Jemens Präsident willigt in Rücktritt ein

Unter heftigem Druck der USA und ihrer Verbündeten hat Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh am Mittwoch ein Abkommen des Golf-Kooperationsrates (Gulf Cooperation Council, GCC) unterzeichnet, laut dem er die Macht abgibt und letztlich zurücktritt. Dafür wird ihm rechtliche Immunität gewährt. Die größten Oppositionsparteien unterstützten das Abkommen, jedoch demonstrierten gestern in den Straßen der Hauptstadt Sanaa Tausende, die das Abkommen ablehnten. Dabei wurden fünf Menschen von bewaffneten Regierungsanhängern erschossen.

Das Abkommen des GCC heißt mitnichten, dass Saleh sein Amt aufgeben wird. Er hat mindestens dreimal öffentlich versprochen, zurückzutreten, und es sich jedes Mal anders überlegt. Außerdem wird er laut dem Abkommen eine zeremonielle Rolle als Präsident auch dann noch behalten, nachdem er innerhalb von dreißig Tagen seine Befugnisse an Vizepräsident Abed Rabbo Mansour übergeben hat. Präsidentschaftswahlen sollen innerhalb von drei Monaten stattfinden.

Der autokratische König Abdullah von Saudi-Arabien unterstützt das Abkommen, das in der Hauptstadt seines Landes, Riad, unterzeichnet wurde. Er erklärte scheinheilig, es „öffne ein neues Kapitel“ in der Geschichte des Jemen und werde zu mehr Freiheit und Wohlstand führen. US-Präsident Obama äußerte sich ähnlich über den „historischen Übergang“: Das Volk des Jemen „verdient es, seine Zukunft selbst bestimmen zu können.“

Dieses Gerede ist Betrug. Das Abkommen des GCC ist ein zynischer Kuhhandel, ausgearbeitet von der Regierung und den Oppositionsparteien unter Washingtons Regie, und die Absicht dahinter ist es, die monatelangen Proteste für ein Ende des pro-amerikanischen Regimes zum Schweigen zu bringen. Vizepräsident Hadi, der von Saleh ernannt wurde, hat jetzt die Aufgabe, vor den Präsidentschaftswahlen eine „Regierung der nationalen Einheit“ zu bilden.

Der ehemalige Offizier Hadi wird auch einen Militärausschuss anführen, der die Restrukturierung des Militärs überwachen soll. Es gibt allerdings keine Garantie dafür, dass die Änderungen die Kontrolle von Salehs Familie über den Militär- und Sicherheitsapparat des Landes brechen werden. Salehs Sohn Ahmed befehligt die Eliteeinheit der Republikanischen Garde, die in Sanaa Demonstranten niederschießt und Straßenschlachten gegen Rebellen und Stammeskrieger führt. Drei von Salehs Neffen haben Schlüsselpositionen im Sicherheits- und Geheimdienstapparat inne.

Laut dem Abkommen wird Saleh auch weiterhin Vorsitzender des Allgemeinen Volkskongresses bleiben, der eine klare Mehrheit im Parlament des Landes hat. Die Wahlen, die eigentlich im April 2009 hätten stattfinden sollen, wurden um zwei Jahre verschoben. Die Regierung sagte auch im April dieses Jahres die Wahlen ab, angeblich wegen der Proteste gegen die Regierung. Es sind keine weiteren Parlamentswahlen geplant, bis die Verfassung überarbeitet ist.

Das Abkommen des GCC stieß bei den jungen Regierungsgegnern, die das Rückgrat der Protestbewegung gegen die Regierung in Sanaa und anderen Städten sind, auf heftigen Widerstand. Gestern marschierten tausende wütend durch die Zubairy-Straße im Zentrum der Hauptstadt. Sie riefen: „Unsere Revolution geht weiter, also nimm dich in Acht, Saleh“ und „Keine Immunität für Mörder.“ Einige hielten Fotos derjenigen hoch, die bei vorherigen Demonstrationen getötet wurden.

Eine Gruppe von bewaffneten Regierungsanhängern, die sich Baltigiya nennen, warfen mit Steinen und schossen in die Menge, einige von ihnen hielten Bilder von Saleh. Außer den fünf Todesopfern gab es 41 Verletzte, 27 davon mit Schusswunden. Drei von ihnen befinden sich in Lebensgefahr. Uniformierte Regierungstruppen zu Fuß und in Panzern standen dabei und unternahmen nichts dagegen.

Mohammed Mosleh verurteilte die Todesfälle und erklärte: „Er [Saleh] ist Schuld am Tod von mehr als eintausend unschuldigen Jugendlichen im Jemen innerhalb dieses Jahres, und jetzt will ihm die Opposition Immunität gewähren. Die Regierung hat die Ausschreitungen von heute geplant. Wir werden keine Ruhe geben.“

Die Demonstranten fordern, dass alle Mitglieder von Salehs Familie aus ihren Ämtern entfernt und zusammen mit dem Präsidenten vor Gericht gestellt werden. Fayez Ahmed sagte Reuters: „Wir haben nicht demonstriert und Opfer gebracht, damit Saleh und seinen Verwandten Immunität vor staatlicher Verfolgung gewährt wird. Wir wollen, dass die Mörder vor Gericht kommen.“ Hamza al-Kamaly sagte in der Zeitung Independent: „Es ist noch lange nicht vorbei. Es geht uns mit unserer Revolution nicht darum, einen Mann loszuwerden, sondern das ganze Regime.“

