Zehntausende Entlassungen in der Autoindustrie

Aktionstag der IG Metall in Stuttgart

Am vergangenen Freitag organisierte die IG Metall einen Aktionstag auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Sie reagierte damit auf die wachsende Wut der Beschäftigten der Auto- und Zulieferindustrie über die Gewerkschaft und ihre Betriebsräte, die beim Abbau zehntausender Arbeitsplätze im Rahmen der Umstellung auf Elektromobilität eng mit dem Management zusammenarbeiten. Die Arbeiter verstehen immer besser, dass die hochbezahlten Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsräten nicht ihre Interessen vertreten.

Aktionstag der IGM in Stuttgart

Stuttgart zählt zu den wichtigsten Zentren der deutschen Autoindustrie, aber der Widerstand gegen Unternehmen, Gewerkschaften und die Große Koalition entwickelt sich in ganz Deutschland. Die Autoproduktion ist mit 820.000 Arbeitsplätzen bei den Herstellern und Zulieferern Deutschlands wichtigste Industrie. Etwa noch einmal so viele arbeiten im Verkaufs-, Reparatur- und Servicebereich. Damit wirkt sich die Umstellung auf Elektromobilität, die von den Konzernen gezielt genutzt wird, um ihre Profite zu steigern, unmittelbar auf die Zukunft von eineinhalb Millionen Menschen aus.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem kein großes und kleines Unternehmen in Baden-Württemberg Entlassungen und Einsparungen ankündigt. Bosch, der führende Zulieferer, hat in diesem Jahr bereits 2500 Arbeitsplätze eliminiert. Bis 2022 sollen 3000 weitere in Schwäbisch Gmünd, Feuerbach und an anderen Standorten folgen. Auch bei Mahle, Mann+Hummel and Marquardt haben in diesem Jahr schon 3000 Arbeiter ihren Arbeitsplatz verloren. Bundesweit planen Continental den Abbau von 7000, ZF Friedrichshafen von 2300 und Schaeffler von 700 Arbeitsplätzen.

Am gestrigen Dienstag hat auch Audi angekündigt, bis 2025 9500 der insgesamt 61.000 Arbeitsplätze in Deutschland abzubauen und im Gegenzug 2000 Fachleute für E-Mobilität und andere Zukunftsfelder einzustellen. Darauf habe sich das Unternehmen nach mehrmonatigen Verhandlungen mit dem Betriebsrat geeinigt.

Durch das Sparprogramm will Audi, das zum VW-Konzern gehört, rund sechs Milliarden Euro erwirtschaften und so die Zielrendite von neun bis elf Prozent sichern. Audi versucht im Konkurrenzkampf wieder Anschluss mit den beiden anderen Oberklasseherstellern, Mercedes und BMW, zu finden, die ebenfalls massive Entlassungs- und Sparmaßnahmen durchführen.

Der angekündigte Abbau ist nur der Anfang eines beispiellosen Jobmassakers. Allein in Baden-Württemberg arbeiten 470.000 in der Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Das Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach hat berechnet, dass in den kommenden zehn Jahren 10 bis 15 Prozent der Arbeitsplätze in der Autoindustrie ersatzlos wegfallen werden.

Am Ende könnten es noch wesentlich mehr sein. Die Unternehmen machen das Ausmaß des Abbaus davon abhängig, dass ihre Profitrate steigt. Professor Oliver Falck, Automobilexperte am Ifo-Institut, sagte: „Wie viele dieser Stellen verloren gehen, hängt davon ab, wie viele der weltweit künftig nachgefragten Elektroautos in Deutschland gebaut werden. Und wie schnell die Zunahme der Elektromobilität geht.“

Daimler-Arbeiter in Sindelfingen, Untertürkheim und Mettingen, mit denen die WSWS in den vergangenen Wochen sprach, haben berichtet, dass unter den Kollegen Angst und Unsicherheit herrscht, weil alle um ihren Arbeitsplatz fürchten. Es gebe Pläne, die Produktion zu verändern, aber weder das Management noch die IG Metall informierten sie darüber. Viele äußerten ihre Wut über die Zusammenarbeit der IG Metall mit dem Management.

Bei Daimler Untertürkheim, wo Verbrennungsmotoren produziert werden, verhandelt der Betriebsrat seit Mitte Oktober über die Zukunft der 19.000 Arbeitsplätze. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Zugeständnisse den Arbeitern abverlangt werden, damit der elektrische Antriebsstrang (EATS), bestehend aus Elektromotor, Getriebeteilen und Leistungselektronik, zukünftig in diesem Werk produziert wird.

