Bestechungsklage von GM gegen Fiat Chrysler: Wachsende Empörung der Autoarbeiter über Korruption der Gewerkschaft

Durch neue brisante Enthüllungen weitet sich der Korruptionsskandal um die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) zusehends aus.

Am frühen Abend des 20. November 2019 kündigte General Motors an, es werde gegen Fiat Chrysler Automobiles (FCA) klagen. Der Vorwurf lautet, FCA habe sich durch die umfangreiche Bestechung von UAW-Funktionären und die Verwandlung der Gewerkschaft in ein „von FCA kontrolliertes Unternehmen“ unfaire Wettbewerbsvorteile verschafft. Später am gleichen Tag kündigte UAW-Präsident Gary Jones, bis dahin in bezahltem Urlaub, seinen Rücktritt an. Zuvor hatte der Vorstand der UAW Maßnahmen eingeleitet, um ihn und den Direktor der Region 5, Vance Pearson, abzusetzen.

Der ehemalige UAW-Präsident Gary Jones (links) und Mark Stewart, Vorstandschef von Fiat Chrysler Automobiles North America, zu Beginn der Tarifverhandlungen in Auburn Hills (Michigan) (Quelle: AP Photo/Paul Sancya)

Diese Entwicklungen treiben die Krise um die UAW auf die Spitze und werfen weiteres Licht auf ihre inzestuösen Beziehungen zu den drei großen Detroiter Autobauern.

Vor allem die 95-seitige Klageschrift der GM-Anwälte fördert bisher unbekannte Details über die Bestechung von UAW-Funktionären durch Fiat Chrysler zu Tage. Darin heißt es u.a., die UAW und FCA hätten geheime Abkommen unterzeichnet, durch die Einschränkungen für die Beschäftigung von Niedriglöhnern außer Kraft gesetzt und Krankenversicherungsleistungen gesenkt wurden. UAW-Vorstände hätten sich außerdem während der (gescheiterten) Bemühungen um eine Fusion mit GM als Laufburschen des Unternehmens betätigt.

In der Klage heißt es weiter, dass der mittlerweile verstorbene FCA-Vorstandschef, Sergio Marchionne, persönlich Vorstandsmitglieder angewiesen hat, Gewerkschaftsfunktionäre zu bestechen, um die Arbeitskosten zu senken. Und dies mit beachtlichem Erfolg: Chrysler hatte 2006 die höchsten Gesamtarbeitskosten aller amerikanischen Autobauer, heute sind es mit 55 Dollar pro Stunde die niedrigsten (bzw. acht Dollar weniger als bei General Motors). FCA beschäftigt von den Detroiter Autokonzernen auch die meisten Arbeitskräfte zu Niedrigtarifen und mit befristeten Verträgen.

Das Timing der Klage – mitten in den Tarifverhandlungen zwischen FCA und der UAW und den Verhandlungen über eine Fusion mit dem französischen Autobauer Peugeot (PSA) – kann kein Zufall sein, auch wenn GM das Gegenteil behauptet. Die Presse spekuliert bereits, dass PSA wegen der Unsicherheit aufgrund der Klage sein Fusionsangebot nach unten korrigieren könnte. Analysten beschreiben es allgemein als äußert großzügig für FCA.

Die Klage ist Teil eines rücksichtslosen Kampfs um Marktanteile in der Autoindustrie vor dem Hintergrund eines beschleunigten globalen Wirtschaftsabschwungs. Auf einen Einbruch der Neuwagenverkäufe in Europa und Amerika folgte der Zusammenbruch der Nachfrage in Schwellenmärkten wie Indien und China. Im Jahr 2019 wurden weltweit bereits Hunderttausende Autoarbeiter entlassen.

Ein weiterer Faktor für den Abschwung ist der Handelskrieg zwischen Washington und China. Die Einführung von Zöllen wird zwar mit dem Schutz der amerikanischen Industrie gerechtfertigt, droht jedoch, die Autobauer aus dem wichtigen chinesischen Markt auszusperren und die komplexen globalen Lieferketten zu unterbrechen.

Ein potenzielles Risiko für den Zusammenschluss von FCA und PSA besteht darin, dass der chinesische Autobauer Dongfeng einer der Hauptaktionären von Peugeot ist. Dongfeng hat im Jahr 2014 14 Prozent des französischen Unternehmens erworben. Die Trump-Regierung hat deshalb angekündigt, sie werde die geplante Fusion von FCA und PSA überprüfen. Ihr Wirtschaftsberater Larry Kudlow erklärte gegenüber Bloomberg Television: „Wir müssen sicherstellen, dass etwaige wirtschaftliche Entwicklungen Chinas weder unsere Wirtschaft noch unsere nationale Sicherheit gefährden.“

Es ist noch unklar, woher General Motors die zuvor unbekannten Informationen hat, auf denen die Klage beruht. Allerdings veröffentlichte das Branchenblatt Automotive News am 22. November 2019 einen Bericht, laut dem sie möglicherweise vom ehemaligen Fiat-Chrysler-Vorstand Alphons Iacobelli stammen. Dieser verbüßt momentan eine fünfeinhalbjährige Haftstrafe für seine Rolle im UAW-Bestechungsskandal.

Im Januar 2016 wechselte Iacobelli von FCA zu General Motors, wo er als leitender Direktor für die Beziehungen zur Gewerkschaft zuständig war. Ende 2017 wurde er vor einem Bundesgericht wegen Bestechung angeklagt.

