Dreißig Jahre seit dem Fluglotsenstreik in den Vereinigten Staaten

2. Teil

Von 1968 bis 1975 erfuhr der Weltkapitalismus mehrere ökonomische und politische Krisen. Hochindustrialisierte Länder wurden von massiven Streikwellen erschüttert, was in Frankreich 1968 revolutionäre Ausmaße erreichte. 1974 fegte in Großbritannien ein Streik der Bergarbeiter die konservative Heath-Regierung aus dem Amt. Die rechten Diktaturen in Portugal und Griechenland wurden gestürzt.

Im Zentrum der Weltkrise stand der amerikanische Kapitalismus. Mit dem Fall von Saigon im Jahr 1975 endete der imperialistische Krieg der USA in Südostasien mit einer vernichtenden Niederlage. Im Jahr darauf musste Präsident Richard Nixon wegen des Watergate-Skandals, der in Zusammenhang mit dem Debakel in Vietnam stand, zurücktreten.

Eine Ausgabe des Bulletin, der Zeitung der Workers League Eine Ausgabe des Bulletin, der Zeitung der Workers League

Die gewaltigen finanziellen Kosten des Vietnamkrieges hatten den Niedergang des amerikanischen Kapitalismus und den Schwund der amerikanischen Goldreserven beschleunigt. Nixons einseitige Aufhebung der Golddeckung des Dollars im Jahr 1971 war eine Reaktion auf die Krise. Sie stoppte aber nicht den Abstieg des US-Kapitalismus im Vergleich zu seinen europäischen und asiatischen Rivalen, sondern verstärkte die hohe Inflation, welche für die 1970er Jahre typisch war.

Die Vereinigten Staaten und andere Länder erlebten in den 1970er Jahren eine erhöhte Streikaktivität, besonders in den ersten fünf Jahren des Dezenniums. Überall im Land fanden militante Streiks statt. Dies spiegelt sich im Bulletin wider, der Zeitung der Workers League, der Vorgängerin der Socialist Equality Party. Die Reporter des Bulletin berichteten über Hunderte dieser Streiks. Beharrlich kämpfte die Workers League für die Mobilisierung der Arbeiterbasis gegen die Gewerkschaftsbürokratie und ihre Politik der Klassenzusammenarbeit, sowie gegen eine Unterstützung der Demokraten, der Partei des Big Business.

Die führende Rolle, welche die Workers League spielte, kontrastierte aufs Schärfste mit der Gleichgültigkeit der radikalen Protestgruppen, die die amerikanischen Arbeiter als pro-imperialistisch und rassistisch beschimpften und von den Gewerkschaften als „Arbeitsplatzkartelle der Weißen“ sprachen. Das Milieu der kleinbürgerlichen Radikalen hatte sich seit dem Abflauen der Antivietnamkriegsproteste in den frühen 1970er Jahren nach rechts bewegt.

Die Streiks in den 1970er Jahren wurden sehr stark durch die hohe Inflation angeheizt. Die Arbeiter bemühten sich angesichts der steigenden Preise, die Kaufkraft ihrer Löhne zu erhalten. Es gelang ihnen bis zu einem gewissen Grad, ihre Löhne mit der Inflationsrate im Gleichgewicht zu halten. Manchmal erreichten sie Lohnerhöhungen, die über der Inflationsrate lagen. So sicherten sich 1971 die Stahlarbeiter eine dreißigprozentige Erhöhung über drei Jahre. Obwohl die Bürokratie der AFL-CIO verhindern konnte, dass diese Kämpfe sich zu einer Herausforderung für das Zwei-Parteien-Systems auswuchsen, war die Situation vom Standpunkt des US-Kapitalismus untragbar.

Paul Volcker Paul Volcker

Paul Volcker, Vorstandsmitglied der Chase Manhattan Bank, wurde 1979 vom demokratischen Präsidenten Jimmy Carter zum Vorsitzenden des Federal Reserve Board (Fed), der US-amerikanischen Notenbank, ernannt. Im selben Jahr brachte er die Haltung der herrschenden Klasse auf den Punkt, als er erklärte: „Der Lebensstandard des Durchschnittsamerikaners muss sinken.“

Volcker führte eine "Schocktherapie" ein: Die Erhöhung des Leitzinses auf über zwanzig Prozent zielte darauf ab, die Inflation zu stoppen und die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse durch die Schaffung von Massenarbeitslosigkeit zu untergraben. Die Notenbank, die im Namen der Carter-Regierung und der amerikanischen herrschenden Klasse handelte, arbeitete bewusst auf die Schließung großer Teile der amerikanischen Produktionskapazitäten hin, die nicht mehr profitabel waren. Über 6,8 Millionen Jobs gingen von 1978 bis 1982 durch Fabrikschließungen verloren. Ganze Städte und Regionen – vornehmlich solche, die Massenproduktionsindustrie und Industriegewerkschaften aufwiesen – wurden entvölkert, darunter sehr viele im industriellen Mittelwesten.

