Europawahlen

Starke Verluste für Regierungsparteien, Stimmengewinne für Anti-EU-Parteien

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament haben Parteien, die die Europäische Union (EU) ablehnen, die nominell dem rechten und linken Spektrum zugerechnet werden, von der Feindschaft gegen die Sparmaßnahmen der europäischen Regierungen profitiert. Die niedrige Beteiligung an der Wahl, die sich in insgesamt 28 Ländern über vier Tage hinzog, machte deutlich, dass noch mehr Wähler ihre Opposition zum Ausdruck brachten, indem sie der Wahl fernblieben.

Ihr wichtigstes Ergebnis erzielte die extreme Rechte in Frankreich, wo der Front National (FN) nach vorläufigen Ergebnissen mit 25 Prozent der Stimmen führt, bei einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent. Die Feindseligkeit der Bevölkerung gegenüber der offiziellen Politik fand einen vernichtenden Ausdruck in dem nur etwa 14prozentigen Stimmenanteil der regierenden Sozialistischen Partei von Ministerpräsident Francois Hollande. Damit belegte die Sozialistische Partei hinter der traditionell rechts stehenden UMP (Union pour un mouvement populaire, Union für eine Volksbewegung) den dritten Platz.

FN-Führerin Marine le Pen nahm das Ergebnis zum Anlass, die Auflösung der Nationalversammlung zu fordern. Frankreich hätte „laut und klar gerufen“, dass es „von den Franzosen, für die Franzosen und mit den Franzosen“, und nicht von „ausländischen Kommissaren“ in Brüssel regiert werden wolle.

In England wurde die rechte EU-feindliche Partei United Kingdom Independence Party (UKIP) stärkste Partei. Das war das erste Mal, dass weder Labour noch die Konservativen siegten, Man erwartet, dass die von Nigel Farage geführte Partei etwa 28 Prozent der Stimmen erhält, beinahe doppelt so viele wie 2009 (16,5 Prozent). Für Labour werden 25,7 Prozent, für die Konservativen 24,5 Prozent erwartet.

Die Liberaldemokraten, der Koalitionspartner der Konservativen in Großbritannien, erhielten mit knapp sieben Prozent nur noch halb so viel Stimmen wie 2009 und landeten abgeschlagen auf dem fünften Platz, noch hinter den Grünen. Sie stellen nur noch einen Abgeordneten im Europäischen Parlament.

Die Wahlbeteiligung im Vereinigten Königreich lag bei nur 33,8 Prozent.

In Deutschland konnten die regierenden Koalitionsparteien ihre Position behaupten, wobei Merkels CDU Stimmeneinbußen erlitt, die ihrem Koalitionspartner, den Sozialdemokraten zugutekamen. Die CDU/CSU kamen 30 Prozent und die SPD auf 27,3 Prozent. Doch dieser Sieg für die Pro-EU-Parteien in Deutschland ist angesichts der Ergebnisse in Frankreich ziemlich wertlos. Hinzu kommt, dass die Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland (AfD), die man mit der UKIP vergleichen kann, einen Stimmenanteil von 7 Prozent erreichen und damit auf sieben Sitze im Europäischen Parlament kommen wird. Auch die Neonazi-Partei NPD wird zum ersten Mal einen Sitz erhalten.

Weitere Erfolge feierte die Rechte in Dänemark und Österreich. Auf die nationalistische, immigrantenfeindliche Dänische Volkspartei (Dansk Folkeparti, DF) und Österreichs Freiheitliche Partei FPÖ entfielen ein Fünftel der Stimmen, verglichen mit 7,3 Prozent im Jahr 2009. Belgiens flämische nationalistische N-VA-Partei erhielt knapp 27 Prozent der Stimmen in Flandern.

Dagegen sehen die Prognosen Geert Wilders und seine Freiheitspartei PVV mit 12,2 Prozent auf dem vierten Platz, während er 2009 noch Zweiter war. Die PVV rangiert hinter der Mitte-Rechts-Partei der Christdemokraten, Demokraten 66, und Ministerpräsident Mark Ruttes Liberaler Partei. Angesichts des Erfolges des Front National in Frankreich ist es von Bedeutung, dass Wilders aufgrund seiner Beziehungen zu Marine Le Pens Partei Stimmenverluste erlitt. Insbesondere die Äußerungen von Le Pens Vater, Jean Marie Le Pen, die Bevölkerungsexplosion auf der Welt und Frankreichs Probleme mit den Einwanderern könnten mit dem Ebola-Virus „in drei Monaten“ gelöst werden, trugen dazu bei.

Lucas Hartong, der für die Freiheitspartei am längsten im EP sitzt, drängte die PVV, sich von der faschistischen FN zu distanzieren und mit der UKIP ein Bündnis einzugehen und deren Strategie nachzuahmen, Nationalismus und EU-Feindlichkeit in eine akzeptablere Form zu verpacken.

Ungarns regierende konservative Fidesz-Partei verlor zwei Sitze, während die rechtsextreme Jobbik unverändert mit drei Sitzen auf dem zweiten Rang landete. Die Sozialistische Partei verlor zwei ihrer vier Sitze, während zwei neu gegründete linke Parteien drei und die Grünen einen Sitz gewannen.

