Kapitalistischer Zusammenbruch und Kriegsgefahr

Nicht allein die Beschlüsse der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) sorgten letzte Woche für starkes Aufsehen, obwohl sie schon wichtig genug waren. Schließlich traf der Rat die weitreichende Entscheidung, den offiziellen Basiszins noch weiter zu reduzieren und mit dem Ankauf von kreditbesicherten Wertpapieren zu beginnen.

Noch mehr jedoch ließ die düstere Stimmung aufhorchen, die auf dem Treffen lastete. Sechs Jahre nach dem Zusammenbruch des globalen Finanzsystems 2008 sind die herrschenden Finanzmächte nicht nur der Krisenlösung und einer Wirtschafts-„Erholung“ keinen Schritt näher gekommen, sondern die Lage verschlechtert sich weiter.

Die Wirtschaftsleistung in der Eurozone liegt immer noch unter dem Niveau von 2007. Die trostlosen Aussichten fanden ihren Niederschlag in den Bemerkungen von EZB-Chef Mario Draghi, der von „weiteren Risiken“, „einem Verlust zyklischer Wachstumsdynamik“ und „fehlendem Vertrauen in die Zukunft“ sprach. Wie um diese Bemerkungen zu unterstreichen, enthüllte ein Bericht, der am folgenden Tag erschien, dass die Investitionen im Euroraum im zweiten Quartal gesunken sind.

Die negativen Trends in der europäischen Wirtschaft sind nur der schärfste Ausdruck der globalen Entwicklung. In Japan, der weltweit drittgrößten Volkswirtschaft, geht den „Abenomics“ offenbar schon die Luft aus. Diese [nach Premier Shinzo Abe genannten] Maßnahmen sollten der Wirtschaft eigentlich mithilfe der Fiskal- und Geldpolitik neuen Schwung verleihen.

China, die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft, scheint ebenfalls ihren Glanz zu verlieren. Die Sorgen über die Instabilität des Finanzsystems nehmen zu, weil die Immobilienmärkte und –investitionen schwächeln, die dem Wirtschaftswachstum nach 2008 stark auf die Beine halfen.

Die Tatsache, dass die Wirtschaft der Vereinigten Staaten als Lichtblick gefeiert wird, weil sie im ersten Halbjahr um nur ein Prozent gewachsen ist, ist ein Anzeichen dafür, wie sehr sich die Aussichten für die Weltwirtschaft verschlechtert haben.

Diese Zahlen und Fakten machen klar, dass der Finanzzusammenbruch von September-Oktober 2008 keine konjunkturellen Ursachen hatte, sondern dass er der Beginn einer Katastrophe war, die sich immer noch weiter entfaltet.

Das Ausmaß des Zusammenbruchs wurde anhand der Fakten sichtbar, die am 22. August in einer gerichtlichen Anhörung in den USA vorgelegt wurden. In einem Dokument von Ben Bernanke für den US Court of Federal Claims heißt es: „September und Oktober 2008 war die schlimmste Finanzkrise in der Menschheitsgeschichte, einschließlich der großen Depression. Von den dreizehn wichtigsten Finanzhäusern der Vereinigten Staaten waren im Zeitraum von einer oder zwei Wochen zwölf vom Zusammenbruch bedroht.“ Bernanke war damals, als die Krise auf ihrem Höhepunkt war, Vorsitzender der amerikanischen Notenbank Federal Reserve.

Dieser Zusammenbruch hatte weitreichende Folgen, die heute in jedem Aspekt des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens zu beobachten sind.

Weil die herrschenden Eliten keine wirtschaftliche Lösung für die Krise des Profitsystems haben, verschärfen sie weltweit die Angriffe auf die Arbeiterklasse. Sie sind entschlossen, jeden Widerstand, wenn nötig auch mit militärischen Mitteln, niederzuschlagen, wie die Ereignisse in Ferguson, Missouri, deutlich gezeigt haben.

Die soziale Ungleichheit nimmt zu, wie die Zahlen der US Federal Reserve zum amerikanischen Durchschnittseinkommen belegen: Es ist von 2010 bis 2013, d.h. im angeblichen „Wirtschaftsaufschwung“, um fünf Prozent gesunken.

