Corbyn kritisiert Austerität, zeigt aber keine tragfähige Alternative auf

Der Guardian schrieb in seiner Bewertung von Jeremy Corbyns erster Parteitagsrede als Vorsitzender der Labour Party:

„Auch andere Linke und Idealisten, die genug vom Status Quo haben, könnten von Corbyns Angebot angetan sein. Doch den Leuten außerhalb der 'Aufstandsblase' (salopp gesagt), die sich nicht von Keir Hardie Zitaten mitreißen lassen, Leuten, die vielleicht sogar konservativ gewählt haben (allen elf Millionen), hatte Corbyn wenig zu sagen.“

Solche Aussagen wird man in den nächsten Tagen in den Medien bis zum Überdruss hören.

Corbyn sprach in seiner Rede in Brighton von den mehr als 160.000 neuen Labour-Mitgliedern, von denen mehr als 50.000 der Partei erst seit seiner Wahl beigetreten waren. Er erklärte, dass er mit zwei Dritteln der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt worden sei, sei ein „riesiges Mandat“ für politischen Wandel. Er kündigte an: „Lassen Sie mich klarstellen, dass sich Labour unter meiner Führung gegen den Sparkurs stellen wird.“

Später kritisierte er die Konservativen: „Wie können es diese Leute wagen, über Sicherheit für Familien und Menschen in Großbritannien zu reden? Was ist mit der Sicherheit für Familien, die sich kein Haus leisten können und immer wieder in private Mietwohnungen ziehen müssen? Oder mit der Sicherheit für Pfleger, die sich um alte Leute kümmern? Oder für Jugendliche, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind?“

Er warf den Tories „wirtschaftliches Versagen“ vor und erklärte, sie hätten eine Wirtschaft geschaffen, „die nur für wenige funktioniert, aber nicht für die große Masse.“

Weiter sagte er: „Die Erschütterungen auf den Weltmärkten im Sommer haben gezeigt, wie gefährlich und labil der Zustand der Weltwirtschaft ist und wie schlecht wir dank der Tories auf eine neue Krise vorbereitet sind.

Der schwächliche Wirtschaftsaufschwung geht nicht auf eine Steigerung der Exporte und einen stärkeren Fertigungssektor zurück, sondern auf eine Inflation der Immobilienpreise, der Wertpapiere und höherer Privatverschuldung. Unausgeglichen. Unhaltbar. Gefährlich.“

Er war stolz darauf, nur wenige Stunden nach seiner Wahl zum Labour-Vorsitzenden bei der „Refugees welcome“-Demonstration gesprochen zu haben. „Diese Flüchtlinge sind Kriegsopfer. Die Reaktion unserer Regierung reicht nicht aus. Reichen wir diesen Menschen die Hand der Menschlichkeit und der Freundschaft“, forderte er.

Das ganze offizielle politische Spektrum, vom angeblich liberalen Guardian über den Daily Telegraph – und vor allem die zahllosen Politikexperten und Blair-Anhänger, die im Fernsehen auftreten – leugnet, dass Corbyns Sieg mehr bedeutet, als eine „linke“ Fehlentscheidung der Parteianhänger, die keinen Bezug zur „wirklichen Stimmung“ im Land hat.

Daran zeigt sich wieder einmal, wie sehr diese höchst privilegierten, wohlhabenden Schichten von den Gedanken und Stimmungen der großen Masse der arbeitenden Bevölkerung losgelöst sind. Die arbeitende Bevölkerung wird diese Teile von Corbyns Rede als frischen Wind sehen, und vor allem als etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Denn in Wirklichkeit steht die Arbeiterklasse viel weiter links als alles, was Corbyn anzubieten hat.

Die World Socialist Web Site bezeichnete seinen Wahlsieg als „ein Anzeichen für enorme soziale Unzufriedenheit. Der verrottete Zustand der britischen Gesellschaft wird mit Abscheu betrachtet.“

Doch gleich darauf sprach die WSWS politische Warnung aus: „Jede politische Analyse muss von grundsätzlichen Überlegungen ausgehen. Corbyn ist zwar der momentane Nutznießer einer bedeutenden Veränderung im politischen Klima. Aber er und die Partei, die er jetzt anführt, können sich nicht aus der Verantwortung für die gegenwärtige Lage der Dinge stehlen und noch viel weniger sind sie in der Lage, einen Ausweg zu bieten.“

Alles, was er seit seiner Amtsübernahme getan hat, bestätigt die Richtigkeit dieses Urteils, sogar der Inhalt seiner Rede auf dem Parteitag.

Corbyn hatte keine wirkliche Alternative zur Austerität anzubieten, weil er sein Versprechen, sie zu beenden, nicht vom Standpunkt eines Kampfes gegen den Kapitalismus abgab. Er behauptete nur, es gäbe eine „Investitionskrise“, daher bräuchte man eine „nationale Investmentbank“ und einen „grünen New Deal.“

In Wirklichkeit wurden Billionen Pfund, Dollar und Euro Steuergeld nach dem Crash von 2008 in die Weltmärkte gepumpt. Aber der Kapitalismus hat sich noch immer nicht erholt. Vielmehr befindet er sich in einem genauso „gefährlichen und labilen“ Zustand, wie Corbyn selbst es formulierte.

