Indisches Militär greift Pakistan an

Am Mittwochabend hat das indische Militär mehrere „chirurgische“ Präzisionsangriffe im Inneren von Pakistan durchgeführt. Damit steht Südasien gefährlich nahe am Rande eines offenen Krieges mit möglicherweise katastrophalen Folgen.

Ein Krieg zwischen Indien und Pakistan wäre nicht nur der erste Krieg zwischen Atommächten, sondern könnte auch schnell zu einer Konfrontation zwischen den USA und China führen.

Die indischen Behörden befahlen am Donnerstag als Vorsichtsmaßnahme gegen einen pakistanischen Gegenangriff (oder um Indiens Kriegsvorbereitungen zu vertuschen) die Evakuierung aller Bewohner innerhalb von zehn Kilometern zur pakistanischen Grenze in den indischen Bundesstaaten Punjab sowie Jammu und Kaschmir.

Der pakistanische Premierminister Nawaz Sharif verurteilte die nächtlichen Angriffe vom Mittwoch als „ungerechtfertigte und offene Aggression“ Indiens. Gestern berief er eine Krisensitzung seines Kabinetts ein, um über Islamabads Reaktion zu diskutieren.

Das indische Militär erklärt, es habe sieben „Abschussstellungen von Terroristen“ auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie angegriffen, die den indisch kontrollierten Teil Kaschmirs von dem pakistanisch kontrollierten trennt. Indische Truppen seien bis zu drei Kilometer in pakistanisches Staatsgebiet eingedrungen und hätten dabei den „Terroristen und denjenigen, die versuchen, sie zu beschützen [...] beträchtliche Verluste“ zugefügt.

Das Militär hat bisher wenig über die Operation preisgegeben, doch indische Medien berichten auf der Grundlage offizieller Quellen, indische Kommandos seien zu Fuß und per Kampfhubschrauber in den pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs eingedrungen. Dabei war von zweistelligen Opferzahlen die Rede.

Zwischen Indien und Pakistan gab es im letzten Vierteljahrhundert mehrere Krisen, die zu einem Krieg hätten führen können. 1999 führten beide einen unerklärten Krieg in der Region Kargil im von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs. Allerdings hat Neu-Delhi bislang nicht öffentlich zugegeben, dass es seit Jahrzehnten Militäraktionen in Pakistan durchführt, weil es befürchtet, die Situation könnte dann schnell zu einem Krieg oder gar zu einem Atomkrieg eskalieren.

Zehn Tage vor den Angriffen vom Mittwoch hatten anti-indische Islamistenmilizen die indische Militärbasis bei Uri im Himalaya-Staat Jammu und Kaschmir angegriffen und achtzehn indische Soldaten getötet. Die amtierende hindu-chauvinistische Bharatiya Janata Party (BJP) machte Islamabad für den Angriff verantwortlich und versprach, Pakistan zu bestrafen, ohne auch nur eine erste Untersuchung anzustellen.

Die indischen Medien, Oppositionsparteien und eine große Gruppe von ehemaligen Offizieren unterstützten die Forderung nach einer blutigen Vergeltung gegenüber Pakistan.

Bei einer feierlichen Pressekonferenz am Donnerstag erklärte der Generaldirektor für Militäroperationen der indischen Armee, Generalleutnant Ranbir Singh, die „chirurgischen Präzisionsschläge“ hätten sich gegen „Terroristenteams“ gerichtet, die entlang der Demarkationslinie für Angriffe auf Indien in Stellung gingen.

Singh behauptete, Indien plane keine weiteren grenzübergreifenden Aktionen. „Allerdings“, fuhr er drohend fort, „sind die indischen Streitkräfte vollständig vorbereitet, auf jeden möglichen Notfall zu reagieren.“

Das pakistanische Militär streitet derweil ab, dass Indien einen grenzübergreifenden „Präzisionsangriff“ durchgeführt hat und bezeichnete die Behauptung als „Illusion“ und „fabrizierte Wahrheit,“ die von Indien verbreitet würde, um „falsche Effekte zu erzeugen.“

Das pakistanische Militär gibt zwar zu, dass zwei seiner Soldaten am Mittwochabend getötet und neun weitere verwundet wurden, schreibt sie aber dem grenzübergreifenden Artilleriebeschuss und Schusswaffenfeuer zu, die entlang der Demarkationslinie regelmäßig stattfinden. In einer Gegendarstellung zu Indiens Behauptungen erklärte es, Pakistan habe „deutlich gemacht, dass ein Präzisionsangriff auf pakistanischem Staatsgebiet eine heftige Gegenreaktion nach sich ziehen wird.“

Dass beide Seiten eindeutig Desinformation verbreiten, zeigt noch deutlicher, wie gefährlich die Lage ist.

