UAW stimmt Abschaffung des Achtstundentags bei Chrysler zu

Auf Autoaufklebern las man zuweilen: “Gewerkschaften: die Leute, die fürs freie Wochenende gesorgt haben“. [Oder in Deutschland: „Am Samstag gehört Papi mir!“] Heute wäre folgende Aufschrift zutreffender: „UAW: die Leute, die das freie Wochenende verschenkt haben – und den Achtstundentag gleich mit“.

Indem die UAW heute die so genannten Alternativen Schichtpläne (Alternative Work Schedule, AWS) akzeptiert, plant sie die Zerstörung von Errungenschaften, welche die Autoarbeiter vor 75 Jahren erkämpft hatten. Sie hilft den Konzernen dabei, immer höhere Profite aus den Autoarbeitern zu pressen.

Das neue Schichtsystem, das schon in vielen Autowerken in ganz Amerika in Kraft ist, soll kommende Woche auch in dem LKW-Montage- und Presswerk von Chrysler im Detroiter Vorort Warren eingeführt werden. Der neue Schichtplan stößt bei den Arbeitern auf großen Widerstand.

Das AWS sieht vor, dass Arbeiter mindestens zehn Stunden am Tag ohne Überstundenzuschläge arbeiten müssen. Die meisten Arbeiter werden auch am Samstag für den Grundlohn arbeiten müssen. Im Chrysler-Montagewerk in North Jefferson ist sogar Sonntagsarbeit ohne Zuschläge in die Schichtpläne eingearbeitet.

Das AWS ist auch als „System 3-2-120“ bekannt, weil drei Schichtmannschaften in zwei Schichten 120 Stunden die Woche leisten. In dem Montagewerk in Jefferson North, Detroit, arbeitet die Mannschaft A von Montag bis Donnerstag zehn Stunden auf Tagschicht, d.h. von 6 Uhr bis 16.30 Uhr. Die Mannschaft B arbeitet von Mittwoch bis Samstag zehn Stunden auf Nachtschicht von 18 Uhr bis 4.30 Uhr. Mannschaft C arbeitet zehn Stunden Nachtschicht Montag und Dienstag und zehn Stunden Tagschicht Freitag und Samstag.

Das ermöglicht der Firma, die Arbeitskosten um Dutzende Millionen Dollar zu senken, indem sie keine Überstundenzuschläge wegen längerer Arbeitszeit als acht Stunden am Tag und keine Wochenendzuschläge für die Arbeit am Samstag mehr zahlen muss. Diese Zuschläge betrugen bisher fünfzig Prozent. Die Firma konnte ihre Profite 2012 auf 1,7 Milliarden Dollar steigern.

Das Schichtsystem ermöglicht dem Unternehmen, die Anlagen länger laufen zu lassen, und verschafft ihm pro Jahr im Vergleich zum herkömmlichen Schichtsystem49 zusätzliche Produktionstage.

Das Recht der Autoarbeiter auf Überstundenzuschläge nach acht Stunden Arbeit wurde 1941 in einem erbitterten Streik bei Ford durchgesetzt. Bei der Restrukturierung von GM und Chrysler 2009 verlangte die Obama-Regierung die Streichung dieser Regelung, und die UAW stimmte dem zu.

Alle Studien zu dem Thema zeigen, dass verlängerte Arbeitszeiten und ständig wechselnde Schichten für Arbeiter gesundheitsschädigend sind. Der körperliche und psychische Stress nimmt zu, und das Familienleben wird gestört. Aber das interessiert weder die Autobosse noch ihre Geschäftspartner in der UAW.

Durch die Verlängerung des Arbeitstages, die Verkürzung der Pausen, das Einfrieren von Löhnen und die Halbierung der Löhne von Neueingestellten konnten die Autokonzerne den Mehrwert, den sie aus der Arbeit der Arbeiter ziehen, drastisch erhöhen. Das ist nach Marx der Wert, den die Arbeiter über den Wert ihrer Löhne hinaus schaffen. Er ist die Grundlage der enormen Profite, die direkt in die Taschen der Aktionäre und Manager fließen. Im vergangenen Jahr waren das bei den Detroiter Autoproduzenten elf Milliarden Dollar.

Die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten und weltweit hat mehr als ein Jahrhundert für den Achtstundentag gekämpft. Um den gewaltsamen Widerstand der Industriellen und der Regierung zu durchbrechen, mussten Arbeiter viel Blut vergießen. Zu diesen Arbeitern gehörten die vier Haymarket Märtyrer, die 1887 in Chicago für ihre führende Rolle in der Bewegung für den Achtstundentag aufgehängt wurden. Die Parole lautete damals: „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und acht Stunden Schlaf“.

Heute versuchen die herrschenden Klassen aller Länder die Uhr zurückzudrehen und die Arbeiter in sklavenähnliche Bedingungen zurückzustoßen. Gegen diese Angriffe haben Autoarbeiter in Indien, Brasilien und Frankreich in den letzten Monaten den Kampf gegen die globalen Autokonzerne aufgenommen.

Die Zusammenarbeit der UAW bei der Verlängerung des Arbeitstages beleuchtet die historische Verwandlung dieser Organisation. Als militante Arbeiter und sozialistische Pioniere 1937 die Flint-Werke besetzten und die UAW gründeten, forderten sie die Dreißigstundenwoche bei Bezahlung für vierzig Stunden, sowie Überstundenzuschläge von fünfzig Prozent nach der sechsten Stunde. Heute verlangen UAW-Bosse wie Bob King und General Holiefield, dass Arbeiter für weniger Geld länger arbeiten, um die Profite der Autobosse zu steigern.

