Italienischer Ex-Premier Berlusconi wegen Steuerbetrugs verurteilt

Am 26. Oktober wurde der Medienmagnat und frühere Premier Silvio Berlusconi von einem Mailänder Gericht wegen Steuerhinterziehung zu vier Jahren Gefängnis verurteilt; zudem darf er fünf Jahre lang kein öffentliches Amt mehr bekleiden.

Dem Gericht lagen Beweise dafür vor, dass Berlusconi in den Jahren 2002-2003 mehrere Auslandsgesellschaften benutzt hatte, um den Preis, der für Fernsehrechte an Hollywood bezahlt worden war, stark überhöht anzugeben. Der Steuerbetrug beläuft sich auf eine Summe von etwa 270 Millionen Euro.

Dem Gerichtsurteil gingen beinahe zehnjährige Ermittlungen und sechsjährige Anhörungen voraus. Berlusconi soll auch einen Teil des hinterzogenen Geldes, zehn Millionen Euro, zurückzahlen.

Die internationalen Medien feierten das Urteil sofort als eine Sensation. Sie kamen damit der weitverbreiteten öffentlichen Verachtung für Berlusconi entgegen, der aufgrund der unsozialen Politik seiner vier Regierungsperioden in achtzehn Jahren zum Symbol für Korruption und reaktionäre Seilschaften geworden ist.

Die beinahe jubelnde Berichterstattung über das Urteil dient definitiven politischen Zwecken. Erstens soll damit die weit verbreitete Unzufriedenheit besänftigt werden, die Berlusconi sowohl mit seiner politischen als auch persönlichen Haltung hervorgerufen hat. Zweitens wird der Legitimität der Justiz damit ein Feigenblatt verschafft.

In Wirklichkeit ist es höchst unwahrscheinlich, dass Berlusconi jemals auch nur einen Tag im Gefängnis sitzen muss. Das Urteil wurde in Übereinstimmung mit dem Amnestiegesetz von 2006, sofort auf ein Jahr reduziert. Der italienische Ex-Premier prahlt oft damit, dass es ihm bei seinen zahlreichen Vorladungen und Prozessen immer gelungen sei, mit den besten Juristen ein günstiges Ergebnis zu erzielen. Oft hat er Richter bestochen und Gesetze manipuliert, und speziell auf ihn zugeschnittene neue Dekrete selbst auf den Weg gebracht, wie zum Beispiel mehrere Amnestiegesetze,.

Gegen das jüngste Urteil kann noch zweimal Revision eingelegt werden, was bedeutet, dass es italienische Gerichtshöfe noch Jahrelang beschäftigen wird. Das Verbot, ein öffentliches Amt zu bekleiden, tritt erst nach dem endgültigen Urteil in Kraft. Außerdem kennt die italienische Justizgeschichte viele Fälle, bei denen hochrangige Politiker durch Verjährung vor dem Gefängnis bewahrt wurden. So wurde das Urteil gegen den früheren Premierminister Giulio Andreotti 2003, der wegen Verbindungen zur Mafia verurteilt worden war, wegen Verjährung gekippt.

Trotz der vernichtenden Beweislage reagierte Berlusconi auf das jüngste Urteil mit seiner üblichen Arroganz. Er nannte es „unglaublich und unerträglich, eine politische Aburteilung“, wie sie für ein „barbarisches und unzivilisiertes Land“ typisch sei. Er widerrief auch seine frühere Ankündigung, dass er bei den nächsten Wahlen nicht mehr kandidieren werde. Er behauptete, er fühle sich „verpflichtet, auf dem Feld zu bleiben, um die Justiz zu reformieren“. Seit Jahren strebt Berlusconi Verfassungsänderungen an, welche die Macht der Exekutive stärken würden.

Die Frage stellt sich: Wie ist es möglich, dass ein solcher Gangster, der bei großen Teilen der Bevölkerung verhasst ist, so lange Zeit ungestraft davonkommen konnte? Seinen Erfolg damit zu erklären, dass er mit seinem Reichtum (etwa sechs Milliarden Euro) in der Lage sei, das ganze Establishment zu bestechen, greift viel zu kurz.

Hier stellt sich die grundsätzliche Frage nach der so genannten Linken in Italien, die ihre Opposition gegen Berlusconi eingestellt hat.

Seine Karriere strotzt von Versuchen, das Gesetz zu hintergehen, um sein Medienimperium zu verteidigen, und der Bestrafung zu entkommen. Widerstand von der “Linken” hatte Berlusconi dabei niemals zu befürchten.

Für viele italienische Arbeiter verkörpert er einen verachtenswerten Klassenfeind, der zahlreiche Verbrechen begangen hat und Zehntausende Angestellte ausbeutet. In der Politik steht er für die Einführung schlimmer sozio-ökonomischer Bedingungen durch Privatisierung und Aushöhlung von Sozialstaat, Bildung und Gesundheitswesen.

Doch diese Stimmung in der Arbeiterklasse hat niemals Ausdruck in der Politik gefunden. Die italienische „Linke“ präsentiert sich als Opposition gegen Berlusconi, während sie in Wirklichkeit die allgemeine Sparpolitik unterstützt und, wenn sie selbst an der Macht ist, ähnliche Maßnahmen durchsetzt.

