Miners Shot Down: Eine Dokumentation über das Massaker von Marikana

Dokumentarfilm über das
Massaker von Marikana im August 2012
Regie: Rehad Desai

Beim dreizehnten Festival „Jenseits von Europa – neue Filme aus Afrika“ in Köln erhielt Miners Shot Down den Publikumspreis für die beste Dokumentation. Das Festival wurde 1992 ins Leben gerufen und findet seit 1996 alle zwei Jahre statt. Bei der diesjährigen Ausgabe, die vom 18. bis 28. September dauerte, wurden 83 Filme aus 27 Ländern gezeigt.

Ausgezeichnet wurde damit eine beeindruckende und trotz gravierender politischer Schwächen sehenswerte Dokumentation über das Massaker von Marikana vom August 2012, bei dem 34 Bergarbeiter eine Platinmine erschossen und 78 weitere verletzt wurden.

Lonmin-Arbeiter versammeln sich auf dem Hügel Wonderkop bei Marikana

Miners Shot Down rekonstruiert detailliert die Abfolge der Ereignisse, in denen der Protest von tausenden Minenarbeitern der Platinmine von Marikana nach sieben Tagen in einem Blutbad endete. Die Grube nahe der Stadt Rustenberg gehört dem britischen Bergbauunternehmen Lonmin.

Neben Zeugenaussagen von Minenarbeitern, die am Streik teilnahmen, und Interviews mit Politikern sowie Anwälten der Familien der Opfer greift der Film auf eine Vielzahl von Quellen zurück, darunter Polizeivideos und Videos, die vom Wachtrupp der Lonminmine erstellt wurden, oder auch Material des Senders Al Jazeera, das den Filmmachern heimlich zugespielt wurde.

Die Dokumentation Miners Shot Down feierte im März 2014 in Prag Premiere. Regie führte Rehad Desai, Sohn von Barney Desai, dem Anti-Apartheidsaktivisten und Führer des Panafrikanischen Kongresses PAC.

Der Dokumentarfilm weist die offizielle Version über das Massaker von Marikana überzeugend zurück. Von Seiten der Polizei Südafrikas und der ANC-Regierung wird bis heute behauptet, dass die Proteste und die Gewalt bei der Lonminmine einzig und allein das Resultat von Kämpfen zwischen zwei rivalisierenden Gewerkschaftsgruppierungen gewesen seien. Die Polizei habe danach nur in Notwehr gehandelt.

Desais Film beginnt mit Bildern einer Gruppe der streikenden Minenarbeiter, die auf einen Kordon von Polizeifahrzeugen zugehen, hinter denen sich martialisch ausgerüstete Polizisten verschanzen. Plötzlich krachen Schüsse, und die Männer versuchen verzweifelt zu entkommen, während schon Maschinengewehrfeuer auf sie einprasselt.

Nachdem das Feuer eingestellt ist, und sich der Rauch verzieht, sieht man dutzende Arbeiter blutend am Boden liegen. Nach dieser erschütternden Eingangssequenz wechselt Miners Shot Down zu Kommentaren von Südafrikas Präsident Jacob Zuma und der nationalen Polizeichefin Mangwashi Victoria Phiyega, die beide nach dem Blutbad versicherten, jetzt sei die Zeit, zu trauern, und nicht jemanden zu beschuldigen oder zur Verantwortung zu ziehen.

Im Gegensatz dazu verfolgt die Dokumentation das Ziel, genau das herauszuarbeiten: „Wer ist für das Massaker verantwortlich?“ Mit aller Deutlichkeit wird gezeigt, dass die südafrikanische Polizei diese Gräueltat mit vollständiger Deckung durch die Zuma-Regierung herbeigeführt hat. Desais Film legt dabei die Zusammenarbeit zwischen der herrschenden Elite, der Polizei und regierenden Politikern offen. Er untersucht den Verrat von diversen Gewerkschaftsführern und enthüllt, wenn vielleicht auch unbeabsichtigt, die wesentliche soziale Rolle der Gewerkschaften, die den status quo verteiden.