Neu-Delhis Behauptung, der Angriff vom Mittwoch solle das drohende Eindringen von Terrorgruppen nach Indien verhindern, ist ein transparenter und konstruierter Vorwand für einen rücksichtslosen Akt der Aggression.

Die World Socialist Web Site hat nichts übrig für die reaktionäre kommunalistische Elite Pakistans und ihr Militär. Sie hat immer wieder die demokratischen Rechte der pakistanischen Bevölkerung mit Füßen getreten und sich zu Satrapen des US-Imperialismus gemacht. Pakistan wurde von der CIA als Juniorpartner in einem verdeckten Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan angeheuert. Nach diesem Vorbild hat es islamistische Terroristen gegen Indien eingesetzt, vor allem um den Widerstand der Bevölkerung gegen die indische Herrschaft über Kaschmir in kommunalistische Kanäle zu lenken.

Aber warum sollte Pakistan Terroristen zusammenziehen, um Indien anzugreifen, wenn Neu-Delhi ohnehin auf Kriegskurs ist? Pakistan hat bereits mehrfach Besorgnis über die militärisch-strategische Kluft zwischen sich und Indien geäußert, dessen Bevölkerung sechsmal größer und dessen Wirtschaftsmacht siebenmal größer ist.

Die indische Bourgeoisie war beunruhigt über den Rückgang von Indiens Wachstumsraten seit 2010. Daher hat sie Narendra Modi und seine rechtsradikale BJP an die Macht gebracht, um die Ausbeutung der Arbeiterklasse zu verschärfen und ihre Großmachtambitionen auf der Weltbühne durchzusetzen. Um letzteres Ziel zu erreichen, hat sich Indien immer mehr in Washingtons Kriegskurs gegen China einbinden lassen und mit Unterstützung der USA versucht, sich als Hegemonialmacht in der Region zu etablieren.

Während die indische Elite das Land als unschuldiges Opfer von pakistanischem „Terrorismus“ darstellt, hat die BJP-Regierung selbst die Konfrontation mit Pakistan gesucht. Kurz nach ihrer Machtübernahme wies sie das Militär an, an der Demarkationslinie aggressiver aufzutreten. Im Jahr 2015 führte dies zum längsten grenzübergreifenden Beschuss seit zehn Jahren. Mehr als einen Monat vor dem Angriff auf Uri kündigte Modi an, Indien werde den ethnisch-nationalistischen Aufstand in der südwestpakistanischen Provinz Belutschistan gegen Islamabad unterstützten und drohte Pakistan damit praktisch mit der Zerstückelung seines Territoriums.

Der Angriff vom Mittwoch sollte zeigen, dass Neu-Delhi bereit ist, für seine strategischen Interessen größere Risiken einzugehen, und dass es gegenüber Pakistan nicht mehr an die Politik der „strategischen Zurückhaltung“ gebunden ist.

Auch Pakistans Behauptung, es hätte keine grenzübergreifenden Angriffe gegeben, ist nicht glaubwürdig. Mehrere pakistanische Regierungsvertreter und führende Politiker haben der Darstellung des Militärs implizit oder explizit widersprochen. Einer von ihnen ist Verteidigungsminister Khawaja Muhammad Asif, der erklärt hatte: „Wenn Indien das noch einmal tut, werden wir entschieden reagieren.“

Islamabad leugnet, dass Indien eine Militäroperation innerhalb von Pakistan durchgeführt hat, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Zudem will es nicht öffentlich das – vom reaktionären Standpunkt der Geopolitik gesehen – peinliche Eingeständnis geben, dass es seine mehrfachen Drohungen nicht wahrmacht, auf jeden Grenzübergriff Indiens mit einem eigenen Militärschlag zu reagieren.

Diese Haltung wird die Regierung Modi und die kriegerischsten Teile der indischen Elite allerdings nur weiter ermutigen. Sie werden es als Beweis dafür betrachten, wie geschwächt Pakistan ist. Am Donnerstag kamen die Kongresspartei und die stalinistische Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) zusammen, um die Aggression gegen Pakistan zu feiern. Unter anderem trafen sie sich bei einem Allparteientreffen, das von der BJP organisiert wurde. Die Medien überboten sich derweil damit, die Militärschläge zu feiern. Sie stärkten die Behauptungen der Regierung, die Militäraktionen seien der Beweis, dass Indien mutiger und stärker geworden sei, und feierten die Soldaten als wahre Helden.

