Puerto Rico: Gouverneur tritt nach Protesten zurück

Der puertoricanische Gouverneur Ricardo Rosselló hat am Mittwochabend nach zweiwöchigen Protesten seinen Rücktritt angekündigt. Tausende von Demonstranten, die sich vor seiner Residenz La Fortaleza („Die Festung“) in der Altstadt von San Juan versammelt hatten, bejubelten diese Ankündigung.

Die Wut der Bevölkerung hatte sich in den letzten zwei Wochen immer weiter gesteigert. Anlass für die Proteste waren private Textnachrichten Rossellós und seines inneren Kreises, in denen er sich über die Opfer von Hurrikan Maria und der drakonischen Austeritätsmaßnahmen, die die amerikanische Finanzaufsichtsbehörde durchgesetzt, lustig machte. Ihren Höhepunkt erreichten die Proteste am Montag mit der größten Demonstration aller Zeiten in einem US-Außengebiet. Mindestens 500.000 bis eine Million Menschen, d.h. ein beträchtlicher Teil der 3,2 Millionen Inselbewohner, waren in San Juan auf der Straße.

Berichten zufolge, hatte Rosselló einen Großteil des letzten Tages, bevor er seinen Rücktritt ankündigte, damit verbracht, über eine mögliche Begnadigung zu verhandeln, falls er wegen Korruption schuldig gesprochen würde. Der Präsident des puertoricanischen Repräsentantenhauses Carlos Méndez Núñez, ein Mitglied von Rossellós Partido Nuevo Progresivo (PNP), beauftragte eine Gruppe von Anwälten, diese Frage zu untersuchen.

Diese Anwälte erklärten am Mittwoch, sie hätten fünf Straftaten gefunden, die ein Amtsenthebungsverfahren rechtfertigen würden, u.a. die Unterschlagung von öffentlichen Geldern und die Vernachlässigung seiner Amtspflichten. Das Parlament gab bekannt, dass es am Donnerstag eine Sondersitzung einberufen werde, um das Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, falls der Gouverneur nicht von sich aus zurücktrete.

Da die US-Kolonialverfassung von Puerto Rico keine vorgezogenen Neuwahlen vorsieht, wird der Gouverneursposten am 2. August an Justizministerin Wanda Vázquez übergehen. Sie ist ebenfalls Mitglied der PNP und wurde bereits in mehreren Fällen wegen unethischen Verhaltens angeklagt.

Im November 2018 warf ihr die Unabhängige Staatsanwaltschaft vor, sie habe sich in unangemessener Weise im Interesse ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes in einen Streit um Immobilien eingemischt. Beinahe wurde gegen sie als erste Justizministerin in der Geschichte Puerto Ricos schon ein Strafverfahren eröffnet. Schließlich wurde sie in einem Fall freigesprochen, während ihr Ehemann, der Oberste Richter Jorge Diaz Reveron, wegen angeblicher Beeinflussung eines potenziellen Zeugen befragt wurde.

Eine Vertraute von Wanda Vázquez, Valerie Rodríguez Erazo, ist eine „Lobbyistin“ und enge Freundin von Rosselló. Ihr Ehemann, Elías Sánchez, dessen Karriere, wie die von Rosselló, in der Jugendbewegung der PNP begann, die Regierung bei der Vergabe von Aufträgen beraten und dabei seine bevorzugten Klienten begünstigt. Laut einem Exposé des Zentrums für investigativen Journalismus vom 19. Juli ging es dabei auch um Hilfen für Hurrikan-Opfer. Die Verträge beinhalteten Provisionen von bis zu 25 Prozent der Vertragssumme und feste Vorschüsse von bis zu 50.000 Dollar pro Monat.

In den letzten Wochen sind mehrere hochrangige Funktionäre zurückgetreten und haben wie Ratten das sinkende Schiff verlassen. Unter ihnen befand sich am Dienstagabend der Stabschef des Gouverneurs. Nur wenige Tage zuvor hatte das FBI die bereits zurückgetretenen Kabinettsmitglieder Julia Keleher (ehemalige Bildungsministerin) und Angela Avila-Marrero (ehemalige Chefin der Krankenversicherung) verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, Verträge überbewertet und an bevorzugte Firmen vergeben zu haben.

Julia Keleher ist eine enge Verbündete von Trumps Bildungsministerin Betsy DeVos. Keleher hatte letztes Jahr 286 Schulen geschlossen, 5.000 Lehrer entlassen und die Zahl von Privatschulen erhöht. Das löste Streiks und Massenproteste aus. Finanzminister Raul Maldonado war nach einer staatlichen Untersuchung in seinem Ministerium zurückgetreten.

Trump und die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten haben sich von Rosselló distanziert. Das ganze Establishment ist in Angst und Schrecken, weil ein Politiker und Spross der Eliteschule MIT durch eine Massenbewegung, an der sich die Arbeiterklasse stark beteiligt, aus dem Amt gejagt worden ist. Um ihren demokratischen Willen und ihre sozialen Forderungen zu äußern, gehen Massen von Jugendlichen und Arbeitern auf die Straße. Sie haben keine andere Möglichkeit, um ihren Widerstand und ihre Abscheu über die Wirtschafts- und Finanzelite auszudrücken, welche die Gesellschaft ausplündert.

Wenn es möglich ist, Rosselló durch solche Massenaktionen abzusetzen, dann geht das auch mit Trump. In jedem Fall sind die Ereignisse in Puerto Rico eine starke Inspiration für ähnliche Aktionen auf dem amerikanischen Festland. Allerdings ist das auf keinen Fall im Sinne der Demokraten. Denn diese Entwicklung bedroht die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die die Demokraten ebenso verteidigen wie die Republikaner.

