Rechtsruck der CDU/CSU

Die CDU und die CSU haben sich am Sonntag nach über zehnstündigen Verhandlungen auf eine gemeinsame Linie für ein Regierungsbündnis mit der FDP und den Grünen geeinigt. Das Ergebnis ist ein deutlicher Rechtsruck, der auch die Politik der zukünftigen Regierung bestimmen wird.

Im Vordergrund stand der Streit um eine Obergrenze für Flüchtlinge, der seit zwei Jahren zwischen den beiden Schwesterparteien tobt. Während CSU-Chef Horst Seehofer eine solche Obergrenze forderte und sie zur Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung erklärte, hatte sie die CDU-Vorsitzende Angela Merkel bisher abgelehnt.

Nun hat sich die CSU inhaltlich voll durchgesetzt, während die CDU in Worten recht behielt. Die beiden Parteien einigten sich darauf, dass pro Jahr nicht mehr als 200.000 Menschen aus humanitären Gründen (als Asylbewerber oder als Flüchtlinge) in Deutschland aufgenommen werden sollen. Es gibt also eine Obergrenze, nur der Begriff wird nicht explizit erwähnt.

Neu ankommende Asylbewerber sollen zudem in speziellen „Aufenthaltszentren“ bleiben und ihre Verfahren sollen in „Entscheidungs- und Rückführzentren“ gebündelt werden. Sie werden also ihrer Freiheit beraubt. Den Ausdruck „Lager“ verwenden die Unionsparteien nur deshalb nicht, weil er durch die Nazis zu stark vorbelastet ist.

Die Einigung auf Kosten der Flüchtlinge, der Schwächsten der Gesellschaft, ist nur der vordergründige Ausdruck eines sehr viel grundlegenderen Rechtsrucks. Sowohl CSU wie CDU sind in der Bundestagwahl vom 24. September massiv eingebrochen und haben das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Sie reagieren drauf, indem sie das rechtsextreme Programm der AfD zu großen Teilen übernehmen.

Sehr deutlich zeigt dies ein Zehn-Punkte-Plan mit dem Titel „Warum die Union eine bürgerlich-konservative Erneuerung braucht“, den der Vize-Generalsekretär der CSU, Markus Blume, in enger Abstimmung mit CSU-Chef Seehofer als Grundlage für die Diskussion mit der CDU verfasst hat. Der Plan tritt in unmissverständlichen Worten für einen politischen Rechtsruck in sämtlichen Bereichen ein.

Die Union wird darin als Partei definiert, die „die politische Mitte mit der demokratischen Rechten vereint“ und „ihren angestammten Platz Mitte-Rechts“ wieder ausfüllen muss. „Die Wähler setzen auf die Werte und Prägung des Landes, wollen Recht und Ordnung, wünschen Sicherheit und Wohlstand für alle“, heißt es in dem Papier. Nach Ausdrücken wie Demokratie sucht man dagegen vergebens, und der Begriff Freiheit wird in sein Gegenteil verkehrt.

Zu Offenheit und Freiheit gehörten auch Obergrenze und Leitkultur, verkündet die CSU. „Grenzenlose Freiheit macht Angst. Und Angst ist der größte Feind einer offenen Gesellschaft. Deshalb brauchen wir eine bürgerliche Ordnung der Freiheit: das heißt einen durchsetzungsfähigen Staat, eine klare Begrenzung der Zuwanderung und einen Richtungspfeil für die Integration.“

Das Papier bekennt sich zu einem „gesunden Patriotismus“ und zur „Liebe zur Heimat“. „Die Werte und Prägung unserer Heimat sorgen für Identität und Zusammenhalt“, heißt es darin. Den „blinden Populismus gegen rechts“ – d.h. die strikte Ablehnung des Rechtsextremismus – bezeichnet es als „genauso gefährlich wie ein radikaler Populismus von rechts“.

Im der typischen Manier der Rechtsextremen wettert das CSU-Papier gegen angebliche „Denkverbote und Meinungspolizei“ und behauptet: „Alles, was nicht im Geist der Alt-68er steht, gilt als rechts und damit schlecht.“ Es endet mit der Behauptung, dass „inzwischen selbst der Zeitgeist konservativ“ sei. Das Konservative sei „das neue Moderne“. Konservativ sei „wieder sexy“.

Ein ähnlicher Ton herrschte auf dem Deutschlandtag der Jungen Union, der am Tag vor dem CDU-CSU-Treffen in Dresden stattfand. Während Kanzlerin Merkel vor der JU, der gemeinsamen Jugendorganisation von CDU und CSU, einen schweren Stand hatte, wurde Jens Spahn, der sich innerhalb der CDU als rechter Herausforderer Merkels profiliert, von den Delegierten bejubelt. In der „Dresdner Erklärung“, die der Deutschlandtag verabschiedete, heißt es, ein schlichtes „Weiter so“ dürfe es nach dem schlechten Wahlergebnis nicht geben. CDU und CSU müssten „klarer als bisher“ das konservative Profil schärfen.