Auch noch so viele Proteste und Petitionen an die UAW, wie sie von der Gruppe Labor Notes im Presswerk Warren propagiert werden, können ihre Meinung zu der AWS nicht ändern. Weil der UAW-Apparat inzwischen vierzig Prozent der Chrysler-Aktien besitzt, hat er ein direktes Interesse daran, die Ausbeutung der Arbeiter zu verschärfen, nicht zu verringern.

Holiefield machte das gegenüber den Detroit News klar. Der „Flexible Operationsplan hat sich als erfolgreich erwiesen“, erklärte der UAW-Bürokrat. „Die Firma kann jetzt mit maximaler Kapazität laufen…“

Einen Kampf gegen diese Ausbeutungsbedingungen wird es nur geben, wenn die Arbeiter ihn selber in die Hand nehmen. Es müssen Basiskomitees aufgebaut werden, die von der konzernfreundlichen UAW völlig unabhängig organisiert werden, damit alle Arbeiter in der ganzen Autoindustrie gemeinsam gegen die AWS und das zweistufige Lohnsystem kämpfen können.

Solche Komitees werden eine Grundlage schaffen, um die gesamte Arbeiterklasse gegen die nicht enden wollenden Angriffe auf alle sozialen Rechte zu mobilisieren.

Die WSWS sprach am Presswerk in Warren und an den Montagewerken in Sterling Heights und North Jefferson mit Chrysler-Arbeitern über das neue Schichtsystem.

Pete, ein älterer Arbeiter im Presswerk Warren, sagte: “Das AWS ist nicht akzeptabel. Dahinter steht nur die Gier des Unternehmens. Meiner Meinung nach geht es nur darum, uns die Überstundenzuschläge wegzunehmen. Unsere Väter haben dafür gekämpft. Sie bekamen nach acht Stunden Zuschläge. Die Firma verdient Geld, aber wir schaffen das Geld für sie. Bei jedem Tarifvertrag machen wir Zugeständnisse, und die Firma kassiert.

Die traurige Wahrheit lautet, sie stellen jetzt die ganzen jungen Leute ein, die nur noch halb soviel verdienen wie wir. Sie bürden den höher bezahlten Arbeitern eine große Last auf. Ich fürchte, sie werden beim nächsten Tarifvertrag die höhere Lohnstufe ganz streichen.“

Zur Rolle der UAW sagte Pete: “Bob King scheint zu glauben, dass die UAW gut mit der Ausgabe von Chrysler-Aktien [Initial Public Offering, IPO] fahren wird. Aber was hat das noch damit zu tun, dass sie uns vertreten? Im Werk werden Bilder herumgereicht, wie [Fiat-Boss] Marchionne und Holiefield sich die Hände schütteln und sich umarmen. Es ist vollkommen klar, dass sie vorhaben, alle Arbeiter in die niedrige Tarifgruppe abzuschieben.“

Ein Arbeiter des Werks in Sterling Heights sagte: “Die meisten Arbeiter können es kaum erwarten, dass der Tarifvertrag 2015 ausläuft, weil sie dann die Zahlung der Gewerkschaftsbeiträge einstellen werden. Die UAW vertritt uns schon lange nicht mehr. Unsere Löhne und Sozialleistungen werden gekürzt, und unsere Familien werden durch das neue Schichtsystem zerstört. Ich werde freitags und samstags von 17.30 bis 4.30 arbeiten müssen. Das raubt die ganze Zeit, in der man etwas mit der Familie unternehmen kann.“

Keith arbeitet schon seit zwanzig Jahren bei Chrysler im Montagewerk Jefferson North. Er sagte, Chrysler führe verpflichtende Sonntagsarbeit ein. Das Werk hat schon seit Herbst das Alternative Schichtsystem. „Jetzt führen sie auch noch Sonntagsarbeit ein, weil wir angeblich mit der Produktion hinterherhinken“, sagte er. „Jetzt wird die ganze Woche rund um die Uhr gearbeitet, aber wir bekommen weniger Geld, weil Überstundenzuschläge erst nach vierzig Wochenstunden gezahlt werden. Sie wollen, dass wir dauerhaft sonntags arbeiten. Diesen Sonntag wird es die B-Mannschaft treffen, und nächsten Sonntag die C-Mannschaft. Das machen wir jetzt seit einem Monat so.“

Clinton, seit neunzehn Jahren bei Jefferson, sagte: „Wir müssen Sonntag arbeiten, jede Schicht trifft es einmal im Monat. Die Schichten wechseln immer. Es ist schwierig sich daran zu gewöhnen. Ich bin auf Schicht C und arbeite Früh- und Tagschicht. Es ist ganz schön hart. Ich beklage mich nicht leicht, aber es ist hart. Man gerät aus dem Gleis. Man ist erschöpft.”

Nichole ist eine junge Arbeiterin in der niedrigen Lohnstufe in Warren. Sie sagte: „Ich habe mein College-Stipendium aufgegeben, um hier zu arbeiten, weil ich dachte, es sei ein guter Arbeitsplatz. Das neue Schichtsystem macht es mir unmöglich, meine Kurse zu besuchen. Die fünfzig Prozent Zuschläge für Samstagsarbeit waren ein Anreiz, einen Teil des Wochenendes zu opfern. Jetzt haben sie das weggenommen. Sie streichen alles, und die UAW tut nichts für uns. Die Gewerkschaft sagt, das sei etwas Neues, das auf der Stelle eingeführt werde, aber in Wirklichkeit haben sie dem schon 2007 oder noch früher zugestimmt.“

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