Die Bergarbeiter in den Platinminen Südafrikas sind extrem harschen Arbeitsbedingungen ausgesetzt und bekommen trotz der hohen Profite, die mit dem wertvollsten Erdmetall erwirtschaftet werden, nur Hungerlöhne ausgezahlt. Am 10. August 2012 begannen Bergarbeiter der Lonminmine, ihrer Unzufriedenheit Luft zu machen, und verlangten eine Erhöhung ihrer Monatslöhne auf 12.500 südafrikanische Rand [900 Euro].

Die Führung der Nationalen Minenarbeitergewerkschaft (NUM), die behauptete, zu jenem Zeitpunkt den größten Teil der Bergarbeiter zu vertreten, weigerte sich jedoch, mit der Geschäftsleitung der Mine über eine Lohnerhöhung zu verhandeln. Zunehmend abgestoßen von der Art und Weise wie die Gewerkschaft mit ihren Forderungen umging, begannen die Arbeiter sich unabhängig zu organisieren und ihr Anliegen in die eigenen Hände zu nehmen.

16. August 2012: An diesem Tag tötete die südafrikanische Polizei 34 Arbeiter und verletzte 78

Als ein Vertreter der Geschäftsleitung die Arbeiter weggeschickt hatte, marschierten diese zu den NUM-Büros, um den Gewerkschaftsbürokraten ein Memorandum zu überreichen. Aber anstatt sich mit den Arbeitern zu treffen, stürmten NUM-Vertreter und deren Wachleute mit Gewehren bewaffnet aus ihrem Bürogebäude und feuerten ohne Vorwarnung auf die Arbeiter und töteten zwei von ihnen.

In den folgenden Tagen voller Aufruhr besetzten die streikenden Bergarbeiter einen kleinen, auf öffentlichem Grund und Boden befindlichen Hügel und weigerten sich, zur Arbeit zurückzukehren, solange die Geschäftsleitung der Mine ihre Forderungen nicht anhöre. Am 13. August unternahm eine Gruppe der streikenden Bergarbeiter erneut einen erfolglosen Versuch, bei den Büros der Minenleitung über eine Lohnerhöhung zu sprechen. Dieser Marsch endete in einer ersten blutigen Konfrontation mit der Polizei.

Das Massaker war der tödlichste Einsatz der südafrikanischen Regierung gegen die Zivilbevölkerung seit 1960

Auf ihrem Rückweg zum Hügel wurden die streikenden Arbeiter von der Polizei aufgehalten. Sie widersetzten sich jedoch den Forderungen, ihre „Waffen“ – Speere und Macheten – niederzulegen. Daraufhin begann die Polizei, Tränengasgranaten auf die Menge abzufeuern. Als die Arbeiter auseinander liefen, eröffnete die Polizei das Feuer mit scharfer Munition und tötete drei Minenarbeiter.

Bei diesem Zwischenfall kamen auch zwei Polizisten ums Leben. Dieser Tod zweier Polizeibeamter wurden von den Medien, Politikern und der Polizei als Vorwand benutzt, die streikenden Arbeiter als Kriminelle darzustellen und die drastische Erhöhung und Militarisierung des Polizeikontingents nahe der Mine zu rechtfertigen.

Eindrucksvoll wechselt Miners Shot Down an diesem Punkt von der Chronologie der Ereignisse zu der Rolle von Cyril Ramaphosa, dem ehemaligen NUM-Generalsekretär und heutigen Vizepräsidenten unter Jacob Zuma. Mit Archivmaterial, das Ramaphosa bei einem Gewerkschaftstreffen zur Zeit der Apartheid zeigt, wird auf seine frühere, „linke“ Demagogie hingewiesen, die sich nun als völlig hohl und leer entpuppt. Früher einmal hatte Ramaphosa erklärt: „Es gibt nicht so etwas wie eine liberale Bourgeoisie. Sie sind alle gleich. Sie benutzen faschistische Methoden, um das Leben der Arbeiter zu zerstören“.

Inzwischen gehört Ramaphosa mit einem geschätzten Vermögen von umgerechnet 550 Millionen Euro zu den reichsten Personen Südafrikas und sitzt im Aufsichtsrat der Lonmingruppe. Nach Informationen der Cape Times „besitzt seine Shanduka Investmentgesellschaft neun Prozent von Lonmin durch ihre 50-prozentige Beteiligung am Bergbauunternehmen Incwala Resources“. Incwala Resources, ein Geschäftspartner der britischen Lonmingruppe, wurde im Zuge des „Black Economic Empowerment“-Programms (BEE) der ANC-Regierung gegründet (BEE sollte die wirtschaftliche Beteiligung von Nicht-Weißen in Südafrika fördern).

