Die Russische Revolution und das unvollendete Zwanzigste Jahrhundert

Buchvorstellung stößt auf große Resonanz

Am Freitag stellte David North im Rahmen der Leipziger Buchmesse die deutsche Ausgabe seines Buchs „Die Russische Revolution und das unvollendete Zwanzigste Jahrhundert“ vor. 450 Zuhörer drängten sich in den Hörsaal 3 der Universität Leipzig und verfolgten gespannt die Ausführungen des Autors. Die Veranstaltung gehörte damit zu den größten Veranstaltungen der Messe.

Die Buchvorstellung in Leipzig (Bild anklicken für weitere Bilder)

Es kamen viele Studierende der Universität Leipzig zur Buchvorstellung, aber auch zahlreiche Arbeiter und Besucher der Messe. David North wurde in seinen Ausführungen immer wieder von Applaus unterbrochen.

„Dieses Buch ist nicht nur ein bedeutender Beitrag zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, es ist Teil dieser Geschichte“, erklärte Christoph Vandreier als Vertreter des Mehring Verlags zu Beginn der Veranstaltung. Die Aufsätze seien nicht aus akademischem Interesse verfasst, sondern als scharfe Polemik gegen die reaktionären Tendenzen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geschrieben worden.

„Das Buch ist das Ergebnis von politischen Kämpfen, die das Internationale Komitee der Vierten Internationale in den letzten 30 Jahren geführt hat. Es zeugt davon, wie bewusst sich das Internationale Komitee über die Tragweite dieser Auseinandersetzungen war“, so Vandreier. „David North spielte in diesen Kämpfen eine herausragende Rolle. Er schloss sich 1971 der trotzkistischen Bewegung an, ist seit Jahrzehnten Vorsitzender der Socialist Equality Party (SEP) in den USA und Chefredakteur der World Socialist Web Site.“

David North‘ in deutscher Sprache gehaltenen Vortrag geben wir hier im Wortlaut wieder. Er bezeichnete die in seinem Buch gesammelten Aufsätze und Vorträge als „marxistische Antwort der Trotzkisten auf die wesentlichen historischen, politischen und philosophisch-theoretischen Fragen, die nach der Auflösung der UdSSR aufkamen“, und ging ausführlich auf diese Fragen ein.

Der soziale Niedergang nach dem Ende der Sowjetunion und die wachsende Kriegsentwicklung seien mit dem Versuch einhergegangen, die Geschichte zu fälschen und die Oktoberrevolution zu diskreditieren, erklärte North. Besonders deutlich werde das etwa im Werk des Berliner Professors Jörg Baberowski, das „ein Lehrbeispiel für den Zusammenhang zwischen Postmoderne, politischer Reaktion und zynischer Verachtung für faktische Beweise und elementare Standards wissenschaftlicher Integrität“ sei.

In der anschließenden Diskussion ging David North genauer auf diesen Zusammenhang ein. Die reaktionäre Entwicklung der letzten 25 Jahre werfe unweigerlich die Frage nach einer Alternative zum Kapitalismus auf. Die Remilitarisierung der Außenpolitik und die horrende soziale Ungleichheit stießen auf den Widerstand der Bevölkerung. Als North die Kriegspropaganda in den Medien angriff, wurde er vom Beifall des Publikums unterbrochen.

Doch die Diskussion über Alternativen zum Kapitalismus werfe grundlegende Fragen der Geschichte auf, fuhr North fort. „Wie kann man sagen, dass der Sozialismus eine Alternative zum Kapitalismus ist, ohne das tragische Schicksal der russischen Revolution zu erklären?“, fragte er. Man müsse die Linke Opposition gegen Stalin studieren und Lehren aus der Geschichte ziehen.

Darüber sei sich auch die herrschende Klasse bewusst. Insbesondere seit dem Finanzzusammenbruch von 2008 habe die Fälschung der Geschichte hysterische Formen angenommen. „Wenn ein deutscher Professor [Baberowski] sagt, es gebe nichts aus der Geschichte zu lernen, dann sagt er, es gebe nichts aus 1914 zu lernen, nichts aus dem Dritten Reich zu lernen“, sagte North. Der Zusammenhang einer solchen Behauptung mit der Wiederkehr des deutschen Militarismus sei unübersehbar.

Für Arbeiter sei es nicht nur wichtig, die Russische Revolution von 1917 zu verstehen, sondern auch die Konterrevolution von 1933 in Deutschland. Der Faschismus sei nicht das Ergebnis eines in der deutschen Seele verwurzelten Antisemitismus, sondern die Reaktion der herrschenden Klasse auf die Oktoberrevolution gewesen. Daniel Goldhagens These von „Hitlers willigen Vollstreckern“, die in North’ Buch ausführlich diskutiert wird, lasse die Opposition in der Arbeiterklasse gegen den Faschismus völlig außer acht. Dadurch werde das Ausmaß des Verrats der Führung von SPD und KPD kaschiert und ein Verständnis des Faschismus unmöglich, so North.

