IG-Metall-Kongress, Flüchtlingskrise und Kriegsgefahr

Heute endet der 23. Ordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall. Eine ganze Woche lang berieten knapp 500 Delegierte im Frankfurter Congress-Zentrum über fünf Leitanträge des Vorstandes, 455 politische Anträge und 39 Satzungsanträge. Die Quintessenz aller Entscheidungen ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Bundesregierung und den Unternehmerverbänden.

Der Gewerkschaftstag der „größten Einzelgewerkschaft der Welt“, wie die IG Metall sich gerne zu bezeichnen pflegt, fand unter Bedingungen einer immer schärferen internationalen Krise des gesamten kapitalistischen Systems und der Europäischen Union statt. Im Zentrum dieser Krise steht die zunehmende Kriegsentwicklung. Seit die Bundesregierung das Ende der militärischen Zurückhaltung verkündet hat, vergeht keine Woche ohne Entscheidungen zur Anschaffung neuer Waffen, Modernisierung der Armee und Teilnahme an Großmanövern und Militäreinsätzen.

Zu Beginn der IG Metall-Sitzungswoche am Montag trat das Nato-Manöver „Trident Juncture 2015“ in seine entscheidende Phase. Rund 36.000 Soldaten, 140 Kampfflugzeuge und sechzig Kriegsschiffe nehmen an dieser größten Militärübung seit dem Ende der Sowjetunion teil. Der militärische Aufmarsch nimmt immer deutlicher die Form einer Provokation gegen Russland an und beinhaltet die Gefahr einer nuklearen Konfrontation der Großmächte.

Wenige Tage vorher gab das Verteidigungsministerium bekannt, es bereite einen massiven Kampfeinsatz der Bundeswehr im afrikanischen Bürgerkriegsland Mali vor. Dabei handelt es sich um den gefährlichsten Einsatz deutscher Truppen seit Afghanistan, wo bisher 56 Soldaten umgekommen sind.

Die anhaltenden Kriege der Nato und ihrer Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten, Nordafrika und anderen Ländern zwingen immer mehr Menschen zur Flucht, und mit dem Strom der Flüchtlinge erreicht die Realität des Krieges nun auch das Zentrum Europas. Die EU-Institutionen und die Bundesregierung reagieren auf diese Entwicklung mit einer Abschottung der Grenzen, Stacheldrahtzäunen, prügelnden Sicherheitskräften und brutaler Behördenwillkür.

Gleichzeitig nutzen europäische Politiker, Akademiker und rechte Demagogen die Flüchtlingskrise, um eine rechte Bewegung aufzubauen, die sich nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen jede politische und soziale Opposition richtet.

Das heutige Schicksal der Flüchtlinge nimmt die Zukunft vorweg, die das kapitalistische System der gesamten arbeitenden Bevölkerung und Jugend zu bieten hat: Unterdrückung, Armut und Krieg. Das hat bereits das brutale Sparprogramm in Griechenland gezeigt. Aber damit sind auch große Klassenkämpfe vorprogrammiert.

Auf diese Entwicklung reagiert die IG Metall mit einer deutlichen Rechtswende. In einer Art Wagenburg-Mentalität rückt sie näher an die Bundesregierung heran und stärkt ihre Sozialpartnerschaft mit den Konzernen.

Als Pflichtübung beschlossen die Delegierten bereits zu Beginn der Debatte am Montag eine Resolution zur Flüchtlingsfrage: „Für eine solidarische Flüchtlingspolitik“. Sie stützt sich auf eine weitgehend gleichlautende Erklärung des IGM-Beirats von Anfang September und beginnt mit einem Merkel-Zitat, wonach die Bewältigung steigender Flüchtlingszahlen einer „nationalen Kraftanstrengung“ bedarf.

Auch sonst bleibt die Erklärung völlig auf Regierungsline. Sie verurteilt Gewalt gegenüber Flüchtlingen und fordert: „Der Rechtsstaat muss Gewalttäter konsequent verfolgen und bestrafen.“ Sie sagt aber kein Wort über die staatliche Gewalt gegen Flüchtlinge. Obwohl am vergangenen Sonntag – zeitgleich mit der Eröffnung des Gewerkschaftstags – in Berlin eine Kundgebung von Hilfsorganisationen stattfand, auf der freiwillige Helfer gegen katastrophale Verhältnisse in der Berliner Erstaufnahme protestierten und dem Senat Sabotage vorwarfen, bleibt die Behördenwillkür in der IGM-Resolution unerwähnt.