Heute zögert der ehemalige Gewerkschaftsführer Ramaphosa, der sich persönlich durch die BEE-Politik bereichert hat, keinen Augenblick, Kämpfe der Arbeiter selbst mit „faschistischen Methoden“ zu unterdrücken.

Desai zitiert dazu aus E-Mails, die Ramaphosa keine 24 Stunden vor dem Einsatz von scharfer Munition gegen die weitgehend unbewaffneten Arbeiter durch die Polizei verschickte. In diesen E-Mails beschimpfte Ramaphosa die streikenden Arbeiter als „niederträchtige Kriminelle“ und verlangte: „Ein entschiedenes Eingreifen ist notwendig, um die Situation zu klären.“

Am schwächsten ist der Film Miners Shot Down in seinem Versuch, Joseph Matunjhwa, den Generalsekretär der Gewerkschaft der Berg- und Bauarbeiter (AMCU), als Alternative zur NUM und zu solchen Klassenverrätern wie Ramaphosa darzustellen. Die AMCU wurde 1998 als Abspaltung von der NUM gegründet.

In Desais Dokumentation wird ein Radiointerview eingespielt, das in den Tagen vor dem Massaker von Marikana aufgenommen wurde. Darin ist Matunjhwa zusammen mit dem jetzigen NUM-Präsidenten Senzeni Zokwana und einem Lonmin-Manager zu hören. Matunjhwa schlug dabei vor, alle drei sollten zu dem von streikenden Bergarbeitern besetzten Hügel gehen, um zusammen vor Ort mit den Arbeitern zu sprechen.

Daraufhin entwickelte sich eine bizarre Szenerie. Die Geschäftsleitung von Lonmin sagte anfangs zu, brach aber dann ihre Zusage, und die Führer von AMCU und NUM fuhren gemeinsam zum Wonderkop-Hügel. Aber anstatt einfach zu den Arbeitern zu gehen, wurden die Gewerkschaftsführer gezwungen, sich drei Vertretern der Streikenden in einem gepanzerten Polizeifahrzeug zu nähern, das sie nicht verlassen sollten.

Einer der Anführer der streikenden Bergarbeiter, Mgcineni „Mambush“ Noki, musste zu dem gepanzerten Fahrzeug hingehen, auf die Stoßstange klettern und durch die vergitterte Windschutzscheibe sprechen. Der Polizeifahrer weigerte sich, den Motor abzustellen, und so konnte Noki nur gegen den Motorenlärm anschreien, was es ihm schlicht unmöglich machte, die Forderungen der Arbeiter zu erläutern.

Nach diesem misslungenen Verhandlungsversuch sprach Matunjhwa direkt mit den Bergarbeitern auf dem Hügel und versprach, dass am nächsten Morgen die Geschäftsleitung kommen würde, um die Forderungen der Arbeiter anzuhören, vorausgesetzt, sie würden sich so lange ruhig verhalten.

Das gab jedoch der Polizei ausreichend Zeit, noch mehr Kräfte zusammenzuziehen, um die Arbeiter gewaltsam vom Hügel zu vertreiben. Am nächsten Morgen umringten 1.500 Polizisten die rund dreitausend Arbeiter. Die Polizei war mit Sturm- und Maschinengewehren, Panzerfahrzeugen und Stacheldraht ausgerüstet, während die Arbeiter nur Speere und Macheten bei sich hatten.

Der Film versäumt es leider, diese Verzögerungstaktik Matunjhwas direkt mit den fatalen Folgen in Verbindung zu bringen, die sich daraus ergaben, und sie anzuprangern.

Südafrikanische Sicherheitskräfte schießen bei Marikana auf Platinbergarbeiter

Als den Bergarbeitern am nächsten Morgen klar wurde, dass die Geschäftsleitung nie die Absicht hatte, sie anzuhören, verließen sie den Hügel und schlugen den Weg zur Mine ein.