Gleichzeitig ist die geopolitische Situation von ständig wachsendem Militarismus geprägt, was die Aussichten auf einen neuen Weltkrieg so akut macht wie seit 1939 nicht mehr.

In seiner Analyse der tieferen Ursachen des Ersten Weltkriegs 1914 zeigte Leo Trotzki die Beziehung zwischen der Krise der Weltwirtschaft und dem wachsenden Militarismus. Seine Bemerkungen sind heute noch so aktuell wie damals.

Die Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren, wie die Periode vor 2008, von stürmischem Wirtschaftswachstum geprägt. Aber 1913-14 waren die Grenzen des Wachstums erreicht, und die Weltwirtschaft erfuhr eine grundlegende Verschiebung.

Von Mitte der 1890er Jahre an, erklärte Trotzki, stieg die Kurve kapitalistischer Entwicklung steil nach oben. Aber gerade dieser Aufschwung schaffte die Bedingungen für einen Zusammenbruch.

“Im Jahr 1914”, schrieb Trotzki, “brach eine Krise aus, die nicht nur eine periodische Schwankung, sondern den Beginn einer Epoche langanhaltender wirtschaftlicher Stagnation kennzeichnete. Der imperialistische Krieg war ein Versuch, aus der Sackgasse auszubrechen.”

Eine weitere wirtschaftliche Entwicklung im Tempo der Vorkriegszeit sei “extrem schwierig” geworden, da die Bourgeoisie an den Grenzen des freien Marktes Halt machte. Politische Maßnahmen hätten die entstandenen Klassenspannungen noch verschlimmert, – “und dies führte im August 1914 zum Krieg”.

Die Geschichte wiederholt sich natürlich nicht einfach. Aber die Parallelen zwischen der Periode vor 1914 und unserer Zeit sind dennoch auffällig. Noch 2006, gerade einmal ein Jahr, bevor das Finanzsystem ins Wanken geriet, erlebte die Weltwirtschaft das stärkste Wachstum in dreißig Jahren.

In der amerikanischen Wirtschaft herrschte, der offiziellen Version der Ereignisse zufolge, eine „starke Mäßigung“ vor, was dazu beitrug, die Probleme der 1970er und 1980er Jahre zu überwinden. Derweil sollten China und die „aufstrebenden Märkte“ die Lokomotive für die Weltwirtschaft spielen. Selbst Afrika wurde zugebilligt, als Basis für die globale kapitalistische Expansion zu dienen.

Allerdings war diese Expansion auf Treibsand gegründet, d.h. auf das exponentielle Wachstum von Finanzspekulation und Parasitismus. Wie ein Tuberkulosepatient bekam der Kapitalismus noch einmal rosige Bäckchen, bevor er in sich zusammensackte.

Die herrschenden Klassen haben keinen Ausweg. Ihnen fällt nur noch ein, die Finanzmärkte mit unbeschränkten Geldmitteln aufzupumpen. Sie fürchten die Folgen, die ein Versiegen dieser Geldquellen haben könnte. Gleichzeitig wird massiv aufgerüstet, weil alle kapitalistischen Großmächte eine Lösung auf Kosten ihrer Rivalen suchen.

Der Kriegskurs wird auch von Klassenkonflikten im jeweils eigenen Land angeheizt, weil die Regierungen versuchen, Klassenspannungen nach außen abzulenken. Sie bauen einen von Polizei und Militär dominierten Staatsapparat auf, um die kapitalistische Ordnung gegen die kommenden sozialen Explosionen zu wappnen, die von den schlimmen sozialen Bedingungen und wachsender sozialer Ungleichheit befeuert werden.

Die internationale Arbeiterklasse ist die Produzentin des wirtschaftlichen Reichtums, der allen eine auskömmliche Existenz sichern könnte. Für sie gibt es nur einen Weg vorwärts, und das ist der Aufbau einer Massenbewegung gegen Krieg auf der Grundlage von sozialistischem Internationalismus. Die Arbeiterklasse muss die politische Macht ergreifen und den Umbau der Weltwirtschaft im Interesse der menschlichen Bedürfnisse und nicht der Diktate des Profits in die Hand nehmen. Es gibt keinen anderen Weg aus der Katastrophe, in die der globale Kapitalismus die Menschheit stürzt.

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