Busstreik im Saarland geht weiter

Seit über zwei Wochen streiken die Busfahrer der kommunalen Verkehrsbetriebe im Saarland. In Saarbrücken, Neunkirchen, Völklingen und Saarlouis kämpfen rund tausend Beschäftigte, 700 Fahrerinnen und Fahrer und 300 Werkstätten- und Büroangestellte, für bessere Löhne und weniger Arbeitsstress.

Demonstration von Streikenden durch Saarbrücken am 9. Oktober mit Stahlarbeiter-Delegation (hinten)

Unter lautstarkem Protest zogen am gestrigen Mittwoch die Streikenden durch Saarbrücken. Auch Stahlarbeiter der von Stellenabbau bedrohten Werke Saarstahl-Völklingen und Dillinger Hütte verstärkten den Busfahrer-Zug. Am Dienstagabend war ein Versuch der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und des Kommunalen Arbeitgeberverbands (KAV) zur Beendigung des Streiks gescheitert. Am späten Dienstagabend wurden die Verhandlungen in Neunkirchen auf Montag, den 14. Oktober, vertagt.

Bezeichnend war eine Szene am Dienstagabend, als Verdi-Verhandlungsführer Christian Umlauf aus der Sitzung kam, die im Neunkirchner Busbetriebshof zwölf Stunden lang hinter verschlossenen Türen tagte. Sofort war er von Streikenden umringt. Umlauf versuchte zu erklären, Verdi sei dabei, „hart zu verhandeln“, und setzte hinzu: „Man kriegt nicht immer, was man will.“ Darauf die Stimme eines Busfahrers aus den hinteren Reihen: „Saarbrücken, wir halten durch!“

Seit über zwanzig Jahren haben sich die Arbeitsbedingungen der Fahrerinnen und Fahrer verschlechtert. Durch Gesetze auf EU-, Bundes- und Länderebene wurden die bis dahin öffentlichen Betriebe privatisiert oder in profitwirtschaftlich funktionierende Unternehmen verwandelt. Mit Zustimmung von Verdi, deren Funktionäre in allen Aufsichtsräten sitzen, wurden die Arbeiter 2009 einem harten Sparkurs ausgesetzt. Im Ergebnis wurde der Öffentliche Personen-Nahverkehr (ÖPNV) in einen Flickenteppich verwandelt, bei dem viele unterschiedliche Wirtschafts- und Arbeitsverhältnisse nebeneinander bestehen.

Eine Studie der Arbeitskammer Saarland listet mindestens 19 verschiedene, im Saarland aktive Verkehrsunternehmen auf. Wie es darin heißt, sei „die Gemengelage im Regionalverband Saarbrücken sehr schwierig und selbst für langjährige Kenner der Szene kaum zu durchschauen“.

Heute setzen die kommunalen Verkehrsverbände oft Privatbetriebe als Subunternehmer ein, die noch schlechtere Löhne zahlen. Vor zehn Jahren wurden auch für diejenigen, die weiter im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, die Tariflöhne massiv abgesenkt. Heute fehlt es überall an Personal, und die Busfahrerinnen und Fahrer, die werktags wie sonntags und rund um die Uhr arbeiten müssen, sind andauerndem Stress ausgesetzt. Wegen der unbezahlten Pausenzeiten bekommen sie oft für neun oder zehn Stunden nur sieben Stunden bezahlt. Manch einer von ihnen muss darüber hinaus noch beim Arbeitsamt „aufstocken“, weil der Nettolohn zum Leben nicht reicht.

Aus diesem Grund ergab eine Abstimmung am 26. September fast hundert Prozent (99,6%) Zustimmung zu einem unbefristeten Erzwingungsstreik. Darin zeigt sich das neue Aufleben des Klassenkampfs, das immer weitere Arbeiterschichten ergreift. In der gleichen Woche, als der Busstreik begann, demonstrierten auch tausende Stahlarbeiter gegen den geplanten Arbeitsplatzabbau, und jenseits der französischen Grenze streikten Eisenbahner gegen die Angriffe der Macron-Regierung. In den USA streiken fast 50.000 Autoarbeiter von General Motors.

Verdi versucht, den Busstreik im Saarland zu isolieren und auf Sparflamme zu halten, um einen Flächenbrand zu verhindern. Die Funktionäre aus der Gewerkschaftszentrale weigern sich, weitere Beschäftigte in den Kommunalen Betrieben, wo viele Tausende arbeiten, zu Solidaritätsmaßnahmen aufzurufen. Sie haben auch die privaten Busfahrer im Saarland nicht zu gemeinsamen Aktionen aufgefordert, obwohl diese in den letzten Monaten ihre Streikbereitschaft mehrfach unter Beweis gestellt haben. Stattdessen hat Verdi akzeptiert, dass die Fahrer der Subunternehmer als Streikbrecher missbraucht werden.

