Washington drängt auf Gespräche zwischen ägyptischer Armeejunta und Islamisten

Washington und seine europäischen Verbündeten erhöhen den Druck auf das ägyptische Militär, seine blutige Auseinandersetzung mit der Muslimbruderschaft (MB) und mit dem ehemaligen islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi zu beenden. Mursi wurde am 3. Juli durch einen Putsch gestürzt, der nach Massenprotesten der Arbeiterklasse erfolgte.

Am Mittwoch veröffentlichten US-Außenminister John Kerry und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton eine gemeinsame Erklärung: „Tief besorgt über die Zukunft Ägyptens und über das, was in diesen kritischen Zeiten auf dem Spiel steht, haben wir eine Reihe praktischer Vorschläge gemacht, um die augenblicklichen Spannungen zu beruhigen und den Ägyptern dabei zu helfen, eine Brücke zu einem wirklichen politischen Dialog zu errichten. Diese Vorschläge stehen jetzt den Parteien zur Verfügung und wir setzen unser Engagement täglich auf allen Ebenen fort.“

Die Stellungnahme ist Bestandteil der fortgesetzten Bemühungen der imperialistischen Mächte, einen politischen Waffenstillstand zwischen der Muslimbruderschaft und der Junta zu bewirken. Erste derartige Versuche waren (am selben Tag) gescheitert. Vergangenen Freitag war der amerikanische Vizeaußenminister William Burns nach Ägypten gereist, um mit Interimspräsident Adli Mansur und seinem Stellvertreter Mohammed ElBaradei zu sprechen. Burns traf auch Chairat Sa'd al-Schater, ein Führungsmitglied der Muslimbrüder, der sich gegenwärtig in einem Kairoer Gefängnis befindet.

Am Dienstag trafen sich die republikanischen Senatoren John McCain und Lindsay Graham in Kairo mit hochrangigen militärischen und zivilen Führern, um auf eine Beendigung der Feindseligkeiten zwischen dem Militärregime und den Muslimbrüdern zu dringen. Graham meinte: „In einer Demokratie setzt man sich hin und spricht miteinander.“ Mit Blick auf die im Gefängnis sitzende Führung der Muslimbruderschaft fügte er hinzu: „Es ist aber unmöglich, mit jemandem zu sprechen, der sich im Gefängnis befindet.“

Graham warnte, dass die amerikanisch-ägyptischen Beziehungen, insbesondere die jährliche Militärhilfe von 1,3 Milliarden Dollar an Ägypten, gefährdet seien, falls es nicht zu einer Aussöhnung komme. „Einige Stimmen im Kongress fordern die Beendigung der Beziehungen, einige wollen die Hilfsleistungen aussetzen (…) Wir können kein Ägypten unterstützen, das sich nicht in Richtung Demokratie bewegt.“

Grahams Beschwörung angeblicher Besorgnis Washingtons um Demokratie ist zynischer Betrug. Die Vereinigten Staaten und die europäischen Mächte unterstützten den Putsch gegen Mursi, den sie zuvor selbst unterstützt hatten, als einen vorbeugenden Erstschlag, der das Emporkommen einer revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse hemmen sollte. Sie befürchten allerdings, dass die blutige Abrechnung des Militärs mit den Muslimbrüdern Ägypten und den gesamten Nahen Osten weiter destabilisieren und letztlich erneut Massenkämpfe provozieren könnte.

In ihrer Stellungnahme warnten Kerry und Ashton: “Die Situation ist nach wie vor sehr instabil. Sie birgt nicht nur das Risiko weiteren Blutvergießens und weiterer Polarisierung in Ägypten, sondern sie verhindert zugleich eine wirtschaftliche Erholung. Diese ist für Ägyptens erfolgreichen Wandel von essenzieller Bedeutung.“

Indessen droht die von den USA unterstützte ägyptische Junta damit, ihre Repressalien gegen die Muslimbrüder zu intensivieren.

Am Mittwoch erklärte der ägyptische Interimspräsident Adli Mansur in einer Stellungnahme, dass “die Phase diplomatischer Bemühungen beendet ist.” Er verkündete, dass „der Staat alle notwendigen Anstrengungen ausgereizt hat, die Muslimbruderschaft und ihre Unterstützer dazu zu bewegen, der Gewalt abzuschwören, Blutvergießen zu vermeiden und die Zerrüttung der ägyptischen Gesellschaft einzustellen, deren Zukunft sie bedrohen.“ Er fügte hinzu, dass die Muslimbrüder und ihre Unterstützer „die volle Verantwortung für das Scheitern“ trügen „sowie für die Gesetzesübertretungen und die Gefährdung des sozialen Friedens“, die sich aus dem Scheitern ergeben.

