Finanzamt entzieht Verfolgten des Naziregimes die Gemeinnützigkeit

Das Berliner Finanzamt hat einem der größten und traditionsreichsten antifaschistischen Vereine der Bundesrepublik, der 1947 gegründeten überparteilichen und überkonfessionellen VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten), den Begünstigungsstatus der Gemeinnützigkeit aberkannt.

Die Entscheidung könnte im Ergebnis einem kalten Verbot gleichkommen. Der Status der Gemeinnützigkeit ermöglicht es Spendern, ihre finanziellen Zuwendungen bis zu einer bestimmten Höhe steuerlich geltend zu machen und so einen Teil des gespendeten Geldes wieder zurückzubekommen. Auch für den Zugang zu Fördergeldern von Stiftungen, von anderen gemeinnützigen Vereinen oder aus staatlichen Programmen ist die Gemeinnützigkeit eine Grundvoraussetzung.

Gerade Vereine mit antifaschistischen, sozialen oder Umweltschutz-Zielen sind oft auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen, da sie naturgemäß vom Staat oder großen Unternehmen wenig Unterstützung bekommen. Umgekehrt können große Unternehmen Lobbyarbeit als Sponsoring steuerlich absetzen.

Inwieweit die Arbeit des VVN weitergehen könne, sei nicht abzusehen, sagte VVN-BdA-Bundesgeschäftsführer Thomas Willms der Frankfurter Rundschau: „Wer sich jetzt freuen kann, ist die AfD.“

Die VVN-BdA wird laut Willms Widerspruch gegen den Bescheid des Berliner Finanzamtes einlegen. Der Entzug der Gemeinnützigkeit bedeutet, dass der Verein für 2016 und 2017 Steuern in fünfstelliger Höhe nachzahlen muss. Willms fürchtet, dass noch Mehrwertsteuerforderungen hinzukommen, „und die Bescheide für 2018/2019 stehen noch aus“.

Die VVN war 1947 kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges von Widerstandskämpfern und Überlebenden der Konzentrationslager und Gefängnisse der Nazis gegründet worden. Bekannte Führungsmitglieder waren bzw. sind Kurt Goldstein, Esther Bejarano und der erste Präsident des Zentralrates der Juden, Heinz Galinski. Auch die Schriftsteller Eugen Kogon und Victor Klemperer waren zeitweise VVN-Mitglieder.

Die Organisation hat sich seither vor allem mit Aufklärungs- und Bildungsarbeit gegen faschistische, militaristische und neurechte Bestrebungen sowie gegen die Präsenz von alten Nazis in staatlichen und gesellschaftlichen Funktionen gewandt. Schon früh war sie deshalb in der Bundesrepublik verfolgt und mit Verbotsversuchen überzogen worden.

So wurde der Rat der VVN 1951 von der Adenauer-Regierung verboten. Die Umsetzung des Verbots scheiterte aber teilweise an den Verwaltungsgerichten. 1959 unternahm die Bundesregierung einen erneuten Versuch, die VVN zu verbieten. Doch der Prozess beim Bundesverwaltungsgericht wurde 1962 nach zwei Verhandlungsterminen abgebrochen, weil die zuständigen Richter und Staatsanwälte eine Nazi-Vergangenheit hatten.

Der von den Nazis verfolgte Widerstandskämpfer August Baumgarte (ein Überlebender des KZ Mauthausen) legte in der Verhandlung Dokumente vor, die zeigten, dass der Vorsitzende Richter und Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Fritz Werner, schon vor 1933 der NSDAP und der SA beigetreten und später zum höheren SA-Führer berufen worden war. Der Anwalt der Bundesregierung, Hermann Reuß, war ebenfalls ehemaliges NSDAP-Mitglied und unter den Nazis als Richter tätig gewesen.

Vom Verfassungsschutz wurde der VVN trotzdem weiter als „Beobachtungsobjekt“ geführt und als „linksextremistisch“ denunziert und bespitzelt, was für seine Mitglieder oft faktisch ein Berufsverbot im öffentlichen Dienst bedeutete. In den letzten Jahren wurde der VVN nur noch im Verfassungsschutzbericht von Bayern erwähnt, in dem es heißt, der VVN-BdA sei die „bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus“ und verfolge einen „kommunistisch orientierten Antifaschismus“.

