Perspektive

Obama und Castro beim Amerika-Gipfel

Das Treffen Barack Obamas mit dem kubanischen Präsidenten Raul Castro beim Amerika-Gipfel in Panama wurde in den internationalen Medien nahezu überall als „historisch“ gefeiert.

Allerdings gibt es trotz umfangreicher Berichterstattung kaum eine Einschätzung der tatsächlichen Bedeutung dieses Ereignisses am vergangenen Wochenende. Tatsache ist, dass das erste Zusammentreffen der zwei Staatschefs seit sechzig Jahren einen bedeutenden Schritt markiert, Kuba wieder in den Einflussbereich des US-Imperialismus einzugliedern. Dieser Prozess genießt die uneingeschränkte Unterstützung des Castro-Regimes.

Raul Castros Rede brachte die unterwürfige Haltung der kubanischen Regierung gegenüber dem amerikanischen Imperialismus auf den Punkt. Er lobte Obama in den höchsten Tönen und nannte ihn einen „ehrlichen Mann“, dessen Haltung von seiner „bescheidenen Herkunft“ geprägt sei. Er betonte sogar noch, er habe intensiv über diese Worte nachgedacht, bevor er sie ausgesprochen habe. In seiner 49-minütigen Rede nannte er den Namen Obama gleich zehn Mal.

Nach einem Rückblick auf die jahrzehntelange amerikanische Aggression gegen Kuba bat Castro Obama um „Versöhnung“ und sagte, Obama trage für diese Geschichte keinerlei Verantwortung.

Dieses Porträt des 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten, als sei er ein zweiter Lincoln, lässt kaum vermuten, dass es hier um einen Mann geht, der illegale Kriege anzettelt, Drohnenmorde anordnet, massive Überwachungsmaßnahmen in der USA und weltweit organisiert und der für geheime Operationen und Putsche zum Regimewechsel in Honduras und Venezuela bis zur Ukraine verantwortlich ist. Obamas hat sich als willfähriges Sprachrohr des amerikanischen Militär- und Geheimdienstkomplexes hervorgetan.

Die nun angestrebte „Normalisierung“ der Beziehungen zu Kuba widerspiegelt die Auffassung mächtiger Teile des amerikanischen Establishments, dass der US-Imperialismus seine Interessen besser vertreten kann, wenn er die lange Blockade beendet. Sie spekulieren darauf, mit dem Vordringen amerikanischen Kapitals auf der kubanischen Insel diese wieder in eine Halbkolonie der USA verwandeln zu können.

Neben dem Treffen mit Obama kam Castro in Panama auch mit Thomas Donahue zusammen, dem Vorsitzenden der US-Handelskammer. Donahue ist seit langem ein führender
Sprecher jener Wirtschaftskreise, die auf eine Rückkehr nach Kuba drängen, um seine Bevölkerung und Ressourcen auszubeuten.

Die Annäherung an Kuba entspricht auch in einem weiter gefassten Sinne dem Interesse des US-Imperialismus. Sie soll eine Politik beenden, die zunehmend zu Irritationen mit den Staaten geführt hat, die die Vereinigten Staaten einst als ihren Hinterhof betrachteten.

Die amerikanische herrschende Klasse ist in wachsendem Maße beunruhigt über ihre Beziehungen zu den lateinamerikanischen Ländern, wo China immer mehr die USA als größten Handelspartner und Investor verdrängt. In Brasilien, Chile, Argentinien, Venezuela und Peru ist China bereits die Nummer Eins, und im nächsten Jahrzehnt will Peking weitere 250 Milliarden Dollar in der Region investieren.

Der schwindende Einfluss des amerikanischen Kapitalismus in dieser Region drückt sich in der sinkenden Bedeutung der OAS (Organization of American States) mit Sitz in Washington aus, welche die Amerika-Gipfel organisiert. Nach dem letzten Gipfel vor drei Jahren in Cartagena in Kolumbien haben mehrere Länder, einschließlich des engsten US-Verbündeten Kolumbien, signalisiert, dass sie beim nächsten Gipfel nicht teilnehmen werden, wenn Kuba außen vor bleibt.