Der Betriebsratsvorsitzende Michael Häberle sagte einen Monat vor Beginn der Verhandlungen: „Wenn wir dieses Produkt nicht herholen, werden wir auf lange Sicht Arbeitsplätze verlieren.“

Drei Monate später sagte derselbe Häberle auf dem Stuttgarter Aktionstag mit dem üblichen gewerkschaftlichen Getöse: „Lange Zeit war ich mir sicher, dass das Unternehmen diese Dringlichkeit ebenfalls erkennt und hinter unserem Standort steht.“ Aber während der Verhandlungen sei ihm klar geworden, dass die gegenwärtige Finanzlage „die Weitsicht unsere Vorstands wohl vernebelt“ habe.

Häberle, der selbst im Aufsichtsrat sitzt und bei den Entscheidungen des Vorstands mitwirkt, deutete an, dass der Standort Untertürkheim nicht sicher sei und er dem Abbau von Arbeitsplätzen bereits zugestimmt habe. „Anstatt mit uns Zukunftsperspektiven zu entwickeln, verkünden etliche Unternehmen Stellenstreichungen und Produktionsverlagerungen“, jammerte er.

Das stellt die Dinge auf den Kopf. In Wirklichkeit hat die IG Metall im Namen ihrer „Zukunftsperspektiven“ bereits grünes Licht für den Abbau von mehr als zehntausend Arbeitsplätzen bei Bosch, Mahle, Continental, ZF und Schaeffler gegeben und wird dies auch bei Daimler tun.

Auf dem Stuttgarter Schlossplatz bot IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger den Konzernen erneut die Dienste der Gewerkschaft an: „Alle Arbeitgeber müssen wissen: Zukunftsgestaltung geht nur gemeinsam“, sagte er. „Der Wandel kommt, und wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken.“

Ganz ähnlich äußerte sich der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Südwestmetall. Peer-Michael Dick sagte der Tagesschau vor dem Aktionstag: „Die Beschäftigen müssen bei dieser Transformation mitgehen, sie müssen für Veränderungen bereit sein, sie müssen sich weiterbilden. Es werden aber auch Arbeitsplätze wegfallen, da müssen wir als Arbeitgeber, aber auch die IG Metall ehrlich sein. Unqualifizierte Menschen, schlecht qualifizierte Menschen und einfache Arbeitsplätze, die werden im Transformationsprozess verloren gehen.“

Der Stuttgarter Zeitung sagte Dick, die IG Metall müsse in der Tarifrunde, die Anfang 2020 beginnt, Zugeständnisse machen: „Ohne Verzicht wird die Transformation nicht gelingen.“ Es gehe um mehr als einen Abschluss, es gehe „um die Zukunft der Sozialpartnerschaft“. Laut Zitzelsberger verhandelt die IG Metall bereits jetzt in 160 baden-württembergischen Metallbetrieben über Sparprogramme bis hin zum Personalabbau.

Die Aussagen von Dick, Häberle und Zitzelsberger müssen als Warnung verstanden werden. Trotz der üblichen gewerkschaftlichen Rhetorik vertritt die IG Metall im Transformationsprozess nicht die Interessen der Arbeiter. Als Partnerin der Autokonzerne plant sie die sozialen Angriffe und in den Betrieben fungiert sie als Polizei, die jede unabhängige Kampfaktion dagegen unterdrückt und die Arbeiter einschüchtert.

DieStuttgarter Zeitung schrieb, in der gegenwärtigen Krise habe die Arbeitsplatzsicherheit höchste Priorität, und nicht ein „deutlicher Lohnzuwachs”: „In hohem Tempo wirft die Gewerkschaft das Ruder herum – gut so. Jetzt muss sie noch all ihre Mitglieder vom neuen Kurs überzeugen. … Im schlimmsten Fall droht dem Standort Baden-Württemberg eine schleichende Deindustrialisierung.“

Tatsächlich ist es die Zusammenarbeit der IG Metall mit den Konzernen, die zur Deindustrialisierung führt. Die Folgen wäre verheerend für hunderttausende Arbeiter und ihre Familien. Sie können nur verhindert werden, wenn die Arbeiter die Kontrolle über die Produktion übernehmen.

Die Einführung neuer Technologien wie der E-Mobilität und der Künstlichen Intelligenz in den Produktionsprozess ist eine fortschrittliche Entwicklung, die die Arbeitsbelastung im Produktionsprozess mindern und den Lebensstandard aller erhöhen könnte. Die Voraussetzung dafür ist, das die Arbeiter selbst die Kontrolle über die Produktion übernehmen.

Sie müssen eigene unabhängige Komitees aufbauen, die sich national und international mit anderen Fabrikkomitees zusammenschließen. Die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Schwesterparteien im Intenationalen Komitee der Vierten Internationale kämpfen für diese Perspektive. Wir rufen Arbeiter auf, über die World Socialist Web Site Kontakt mit uns aufzunehmen und Arbeiterkomitees in den Fabriken aufzubauen.

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