Die EU und der Angriff auf die Löhne der europäischen Arbeiter

Fünf Jahre nach dem Börsenkrach an der Wall Street im September 2008 belegen Zahlen, die die Bibliothek des britischen Unterhauses zusammengestellt hat, dass die Löhne der Arbeiter in den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union stark gesunken sind.

Die Statistiken widerlegen die Behauptungen, dass die Euro-Zone mit einem moderaten Wachstum im letzten Quartal “die Kurve gekriegt hat”. Die Situation ist besonders akut in jenen Ländern, die dem Diktat der “Troika” - der EU, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) - unterworfen sind. Die Troika hat darüber gewacht, dass die massiven Einschnitte bei den Sozialausgaben erfolgten, die von den internationalen Banken gefordert wurden.

In Griechenland sind die Löhne seit dem Herbst 2010 um 11,3 Prozent gefallen. Das britische Institute for Fiscal Studies [Institut für Finanzstudien] beschrieb diesen Rückgang als “beispiellos”. Der Sparkurs hat Millionen in die Armut gestoßen und die offizielle Arbeitslosenquote auf ein Rekordhoch von 27,6 Prozent getrieben. Unter den fünfzehn- bis vierundzwanzigjährigen liegt die offizielle Rate bei exorbitanten 64,9 Prozent.

Trotzdem werden von diesem Land immer noch unerbittlich weitere Kürzungen gefordert. Erst im vergangenen Monat verabschiedete das griechische Parlament eine neue Runde von Sparmaßnahmen, durch die die Löhne erneut gesenkt und bis 2015 zusätzlich 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen werden. Nachdem der Mindestlohn für unter Fünfundzwanzigjährige schon um zweiunddreißig Prozent auf nur fünfhundert Euro im Monat gesenkt worden ist, erwägt Athen Berichten zufolge weitere Reduzierungen.

Im gleichen Zeitraum verzeichnet Portugal den zweitgrößten Rückgang der Löhne – um 8,1 Prozent. Mit rund 13 Milliarden Euro Einsparungen seit 2008 schlägt Lissabon mit steigender Armut und sinkenden Sozialleistungen den gleichen Weg ein wie Griechenland. Es mehren sich Berichte von Menschen, die aufgrund fehlender Mittel ohne medizinische Versorgung sind und von Apotheken, die nicht in der Lage sind, ihren Warenbestand wieder aufzufüllen.

Spanien und Zypern – die eben falls zu den Empfängern der Spar “Medizin” der Troika gehören –verzeichnen einen Rückgang bei den Löhnen um 3,3 Prozent bzw. drei Prozent. In Spanien, wo die allgemeine Arbeitslosenquote bei siebenundzwanzig Prozent und für Jugendliche bei über fünfzig Prozent liegt, hat die Zentralbank die Aussetzung des Mindestlohns gefordert. Dies ist Teil einer Strategie, den rechtlichen Schutz der Arbeiter zu unterlaufen um den Forderungen des IWF nach weiteren Lohnkürzungen von bis zu 10 Prozent zu entsprechen.

In Zypern beinhaltet ein Plan zur “Rettung” der Cyprus Airways die Entlassung von fast 50 Prozent der 1000 Mitarbeiter des nationalen Luftfahrtunternehmens und Lohnkürzungen von 17 Prozent.

Dieser Angriff auf die Arbeiter ist keineswegs auf die sogenannten “Peripherieländer” beschränkt. Die Niederlande und Großbritannien, die angeblich zu den “reichsten” Ländern gehören, belegen den dritten und vierten Platz auf der Tabelle sinkender Löhne.

Die Löhne sind in den Niederlanden seit 2010 um 5,8 Prozent zurückgegangen. Steigende Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben dazu beigetragen, die Lohnkosten und Sozialleistungen zu verringern. Im Juni stieg die Arbeitslosenquote mit 8,1 Prozent auf den höchsten Stand seit 30 Jahren.

In Großbritannien fiel der durchschnittliche Stundenlohn um 5,5 Prozent. Nominal sind die Löhne in den letzten 35 Monaten unter der Regierung aus Konservativen und Liberaldemokraten auf einen Rekordwert gefallen. Der Rückgang war sogar noch größer als während der Großen Depression in den 1930er Jahren. Wie woanders auch, ist der Angriff auf die Löhne untrennbar mit den Sparmaßnahmen der Regierung verbunden, die sich bisher auf 166 Milliarden Pfund (248 Milliarden Dollar) belaufen – bei steigender Tendenz.