Zwischen den offiziellen Oppositionsparteien und der Protestbewegung kam es zu starken Meinungsverschiedenheiten. Laut dem Guardian mussten Sprecher des Islah-Partei aus dem Zentrum der Protestbewegung, dem „Change Square“ („Platz der Veränderungen“), fliehen. Sie wurden mit Eiern, Plastikflaschen und Steinen beworfen und die Demonstranten riefen: „Unsere Bühne, unsere Revolution, nieder mit der Opposition!“

Die Islah-Partei gehört zur Oppositionskoalition Joint Meeting Parties (JMP), die in Riad das Abkommen des GCC unterzeichnete, und rechnet damit, in der vorgeschlagenen „Einheitsregierung“ Posten zu erhalten.

Sami Atfari sagte im Guardian: „Wir werden nicht zulassen, dass unsere Revolution gekapert wird. Die Parteien sollten das Feld räumen.“ Die Anführer der Proteste auf dem Change Square sagten, sie planten, ihre Wahlausweise zu verbrennen und sich ihrer Stimmen zu enthalten, bis alle Familienmitglieder von Saleh entmachtet sind.

Die herrschenden Eliten und ihre internationalen Hintermänner fürchten, dass sich die Proteste in Sanaa zu einer breiteren Bewegung gegen das Regime entwickeln und Teile der Arbeiterklasse und der armen Landbevölkerung auf ihre Seite ziehen. Der Jemen ist das ärmste unter den arabischen Ländern, 42 Prozent der Bevölkerung haben weniger als zwei US-Dollar pro Tag zur Verfügung.

Es sind bereits Bestrebungen im Gange, die Proteste zum Schweigen zu bringen. Der UN-Sondergesandte Jamal Benomar, der eine wichtige Rolle in dem Abkommen spielte, wandte sich an die Opposition: „Ihr habt einen Wandel im Jemen bewirkt. Jetzt ist die Tür offen für euch, wenn ihr bei der Umwandlung etwas bewirken wollt.“

Der Appell richtete sich weniger an die jungen Demonstranten, sondern an Generalmajor Ali Mohsen, der mit seinen Truppen zur Opposition übergelaufen ist, und an die Führer des mächtigen Ahmar-Clans, die ebenfalls ihre Krieger mobilisiert haben. Diese Oppositionellen, die die nördlichen und westlichen Vororte von Sanaa kontrollieren, haben noch nicht auf die Unterzeichnung des Abkommens reagiert.

Wenn Mohsen dazu gebracht werden kann, das Abkommen zu unterstützen, werden die Proteste gegen die Regierung auf dem Change Square angreifbarer sein. Seine Truppen haben die Demonstranten bisher einigermaßen vor Angriffen geschützt. Wenn die jugendlichen Demonstranten nicht dazu gedrängt werden können, ihren Widerstand einzustellen, wird die „Regierung der nationalen Einheit“ nicht zögern, mit Sicherheitskräften gegen sie vorzugehen.

Dass die USA das Abkommen unterstützen, bedeutet nicht, dass sie die demokratischen Rechte der jemenitischen Bevölkerung unterstützen. Genau wie in Libyen, dem Irak und Afghanistan geht es der Obama-Regierung darum, eine Regierung an die Macht zu bringen, die Amerikas Interessen schützt. Vor allem will sie den Militärapparat intakt halten, mit dessen Hilfe sie einen schmutzigen Geheimkrieg gegen Mitglieder der Terrororganisation Al Qaida der Arabischen Halbinsel (AQAP) führen.

Noch während das jemenitische Militär Demonstranten niederschießt, knüpfen das Pentagon und die CIA engere Kontakte zu ihm. Am Mittwoch rühmte sich das Pentagon in einer Stellungnahme damit, „trotz der politischen Instabilität“ „wichtige Gegenspionage-Kontakte bewahrt zu haben.“ Über Saleh hieß es: „Unser Interesse, und das der jemenitischen Regierung ist es, gegen den Terror zu kämpfen… unabhängig von bestimmten Individuen.“

In Wirklichkeit haben die USA Saleh voll und ganz unterstützt und sich darauf verlassen, dass er die amerikanischen Interessen im Jemen und in der Region verteidigt. Der Jemen hat eine gemeinsame Grenze mit Washingtons wichtigstem Verbündeten Saudi-Arabien und liegt außerdem an einer strategisch wichtigen Schifffahrtsroute durch das Rote Meer und den Suezkanal. Der Militärdiktator war in den vergangenen zehn Jahren ein wichtiger Verbündeter im „Krieg gegen den Terror“ und kollaborierte bei Drohnenangriffen auf vermeintliche AQAP-Anhänger mit der CIA.

Die Obama-Regierung versucht auch deshalb den Widerstand gegen ein bisher verlässliches Vasallenregime zum Schweigen zu bringen, weil die Unruhen und Massendemonstrationen im Nahen Osten, vor allem in Ägypten, gegen die Militärregierung in Kairo weitergehen.

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