Das Establishment der Insel ist zwar verkommen und korrupt, es ist aber nichts im Vergleich mit den Investoren der Wall Street und ihren Söldnern in der Finanzaufsichtsbehörde. Präsident Obama hat sie 2016 eingesetzt. Hedgefonds wie GoldenTree und die Bostoner Baupost Group des Milliardärs Seth Klarman besitzen Aktien im Wert von über 50 Milliarden Dollar. Ihnen geht es jetzt darum, so viel wie möglich von ihren spekulativen Investitionen auf der Insel zu retten. Sie haben sich an der Plünderung der Rentenkassen, der Privatisierung des Schulsystems und dem Verkauf von öffentlichem Eigentum, z.B. der Stromversorgung, bereichert.

Das Establishment betrachtet die soziale Explosion in Puerto Rico als Hindernis für die uneingeschränkte Ausplünderung der Insel durch die großen Hedgefonds. Die Finanzaufsichtsbehörde fordert weiterhin, dass das Insel-Parlament Gesetzesentwürfe annimmt, die die Schuldenabbaupläne des US-Konkursgerichtes umsetzen.

Anfang des Monats hatte die Finanzaufsichtsbehörde einen Deal mit den Gläubigern abgeschlossen, der Rentenkürzungen für 300.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst vorsieht. Sie werden in individuelle Rentenkassen gedrängt, die an den Aktienmarkt gekoppelt sind. Puertoricanische Lehrer haben gegen den Deal gestimmt, obwohl die Gewerkschaft AFT sie aufgefordert hatte, mit „Ja“ zu stimmen. Die Abstimmung der pensionierten Lehrer steht noch bevor.

Die Aktionäre sind damit keineswegs zufrieden, sondern fordern noch mehr. In den letzten Tagen haben die Washington Post, das Wall Street Journal und andere führende Wirtschaftsmedien die Hoffnung geäußert, die weitere Diskreditierung des politischen Establishments der Insel würde die Position des staatlichen Konkursgerichts und der Finanzaufsichtsbehörde stärken, die auf der Insel nur als „Die Junta“ bekannt ist. In diesem Fall wäre es leichter, den Widerstand der Arbeiter gegen die drakonischen Austeritätsmaßnahmen zurückzudrängen.

Letzte Woche klagte die Washington Post in einem Leitartikel: „Die Effektivität der Aufsichtsbehörde ist beeinträchtigt“, und forderte: „Der Kongress sollte Maßnahmen ergreifen, um die Behörde zu stärken.“ Er sollte ihr ein Vetorecht gegen die Entscheidungen des Parlaments von Puerto Rico einräumen.

Bloomberg News schrieb in einem Kommentar zu den Massenprotesten: „Die Unruhe begann kurz bevor ein Bundesrichter am Mittwoch eine Anhörung über das Insolvenzverfahren startete, die von der Funktionsunfähigkeit der Regierung überschattet war. Diese könnte der Finanzaufsicht die Möglichkeit geben, ihre Macht zu konsolidieren und im Rahmen des seit zwei Jahren andauernden Insolvenzverfahrens weitergehende Haushaltskürzungen durchzusetzen. Die politische Krise und die Korruptionsermittlungen im Umfeld der Regierung könnten den Widerstand gegen solche Kürzungen verringern, wenn es ihnen gelingt, die Regierung als ineffizient und anfällig für zu hohe Ausgaben dastehen lassen. Auf diese Weise könnte mehr Geld für die Gläubiger freigegeben werden.“

Der Präsident von Advantage Business Consulting, Vicente Feliciano, erklärte gegenüber der Fachzeitschrift Bond Buyer, die Finanzaufsichtsbehörde sei „mit einer schwachen Regierung konfrontiert … Sie könnte also ihren Willen durchsetzen, solange sie im vertretbaren Rahmen bleibt.“ Der Direktor für Stadtforschung bei Evercore, Howard Cure, fügte hinzu: „Angesichts der Probleme der Regierung könnte sich die Finanzaufsicht dazu ermutigt fühlen, weitere unilaterale Entscheidungen zu treffen und zu hoffen, dass der Insolvenzrichter mit ihnen kooperiert, der der Regierung am wenigsten wohlwollend gegenübersteht.“

Die Aufsichtsbehörde veröffentlichte eine bodenlos heuchlerische Stellungnahme zu den Massendemonstrationen, in der es heißt: „Die Bevölkerung von Puerto Rico verdient eine gut funktionierende, nachhaltige Regierung, die mit Integrität und Transparenz regiert.“ Weiter hieß es, die Behörde hoffe, dass der „politische Prozess die derzeitige Führungskrise schnell lösen wird“.

Die Massen, die auf die Straße gegangen sind, sind jedoch nicht bereit, das Diktat der Wall Street länger zu akzeptieren. Zu den populärsten Parolen gehörte: „Ricky, tritt zurück und nimm die Junta mit!“

Die Finanzgeier, die Puerto Rico ausplündern, haben das gleiche schon mit Argentinien und anderen Ländern gemacht. Außerdem haben sie auch Detroit und andere Städte auf dem amerikanischen Festland ausgeplündert. Finanzinstitute äußern die Hoffnung, dass die Insolvenzsanierung von Puerto Rico einen Präzedenzfall schafft, um die öffentlichen Renten in finanziell knappen US-Bundesstaaten durch Bundesgerichte auszuhöhlen.

Die Arbeiterklasse in Puerto Rico kann die Diktatur der Wall Street nur brechen, wenn sie den Kampf gemeinsam mit den Arbeitern auf dem Festland und auf der ganzen Welt führt.

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