Allerdings war es nicht damit getan, die wirtschaftlichen Bedingungen zu Ungunsten der Arbeiter zu verändern, wie die Erfahrung gelehrt hatte. Nixons Versuch aus dem Jahr 1971, Lohnkontrollen einzuführen, hatte nicht zur Eindämmung der Streiks der 1970er Jahre geführt. Die herrschende Elite war auf der Suche nach einem entscheidenden Schlag gegen die Arbeiterbewegung. Das Ziel war, die Arbeiterklasse einzuschüchtern und zu schwächen, sowie gleichzeitig die private Industrie zu einer gewerkschaftsfeindlichen Kampagne zu ermuntern.

Der Schlag musste sorgfältig erwogen werden. Während des hundertelf Tage dauernden Streiks der Kohlebergarbeiter zur Jahreswende 1977/78 unternahm Carter den Versuch, das Taft-Hartley-Gesetz mitsamt seiner „Zurück-an-die Arbeit“-Verordnung gegen die Bergarbeitergewerkschaft, die United Mine Workers of America (UMWA), anzuwenden. Die Bergleute machten sich über den Befehl lustig und verbrannten Kopien von Carters Verordnung. Carter wurde besiegt und verlor das Vertrauen der herrschenden Klasse.

Streikende Bergarbeiter 1978 mit </i><i>Bulletin</i><i>-Ausgaben Streikende Bergarbeiter 1978 mit Bulletin-Ausgaben

Daher wurde ein anderes Zielobjekt benötigt. Als die UMWA im Mai 1981, nur drei Monate vor dem PATCO-Kampf, erneut einen nationalen Streik einleitete, wandte die Reagan-Regierung das Taft-Hartley-Gesetz nicht an und griff nicht direkt ein. Dagegen waren die Vorbereitungen schon weit fortgeschritten, an der kleinen und relativ isolierten Gewerkschaft PATCO ein Exempel zu statuieren.

Zu Beginn des Jahres 1980 arbeitete die Carter-Regierung detaillierte Pläne aus, um die Fluglotsen in den Griff zu bekommen. PATCO war sich darüber im Klaren, dass sie in Carters Fadenkreuz geraten war. Aus diesem Grunde unterstützte sie 1980 Reagans Präsidentschaftskandidatur, nachdem dieser der Gewerkschaft versichert hatte, dass er sich ihrer Probleme annehmen werde.

Die AFL-CIO, die United Auto Workers und andere Gewerkschaften hatten bereits klar gemacht, dass sie keinen ernsthaften Kampf gegen gewerkschaftsschädigende Maßnahmen oder Lohnkürzungen führen würden. Die Chrysler-Rettungsaktion im Jahr 1979 war ein Wendepunkt gewesen.

Die United Auto Workers (UAW), eine der mächtigsten Gewerkschaften der USA, unterzeichnete Zugeständnisse bei Löhnen und Sozialleistungen, um damit ein Staatsdarlehen zu sichern, das Chrysler vor dem Bankrott rettete. Die UAW erzählte den Arbeitern, es handle sich um eine einmalige Zuwendung an die Firma, die aufgrund außerordentlicher Umstände notwendig geworden sei, und das Opfer der Arbeiter werde das Unternehmen wieder profitabel machen. Später würden die verlorenen Löhne nachgezahlt. Wie die Workers League damals warnte, war dieser von der UAW mit Chrysler ausgearbeitete Betrug nur der Beginn einer Politik der Zugeständnisse, die seitdem fortgesetzt und immer weiter ausgeweitet wurde.

Das Bulletin warnte 1979: “Angesichts des Bankrotts von Chrysler stellt sich eine wesentliche Frage: Wer soll für den Zusammenbruch des kapitalistischen Profitsystems aufkommen – die arbeitenden Klassen oder die Wirtschaft? Die Antwort der Wirtschaft, der Banken, der Demokraten, der Carter-Regierung und der UAW-Bürokratie versteht sich von selbst: Es ist die Arbeiterklasse.“

Die Rolle der Carter-Regierung bei der Durchsetzung des Chrysler-Rettungsplanes auf dem Rücken der Autoarbeiter legte die Tatsache bloß, dass die Demokratische Partei nicht dazu gebracht werden konnte, die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Ihr liberaler Flügel, geführt von Senator Edward Kennedy aus Massachusetts, spielte einen entscheidenden Part bei der Lohnsenkung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Kennedy stand an der Spitze des Vorstoßes, der die Transport- und Luftfahrtindustrie deregulierte. Das hatte zur Folge, dass die PATCO-Arbeiter in den Kampf getrieben wurden.

