Kurdische Milizen kündigen Angriff auf IS-Hauptstadt in Syrien an

Die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) haben den „Entscheidungskampf” um die Rückeroberung Rakkas vom Islamischen Staat (IS) aufgenommen. Das gaben die hauptsächlich kurdischen SDF-Milizen am Sonntag, nur zwei Tage vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl, auf einer Pressekonferenz bekannt. Der IS betrachtet die Stadt Rakka in Zentralsyrien mit etwa 200.000 Einwohnern allgemein als seine „Hauptstadt”.

Die SDF erklärte auf der Pressekonferenz, für den Angriff auf Rakka werde sie bis zu 30.000 Kämpfer bereitstellen. Die SDF ist eine von mehreren „Rebellen”-Koalitionen, die die Unterstützung der USA genießen. Sie will das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad stürzen, das von Russland und dem Iran unterstützt wird.

Schon heute begleiten rund dreihundert US Special Forces die SDF am Boden, bilden ihre Kämpfer aus und beraten sie. Auch liefern sie den amerikanischen, britischen, australischen und französischen Flugzeugen Koordinaten für ihre Luftangriffe auf den IS. In den amerikanischen Medien erfährt man davon praktisch nichts, vom Wahlkampf ganz zu schweigen.

Die Pressekonferenz fand in Ain Issa statt, einer von Kurden kontrollierten Stadt fünfzig Kilometer nördlich von Rakka. Ein amerikanischer Militärsprecher im Irak, Oberst John Dorrian, gab jedoch per E-Mail gegenüber Journalisten zu, dass es noch „einige Zeit“ dauern könnte, bis die SDF Rakka auch wirklich angreift. In jedem Fall soll die Offensive wohl aus zahlreichen Luftangriffen bestehen. Gleichzeitig wird man die Stadt isolieren und ihren Nachschub unterbrechen.

Die weitgehend rhetorische Ankündigung scheint vor allem darauf zu zielen, in den letzten Wahlkampftagen die Behauptungen der Obama-Regierung und der Demokratischen Kandidatin Hillary Clinton zu bestätigen, sie hätten gegen den IS in Syrien eine Strategie. Donald Trump versucht in seinem Wahlkampf, Obama und Clinton – die in Obamas erster Amtszeit Außenministerin war – für die großen Geländegewinne des IS seit 2013 verantwortlich zu machen.

In den letzten Wahlkampfwochen hat die Obama-Regierung eine massive Eskalation militärischer Gewalt im Nahen Osten angeordnet. Mitte Oktober griffen zehntausende von den USA unterstützte irakische Soldaten die vom IS gehaltene nordirakische Millionenstadt Mossul an.

Drei Wochen später sitzen die irakischen Regierungstruppen in Straßenkämpfen in den östlichen Stadtteilen fest und sind immer noch vier Kilometer von den südlichen Bezirken der Stadt entfernt. Bis zu anderthalb Millionen Zivilisten, darunter hunderttausende Kinder, sollen in der Stadt gefangen sein. Sie sind ständig amerikanischen Luftangriffen ausgesetzt, und es fehlt an Lebensmitteln und Medizin.

Das syrische Regime und die russische Regierung stellen die Operation in Mossul öffentlich in Frage. Sie beschuldigen amerikanische und irakische Truppen, absichtlich Fluchtrouten für die IS-Kämpfer nach Westen offenzulassen. Sie behaupten, dass IS-Kämpfern und Anhängern erlaubt werde, ungehindert nach Rakka auszuweichen, wo sie den Kampf gegen die syrische Regierung weiterführen können.

Auch in den amerikanischen Medien wurden die syrischen und russischen Vermutungen teilweise bestätigt. Am 3. November brachte der Murdoch-Sender Fox News, der mit Trump sympathisiert, einen prominenten Bericht, in dem es heißt: „Während in Mossul die Kugeln fliegen, sind die Ausfallstraßen nach Westen vom Verkehr verstopft. Viele IS-Kämpfer sind wahrscheinlich auf der Flucht in die Hochburg der Terroristen im 440 Kilometer entfernten Rakka.”