Mit diesem Bericht hatte bereits das Finanzamt Oberhausen-Süd den Entzug der Gemeinnützigkeit für den Landesverband der VVN-BdA in NRW begründet. Es stützte sich dabei auf § 51 Absatz 3 der Abgabenordnung, wonach Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als „extremistische Organisation“ aufgeführt werden, nicht als gemeinnützig steuervergünstigt seien. Anders als das Berliner Finanzamt folgte das Oberhausener jedoch der Argumentation der VVN und revidierte seine Entscheidung.

Das Berliner Finanzamt hingegen hat entschieden, die Bundesvereinigung der VVN-BdA habe den Vorwurf der linksextremistischen Beeinflussung nicht widerlegen können. Es dreht damit die Beweislast um. Der VVN-BdA soll seine Unschuld beweisen, und zwar gegenüber einem Inlandsgeheimdienst, dessen Entscheidungen völlig intransparent sind und der seit seiner Gründung mit alten Nazis durchsetzt ist. „Wir müssen vollumfänglich beweisen, dass die aufgestellten Behauptungen falsch sind. Das läuft nach dem Motto: Beweise, dass du keine Hexe bist“, kommentierte dies Bundesgeschäftsführer Willms.

Im Berliner Verfassungsschutzbericht wird die VVN-BdA nicht aufgeführt, und der Berliner Senat, ein Bündnis von SPD, Grünen und Linkspartei, hielt sich bisher mit offiziellen Reaktionen zurück. Doch die Verantwortung für das Finanzamt, das die Entscheidung getroffen hat, liegt beim rot-rot-grünen Senat. Oberste Fachaufsicht über die Finanzverwaltung in Berlin hat der SPD-Senator Matthias Kollatz.

Jüdische Organisationen reagierten entsetzt. So verurteilte Sigmount Königsberg, Beauftragter der Jüdischen Gemeinde gegen Antisemitismus, die Entscheidung mit der Bemerkung: „Was ist das für ein Signal? Engagement gegen Nazis wird sanktioniert, das kann nicht angehen.“ Königsberg warnte davor, dass es heute den VVN-BdA und morgen einen anderen Verein treffen könne. Das sei nicht hinnehmbar.

Auch das Internationale Auschwitz Komitee hat die Aberkennung der Gemeinnützigkeit scharf kritisiert. Vor dem Hintergrund alltäglicher rechtsextremer Bedrohungen bezeichnete Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner die Entscheidung als Skandal, wie es in einer Mitteilung am Samstag hieß.

Esther Bejarano im Februar 2018 im Video-Interview mit der WSWS

Die Auschwitzüberlebende und Ehrenvorsitzende der VVN-BdA, Esther Bejarano, schreibt in einem offenen Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD): „Die Arbeit der Antifa, die Arbeit antifaschistischer Vereinigungen ist heute – immer noch – bitter nötig. Für uns Überlebende ist es unerträglich, wenn heute wieder Naziparolen gebrüllt, wenn jüdische Menschen und Synagogen angegriffen werden, wenn Menschen durch die Straßen gejagt und bedroht werden, wenn Todeslisten kursieren und extreme Rechte nicht mal mehr vor Angriffen gegen Vertreter des Staates zurückschrecken.“

Bejarano wirft Scholz vor: „Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!, wollen der größten und ältesten antifaschistischen Vereinigung im Land die Arbeit unmöglich machen? Diese Abwertung unserer Arbeit ist eine schwere Kränkung für uns alle…. Wir Überlebende der Shoah sind die unbequemen Mahner, aber wir haben unsere Hoffnung auf eine bessere und friedliche Welt nicht verloren. Dafür brauchen wir und die vielen, die denken wie wir, Hilfe! Wir brauchen Organisationen, die diese Arbeit unterstützen und koordinieren.“