Italiens aktueller Premierminister, Mario Monti, ein ergebener Diener der europäischen Bankiers, die ihn undemokratisch an die Macht gebracht haben, genießt nicht nur die Unterstützung von Berlusconis Volk der Freiheit (PdL), sondern auch der Demokratischen Partei (PD), d.h. von Berlusconis angeblichen Opponenten, die eng mit der „radikalen Linken“ verflochten sind.

Montis Sparmaßnahmen steigern sich momentan zu einer beispiellosen Welle von Angriffen auf alles, was noch von den Nachkriegserrungenschaften übrig ist. Zuerst hat er Ende 2011 die Renten beschnitten und eine Reihe regressiver Steuern eingeführt, welche die Arbeiter unverhältnismäßig stark benachteiligen. Seine Arbeitsmarktreformen und seine „Umstrukturierung“ Anfang diesen Jahres zerstören seit Jahrzehnten gültiges Arbeitsrecht, von Sicherheitsvorschriften bis zu Arbeitsplatzgarantien, und kommen den Bedürfnissen des Kapitals durch Flexibilisierung der Arbeit entgegen.

Alle diese Maßnahmen genießen die starke Unterstützung der PD, welche die Kommunistische Partei Italiens zu ihren Vorgängern zählt.

Matteo Renzi, Bürgermeister von Florenz, ist einer von drei Kandidaten, aus denen die Partei in den bevorstehenden Vorwahlen ihren Spitzenkandidaten wählen wird. (Die anderen zwei sind der nationale Parteisekretär Pierluigi Bersani und Nichi Vendola, der nationale Sekretär von Sinistra Ecologia Libertà, SEL). Matteo Renzi erklärte: „Mario Monti hat Italien Autorität, Prestige und Anstand zurückgegeben.“ Von einem möglichen Mittelinks-Kabinett, versicherte Renzi, müsse Monti „eingeladen werden, entweder in Italien oder in einer europäischen Einrichtung eine hochrangige Rolle zu spielen“.

Dass Vendola sich an den Vorwahlen der Demokraten beteiligt, ist keine Überraschung: Im August hat er mit Bersani zusammen ein Bündnis gegründet, um das Mittelinks-Lager zu kontrollieren, jedoch ohne Berührungsängste mit rechteren Parteien. So sieht Vendola auch in Pierferdinando Casini, dem Sekretär der Christdemokraten, der traditionellen konservativen Partei Italiens, einen möglichen Verbündeten: „Die linke Mitte darf sich nicht fürchten, jeden mitzuziehen, der ihren Horizont bereichern möchte.“

Aber die Möglichkeiten dieser „Linken“ kennen keine Grenzen. Vendola fuhr fort: „Ich erhebe gegen niemanden ein Veto“, womit er eine große Koalition nicht ausschloss, zu der sogar neofaschistische Elemente gehören könnten, so lange sich die Politik „auf soziale und Bürgerrechts-Themen“ konzentriere.

Rifondazione Comunista oder ihre Überbleibsel bleiben der doppelzüngigen Rolle treu, die sie in ihrer gesamten Geschichte gespielt haben. Ihr nationaler Sekretär, Paolo Ferrero, der Vendola bestens kennt, unterstützt nach wie vor dessen betrügerische Neuschöpfung einer „alternativen Linken“. Ferrero selbst hat bereits als Minister in der Prodi-Regierung (2006-2008) gedient, welche im Prinzip denselben Kurs wie die aktuelle Monti-Regierung verfolgte (siehe: „Der Preis des Opportunismus, Zum Kollaps von Rifondazione Comunista in Italien“, http://www.wsws.org/de/articles/2008/apr2008/rifo-a24.shtml)

Das ganze prinzipienlose Geschacher wäre nicht möglich ohne Komplizenschaft der großen Gewerkschaftsdachverbände CGIL, CISL und UIL.

Von der CISL und ihrer offen marktwirtschaftlichen Politik bis hin zur FIOM-CGIL mit ihren Geheimtreffen mit Fiat-Chef Sergio Marchionne haben diese Organisationen in all den Jahren immer neuen Tarufverträgen zugestimmt und damit die Zerstörung von Tausenden Arbeitsplätzen besiegelt und lebenswichtige Errungenschaften aufgegeben. Alibistreiks und wirkungslose Proteste haben zu größeren Niederlagen der Arbeiter beigetragen. Heute stoßen sie immer stärker auf taube Ohren.

Die Unterstützung der Pseudolinken für das europäische und globale Kapital und ihre Klassenkollaboration erlauben es Berlusconi, sich nicht nur über das Gesetz zu erheben, sondern sich auch in die Pose eines populistischen Kritikers von Montis Sparmaßnahmen zu werfen!

Weder der offen kriminelle Berlusconi, noch Monti mit seiner Rotstiftpolitik stoßen bei der italienischen „Linken“ auf nennenswerten Widerstand. Arbeiter, die bereit sind, tatsächlich Widerstand zu leisten, müssen dies völlig unabhängig von dieser „Linken“ tun und sich dabei auf ein wirklich sozialistisches und internationalistisches Programm stützen.

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