In den USA machten laut Fox „mehrere Experten… den vorzeitigen Abzug der US-Truppen [unter Obama aus dem Irak] dafür verantwortlich, dass die schwarz gekleidete Dschihadisten-Armee so stark werden konnte. Sie bewegt sich jetzt auf den Nebenstraßen, die ihre beiden Hochburgen verbinden.”

Die Ankündigung, dass kurdische Milizen den IS in Rakka angreifen wollen, hat Auswirkungen die über die Frage hinausgehen, mit welcher Strategie die Obama-Regierung die islamistischen Milizen bekämpft, und was dies für die amerikanischen Wahlen bedeutet.

Die Vorstöße der SDF auf Rakka erhöhen die Gefahr, dass amerikanische Soldaten oder ihre Verbündeten mit syrischen Regierungstruppen zusammenstoßen. Die syrische Armee bereitet seit Juni eine Offensive gegen die IS-Hauptstadt unter Einsatz ihrer Luftwaffe vor. Sollten die rivalisierenden Kräfte gleichzeitig auf Rakka vorrücken, dann ist das Konfliktpotential enorm.

Das vorrangige Ziel der US-Intervention ist in Syrien die Errichtung eines Marionettenregimes in Damaskus. So könnte der Konflikt über Kontrolle von Rakka, schnell zum Vorwand für einen Frontalangriff auf das Assad-Regime werden. Das birgt die Gefahr einer Konfrontation mit Russland und anderen Verbündeten des syrischen Regimes, wie dem Iran oder irakisch-schiitischen Milizen.

Während sich die US-Regierung auf die SDF stützt, verschlechtern sich ihre bereits brüchigen Beziehungen zur Türkei. Die meisten SDF-Kämpfer gehören den Volksverteidigungseinheiten (YPG) an. Diese stammen aus der selbsternannten autonomen Region Rojava, die in Nordsyrien an die Türkei grenzt und mehrheitlich von Kurden bewohnt ist. Die türkische Regierung behauptet, die YPG sei eine Frontorganisation der separatistischen PKK in der Osttürkei. Sie bezeichnet die syrische Miliz als „Terrororganisation”.

Weil die YPG in Nordsyrien ein immer größeres Gebiet kontrolliert, hat das türkische Militär bisher schon mindestens 22 Artillerie- oder Luftangriffe gegen sie ausgeführt. Der jüngste Angriff fand Anfang Oktober statt und richtete sich gegen YPG-Kämpfer, die den IS aus Tal Abyad, neunzig Kilometer nördlich von Rakka, vertrieben hatten.

Auf einer Pressekonferenz der SDF wurden die Spannungen mit der Türkei deutlich. Ihr Sprecher warnte, die Türkei solle sich „nicht in innere syrische Angelegenheit einmischen”. Schon zuvor hatte die SDF erklärt, die Türkei solle sich „nicht an Operationen in Rakka beteiligen”.

Die Obama-Regierung bemüht sich intensiv darum, die Türkei für ihre Pläne zu gewinnen. Sie soll die kurdischen Kräfte als US-Stellvertreter für die Offensive anerkennen. Am Tag, als die SDF-Pläne bekannt wurden, besuchte der US-Generalstabschef, Joseph Dunford, die türkische Hauptstadt Ankara, und traf den höchsten türkischen Militärchef, General Hulusi Akar, zu einem Gespräch unter vier Augen.

Dunford sagte zu Journalisten: „Die Koalition und die Türkei werden gemeinsam an dem langfristigen Plan arbeiten, Rakka zu erobern und [die Stadt] zu halten und zu kontrollieren. Als enge Verbündete wollen wir natürlich sicher sein, dass wir in einigen entscheidenden Fragen wirklich eng zusammenarbeiten.”

Die USA haben der Türkei versichert, dass nach der Eroberung Rakkas arabische SDF-Kämpfer die Stadt „kontrollieren“ und „halten“ sollen und nicht kurdische Kämpfer. In der Türkei geht Präsident Recep Tayyip Erdogan zurzeit brutal gegen kurdische Parteien vor. Angesichts scharfer ethnischer Spannungen könnte die Situation der Washingtoner Regierung leicht entgleiten.

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