Premierminister Hasim al-Beblawi machte in einer anderen Stellungnahme deutlich, dass sich die Unterstützer der Muslimbrüder, die sich in Sitzstreiks gegen den Putsch und für die Wiedereinsetzung Mursis befinden, der enormen Gefahr eines gewaltsamen Vorgehens gegen sie aussetzen. Er sagte, die Entscheidung der Regierung, die Sitzblockaden aufzulösen, sei endgültig und ihre „Geduld“ sei bald zu Ende. Er beschuldigte die Demonstranten, Gewalt zu schüren, Straßen zu sperren und Bürger zu behindern. Er warnte, dass solche Handlungen mit „aller Macht und Entschiedenheit“ beantwortet würden.

Am Donnerstag wiederholte al-Beblawi bei einem Besuch des Kairoer Hauptquartiers der Zentralen Sicherheitskräfte in El-Darassa, wo er mit Innenminister Mohammed Ibrahim und der Führung der Sicherheitskräfte zusammentraf, seine Drohungen. Er betonte, „Sicherheit“ sei erste Priorität seiner Regierung und lobte die „großartige“ und „kontinuierliche“ Rolle der Sicherheitskräfte bei der „Erhaltung von Sicherheit und Schutz von Nation und Bevölkerung.“

Seit dem Putsch wurden hunderte Menschen vom Militär und den Sicherheitskräften getötet, Tausende wurden verletzt und verhaftet. Am 8. Juli töteten die Sicherheitskräfte mindestens 51 protestierende Mursi-Anhänger und bei einem weiteren Massaker am 27. Juli mindestens 80. Am Mittwoch veröffentlichte der Sprecher der Armee Ahmed Ali eine Stellungnahme laut welcher das Militär bei seinem gewaltsamen Vorgehen auf dem Sinai vom 5. Juli 60 „Terroristen“ getötet und 103 verhaftet habe.

Während die Muslimbruderschaft vor weiterem Blutvergießen warnt, signalisiert sie zugleich ihre Bereitschaft zu Gesprächen mit dem Militär. Ihr Sprecher Gehad El-Haddad sagte Reuters: “Das bedeutet, dass sie ein noch größeres Massaker vorbereiten. Sie sollten uns positive Signale schicken und keine Kugeln.“

Am Donnerstag, dem ersten Festtag des Fastenbrechens (Eid) nach dem Ramadan, dem heiligen Monat der Muslime, rief die von den Muslimbrüdern geführte Nationale Allianz zur Unterstützung der Rechtmäßigkeit ihre Unterstützer auf, für einen „Eid des Sieges“ auf die Straßen zu gehen.

Der niederländische Außenminister Frans Timmermans, der in Kairo an Schlichtungsgesprächen beteiligt war, zeigte sich über die Wahrscheinlichkeit erneuten Blutvergießens in den kommenden Tagen besorgt. „Mehr Menschen werden auf die Straßen gehen, um zu protestieren und in den bewaffneten Einheiten wächst die Neigung, diese zu unterdrücken“, sagte er Reuters.

Wenngleich die Muslimbruderschaft und ihre islamistischen Anhänger das unmittelbare Ziel der militärischen Sanktionen sind, so geht es der Regierung letztlich darum, jeglichen Widerstand der Arbeiterklasse zu brechen und genau das politische System wieder herzustellen, das vor den revolutionären Massenkämpfen bestanden hatte, die am 11. Februar 2011 zum Sturz des von den USA protegierten langjährigen Diktators Hosni Mubarak führten.

Die konterrevolutionäre Offensive der herrschenden ägyptischen Elite entlarvt die reaktionäre Rolle der liberalen, nasseristischen und pseudolinken Organisationen, die Hilfestellung dabei leisteten, die Unzufriedenheit der Massen mit Mursi und den Muslimbrüdern hinter das Militär und Elemente des früheren Mubarak-Regimes zu kanalisieren. Während die verkommenste der kleinbürgerlichen Gruppen in Ägypten, die Revolutionären Sozialisten (RS), verzweifelt versuchen, sich von dem Putsch zu distanzieren, mobilisieren ihre früheren Verbündeten weiterhin offen Unterstützung für das Militär.

Die Kampagne des Tamarod („Rebellion“)-Bündnisses, die von den RS zuvor unterstützt worden war, rief zu Eid-Gebeten für das Militär auf dem Tahrir-Platz auf. Die Gebete werden auch von der Sozialistischen Volksallianzpartei und Hamdeen Sabahi, dem nasseristischen Führer der Nationalen Heilsfront (NSF), unterstützt, der in einem Radiointerview zynisch erklärte, dass die „Muslimbruderschaft den Willen des Volkes akzeptieren muss. Ich kann mir keine politische Lösung vorstellen.“

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