Ungarn vor der Wahl

Aktuellen Meinungsumfragen zufolge wird die rechte Fidesz-Partei die Wahl am kommenden Sonntag erneut für sich entscheiden. Ministerpräsident Viktor Orbán könnte dann seine dritte Amtszeit in Folge antreten. Zweitstärkste Kraft wird vermutlich die neofaschistische Partei Jobbik.

Orbán ist seit 2010 im Amt, zuvor hatte er die Regierung bereits von 1998 bis 2002 geführt. Bei der letzten Wahl vor vier Jahren lag Orbáns Partei Fidesz mit knapp 45 Prozent klar vorn, gefolgt von den Sozialdemokraten (MSZP) mit 26 und Jobbik mit 20 Prozent.

In seiner achtjährigen Amtszeit hat Orbán eine extrem rechte Politik verfolgt und ein autoritäres Regime aufgebaut. Wichtige Posten im Staatsapparat sind mit politischen Vertrauten besetzt, eine unabhängige Justiz existiert faktisch nicht mehr. Mehrmals wurde die Verfassung zugunsten der Regierung verändert. Unmittelbar nach seinem Wahlsieg 2010 schaffte Orbán die Pressefreiheit weitgehend ab und machte kritische Medien mundtot.

Doch trotz einem auf die Regierungspartei zugeschnittenen Wahlsystem herrscht Unruhe in Regierungskreisen.

Ende Februar erlitt Fidesz in einer ihrer Hochburgen, der 50.000-Einwohne-Gemeinde Hódmezövásárhely, eine spektakuläre Wahlniederlage. Der unabhängige Kandidat Péter Márki-Zay gewann dort die Bürgermeisterwahl mit 57 Prozent der Stimmen, der Kandidat von Fidesz erhielt nur 41 Prozent. Aus Hódmezövásárhely stammt Orbáns rechte Hand, der Leiter der Staatskanzlei János Lázár, der dort jahrelang Bürgermeister war. Bisher hatte Fidesz dort Wahlen regelmäßig mit 60 Prozent der Stimmen gewonnen.

Márki-Zay, ehemaliger Fidesz-Anhänger und Vorsitzender des örtlichen römisch-katholischen Pfarrgemeinderates, wurde von Jobbik, Grünen und „linken“ Parteien unterstützt, was dieser Lokalwahl sechs Wochen vor der Parlamentswahl eine landesweite Bedeutung zukommen ließ.

Das Wahlergebnis von Hódmezövásárhely hat in der Regierungspartei Panik ausgelöst. Sie fürchtet um den Verlust ihrer Zweidrittelmehrheit, mit der sie bisher die Verfassung ändern konnte. Das Ergebnis ist ein Symptom wachsender politischer und sozialer Opposition in einem Land, das trotz der offiziell geringen Quote von hoher Arbeitslosigkeit und grassierender Armut geprägt ist.

Unter anderem ist auch Orbáns Schwiegersohn in einen Korruptionsskandal verwickelt. Auf der Liste von Transparency International mit den korruptionsanfälligen Ländern liegt Ungarn derzeit auf Platz 66, noch hinter Montenegro und Rumänien.

Neben sinkenden Zustimmungswerten ist Orbán auch mit einer wachsenden Streikbewegung konfrontiert. Neben dem öffentlichen Dienst fanden in diesem Jahr bereits Streiks im Einzelhandel statt. In anderen osteuropäischen Staaten kam es zuletzt ebenfalls zu Streiks und Protesten gegen niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und die prekäre soziale Lage.

Die relativ geringe Arbeitslosigkeit ist auf sogenannte Arbeitsprogramme zurückzuführen, bei denen Arbeitslose rund 180 Euro pro Monat für gemeinnützige Tätigkeiten erhalten. Leben können sie davon bei weitem nicht. Im Euro Health Consumer Index, einem Vergleich europäischer Gesundheitssysteme, fiel Ungarn zuletzt von Platz 20 auf Platz 29. Das Bildungswesen liegt brach. Die Leistungen von Schülern in Mathematik und Lesen haben sich dramatisch verschlechtert, so die PISA-Studie (Programme for International Student Assessment), die weltweit Bildungssysteme vergleicht.