Vertreter der Carter-Regierung übernahmen später öffentlich die Verantwortung für den gewerkschaftsfeindlichen Plan, PATCO zu vernichten. Der Plan wurde Anfang 1980 von Langhorne M. Bond entwickelt. Dieser war Leiter der Federal Aviation Administration (FAA) und arbeitete mit Clark H. Onstad zusammen, dem obersten Anwalt der FAA. Beide waren von Carter berufen worden. Bereits 1978 begann Onstad mit der Ausarbeitung von Plänen, die die Kriminalisierung von PATCO-Streiks beabsichtigten. Diese diskutierte er mit Philip B. Heymann, Carters stellvertretendem Justizminister und Leiter der Abteilung für Strafrecht des Justizministeriums.

“Die unglaublich detaillierte Planung nahm über ein Jahr in Anspruch, weil wir wussten, dass der Streik stattfinden würde“, sagte Onstad während des Streiks der New York Times. Die Times bemerkte: “Reagans Regierungsvertreter greifen die von der Carter-Regierung ausgearbeiteten Pläne enthusiastisch auf und setzen sie in die Tat um.“

Diese Pläne dürfen nicht nur von einem rein finanziellen Standpunkt aus betrachtet werden. Wie die PATCO-Arbeiter bemerkten, verursachte allein die Einarbeitung neuer Luftlotsen enorme Kosten, nicht zu sprechen von dem Schaden, den die Wirtschaft infolge der unvermeidlichen Beschränkung der kommerziellen Flüge erlitt. Die Fluglotsen wurden von den Medien generell als privilegiert, verhätschelt und arrogant dargestellt. Doch ihre Anliegen stießen weitestgehend auf Zustimmung, so ging es dabei um ernsthafte Sicherheitserwägungen für Piloten und Passagiere.

Die PATCO-Fluglotsen bezogen höhere Löhne als die meisten amerikanischen Arbeiter, dafür waren sie hochqualifiziert. Sie übten eine Arbeit aus, die ein Höchstmaß an Stress mit sich brachte und trugen eine immense Verantwortung für die Sicherheit und das Leben anderer Menschen.

PATCO Streikposten PATCO Streikposten

In Diskussionen mit den Reportern des Bulletin sagten die PATCO-Streikenden wiederholt, sie seien zum Streik gezwungen worden, da die Unterbesetzung der Belegschaft und andere Maßnahmen der FAA das Stressniveau ihrer Arbeit bis zum Siedepunkt angeheizt hätten. Die Arbeiter klagten über die Länge und Intensität der Schichten, welche den üblichen Stress noch erhöhten.

Zermürbende Arbeitsbedingungen trieben viele aufgrund von Gesundheitsproblemen in die Frühverrentung. „Unsere Aufgabe ist es, Flugzeuge auf Distanz zu halten“, sagte John Neece, Luftlotse am Detroit Metropolitan-Flughafen, damals dem Bulletin. „Wir verhindern, dass sie zusammenstoßen. Man kann sich nie wirklich daran gewöhnen. (…) Während der zwölf Jahre, die ich hier bin, habe ich nur einen Kollegen gesehen, der unter normalen Bedingungen in Rente ging. Zwanzig andere gingen wegen Gesundheitsproblemen: Sie hatten üble Geschwüre, Nervenleiden, Herzprobleme. Ich bin jetzt achtunddreißig, und meine Chancen, es bis zur Pensionierung zu schaffen, sind gering. Wenn man wegen Gesundheitsproblemen geht, dann geben sie einem vierzig Prozent des Gehalts und sagen: Scher dich zum Teufel! (...) Was wir hier machen, ist wie dreidimensionales Schach. Nur dass Schachmatt in diesem Spiel bedeutet: Du bist hinüber.“

“Wir haben keine Pausen“, sagte Tom King, ein weiterer Fluglotse aus Oakland, damals dem Bulletin. „Wir arbeiten acht Stunden durch. Wir essen zwischendrin, bei der Arbeit. Wir hatten weder Heizgerät noch Klimaanlage.“

“Ich sah in acht Jahren nur einen Kollegen, der normal in Rente ging“, sagte Bud Pierce, ein anderer Streikender aus Detroit. „Wenn ich nachts nach Hause komme, brauche ich zwei bis drei Stunden, bis ich mich entspannen kann. Sie wechseln die Schichten so, dass man um zehn Uhr abends nach Hause geht und um sieben Uhr am nächsten Morgen wieder da sein muss.“

Wird fortgesetzt

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