In grauenhaften Bildern sieht man, wie die singenden Arbeiter sich langsam den Polizeiabsperrungen näherten und ohne Vorwarnung vom Maschinengewehrfeuer niedergemäht wurden. Einer der ersten, die erschossen wurden, war Mgcineni Noki, der von vierzehn Kugeln getroffen wurde. Desai legt nahe, dass Noki herausgegriffen wurde, denn am Tage vor dem Massaker hatte die Polizei direkt mit den Sicherheitskräften der Mine zusammengearbeitet, um die Streikführer zu identifizieren.

Nach diesem ersten mörderischen Angriff jagte die Polizei die fliehenden Bergarbeiter und tötete weitere siebzehn, die regelrecht exekutiert wurden.

***

Die Dokumentation wurde auf dem Kölner Festival vom Publikum mit viel Applaus bedacht. Der Vorführung schloss sich eine Diskussionsrunde mit der Produzentin des Films, Zivia Desai Keiper (die Schwester des Regisseurs), und Bheki Buthelezi an. Buthelezi ist einer der führenden Köpfe der Marikana Support Campaign, einer Solidaritätsbewegung, die von der AMCU, Amnesty International und verschiedenen NGOs unterstützt wird.

Mehrere Fragen betrafen die Rolle der Marikana-Untersuchungskommission unter Vorsitz von Ian Gordon Farlam, einem pensionierten Richter des obersten Berufungsgerichts Südafrikas. Wie Keiper erklärte, ist die Untersuchungskommission nur zu dem Zweck eingerichtet worden, um die verantwortlichen Personen rein zu waschen. Bis heute ist niemand aus der Regierung, der Polizei oder von Lonmin angeklagt oder verurteilt worden. Hingegen wurden 270 der am wilden Streik beteiligten Minenarbeiter wegen Mordverdachts verhaftet und angeklagt.

Andere Fragen konzentrierten sich auf die gescheiterte ethnische Politik des ANC. Wie sowohl Keiper als auch Buthelezi dazu bemerkten, sind viele Arbeiter mittlerweile zu der Einsicht gekommen, dass der ANC nur eine kleine Schicht mächtiger schwarzer Politiker und Geschäftsleute geschaffen habe, die die gleichen Unterdrückungsmaßnahmen gegen Arbeiter anwenden, die es bereits während der Apartheids-Ära gegeben hatte.

Die beiden Gäste betonten in Köln aber auch, dass sie Unterstützer der Econmic Freedom Fighters (EFF) seien, eine Partei, die vom ehemaligen Führer der ANC-Jugendbewegung, Julius Malema, gegründet wurde. Genau wie die AMCU stellt aber auch diese Partei keine wirkliche Alternative zur verräterischen Politik der NMU oder ihres ehemaligen Generalsekretärs Cyril Ramaphosa dar. Die EFF wurde vielmehr gegründet, um die zunehmende Unzufriedenheit mit dem ANC in politisch harmlose Kanäle zu lenken.

Die Behauptung, Matunjhwa oder die AMCU würden sich grundlegend von der NMU unterscheiden, ist völlig falsch. Zwar hat sich Matunjhwa wieder und wieder als Mann des Volkes präsentiert, aber eine soziale Revolution, die die Interessen der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung vertritt, ist überhaupt nicht Teil seiner politischen Agenda. Vielmehr stellt er seine Christlichkeit heraus und beschreibt die AMCU als unpolitische und keineswegs sozialistische Gewerkschaftsbewegung. Das gleiche trifft auf Malemas EFF zu. Trotz ihrer militanten Rhetorik können solche Gruppierungen nicht die Grundlage für eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse legen.

Trotz dieser schwerwiegenden politischen Mängel dokumentiert Miners Shot Down sehr eindrücklich die Gräueltaten, die das ANC-Regime gegen nahezu unbewaffnete Bergarbeiter anordnete. Obwohl Miners Shot Down bei Festivals auf der ganzen Welt sehr wohlwollend aufgenommen wurde, weigern sich die Sendeanstalten in Südafrika bis heute, die Dokumentation auszustrahlen, da alle Sender mehr oder weniger eng mit dem ANC und Ramaphosa verbunden sind. Weitere Vorführungstermine sind hier aufgelistet.

Empfehlung:
Südafrikanische Gewerkschaften streben nach Kontrolle über militante Arbeiter
Teil 1: https://www.wsws.org/de/articles/2014/02/27/cos1-f27.html
Teil 2: https://www.wsws.org/de/articles/2014/02/28/cos2-f28.html

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