Die strategische Rivalität zwischen Indien und Pakistan, durch die der Bevölkerung Südasiens heute ein atomarer Holocaust droht, verdeutlicht das Scheitern der bürgerlichen Herrschaft. Ihre Wurzeln liegen in der kommunalistischen Teilung Südasiens aus dem Jahr 1947 in ein ausdrücklich muslimisches Pakistan und ein überwiegend hinduistisches Indien. Diese Teilung wurden nach dem Rückzug der britischen Kolonialherren vom Subkontinent von der Kongresspartei und der Muslim League umgesetzt, den beiden Parteien der südasiatischen Bourgeoisie.

Dennoch ist eine wichtige Triebkraft bei der Kriegsgefahr Washingtons seit mehr als zehn Jahren andauernde Kampagne mit dem Ziel, Indien zu einem Frontstaat bei seiner strategischen Offensive zur Isolierung und Einkreisung Chinas und der Vorbereitung auf einen Krieg zu machen. Unter Modi hat sich Indien im Streit im Südchinesischen Meer an die Seite der USA gestellt und engere strategisch bilaterale und trilaterale Beziehungen mit den wichtigsten Verbündeten der USA im indischen Pazifik aufgebaut: mit Japan und Australien. Letzten Monat erlaubte Modi amerikanischen Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen, routinemäßig indische Militärbasen zu benutzen.

Unter George W. Bush und Barack Obama haben die USA Indien mit „strategischen Geschenken“ überhäuft, ihm Zugang zu hochmodernem Kriegsgerät ermöglicht und einen Sonderstatus für Indien im internationalen Atomwaffenregulierungssystem geschaffen, der es Neu-Delhi ermöglicht hat, die Mittel seines eigenen Atomprogramms vor allem für die Entwicklung von Atomwaffen zu benutzen.

Die Stärkung des indisch-amerikanischen Bündnisses ging unweigerlich einher mit der Verschlechterung von Washingtons Beziehungen zu Pakistan, das im Kalten Krieg der wichtigste Verbündete der USA in Südasien war.

Islamabad hat erklärt, Washington habe das Kräftegleichgewicht in Südasien zerstört. Außerdem würde es Indien durch seine immer engere strategische Partnerschaft ermutigen und ein atomares und konventionelles Wettrüsten begünstigen. Doch all diese Warnungen haben nichts bewirkt.

Aus Angst vor strategischer Isolation ist Pakistan enger an seinen langjährigen Verbündeten China herangerückt. Damit hat es sich jedoch noch weiter von Washington entfernt und seine Rivalität mit Indien verschärft.

Um Neu-Delhi beschwichtigen, hat Washington ihm vermutlich grünes Licht gegeben, Pakistan zu „bestrafen“. Die Obama-Regierung hat dies allerdings bestritten, weil sie von Pakistan noch immer auf wichtige logistische Unterstützung für die amerikanischen Besatzungstruppen in Afghanistan angewiesen ist.

Nur wenige Stunden vor dem „Präzisionsangriff“ vom Mittwoch hatte Obamas nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice mit ihrem indischen Amtskollegen Ajit Doval telefoniert, angeblich um ihm ihr Beileid wegen des Angriffs auf Uri auszudrücken und Unterstützung für Indiens Kampf gegen Terrorismus zu bekunden. Presseberichten zufolge hatte es im Vorfeld ihres Anrufs Bedenken wegen zunehmender Beschwerden durch Indien gegeben, dass es von Washington nicht genügend unterstützt würde. Beispielsweise hätte Washington Pakistan nicht als Verantwortlichen für den Angriff in Uri genannt.

Unbestreitbar ist jedoch, dass sich Vertreter der US-Regierung geweigert haben, die „Präzisionsangriffe“ auf Pakistan zu verurteilen, obwohl sie eindeutig illegal und hochgradig provokant waren. Stattdessen haben sie rituell beide Seiten zu Mäßigung und Dialog aufgefordert.

Die USA spielen ein brandgefährliches Spiel. Im Rahmen ihres antichinesischen Bündnisses mit Neu-Delhi ermutigen sie die radikal-kommunalistische BJP-Regierung zu einer aggressiven, aber angeblich „kalibrierten“ Politik diplomatischer, wirtschaftlicher und militärischer Aktionen gegen Pakistan. Doch mit diesem Land hat Indien schon vier Kriege geführt. Pakistan hat daraufhin gedroht, auf jeden größeren indischen Angriff durch einen schnellen Einsatz seiner vor kurzem stationierten taktischen Atomwaffen zu reagieren.

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