Außerdem beantwortet der Vorwurf, die „quantitative Lockerung“ habe nur den Banken geholfen und habe nichts zur Stimulierung der Realwirtschaft beigetragen, gar nichts.

Corbyn hat mehrfach erklärt, Austerität sei eine „politische Entscheidung“. Doch das gleiche könnte man auch über die Verteilung von endlosen Milliarden auf die Konten der Banken und Investmentunternehmen der ganzen Welt behaupten.

Dieser Prozess verdeutlicht nur die Diktatur der Finanzoligarchie über alle Aspekte des wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Lebens. Der Kampf gegen diese Diktatur erfordert eine politische Entscheidung – gegen kleine wirtschaftliche Kurskorrekturen und für die Mobilisierung der ganzen Arbeiterklasse gegen das Großkapital zum Kampf für den Sozialismus.

Das ist weit von allem entfernt, was Corbyn vorschlägt.

Nachdem Corbyn sich über einige der hysterischsten Angriffe der Presse auf ihn lustig gemacht hatte, machte er sofort ein Friedensangebot an die Kräfte in der Labour Party, die alle Maßnahmen ablehnen, die die Macht der superreichen Schicht einschränken würden, der sie alle dienen. Das war einer der aufschlussreichsten Elemente seiner Rede.

Der wirtschaftsfreundliche und Pro-Austeritäts-Kurs, den Labour unter Tony Blair, Gordon Brown und Ed Miliband eingeschlagen hatte, und der zu der vernichtenden Niederlage der Partei bei der Wahl im Juni geführt hatte, wurde an keiner Stelle erwähnt.

Stattdessen gab sich Corbyn größte Mühe, alle seine Mitbewerber im Kampf um die Parteiführung zu loben. Die Erz-Blair-Anhängerin Liz Kendall lobte er für ihre „Leidenschaft, Unabhängigkeit und Freundschaft.“ Er fügte hinzu: „Ich verordne keine Führungslinien. Wir alle haben Ideen und eine Vorstellung davon, wie die Dinge besser werden können.“ Weiter versprach er: „Ich werde jedem zuhören.“

Später erklärte er, das „Kommentariat“ verstehe die „neue Politik“ nicht. „Sie stellen Meinungsverschiedenheiten als Spaltungen dar, und Einigungen und Kompromisse als Zugeständnisse und Kapitulationen,“ doch in Wirklichkeit sei das nur „erwachsene Politik.“

Corbyn beharrt darauf, dass er durch seine Weigerung, „persönliche Angriffe“ zu führen, dem Mandat für politische Veränderungen gerecht werde, das er erhalten habe.

Tatsächlich verrät er damit das Mandat und unterwirft die Arbeiterklasse dem miesen rechten Verschwörerzirkel, der noch immer die Labour Party beherrscht. Er wurde mit der politischen Unterstützung von nur fünfzehn Labour-Abgeordneten gewählt. Ein großer Teil der übrigen spielt nur auf Zeit, bevor sie gegen ihn losschlagen – und wenn sie das tun, werden sie die volle Unterstützung der herrschenden Klasse und ihrer Medien haben.

Ein Großteil von Corbyns Rede drehte sich um sein Versprechen, die Labour Party in eine „Stimme für Engagement und Völkerrecht“ zu verwandeln.

Er kritisierte die Konservativen für ihre Unterstützung von repressiven Regimes wie Saudi-Arabien und für ihre Absicht, den Human Rights Act und die Trade Union Bill zu annullieren. Letzteres bezeichnete er als „fundamentalen Angriff auf die Menschenrechte.“

Dann lobte er jedoch US-Präsident Barack Obama dafür, dass er eine Einigung mit dem Iran erzielt und gezeigt habe, wie andere Konflikte, etwa der Bürgerkrieg in Syrien, mittels der Vereinten Nationen gelöst werden könnten.

Wer solche Illusionen in die friedlichen Absichten Obamas schürt, entwaffnet die Arbeiterklasse angesichts der wachsenden Gefahr eines Krieges im Nahen Osten und auf der ganzen Welt, dessen Ursache vor allem im räuberischen Vorgehen der USA, Großbritanniens und anderer imperialistischer Mächte liegt, das bereits Millionen Menschenleben gefordert hat.

Corbyns Entscheidung, sich nicht wie versprochen für den Irakkrieg zu entschuldigen und Labours kriminelle Kriegstreibereien unter Blair und Brown nicht zu erwähnen, verdeutlicht die Unaufrichtigkeit seiner Selbstdarstellung als Oppositioneller.

Er fand allerdings die Zeit, dem Militär seine Loyalität zu versichern. Er erklärte, Großbritannien brauche ein „starkes Militär, um für unsere Sicherheit zu garantieren.“

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