Unter diesen Bedingungen hat Orbán im Wahlkampf erneut eine abstoßende Kampagne gegen Flüchtlinge und deren Helfer initiiert. In seiner Ansprache zum ungarischen Nationalfeiertag setzte er einmal mehr auf die antieuropäische Karte und schürte Ängste vor Zuwanderung aus islamischen Ländern. Die EU wolle „das Gesicht der europäischen Bevölkerung verändern“, erklärte er und prophezeite: „Eines Tages werden die Westeuropäer in Ländern aufwachen, die nicht mehr ihre eigenen sind.“

Orbán will mit dem sogenannten „Stopp-Soros-Paket“ die Tätigkeit von Flüchtlingsorganisationen in seinem Land beenden und damit die ohnehin katastrophale Lage von Flüchtlingen massiv verschärfen. Seit Monaten führt die Regierung in Budapest eine Kampagne gegen den US-Milliardär George Soros, die deutliche antisemitische Untertöne trägt. Sie unterstellt dem aus Ungarn stammenden Holocaust-Überlebenden, er lenke Millionen von muslimischen Migranten bewusst nach Europa, um die europäischen Völker ihrer christlichen und nationalen Identität zu berauben.

Laut Süddeutscher Zeitung hängen im Wahlkampf zigtausende Plakate mit dem lächelnden Gesicht von Soros in Großaufnahme, versehen mit der Bildunterschrift: „Lassen wir nicht zu, dass Soros zuletzt lacht!“ Andere Plakate zeigen Soros als Puppenspieler, der Oppositionskandidaten tanzen lässt.

Zuvor hatte Orbán bereits mit der Errichtung eines Grenzzaunes, Lagern an den Grenzen und einer rigiden Abschottungspolitik die Lage für Flüchtlinge in Ungarn unerträglich gemacht. Flüchtlingsquoten, wie von der Europäischen Union vorgesehen, lehnt Orbán trotz Kritik aus Brüssel weiterhin ab. Gestützt auf die Hetze gegen Migranten hat Orbán mit Unterstützung von Jobbik zahlreiche Gesetze durchgesetzt.

Obwohl die Unterstützung für Orbán sinkt, kann er sich eines Sieges recht sicher sein, da die Opposition in einer desolaten Verfassung ist. Die Parteien sind vollkommen zersplittert und teilweise in sich tief gespalten. Die sozialdemokratische MSZP, die in den letzten Wahlen zweitstärkste Kraft wurde, dürfte eine starke Niederlage erleben. Die von ihr abgespaltene Demokratische Koalition (DK) um Ex-Premier Ferenc Gyurcsány wird wohl im neuen Parlament vertreten sein, aber keine große Rolle spielen.

Die grüne LMP (Politik kann anders sein) könnte ebenfalls die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. Nach der Spaltung 2013 hat sie einen scharfen Rechtsruck vollzogen. Bernadett Szél als Spitzenkandidatin erklärte, die Einwanderung bleibe „nationale Sache“. Auch Orbáns Grenzzaun solle bestehen bleiben.

Wie rechts Sozialdemokraten und Grüne sind, wurde Anfang des Jahres deutlich, nachdem die Regierung erklärt hatte, dass sie sich für die Aufnahme einiger im Vorjahr eingereister subsidiär Schutzberechtigten entschieden habe. Die linke wie die rechte Opposition griffen daraufhin die Regierung scharf an und behaupteten, Flüchtlinge würden „durch die Hintertür“ aufgenommen. Jobbik beantragte mit Unterstützung von MSZP und LMP eine Parlamentssondersitzung.

Aufgrund der großen politischen Übereinstimmung gab es im Wahlkampf zahlreiche gemeinsame Initiativen von MSZP, LMP und der ultrarechten Jobbik.

In den europäischen Hauptstädten werden die Wahlen am Sonntag mit gemischten Gefühlen beobachtet. Während sich die Kritik vor allem gegen das gute Verhältnis von Budapest und Moskau richtet, gab es zuletzt für Orbáns rechte Politik immer mehr Lob.

Anfang Januar wurde Orbán herzlich in Wien empfangen, wo eine Regierung aus konservativer Volkspartei und rechtsextremer FPÖ regiert. Auf der Pressekonferenz betonte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Gemeinsamkeiten der Politik beider Regierungen. „Ich darf mich bedanken, dass wir beim Schutz der EU-Außengrenze an einem Strang ziehen“, sagte er. „Wir müssen die illegale Migration stoppen, um auch die Sicherheit in der EU zu gewährleisten.“

Orbán konnte unwidersprochen die „Völkerwanderung“ als größte Bedrohung für Mitteleuropa beschwören. Anschließend traf sich Orbán mit dem Investor Heinrich Pecina. Der Gründer der Vienna Capital Partners hatte im Oktober 2016 in Absprache mit Orbán die regierungskritische Zeitung Népszabadság abgewickelt.

Auch die deutsche Regierung unterstützt Orbán. Im Januar war er Gast der CSU-Klausurtagung im bayrischen Seeon. Horst Seehofer, der inzwischen Bundesinnenminister ist, stimmte mit Orbáns Flüchtlingspolitik überein und lobte den selbsternannten „Grenzschutzkapitän“ für die brutale Abschottung der Balkan-Route.

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