Wall Street: Weitere Kursverluste inmitten großer Schwankungen

Mit einem Einbruch von 546 Punkten ging der Ausverkauf an der Wall Street am Donnerstag weiter, nachdem der Dow Jones am Mittwoch um 832 Punkte abgesackt war. Der S&P-500-Index, eine entscheidende Richtgröße, brach um 2,1 Prozent ein und verzeichnete den sechsten Verlusttag in Folge.

Der Technologie-Index Nasdaq fiel um 1,3 Prozent. Zeitweise befand er sich im „Korrektur“-Modus, nachdem er um 10,3 Prozent gegenüber seinem Höchststand Ende August gefallen war. Doch dann erholte er sich leicht.

Alle wichtigen Indizes lagen am Donnerstag unter dem gleitenden 200-Tages-Durchschnitt, der als Schlüsselindikator für die Richtung des Marktes gilt.

Die neuerlichen Kursverluste an der Wall Street folgten auf erhebliche Verluste am Donnerstag an allen Börsen weltweit. Diese hatten auf den Einbruch in den USA am Tag zuvor reagiert. Die Börsen in London und Paris brachen beide um 1,9 Prozent ein, während die asiatischen Börsen noch schwerer getroffen wurden.

Die Kurse in Hongkong fielen um 3,5 Prozent, in Tokio um 3,9 Prozent, in Seoul um 4,4 Prozent und in Shanghai um 5,2 Prozent.

Der europäische Stoxx-600-Index erreichte mit einem Verlust von 1,7 Prozent einen Zwei-Jahres-Tiefststand. Die Börsen der Schwellenländer gaben um 2,7 Prozent nach und kamen damit auf einen Rückgang von mehr als 17 Prozent für dieses Jahr.

Die steigende Volatilität mit großen Schwankungen am Abend war wohl das wesentliche Merkmal, das die Wall Street an diesem Tag bestimmte. Von 14:38 bis 14:45 Uhr sackte der Dow um 260 Punkte ab, aber nur sieben Minuten später stieg er wieder um 198 Punkte. Eine Stunde später gab er wieder um 420 Punkte nach, bevor er mit einem Minus von 546 Punkten abschloss.

Im Verlauf von zwei Tagen haben sich die Verluste des Dows auf fast 1.400 Punkte oder mehr als fünf Prozent summiert. Nachdem er am 3. Oktober die Marke von 27.000 Punkten erreicht hatte, liegt der Dow jetzt nur noch bei knapp über 25.000.

Während der Unruhe am Aktienmarkt setzte US-Präsident Donald Trump mehrere Kommentare auf Twitter ab. Wahlweise beschrieb er die Geldpolitik der US-Notenbank zur Erhöhung der Zinsen als „crazy“ oder „loco“ (verrückt).

Trump schrieb, vom Vorgehen des US-Notenbankchefs, Jay Powell, sei er „enttäuscht“, denn das sei eine „aggressive“ Zinspolitik. Er werde ihn jedoch nicht absetzen.

Letzte Woche verwies Powell in einer Rede auf die Stärke der US-Wirtschaft und ließ erkennen, dass der Basiszinssatz der Fed noch einen langen Weg vor sich habe, bevor er ein neutrales Niveau erreichen werde. Das deutet darauf hin, dass die Notenbank im Lauf des Jahres eine weitere Erhöhung plant. Zusammen mit dem Anstieg der Rendite (Verzinsung) auf US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit gelten die Äußerungen von Powell als Auslöser für die Verkaufswelle an den Börsen.

Die Anhebung der Zinssätze durch die Fed wird auch von den Schwellenländern kritisiert. Sie sind in diesem Jahr mit Kapitalabflüssen konfrontiert, und viele warnen, diese Entwicklung könnte sich noch beschleunigen.

Sri Mulyani Indrawati, die Finanzministerin Indonesiens, erklärte dem Fernsehsender Bloomberg Television in Bali: „[Die USA] müssen berücksichtigen, dass ihre Politik sehr reale Auswirkungen auf sehr viele Länder hat.“ Indonesien war der Gastgeber des halbjährlichen Treffens des Internationalen Währungsfonds (IWF) in dieser Woche.

Indrawati erklärte, Indonesien habe in diesem Jahr seine Zinssätze fünfmal angehoben, um ein Abrutschen seiner Währung zu verhindern. Indonesien „trifft die richtigen Vorkehrungen, dennoch müssen wir sehr wachsam sein, da das globale Umfeld sich sehr rasch verändert“.

