Die Oligarchen der Ukraine und die EU

Der Besuch der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Kiew am Dienstag wurde von der bekannten Rhetorik über Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit begleitet. Sie wolle zwischen Regierung und Opposition vermitteln, hatte Ashton vor ihrer Abreise in Brüssel verlauten lassen. Doch in Wirklichkeit ging es in ihren Gesprächen um die Frage, wieweit die Demonstrationen der vergangenen Wochen dazu geführt haben, dass einige führende Oligarchen sich auf die Seite der EU stellen und damit auch die ukrainische Regierung zum Einlenken bewegen können.

Mit Genugtuung hatten die Brüsseler EU-Behörden in den vergangenen Tagen beobachtet, dass der Private Fernsehsender 1+1, der dem Bankier und Wirtschaftstycoon Ihor Kolomojskyj gehört, und die StarLightMedia TV Group des Oligarchen Viktor Pintschuk, die sechs Fernsehsender und neun Zeitungen, Verlage und Medienunternehmen umfasst, weitaus positiver über die regierungsoppositionellen Demonstrationen berichteten als früher.

Bevor die Winterkälte den Demonstranten in der Kiewer Innenstadt zu sehr zusetzt, will Ashton die Gelegenheit nutzen, um mit Präsident Viktor Janukowitsch, einflußreichen Wirtschaftsvertretern und den Regierungsgegnern um Boxweltmeister Vitali Klitschko einen Kompromiss im Interesse der EU und der USA zu finden. Zu diesem Zweck wird auch die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland in der ukrainischen Hauptstadt erwartet.

Politik, Wirtschaft und das gesamte öffentliche Leben in der Ukraine werden von einer Handvoll steinreicher Oligarchen bestimmt. Während einige von ihnen, wie die Zechenbarone im Donezbecken und die energieabhängigen Chemiekonzerne, bisher eher an Moskau orientiert waren, standen Unternehmer in der West-Ukraine der EU näher. Doch weit wichtiger als die Frage Ost- oder Westorientierung ist für jeden dieser Oligarchen die Steigerung seines privaten Reichtums und politischen Einflusses.

Einige sehen in der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union die bessere Möglichkeit der Bereicherung. Das führte zu Spannungen in der Regierungspartei, als Präsident Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der EU im vergangenen Monat aufkündigte.

Rinat Achmetow ist der reichste Mann des Landes und Herrscher über ein Kohle- und Stahlimperium. Er verfügt laut Forbes über ein Vermögen von 15,4 Milliarden Dollar und leitet den so genannte „Donezker Clan“, dem auch Präsident Janukowitsch angehört. Zu den „Donezkern“ zählen auch Ministerpräsident Mykola Asarow und der Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Andij Kljujew.

Der Multimilliardär Achmetow lebt vorwiegend in London in seiner Residenz „Hyde Park Number One“ und steuert von dort nicht nur sein Industrie- und Finanzunternehmen, sondern kontrolliert auch etwa 50 Abgeordnete im Kiewer Parlament.

Eine zweite Oligarchen-Gruppe im Präsidentenlager wird von Dmitro Firtasch gelenkt, einem Multimillionär (geschätztes Vermögen 700 Millionen Dollar), der mit Kanzleichef Sergej Ljowotschkin eng verbunden ist. Diese Gruppe hat ihre Basis in der chemischen Industrie und im Gashandel. Über ihre Fernseh- und Radiosender-Gruppe Inter, der größten des Landes, unterstützt sie zum Ärger der „Donezker“ immer wieder punktuell die Opposition um Vitali Klitschko und übt damit Druck auf Janukowitsch aus.

Beide Gruppen bekriegen sich seit Monaten, schreibt die FAZ unter der Überschrift: „Viktor Janukowitsch in der Hand der Oligarchen“. Jede Gruppe werfe der anderen vor, als Moskauer Marionette zu handeln, und stelle sich selbst als glühende Europäer dar.

Vertreter der „Donezker“ verweisen darauf, dass die „Firtasch-Gruppe“ für ihren Chemiekonzern „Ostchem“ aus Russland verbilligtes Erdgas bekomme, und fragen vielsagend, was für Gegenleistungen Moskau wohl dafür erwarte. Firtasch-Leute wie die Abgeordnete Inna Bohoslowska, deren Parteiaustritt für manche einen Aufstand gegen den Präsidenten einzuleiten schien, drehen dagegen den Spieß um und behaupten, Schlüsselfiguren des Donezker Clans seien Handpuppen Moskaus.

Die Financial Times berichtet, dass sowohl die Regierungspolitik in der Ukraine wie auch die Proteste dagegen von Oligarchen gesteuert und finanziert würden. Das Blatt zitiert einen Analysten mit den Worten: „Die Ukraine-Oligarchen sehen in einer Zusammenarbeit mit der EU langfristig die besseren Möglichkeiten, ihren Reichtum zu sichern und auf dem Weltmarkt Fuß zu fassen.“

Die EU kommt dieser Politik entgegen, verfolgt aber eigene Ziele. Sie will die Ukraine zu einer verlängerten Werkbank für europäische Unternehmen machen, die dort zu niedrigeren Löhnen als in China produzieren könnten. Gleichzeitig stellen die Rohstoffe, die riesige und fruchtbare Landfläche und der Absatzmarkt der Ukraine mit ihren 46 Millionen Einwohnern ein verlockendes Ziel für die europäische Wirtschaft dar.

Für die Arbeiterklasse hat die bisher von Moskau beeinflusste Politik nicht weniger katastrophale Folgen. Der Reichtum der Oligarchen beruht auf der systematischen Zerschlagung aller Sozialstandards seit der Auflösung der Sowjetunion und der Wiedereinführung kapitalistischer Verhältnisse.

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