Schon am ersten Streiktag wurde der Streikbruch gegen die Arbeiter durchgesetzt. Als die Fahrer die Zufahrt zum Omnibushof in der Saarbrücker Malstatter Straße durch einen quergestellten Bus blockierten, ließ die Geschäftsleitung einen Abschleppunternehmer mit schwerem Bergungsgerät kommen. Doch auch dieser musste unverrichteter Dinge wieder abrücken: Zu viele Streikende standen um den Bus herum und verhinderten die Abschleppaktion. Erst ein Machtwort der Streikleitung erreichte, dass der Bus weggefahren wurde und die Streikbrecher-Busse den Betriebshof verlassen konnten.

Zwei Tage später schrieb Verhandlungsführer Umlauf offiziell: „Wir werden ab morgen die privaten Busfahrer, die im Dienste der Öffentlichen Verkehre fahren, nicht zum Streik aufrufen. Diese sollen dann nach unserer Vorstellung wenigstens Schülerverkehre bedienen.“ Seit Oktoberbeginn werden noch weitere „berufswichtige“ Strecken mit offizieller Genehmigung von Verdi befahren.

Bei den Forderungen der Busfahrer nach einem vernünftigen Lohn macht Verdi gewaltige Zugeständnisse. Die Verhandlungsführerin der Kommunalen Arbeitgeber, Barbara Beckmann-Roh, hatte erklärt, ein Grundlohn von 2800 Euro brutto werde gewährt – allerdings erst in fünf Jahren. Bis dahin solle „Friedenspflicht“ herrschen. Das heißt, die Beschäftigten sollen sich jedes Jahr mit einem Almosen von gerade mal 85 Euro brutto im Monat mehr begnügen und fünf Jahre lang auf Streik verzichten.

Am Montag stimmte Verdi diesem Vorschlag im Prinzip zu, nur dass der Monatslohn von 2800 Euro brutto nicht erst nach fünf, sondern nach drei Jahren gewährt werden soll – eine Lösung, die den Busfahrerinnen und Fahrern ebenfalls einen billigen Knebelvertrag mit langer Laufzeit aufs Auge drücken würde. Sobald es zu einer Einigung mit den Kommunalen Arbeitgebern komme, werde die Urabstimmung eingeleitet, sagte Verdi-Sprecher Dennis Dacke. Stimmten mindestens 25 Prozent dafür, gelte das Angebot als angenommen, und der Streik werde beendet.

In einem Offenen Brief richtete sich Verdi an die Arbeitgeberseite: „Liebe Verantwortliche, gießt kein Öl ins sprichwörtliche Feuer, hört auf zu boykottieren, kommt an den Verhandlungstisch zurück. Wir sind auf euch 19 Monate in der Laufzeitfrage zugekommen. Ihr erst 5 Monate auf uns. Wir sind diejenigen, die schon letzte Woche die Schülerverkehre angeboten haben.“ Dass Verdi einen „Erzwingungsstreik“ selbst gar nicht will, macht die Gewerkschaft an dem folgendem Satz deutlich: „Verhandeln statt verschärfen muss das Motto der Stunde sein.“

In dem gleichen Offenen Brief wird auch die lokalpatriotische und nationalistische Herangehensweise der Gewerkschaft deutlich. Sie schreibt: „Das Saarland ist im Strukturwandel. Das Saarland muss vorangehen. Das Saarland muss sich fit für die Zukunft machen.“ Das ist genau die offizielle Linie der Politiker, die den Aktionären und Heuschrecken zuarbeiten, die von der Privatisierung der öffentlichen Verkehrsbetriebe, einem Sektor mit Milliardenbudget, seit zwanzig Jahren profitieren.

Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP), die der Vierten Internationale angehört, kämpfen seit langem dafür, dass die Arbeiter unabhängige Aktionskomitees aufbauen. Wenn sie wirklich ihre Interessen gegen die Profitgier der Heuschrecken verteidigen wollen, dann müssen sie der rückständigen Standortpolitik der Gewerkschaftsbürokraten ein internationales, sozialistisches Programm entgegensetzen.

„Ein ernsthafter Kampf gegen die miserablen Arbeitsbedingungen, die unerträgliche Arbeitshetze, die Lohnspaltung in Alt- und Neubeschäftigte und den Niedergang der Verkehrsinfrastruktur kann nicht mit, sondern nur gegen Verdi organisiert werden“, schrieb im April 2019 der Berliner Busfahrer Andy Niklaus, der im BVG-Streik für dieses Programm kämpfte, in einem Aufruf an seine Kolleginnen und Kollegen. Und weiter: „Die Gewerkschaften versuchen die Kämpfe in den einzelnen Ländern bewusst getrennt voneinander zu halten und zu unterdrücken.“ Verdi stehe nicht auf der Seite der Arbeiter, sondern auf der Seite der Unternehmen und der Großen Koalition in Berlin.

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