Stattdessen heißt es nur: „Die Bevölkerung hat in den letzten Wochen und Monaten eine weltweit beachtete Solidarität und Hilfsbereitschaft unter Beweis gestellt. Das ehrenamtliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger muss besser unterstützt und koordiniert werden.“

Ansonsten betrachtet die IGM die Flüchtlinge vorwiegend als Konkurrenz für einheimische Arbeiter und warnt vor „Lohndumping“ und „Eingriffen in geltende tarifliche und gesetzliche Regelungen zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“.

Kein Wort über die Fluchtursachen. Kein Wort gegen die Kriegspolitik der Nato und der Bundesregierung, die immer mehr Menschen dazu treibt, ihre Heimat zu verlassen und sich auf eine lebensgefährliche Flucht zu begeben. Und natürlich kein Aufruf zu einem gemeinsamen Kampf von Arbeitern und Flüchtlingen gegen imperialistische Kriegspolitik und kapitalistische Ausbeutung.

Auch der neu gewählte Vorsitzende Jörg Hofmann (SPD) begann sein Grundsatzreferat am Mittwoch mit der Flüchtlingsfrage und rief: „Die Flüchtlingskatastrophe hat uns wachgerüttelt.“

Doch dann folgten humanitäre Plattitüden und abgedroschene Phrasen. Die Debatten der letzten Wochen habe viele Fragen aufgeworfen, sagte Hofmann und zählte auf: Was ist Einwanderung und was bedeutet Einwanderungsland, was ist Asyl- und was ist Flüchtlingsstatus, was bedeutet Armutsmigration in Europa und was sagt es über die Situation in der EU? Hofmanns Antwort: „Keiner sollte so tun, als habe er eine fertige Antwort parat.“

Deutlicher kann man die Borniertheit und Arroganz dieser abgehobenen Bürokratenkaste kaum zum Ausdruck bringen. Während hunderttausende Flüchtlinge nach wochenlanger, höchst gefährlicher Flucht verzweifelt vor Stacheldrahtzäunen in Europa stehen, Familien mit Kleinkindern beim nächtlichen Minusgraden in ungeheizten Zelten hausen und die Bundesregierung militärische Transportflugzeuge zur beschleunigten Abschiebung von Flüchtenden einsetzt, doziert der IG Metallchef über die Flüchtlingsfrage im Allgemeinen, die so komplex sei, dass keiner sie beantworten könne.

„Diese unbeantworteten Fragen unserer Gesellschaft“, erklärte Hofmann, „kriegen jeden Tag tauendfach Gesichter: die Gesichter der ankommenden Flüchtlinge. Und jedes Gesicht steht für eine eigene individuelle Geschichte: unterschiedliche Herkunftsländer, Sprachen, Kulturen, Religionen, Bildungsstände.“ Um dann mit einem Appell an die Humanität zu enden.

Die Bedeutung von Hofmanns Rede wurde deutlich, als unmittelbar nach ihm die Bundeskanzlerin auf dem Gewerkschaftstag mit „lebhaftem Beifall“ (Protokoll) empfangen wurde. Sie knüpfte direkt an Hoffmanns Rede an und dankte überschwänglich für die intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit der vergangenen Jahre.

Merkel betonte, dass sie sich immer für Mitbestimmung eingesetzt habe und auch in politischen Fragen das Wort der Gewerkschaften sehr schätze. Die Gewerkschaften insgesamt und die IG Metall ganz besonders hätten „in der Vergangenheit große gesellschaftliche Verantwortung bewiesen“.

Der IG Metall-Gewerkschaftstag machte deutlich, wie stark sich die Gewerkschaften angesichts der Krise des Kapitalismus und der rapiden Kriegsentwicklung in den Staat integrieren und als fünfte Kolonne der Bundesregierung handeln.

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