Automotive News schrieb: „Er wusste genau, was hier passiert ist; er hat bei allen Geschäften zwischen FCA und UAW eine Schlüsselrolle gespielt. Die GM-Vorstände hatten also mehrere Monate Zeit, um umfassend informiert zu werden. Hat er zu irgendwem bei GM etwas gesagt? Was wissen sie? Wurde irgendetwas von diesem Wissen für die Klage gegen FCA benutzt?“

Weiter hieß es: „Dieses Gerichtsverfahren könnte zu einem Footballspiel zwischen zwei Teams werden, bei dem ein Trainer im Besitz des Strategiebuchs des gegnerischen Teams ist. GM hat möglicherweise alle Beweise, die es braucht, um FCA und seinen Freier [den französischen Autobauer Peugeot] in eine sehr unangenehme Lage zu bringen.“

Die Klage hat zwar wichtige Informationen zu Tage gefördert, aber General Motors geht es natürlich nicht um die Verteidigung der Rechte der Fiat-Chrysler-Arbeiter. General Motors unterhält selbst korrupte Beziehungen zur UAW. Die Gewerkschaft hält GM-Aktien im Wert von mehreren Milliarden und hat somit einen direkten finanziellen Anreiz, die Kosten bei GM zu senken.

Durch das gemeinsam mit der UAW unterhaltene Schulungszentrum „Center for Human Resources“ (CHR), das als Zentrum der Gewerkschaftskorruption berüchtigt wurde, hat General Motors jahrzehntelang Milliarden in die Kassen der Gewerkschaftsbürokratie geschleust. Am gleichen Tag, an dem GM seine Klage bekanntgab, erschienen in der Presse Berichte, laut denen sich der ehemalige Vizepräsident von UAW-GM, Joe Ashton, der auch im GM-Vorstand sitzt, für schuldig bekennen wird, mittels CHR-Verträgen ein Nebeneinkommen in Höhe von Hunderttausenden Dollar bezogen zu haben.

Außerdem haben die Maßnahmen des UAW-Vorstands weitere Details über die Korruption des ehemaligen Präsidenten Gary Jones ans Licht gebracht. Laut den offiziellen Vorwürfen hat Jones u.a. im Januar 2014 einen Urlaub für seine Tochter und seine Frau in einer Wintervilla in Palm Springs mit Gewerkschaftsgeldern finanziert.

Jones, der damals Direktor der UAW-Region 5 war, organisierte in Palm Springs aufwendige Kurzurlaube für führende UAW-Funktionäre, mit teuren Getränken, endlosen Golfpartien und Fünf-Sterne-Mahlzeiten. All das wurde als Konferenz getarnt. Es war gängige Praxis, dass die UAW nach den Konferenzen für hohe Funktionäre noch wochenlang Privatvillen anmietete. Dafür gab sie Geld aus Mitgliedsbeiträgen in fünfstelliger Höhe aus.

Diese Vetternwirtschaft war nicht auf Jones beschränkt, sondern ist in der ganzen UAW üblich. So ist der Sohn des amtierenden Präsidenten Rory Gamble, der letzte Woche eine Reihe von vermeintlichen „Reformen“ zur Korruptionsbekämpfung vorgestellt hat, als Bevollmächtigter im National Training Center von UAW und FCA tätig.

Die Entwicklungen der letzten Woche treiben die Stimmung unter den Autoarbeitern auf den Siedepunkt, vor allem bei Fiat Chrysler. Vor vier Jahren standen die FCA-Beschäftigten an der Spitze einer Rebellion der Belegschaft gegen die Zugeständnisse der UAW, indem sie zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten gegen einen nationalen Tarifvertrag stimmten. Jetzt fordert Fiat Chrysler laut Presseberichten noch viel weitergehende Zugeständnisse als diejenigen, die letzten Monat bei GM und Ford beschlossen wurden.

Die UAW-Chefunterhändlerin bei den Verhandlungen mit FCA, Cindy Estrada, wird in der Klage von GM als eine Gewerkschaftsfunktionärin genannt, die bei Marchionnes Übernahmeangeboten an General Motors als dessen Botin agierte. Sie hat bereits in ihrer Zeit bei der GM-Sparte von UAW die Feindschaft der Autoarbeiter auf sich gezogen, als sie geheime Memoranden verfasste, um die regulären Arbeiter in den Fertigungswerken Lordstown und Lake Orion durch Leiharbeiter zu ersetzen.

Die UAW-Funktionäre fürchten eine neue Rebellion. Gegenüber der Detroit Free Press sprachen sie über die gärende Wut der Autoarbeiter angesichts der Erkenntnis, dass die ganze Organisation von oben bis unten korrupt ist. Der Vorsitzender einer lokalen Gewerkschaftsniederlassung erklärte: „Die Arbeiter sagen, ich sei korrupt, weil die [Funktionäre] über mir korrupt sind.“ Ein Mitglied des GM National Council der Gewerkschaft erklärte: „Ich glaube, es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle die Ruhe bewahren.“

Der Autoworker Newsletter der WSWS ruft dazu auf, in den Fabriken Aktionskomitees zu bilden, die unabhängig von und in Opposition zur UAW handeln. Die Autoarbeiter sollten Treffen organisieren, um über die Fakten zu diskutieren, die die Klage von GM enthüllt hat. Notwendig ist eine unabhängige internationale Strategie für den Kampf gegen die drei großen Autokonzerne.

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