Trotz der Maßnahmen der Finanzbehörden ist die indonesische Rupie auf den niedrigsten Stand seit der asiatischen Finanzkrise von 1997–1998 gefallen. Indrawati erklärte, sie erwarte, dass die USA „eine Politik ausarbeiten, die ein günstigeres Umfeld für viele Schwellenländer schafft“.

Die geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, äußerte am Donnerstag ihre Besorgnis angesichts der Situation in den Schwellenländern. Sie erklärte, die Politiker in diesen Ländern müssten „sämtliche Werkzeuge“, die ihnen zur Verfügung stehen, einsetzen, um den Kapitalabfluss einzudämmen, der durch die restriktivere Geldpolitik der USA unausweichlich ausgelöst wird. Sie warnte außerdem vor den Folgen des Handelskriegs zwischen den USA und China.

Bei einer Zusammenkunft am Rande des IWF-Treffens hatte Lagarde schon zuvor darauf hingewiesen, dass man als Reaktion auf die globalen Turbulenzen Puffer schaffen müsse. Das sei jetzt notwendig. Sie erklärte: „Das sind nicht nur Wolken am Horizont, die wir sehen: Mehrere Wolken haben sich bereits geöffnet, und es ist mehr als nur ein Sprühregen.“

Die Financial Times berichtete, das IWF-Treffen sei von Diskussionen über die finanzielle Belastung dominiert, die die Wirtschaft der Schwellenländer treffe, und die an die asiatische Krise vor 20 Jahren erinnere.

Der IWF hat dem größten Hilfspaket in seiner Geschichte zugestimmt: einem Kredit in Höhe von 57 Milliarden Dollar für Argentinien. Außerdem wird ein Antrag Pakistans über einen Kredit von schätzungsweise sieben Milliarden Dollar geprüft.

Laut dem Bericht der Financial Times sehen IWF-Vertreter keine Anzeichen für eine Ansteckung.

In der Zeitung heißt es: „Dennoch wird befürchtet, dass Argentinien und Pakistan nur der Anfang sind, und dass der IWF in den kommenden Monaten gezwungen sein wird, über Kredite an weitere Länder mit Problemen zu entscheiden. Zu diesen Problemen gehören Abwertungen der Währungen, wachsende Finanzlöcher und Probleme bei der Schuldentilgung, die durch die steigenden Zinsen verschärft werden.“

Dazu kommt die wachsende Besorgnis, dass die USA die Weltwirtschaft mit ihrer Politik destabilisieren. Dies betrifft beispielsweise die Handelskriegsmaßnahmen gegen China nach dem Motto „America First“, den Rückzug aus dem Atomabkommen mit dem Iran und die Androhung von Sanktionen gegen Firmen, die weiterhin Handel mit dem Iran betreiben.

Lagarde ging am Donnerstag ebenfalls auf den Handelskrieg ein und erklärte, die Weltwirtschaft wachse auch weiterhin, sie habe jedoch jetzt ein Plateau erreicht und sei möglicherweise nicht stark genug, um Handelskriegen standzuhalten.

Sie erklärte: „Die eigentliche Frage ist: Ist die Wirtschaft stark genug? Meine Antwort darauf ist: ,möglicherweise nicht‘. Darüber hinaus sind einige der Risiken, die wir im April bei unserem Frühjahrstreffen hervorgehoben haben, jetzt Wirklichkeit geworden, vor allem die Risiken wachsender Handelsschranken. Wenn diese Spannungen zunehmen, wird die Weltwirtschaft schweren Schaden nehmen.“

Die meisten Analysten konzentrieren sich bei der Beurteilung des Einbruchs an der US-Börse auf spezifisch nationale Fragen. Andere weisen jedoch auf die Verschlechterung der globalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hin.

Kit Juckes, Stratege des französischen Finanzunternehmens Société Générale erklärte gegenüber der Financial Times: „Die US-Wirtschaft war fast das ganze Jahr 2018 über blind gegenüber der Veränderung in den globalen Wirtschaftszyklen, und auch als die Aktien und Währungen der Schwellenländer unter Druck gerieten, blieb der Aktienmarkt unberührt. In dieser Woche haben der S&P und der Nasdaq reagiert.“

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