Antisemitismus-Kampagne gegen Corbyn verbindet Opposition gegen Israels Verbrechen mit Unterstützung für den Terrorismus

Bei ihrer anhaltenden Hexenjagd gegen Labour-Parteiführer Jeremy Corbyn durchforsten die Medien inzwischen die politische Karriere Corbyns bis ins kleinste Detail, um Anzeichen für seinen angeblichen blinden Hass gegen Juden zu entdecken.

Seine Beziehungen zu verschiedenen Gegnern des Staates Israel und seine frühere Kritik an israelischen Verbrechen gegen die Palästinenser stünden beispielhaft für seinen "Antisemitismus“.

Der bemerkenswerteste und schärfste Angriff der letzten Zeit wird als „Wreathgate“ bezeichnet. Dabei geht es um Fotos, welche die rechte Daily Mail am letzten Samstag veröffentlichte. Sie zeigen Corbyn bei einem Besuch in Tunesien 2014, wie er bei einem Gedenkgottesdienst einen Kranz hält. Die Fotos sollen beweisen, dass Corbyn nur ein Jahr vor seiner Wahl zum Labour-Chef Führer der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO ehrt, die an der Entführung und Ermordung von 11 israelischen Olympioniken durch das palästinensische Kommando Schwarzer September in München im Jahr 1972 beteiligt waren.

Dieses Narrativ ist ein Konstrukt, das vor allem aus Lügen besteht.

Der Friedhof Hammam Chott ist der palästinensische Nationalfriedhof in Tunesien. Dort werden Palästinenser bestattet, denen Israel die Rückkehr in ihre Heimat nicht gestattet. Die Attentäter von München sind dort nicht begraben.

Corbyn nahm dort auf Einladung der tunesischen Regierung an einer Zeremonie zum Gedenken an die israelische Bombardierung des Hauptquartiers der PLO in Tunesien 1985 teil. Damals kamen 47 bis 71 Menschen um. Die Gedenkfeier und eine begleitende Konferenz waren auch dazu gedacht, eine Einigung zwischen der islamistischen Hamas, die immer noch den Gazastreifen kontrolliert, und der größten Fraktion der PLO, der Fatah, die im Westjordanland regiert, zu erreichen, ein Anliegen, das Corbyn unterstützt.

Die Daily Mail warf Corbyn mit der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September in einen Topf. Das Mahnmal für die 1985 Getöteten sei nur 15 Yards entfernt von der Stelle, an der Corbyn fotografiert wurde. Und um noch eins draufzusetzen, berichtete die Mail, Corbyn habe nur zwei Meter entfernt von vier Gräbern hochrangiger PLO-Mitglieder gestanden. Zu diesen, so der Vorwurf Israels, gehörten auch die Gründer des Schwarzen September.

Jedes Jahr wird ein Kranz an den Gräbern von Atef Bseiso und der Palästinenserführer Salah Khalaf, Abu Ijad, Fakhri al-Omari, und Hayel Abdel-Hamid niedergelegt. Corbyn soll sich angeblich doppelt schuldig gemacht haben, weil er im Oktober 2014 im Morning Star, der Zeitung der britischen Kommunistischen Partei, erklärte, er habe an einer Gedenkfeier zu Ehren der Opfer von 1985 und „anderer (teilgenommen), die 1991 in Paris von Mossad-Agenten getötet wurden“.

Corbyn hat inzwischen gegenüber Sky News geäußert: „Einige Teilnehmer der Konferenz legten in der Tat einen Kranz nieder für die, die 1992 in Paris getötet wurden. Ich war anwesend, aber nicht daran beteiligt.“

Bseiso war vor seiner Ermordung Verbindungsoffizier der PLO zu ausländischen Geheimdiensten und hatte regelmäßigen Kontakt zur CIA. Die USA protestierten gegen seine Ermordung durch den Mossad, der nach wie vor als Drahtzieher hinter Bseisos Ermordung gilt, obwohl andere PLO-Fraktionen, die Bseisos versöhnliche Haltung ablehnten, ihre Hand im Spiel gehabt haben sollen.

Die Scheinheiligkeit der Anti-Corbyn-Kampagne ist atemberaubend. Corbyn wird beschuldigt, den Terrorismus zu befürworten, nur weil er in der Nähe der Gräber von PLO-Führern stand, die Israel des Terrorismus beschuldigt. Wer sind seine Ankläger? Eine israelische herrschende Elite, die ihren Staat auf der Grundlage einer terroristischen Kampagne gegen Großbritannien geschaffen hat, außerdem Labour-Abgeordnete, die Tony Blair und Gordon Brown dafür ehren, durch Gespräche mit Sinn Fein und der Irisch-Republikanischen Armee den Frieden in Nordirland gesichert zu haben, sowie Politiker der Conservative Party und der Labour Party, die bereit sind, die Verbrechen von Israel, Saudi-Arabien, Ägypten und jedes anderen mit dem britischen und US-Imperialismus verbündeten Staats bedenkenlos zu verteidigen.