Am 18. Oktober, fast ein Monat nach der Bundestagswahl und drei Tage nach der Landtagswahl in Niedersachsen am kommenden Sonntag, will die Union die Sondierungsgespräche mit FDP und Grünen über eine Jamaika-Koalition beginnen. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass beide keine Probleme mit dem Rechtsruck der Union haben.

Die FDP hatte schon im Wahlkampf ein Einwanderungsgesetz, dass nur für die Wirtschaft „nützliche“ Immigranten ins Land lässt, eine zeitliche Begrenzung der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen und klare Regeln für deren Abschiebung gefordert.

Aber auch die Grünen, die sich im Wahlkampf noch flüchtlingsfreundlich gegeben hatten, deuten bereits ihr Einlenken an. So begrüßte die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckhardt die unionsinterne Einigung in der Flüchtlingspolitik. Es gebe nun „eine Ausgangslage“, sagte sie, die nun genauer angeschaut werden müsse. Auch Cem Özdemir, der andere Spitzenkandidat der Grünen, vermied ein klares Nein zum Unionsbeschluss und ließ damit die Tür für eine Jamaika-Koalition offen. Er sei „gespannt, wie sie uns das erklären“, sagte er im ZDF.

Vor allem aber stimmen die Grünen in allen Tonarten ein Loblied zum Thema „Heimat“ an, das einen starken Beigeschmack von Blut-und-Boden-Mystik hat und sich mit der „Liebe zur Heimat“ der Unionsrechten trifft.

Schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte in seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit ausführlich über das Thema „Heimat“ schwadroniert und damit das Leitmotiv für den rechten Kurs der neuen Regierung vorgegeben.

Auf dem kleinen Parteitag der Grünen, der Verhandlungen über eine Regierungskoalition mit Union und FDP zustimmte, überschlug sich Göring-Eckhardt dann mit Bekenntnissen zur Heimat. Darin ließen sich die Grünen „nicht übertreffen“, erklärte sie: „Wir lieben dieses Land. Das ist unsere Heimat. Diese Heimat spaltet man nicht. Für diese Heimat werden wir kämpfen.“

Auch Robert Habeck, der in Schleswig-Holstein Umweltminister in der ersten Jamaika-Koalition auf Landesebene ist und als kommender Mann der Grünen gilt, ließ sich in einem Gespräch mit der F.A.Z. über die Bedeutung des Begriffs Heimat aus. „Ich bin sehr dafür, dass wir Grüne Begriffe wie Heimat und Deutschland nicht der AfD überlassen“, sagte er. Er habe es häufig erlebt, dass Leute sich über die Tradition ihrer Orte, ihres Berufs, ihrer Heimat definierten. „Da verbietet sich jede Form von Verächtlichkeit.“

„Wir müssen uns trauen, über Begriffe wie Heimat und Patriotismus zu reden, sie für uns zu reklamieren und sie definieren“, forderte er. „Heimat ist der Raum, in dem wir leben und den wir gestalten, gleich, woher wir kommen. Heimat ist unser Zusammenleben.“ Dass viele Menschen im Osten rechtspopulistisch gewählt hätten, sei kein Transferproblem, sondern „ein Problem von fehlender Anerkennung. Von Verlorensein in einer Welt, die sich rasant ändert.“ Deshalb könne man das Problem nicht durch mehr Geld allein lösen.

Deutschtümelei, Konservativismus, Abwehr von Flüchtlingen – das sind die die ideologischen Formen, unter denen sich der Rechtsruck aller etablierten Parteien vollzieht – auch der SPD und der Linken, die voraussichtlich in der Oppositionsbänken bleiben werden. Anders als sie behaupten, hat dies nichts mit einer breiten Stimmung unter den Massen zu tun, die – insbesondere die jüngere Generationen – durch Weltwirtschaft, internationale Kommunikation und Internet geprägt sind.

Es handelt sich vielmehr um den ideologischen Reflex, mit dem bürgerliche und wohlhabende Mittelschichten auf das Aufbrechen der Weltwirtschaft in konkurrierende Handelsblöcke, auf die Zunahme von Krieg und soziale Spannungen reagieren. Das Schüren von Nationalismus und Fremdenhass dient sowohl der Vorbereitung neuer Kriege wie der Unterdrückung des Klassenkampfs. Mit dem „Geist der Alt-68er“ verurteilt die CSU nicht die rebellierenden Bürgersöhne, die in Form der Grünen längst ins Vaterhaus zurückgekehrt sind, sondern die Abrechnung mit der Nazi-Vergangenheit und ihren reaktionären Ideologien, die damals gründlich in die Defensive gedrängt wurden.

„Die herrschende Klasse Deutschlands kann nicht zu einer Politik von Krieg und Militarismus zurückkehren, ohne die politischen Traditionen neu zu beleben, die in der Geschichte eine derart verheerende Rolle spielten – Nationalismus, Rassismus und die Unterdrückung jeglicher Opposition“, hat die WSWS in zahlreichen Artikeln betont. Das bestätigt sich nun, bevor die Verhandlungen über die neue Bundesregierung überhaupt begonnen haben.

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