Ein Zuhörer warf daraufhin die Frage auf, ob die Entwicklung des Stalinismus nicht unvermeidlich gewesen sei, und verwies auf George Orwells „Farm der Tiere“. North antwortete, dass sowohl der Sieg des Faschismus in Deutschland als auch die Degeneration der Sowjetunion die Grundlage für einen tiefen Pessimismus in kleinbürgerlichen Schichten gebildet habe. „Denn wenn man den Faschismus als innere Gegebenheit des Menschen und nicht als Ergebnis der gesellschaftlichen Widersprüche versteht, kann man daraus nur auf die Unmöglichkeit des Sozialismus schließen.“

Deshalb sei es entscheidend, die konkreten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ursachen des Faschismus und des Stalinismus im internationalen Zusammenhang zu studieren. Die stalinistische Degeneration der Sowjetunion sei eng mit der Niederlage der Revolution in Deutschland verbunden gewesen. Der Sieg des Faschismus sei schließlich auf der Grundlage dieser Degeneration möglich geworden, weil sowohl die SPD als auch die KPD den Kampf um die Macht, den Kampf für den Sozialismus und eine Arbeitereinheitsfront gegen die Nazis abgelehnt hätten.

Eine andere Zuhörerin bedankte sich für die Ausführungen und warf die Frage auf, wie eine internationale Arbeiterpartei heute aufgebaut werden könne. North betonte, dass das Internationale Komitee keine Sammelbewegung aller Unzufriedenen aufbaue, sondern die Arbeiterklasse auf der Grundlage eines Verständnisses der zentralen historischen Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts, wie sie in dem Buch dargelegt würden, vereinen wolle. „Das geht nur auf der Grundlage der Klarheit über die bisherigen Erfahrungen. Den Erfahrungen mit dem Stalinismus, Faschismus und den nationalen Befreiungsbewegungen“, sagte North.

„Das kann ich mit einem Wort beweisen“, fuhr North fort: „Syriza“. Es habe viele Leute gegeben, die sich über die Analyse des Internationalen Komitees geärgert hätten, dass Syriza keine Alternative darstelle und jedes ihrer Wahlversprechen an die griechische Bevölkerung verraten werde. „Innerhalb von drei Wochen tat Syriza genau das, was wir gesagt hatten. Wir hatten keine Kristallkugel, aber wir verstehen den Charakter solcher kleinbürgerlichen Tendenzen. Das Zwanzigste Jahrhundert ist voll davon.“

Syriza habe Merkel geschmeichelt und sogar Schäuble geschmeichelt, aber sie habe sich niemals an die deutschen Arbeiter gewandt. Sie habe nie zu Versammlungen in Deutschland aufgerufen und gesagt: „Wir brauchen Eure Unterstützung! Wenn wir Griechenland ändern wollen, müsst Ihr gegen Eure Regierung kämpfen! Die Probleme können nicht in Griechenland gelöst werden.“

Als North diese Sätze sprach, brach spontan Beifall aus. Es gebe einen Grund, weshalb Syriza keinen Appell an die deutschen Arbeiter gerichtet habe, fuhr er fort. Syriza verteidige den Kapitalismus und spreche für die oberen zehn Prozent der Gesellschaft, die lediglich die oberen Einkommen gerechter verteilen wollten.

Ein junger Teilnehmer fragt daraufhin, ob das IK angesichts der enormen Risiken einer Revolution wirklich alle übrigen Möglichkeiten der Verbesserung der Gesellschaft ausgeschlossen habe, ob es nicht eine Alternative zur Revolution gebe. „Nein“, antwortet North, „die gibt es nicht.“ Die Entwicklung der letzten 25 Jahre habe bewiesen, dass der Kapitalismus erneut zu Diktatur und Krieg führe. „Revolutionen sind die Mittel, mit denen große Probleme gelöst werden.“ Es gebe keine Alternative dazu, die herrschende Klasse durch eine revolutionäre Massenbewegung zu stürzen.

Dazu sei aber eine bewusste politische Führung nötig. Das habe sich etwa in Ägypten gezeigt, wo Millionen an der Revolution beteiligt gewesen seien, aber eine revolutionäre Führung gefehlt habe und das Militär seine Macht deshalb habe aufrechterhalten können. „Deshalb solltet Ihr aktiv werden beim Aufbau der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) in Deutschland und der Vierten Internationale auf der ganzen Welt.“ Dazu sei die Ausbildung der Arbeiterklasse auf der Grundlage der historischen Ereignisse von entscheidender Bedeutung. „Nutzt deshalb das Buch für Eure eigene politische Ausbildung und diskutiert es mit anderen.“

Nach der Veranstaltung wurden die Diskussionen am Büchertisch und in den Gängen noch lange fortgeführt. Viele Teilnehmer nutzen die Chance, sich ihr Buch vom Autor signieren zu lassen. Dutzende Teilnehmer hinterließen ihre Kontaktdaten, um zu Lesekreisen und Treffen der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) an der Universität Leipzig eingeladen zu werden, die die Kampagne des Mehring Verlags unterstützt hatten.

Am Samstag fand auf dem Gelände der Buchmesse selbst noch eine halbstündige Vorstellung des Buchs im Rahmen des Sachbuchforums statt, das mit hundert Teilnehmern ebenfalls restlos überfüllt war. Auch hier zeigten sich die Zuhörer begeistert von dem Buch und spendeten dem Autor wiederholt spontanen Beifall.

           

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