Castro hat somit durch seinen Auftritt beim Gipfel in Panama und seine Umarmung Obamas einer Organisation den Rettungsring zugeworfen, die sein Bruder Fidel erst vor einem Jahrzehnt als „korrupte, verfaulte und stinkende Institution“ bezeichnet hat, die „nur die Ehre der lateinamerikanischen Nationen in den Schmutz zieht.“

Hinter dieser Veränderung stehen definitive materielle Interessen der herrschenden Elite Kubas. Sie ist entschlossen, ihre Privilegien und Macht zu verteidigen, indem sie den kubanischen Staat als Vermittler und Agentur billiger Arbeitskräfte für das ausländische Kapital anbietet.

Ihr Bündnis mit dem Imperialismus spricht Bände über den Charakter des Regimes und der Revolution, die es 1959 an die Macht gebracht hatte. Jahrzehntelang haben linke Nationalisten in Lateinamerika und kleinbürgerliche Radikale in Europa und Nordamerika die nationalistische Revolution unter der Führung Fidel Castros als neuen Weg zum Sozialismus angepriesen und erklärt, in Kuba sei durch sie ein Arbeiterstaat entstanden.

Besonders verheerend war die Theorie des Pablismus, einer revisionistischen Tendenz, die mit der Vierten Internationale in den 50er Jahren gebrochen hat. Sie besagte, dass die sozialistische Revolution nicht länger die aktive und bewusste Beteiligung der Arbeiterklasse unter Führung einer trotzkistischen Partei erfordern würde. Stattdessen könne sie auch mit „stumpfen Waffen“, wie durch den bewaffneten Kampf kleiner Guerillagruppen gegen den Staat, verwirklicht werden. Den Arbeitern wurde bei dieser Perspektive nur noch die Rolle passiver Zuschauer zugewiesen.

Die Kampagne für Castroismus und Guerillakampf hatte katastrophale Konsequenzen in Lateinamerika. Sie lenkte revolutionäre Jugendliche vom Kampf für den Aufbau einer revolutionären Partei in der Arbeiterklasse ab und trieb sie in selbstmörderische bewaffnete Kämpfe mit dem Staat. Tausende starben in diesen aussichtslosen Auseinandersetzungen, die den Weg für die Machtübernahme einer Reihe brutaler Militärdiktaturen ebneten.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) hat einen unversöhnlichen Kampf gegen diese rückwärtsgewandte Perspektive geführt. Es wies die Behauptung zurück, Castros Regime habe durch Verstaatlichungen und soziale Reformen einen Arbeiterstaat geschaffen und damit einen neuen Weg zum Sozialismus beschritten. Das kubanische Regime, so erklärte das IKVI, sei nur eine besonders radikale Variante der bürgerlich-nationalistischen Regime, die in einer ganzen Reihe ehemaliger Kolonien nach dem Zweiten Weltkrieg an die Macht gekommen waren.

Unfähig, die historischen Probleme Kubas -- seine aus der Kolonialzeit und der Zeit imperialistischer Unterdrückung ererbte Rückständigkeit und Abhängigkeit -- zu lösen, hing die Regierung in Havanna hauptsächlich von sowjetischen Wirtschaftssubventionen ab. Diese versiegten jedoch nach der Auflösung der Sowjetunion.

In der Folgezeit versuchte das kubanische Regime, sich durch billige Öleinfuhren aus Venezuela und Kapitalinvestitionen aus Europa, China, Russland, Kanada und Brasilien über Wasser zu halten. Jetzt schließt sich der Kreis wieder, und das Regime sucht seine Rettung durch die Rückkehr des amerikanischen Imperialismus.

Diese politische Entwicklung ist eine machtvolle Bestätigung der Theorie der Permanenten Revolution von Leo Trotzki, die das IKVI verteidigt hat. Danach können die unterdrückten kolonialen und halbkolonialen Völker nur durch eine Revolution unter Führung der Arbeiterklasse befreit werden, indem diese ihren eigenen Staat errichtet und die sozialistische Revolution weltweit ausdehnt.

Es ist entscheidend für den Aufbau neuer revolutionärer Parteien der Arbeiterklasse in ganz Lateinamerika, sich auf diese Perspektive der Permanenten Revolution zu stützen und die bitteren Lehren aus der langjährigen Erfahrung mit dem Castroismus zu ziehen. Dies gilt auch für Kuba, wo die Hinwendung zum amerikanischen Kapitalismus die soziale Ungleichheit und den Klassenkampf aufs Schärfste zuspitzen wird.

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