Corbyn übte ansatzweise Kritik an dieser Doppelzüngigkeit. Auf den Tweed von Israels Premier Netanjahu – „Die Kranzniederlegung durch Jeremy Corbyn auf den Gräbern der Terroristen, die das Massaker von München verübt haben, und sein Vergleich Israels mit den Nazis muss von allen - Linken, Rechten und allen dazwischen – unmissverständlich verurteilt werden“, antwortete er: „Unmissverständlich verurteilt werden muss, dass die israelischen Streitkräfte in Gaza seit März über 160 palästinensische Demonstranten, darunter Dutzende von Kindern, getötet haben.“

Sein kurzer kämpferischer Moment ändert aber nichts daran, dass Corbyn weder sich noch seine Anhänger gegen den Vorwurf des Antisemitismus verteidigen kann. Er versucht, seine Widersacher zu besänftigen statt sie herauszufordern. Deren Angriff gründet sich auf die Behauptung, Opposition gegen Israel sei gleichbedeutend mit Antisemitismus.

Alle Vorwürfe gegen Corbyn können widerlegt und gegen seine Ankläger gerichtet werden.

Corbyn nahm Ende September 2014 an der Konferenz in Tunesien teil, nur wenige Wochen nach Israels Militäroperation Protective Edge in Gaza (8. Juli - 26. August), die mehr Tote forderte und massivere Zerstörung verursachte als frühere Angriffe Israels in den Jahren 2008-2009 und 2012.

Etwa 1.480 der 2.160 von Israel getöteten Palästinenser waren Zivilisten, darunter 506 Kinder, während etwa 66 israelische Soldaten und fünf Zivilisten getötet wurden. Mehr als 100.000 Palästinenser in Gaza konnten nicht in ihre Häuser zurückkehren, und 497.000 Menschen wurden zu Binnenflüchtlingen.

Israels mörderischer Angriff folgte auf eine im April 2014 zwischen der Hamas und der Fatah getroffene Vereinbarung zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, die Netanjahu aber nicht anerkennen wollte. Er machte die Hamas für die Entführung und Ermordung von drei israelischen Teenagern verantwortlich, und rechtfertigte damit die Operation Protective Edge.

Im Artikel des Morning Star, der die Labour-Rechte und die Tories so empört hat, schrieb Corbyn, dass „1986 israelische Jets das verlegte Hauptquartier der Palästinensischen Befreiungsorganisation bombardierten, was zu vielen Toten führte“, und er erklärte, wie „die PLO nach den Ereignissen von Sabra und Shatilla 1982, als phalangistische Milizen unter den Augen israelischer Soldaten Massaker verübten“, ihr Hauptquartier verlegt hatte. Corbyn schrieb über „die erschreckende Zahl von 2.100 palästinensischen Toten und 100 israelischen Opfern während der Operation Protective Edge“, und über die „besondere Rolle“ des britischen Imperialismus, was das Leid der Palästinenser angeht.

Heute ist Corbyn erneut damit beschäftigt, „Einheit“ mit seinen Verfolgern zu suchen, anstatt zum Gegenangriff auf sie zu blasen. Er verhandelt derzeit über die Verabschiedung der vollständigen Definition von Antisemitismus und der elf Beispiele, die die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), in diesem Kontext anführt. Damit soll antizionistische Opposition gegen Israel als eine Form des Antisemitismus definiert werden. Corbyn will nur ein Beispiel – wonach jede Kritik an der Staatsgründung Israels als „rassistisches Unterfangen“ antisemitisch ist – mit dem Vorbehalt versehen, dass Kritik an der Gründung Israels nicht unbedingt antisemitisch sein muss.

Auch das reicht seinen wichtigsten Unterstützern in der Momentum-Bewegung und der Gewerkschaftsbürokratie nicht aus. Sie wollen, dass er allen Beispielen ohne Einschränkung zustimmt.

Das Ergebnis all dieser Aufrufe zur Kompromissbereitschaft ist ein Ansporn für den rechten Flügel, der jede politische Opposition gegen die Verbrechen Israels kriminalisieren und jeglichen Widerstand gegen die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse unterdrücken will. Corbyns fauler Kompromiss mit einem, de facto, politischen Bündnis von Tories, Labour-Politikern und ihren Unterstützern in den Medien wird dazu dienen, die Finanzoligarchie und ihre Agenda – Sparpolitik, Militarismus und Krieg – zu stärken.

Loading