Überall haben die Rechten vor allem davon profitiert, dass die sozialdemokratischen Parteien die Sparprogramme und die EU unterstützen, und die Gewerkschaften bei ihrer Durchsetzung und bei den Angriffen auf die Arbeiterklasse als Helfershelfer fungieren.

Arbeiter suchen nach einem Weg, dagegen zu kämpfen, auch wenn es noch keine politische Möglichkeit dazu gibt. Daher schnitten Parteien in anderen Ländern Europas, die sich als linke Gegner der Austeritätspolitik ausgeben, ohne die EU abzulehnen, gut ab.

In Griechenland erhielt Syriza, geführt von Alexis Tsipras, die meisten Stimmen, drei Prozent mehr als die regierende Neue Demokratie, weil er sich gegen die Austeritätspolitik ausgesprochen hatte. Die Pro-EU-Linie von Syriza, die nur die Bedingungen der Rückzahlung von Schulden durch Griechenland neu verhandeln will, eröffneten der faschistischen Partei Goldene Morgenröte die Chance, 9,4 Prozent der Stimmen zu gewinnen und einen Platz im EP zu erreichen.

Die sozialdemokratische PASOK, ehemals Griechenlands wichtigste Partei, die jetzt in einem Bündnis namens Olivenbaum mitregiert, kam mit 8,9 Prozent der Stimmen auf den vierten Rang. Eine populistische Bewegung namens To Potami erheilt nur 7 Prozent, wie die griechische Kommunistische Partei (KKE).

In Spanien erlitten die regierende Volkspartei (Partido Popular, PP)von Ministerpräsident Mariano Rajoy und die größte Oppositionspartei, die Sozialistische Partei (PSOE), große Stimmenverluste. Der Stimmenanteil d er PP fiel von 42 Prozent (2009) auf nur 26 Prozent, der der PSOE von 39 auf 23 Prozent. Im Vergleich zu 2009 verloren diese beiden Parteien zusammen mehr als fünf Millionen Stimmen. Diese Proteststimmen gingen vor allem an die stalinistisch geführte Vereinigte Linke (10 Prozent) und eine windige populistische Initiative mit dem Namen Podemos (Wir können), die aus der Bewegung der Empörten (Los Indignados).hervorging, erhielt 8 Prozent der Stimmen. Regionale Parteien in Katalonien verzeichneten ebenfalls Stimmengewinne.

In Italien erreichte die Demokratische Partei (PD) von Ministerpräsident Matteo Renzi 41 Prozent und lag damit vor der Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grill mit 22 Prozent und der Partei Forza Italia des früheren Ministerpräsidenten Berlusconi, die 15,5 Prozent erreichte. Die antieuropäische Lega Nord erhielt 6 Prozent, und die pseudolinke Gruppe„Für ein anderes Europa mit Alexis Tsipras“ benannt nach Syriza-Führer Alexis Tsipras) kam auf 4,1 Prozent.

Die Resultate weisen kein durchgängiges Muster auf, außer dass sie eine wachsende, wenn auch unentwickelte Opposition gegen die bestehenden politischen Verhältnisse, die EU und die sozialen Angriffe der Regierungen auf dem ganzen Kontinent zum Ausdruck bringen.

Man kann aber sicher sein, dass die meisten europäischen Zeitungen hervorheben werden, dass die Gefahr für das Projekt Europäische Union von „rechter“ und „rechtsextremer“ Seite bekämpft werden müsse. Mit Sicherheit wird das in die Forderung münden, dass dem Druck der Bevölkerung, die Sparpolitik aufzugeben, nicht nachgegeben werden dürfe. Nach Möglichkeit müssten rechte, EU-feindliche Gruppierungen neutralisiert werden, indem man betont, dass dem Patriotismus und dem Nationalismus am besten durch ein „starkes Europa“ gedient sei. Die Zugewinne der rechten Parteien werden benutzt werden, um für Maßnahmen gegen Einwanderer zu werben, um für den sozialen Kahlschlag gegen die arbeitende Bevölkerung einen Sündenbock zu finden.

Vollkommen ungehört verhallen wird die Stimme all der Arbeiter und jungen Leute, die desillusioniert sind mit den politischen Verhältnissen und die Europäischen Union ablehnen aus ihrer Erfahrung mit rücksichtsloser Arbeitsplatzvernichtung, Lohnsenkungen und Kürzungen bei Sozialleistungen. Sie empfinden die Europäische Union als undemokratisch und lehnen den zunehmend militaristischen Kurs der europäischen Mächte ab, wie er sich in dem provokativen Vorgehen gegen Russland in der Ukraine ausdrückt.

Die Partei für Soziale Gleichheit in Deutschland und die Socialist Equality Party in Großbritannien sind bei den Europawahlen angetreten, um für eine sozialistische Alternative zu den pro-EU-Parteien der Austeritätspolitik und den nationalistischen Rechten zu werben. Wir haben zur Bildung von Arbeiterregierungen aufgerufen und sind für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa eingetreten.

Die Sektionen des Internationale Komitees der Vierten Internationale hoben vor allem hervor, wie wichtig der Kampf gegen Militarismus und Kriegsgefahr ist und riefen dazu auf, die Wahl als Referendum gegen Krieg zu nutzen, der eine unmittelbare Gefahr in der Ukraine darstellt.

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