Ungefähr 700.000 Arbeitsplätze sind in Großbritannien bereits im öffentlichen Sektor verloren gegangen, aber trotzdem wird erwartet, dass die Zahl auf mehr als eine Million bis zum Jahr 2018 steigt. Sinkende Löhne werden durch die Zunahme von befristeten und Null-Stunden-Verträgen begleitet, wie es für fast die Hälfte aller neuen Arbeitsplätze seit 2010 gilt. Es wird erwartet, dass das reale Jahreseinkommen der Arbeiter bis 2015 um 1.520 Pfund (1.782 Euro) schrumpft.

Diese Zahlen sind nicht einfach das Ergebnis objektiver wirtschaftlicher Kräfte. Die herrschenden Klassen Europas haben im Einklang mit der herrschenden Elite Amerikas eine Politik verfolgt, die die Wirtschaftskrise nutzt, um die Klassenverhältnisse in ihrem Interesse drastisch umzustrukturieren.

Wie die EU-Kommissarin für Griechenland, Maria Damanaki, während der Zypernkrise im April sagte, “Die Strategie der Europäischen Kommission in den vergangenen anderthalb oder zwei Jahren bestand darin, die Arbeitskosten in allen europäischen Ländern zu reduzieren, mit der Absicht die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen gegenüber ihren Rivalen aus Osteuropa und Asien zu verbessern.”

Was bisher stattgefunden hat, ist jedoch nur der Anfang. Huw Pill, der Chef des Goldman Sachs Wirtschaftsteams in Europa, sagte kürzlich, dass die Politik der “inneren Abwertung”, die umgesetzt wurde, um die Euro-Zone “nachhaltig” zu machen, voraussetze, dass in Griechenland und Portugal die “Löhne in Relation zu Deutschland um mindestens 50 Prozent (ab dem Niveau zu Beginn des Jahres 2011) sinken.” Relative Lohnkürzungen von 30 Prozent und mehr seien in Spanien und Frankreich nötig, fügte er hinzu.

Der Hinweis auf das deutsche Lohnniveau ist irreführend. Während Deutschland – einem Bericht des House of Commons zufolge eines der wenigen EU-Länder ist, das einen Anstieg der Stundenlöhne (2,7 Prozent) verzeichnet, haben fast ein Viertel aller Beschäftigten in Deutschland einen Arbeitsplatz im Niedriglohnbereich, in denen die Hälfte weniger als sieben Euro (9,30 Dollar) pro Stunde verdienen. Die Ungleichheit in der Vermögensverteilung in Deutschland ist die höchste in Europa.

Angesichts der Bundestagswahlen in nur einen Monat, gibt es Forderungen aus der deutschen herrschenden Klasse, dass die offiziellen Parteien ihre Bereitschaft deutlich machen müssen, so unpopuläre Maßnahmen durchzuführen wie in Griechenland. Der Spiegel schrieb kürzlich, dass Berlins Beharren auf schweren Einschnitten in Südeuropa glaubwürdiger wäre, wenn Deutschland selbst bereit wäre, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen.

In einem endlosen Wettlauf nach unten folgt der Rest Europas dem Beispiel Griechenlands.

Diese historische Veränderung in den Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit unterstreicht die Krise der Führung der Arbeiterklasse. Die Gewerkschaften und der Rest der alten “Arbeiter”-Organisationen dienen als primärer Mechanismus für die Durchsetzung der Diktate des internationalen Kapitals.

Ob in Griechenland, Frankreich, Spanien oder dem Vereinigten Königreich, überall organisieren die Gewerkschaften zahnlose Proteste, während sie Vereinbarungen mit den Arbeitgebern und ihren jeweiligen Regierungen eingehen, um den Lebensstandard der Arbeiter drastisch zu senken, damit die “Wettbewerbsfähigkeit”, d.h. die Gewinne, der Konzerne und der Reichtum der Superreichen steigen. Überall haben sich die sozialdemokratischen Parteien offiziell zu Sparmaßnahmen bekannt.

Eine zentrale Rolle in dieser Verschwörung gegen den Lebensstandard der Arbeiter spielen pseudo-linke Organisationen wie Syriza in Griechenland, die Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich und Die Linke in Deutschland. Sie stellen viele Mitarbeiter von Europas Gewerkschaftsapparat. In ihrer politischen Linie und ihrer Praxis versuchen diese Organisationen, den Klassenkampf zu unterdrücken und die Entstehung einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus zu blockieren.

Die Verteidigung des Lebensstandards und der sozialen Rechte der Arbeiterklasse erfordert einen Bruch mit diesen verrotteten Organisationen und die Einleitung einer Massenbewegung auf dem gesamten Kontinent zum Sturz des Kapitalismus und die Errichtung von Arbeiterregierungen im Rahmen der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

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