einen Generalstreik gut, aber 58 Prozent denken, dass eintägige Streiks folgenlos bleiben. Aktionen der Arbeiterklasse in Europa, die sich zu einer ernsthaften Bedrohung für das Ringen der Banken um Sparmaßnahmen hätten entwickeln können, wurde mit brutalen Unterdrückungsmaßnahmen begegnet. In Griechenland wurde zur Niederschlagung des Lastwagenfahrerstreiks das Militär eingesetzt. In Spanien wurden die Streiks der Madrider Metroarbeiter und der Fluglotsen mit dem Einsatz von Militär bedroht.

Die Frage, mit der die Arbeiter konfrontiert sind, stellt sich so: Welche Perspektive und welche neuen Aktionsformen ermöglichen Fortschritte?

Der Kapitalismus ist gescheitert – dies trifft für den neoliberalen “anglo-amerikanischen” genauso zu, wie für die europäische Version, die„soziale Marktwirtschaft“. Die Arbeiter müssen einen revolutionären Kampf für den Sozialismus aufnehmen, das heißt für die Übernahme der Staatsgewalt und für die demokratische Kontrolle der Produktion durch die internationale Arbeiterklasse. Die Diktatur der Finanzaristokratie muss der Herrschaft der Mehrheit Platz machen.

Der Bankrott der Gewerkschaften und ihrer Verbündeten in den “linken” Parteien lässt die Frage nach dem historischen Vermächtnis Leo Trotzkis mit voller Vehemenz aufkommen. Gemeinsam mit Lenin führte er die Revolution von 1917, gründete die Vierte Internationale und wurde 1940 auf Befehl Stalins ermordet. Sein Name ist unauslöschlich mit der marxistischen Kritik an der Klassenzusammenarbeit von Gewerkschaften, Sozialdemokraten und sämtlichen stalinistischen Strömungen sowie mit dem Kampf für die sozialistische Weltrevolution verbunden.

Der Kampf für den Trotzkismus in der Arbeiterklasse kann nicht getrennt vom Kampf gegen die kleinbürgerliche Politik der in Frankreich angeblich aus dem Trotzkismus hervorgegangenen Parteien geführt werden. Sie sind Meister der pseudo-revolutionären Phraseologie, wenn sie ihre Bündnisse mit dem politischen Establishment rechtfertigen, auf das sie sich trotz dessen anti-sozialer Politik einlassen.

Die Rede von Olivier Besancenot auf der Sommerschule der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in Port Leucate ist typisch für diese politische Gattung. (Die NPA wurde von der Ligue Communiste Révolutionnaire gegründet, die sich auf Trotzki berief.) Nach Besancenot ist nicht die pro-kapitalistische politische Führung dafür verantwortlich zu machen, wenn Sarkozys Kürzungen durchgesetzt werden, sondern die Arbeiter. „Der erste Reflex der Volksmassen ist nicht die sofortige kollektive Revolte“, erklärte er. „Zu oft heißt es, noch irgendwie durchhalten, jeder für sich, mit Individualismus und Neid. Die Leute schauen auf die Anderen und sagen: die haben Privilegien, oder schlimmeres.“

Besancenot wiederholte seine seit Langem bekannten Empfehlungen zu Bündnissen mit derzeit nicht regierenden Teilen der herrschenden Klasse, insbesondere der Sozialistischen Partei (PS). Er ging auch auf kritische Stellungnahmen zu Sarkozy vom rechten Flügel der Bourgeoisie ein, und meinte, „eventuelle Spaltungen in den besitzenden Klassen“ könnten einen Sieg herbeiführen. Er zog Parallelen zwischen der heutigen Situation und „dem großen Streik der (französischen) Volksfront von 1936“, und rief folglich zu einer „einheitlichen Kampagne“ der Gewerkschaften und „linken“ Parteien in Frankreich auf.

Bei solchen Aussagen treten die Gründe für den Aufbau der NPA auf der Grundlage einer Zurückweisung des Trotzkismus als politische Orientierung glasklar zutage. Trotzkis Schriften zur Volksfront von 1936, einem politischen Bündnis der bürgerlichen Radikalen Partei mit den Sozialdemokraten und der stalinistischen Kommunistischen Partei – lesen sich wie eine Anklageschrift gegen Besancenots Politik.

Trotzki kritisierte die Volksfront unerbittlich als Kartell zur Blockade eines unabhängigen Kampfes der Arbeiterklasse. Er schrieb: „Aber die Volksfront – erwidert man uns nicht ohne Entrüstung – ist absolut kein Kartell, sondern eine Massenbewegung. Mangel an schwülstigen Definitionen herrscht natürlich nicht, aber an der Sache ändern sie nichts. Bestimmung des Kartells war stets, die Massenbewegung zu bremsen durch Ablenkung ins Bett der Klassengemeinschaft…. Gemeinsame Versammlungen. Paradeumzüge, Schwüre, Verquickung der Kommunardenfahne mit der der Versailler, Lärm, Geschrei, Demagogie – alles dient einem einzigen Zweck: die Massenbewegung zum Stehen zu bringen und zu demoralisieren.“

Trotzki brandmarkte die Anwälte, die für einen “vereinten” Kampf an der Seite von Teilen der Bourgeoisie, anstatt für die proletarische Revolution eintraten, als politisch kriminell. „Wenn es der Führung der Volksfront (Herriot-Blum-Cachin-Thorez-Zyromsky-Pivert) in der allernächsten, entscheidenden Periode sich zu halten gelingt“, so Trotzki, „dann wird das bonapartistische Regime unvermeidlich dem Faschismus Platz machen. Er fuhr dann fort: „Voraussetzung für den Sieg des Proletariats ist die Beseitigung der heutigen Führung. Die Losung der „Einheit“ wird unter all diesen Umständen nicht nur eine Dummheit, sondern auch ein Verbrechen.

Trotzkis Voraussagen haben sich auf tragische Weise bewahrheitet. Nachdem die Volksfront die revolutionären Möglichkeiten des Generalstreiks von 1936 zum Preis von Lohnerhöhungen verschleudert hatte, unterdrückte sie die Streiks der Arbeiterklasse brutal bis sie 1938 zusammenbrach. Als sich unter dem Mantra „lieber Hitler als Blum“ faschistische Strömungen in der Bourgeoisie breit machten, wurde Frankreich 1939 von Nazi-Deutschland besetzt und kapitulierte umgehend.

Europa und die Welt stehen heute am Rande gewaltiger Klassenkämpfe die letztendlich nicht weniger Sprengkraft haben werden, als in den 1930er Jahren. Das Bestreben der herrschenden Klasse, die Arbeiterklasse zu völliger Armut zu verdammen, wird auf erbitterten Widerstand stoßen.

Die entscheidende Frage für Arbeiter und sozialistisch gesinnte Intellektuelle ist heute, welche politische Perspektive diese Kämpfe zum Sieg führen kann. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI), die trotzkistische Weltbewegung warnt die Arbeiter vor den äußerst tragischen Niederlagen, die sie erleiden werden, falls sie sich weiter von den Illusionen einfangen lassen, die von der PS, der CGT und der NPA verbreitet werden. Wir fordern die Arbeiter auf, die Zeitung des IKVI im Internet, die World Socialist Web Site, zu studieren und sich dem Kampf für den Trotzkismus anzuschließen.

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