Sie habe sich nie vorstellen können, fährt Bejarano fort, „dass die Gemeinnützigkeit unserer Arbeit angezweifelt oder uns abgesprochen werden könnte! Dass ich das heute erleben muss! Haben diejenigen schon gewonnen, die die Geschichte unseres Landes verfälschen wollen, die sie umschreiben und überschreiben wollen? Die von Gedenkstätten als ‚Denkmal der Schande’ sprechen und den NS-Staat und seine Mordmaschine als ‚Vogelschiss in deutscher Geschichte’ bezeichnen?“

Sie fragt: „Was kann gemeinnütziger sein, als diesen Kampf zu führen? Entscheidet hierzulande tatsächlich eine Steuerbehörde über die Existenzmöglichkeit einer Vereinigung von Überlebenden der Naziverbrechen?“

Offenbar ja. Olaf Scholz hat noch weitergehende Pläne. Wie der Spiegel berichtete, will der Bundesfinanzminister und Favorit für den SPD-Vorsitz politisch aktive Vereine mithilfe der Finanzämter an die Leine legen. Steuervergünstigungen sollen für Vereine wegfallen, wenn sie sich zu sehr in die Tagespolitik einmischen. Konkret bedeute das, dass sich Vereine zwar im Rahmen ihres Vereinszwecks politisch äußern, aber nicht in die politische Willensbildung einmischen dürfen. Auch Attac und Campact ist bereits die Gemeinnützigkeit entzogen worden.

Bei Attac hatte dies der Bundesfinanzhof abgesegnet und in einem Urteil vom Januar diesen Jahres entschieden: „Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck“.

„Einflussnahme auf die politische Willensbildung“ sei unvereinbar mit steuerlicher Begünstigung. So sei „selbst eine nur geringfügige allgemein-politische Betätigung eines Studentenverbandes“ nicht gemeinnützig. Forderungen wie „Weg mit Agenda 2010 und Hartz IV, Kein Abbau von Sozialleistungen, Gegen Arbeitszwang, Für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, Keine EU-Verfassung und Abschaffung der WTO“ seien, so der BFH in seinem Urteil, „mit der Steuerbegünstigung nach § 52 AO nicht zu vereinbaren“.

Während der Einsatz gegen Faschismus, Sozialabbau und Neoliberalismus laut deutschen Finanzämtern und -gerichten nicht gemeinnützig ist, sieht es mit rechten Organisationen ganz anders aus. So gelten notorisch rechtslastige Vertriebenenverbände schon lange als gemeinnützig und steuerbegünstigt.

Ein Beispiel ist die „Landsmannschaft Schlesien“, die laut Eigendarstellung „politisch, rechtlich und kulturell die Interessen Schlesiens und der Schlesier“ vertritt und „das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf die Heimat einschließlich des Rechtes auf Eigentum“ fordert – also für revanchistische Ziele eintritt, die nur durch einen Krieg gegen Polen erreicht werden können. In den letzten Jahren machten die Jugendorganisationen der Landsmannschaft immer wieder durch Verbindungen zur NPD und anderen rechtsextremen Organisationen von sich reden.

Eine weitere als gemeinnützig anerkannt Organisation ist der Verein „Uniter“, der einem rechtsradikalen Netzwerk aus Soldaten und Polizisten zugerechnet wird und am Aufbau einer rechten Schattenarmee beteiligt sein soll – was der Verein bestreitet. Nach Recherchen des Tagesspiegels warb Uniter nicht nur ausdrücklich mit der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Spenden, sondern vergab auch regelrechte „Spenderorden“.

Umgekehrt stehen demokratische, soziale und antifaschistische Organisationen unter ständiger Beobachtung der Inlandsgeheimdienste und sind in Gefahr, auf einen Wink einer Verfassungsschutzbehörde existenziell notwendige Gelder zu verlieren.

Nach Recherchen des Blogs FragdenStaat hat das Familienministerium von 2015 bis 2018 die Daten von insgesamt 51 Projekten an den Geheimdienst weitergeleitet, darunter befinden sich sechs Projektträger aus dem Themenbereich „Antisemitismus“, acht Projektträger aus dem Themenbereich „Rassismus“ und sechs Projektträger aus dem Themenbereich „Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft“. Der Geheimdienst teilte dem Ministerium anschließend mit, ob die Projektträger förderungswürdig seien oder nicht. Welche Kriterien und Daten bei den Überprüfungen verwendet wurden, hält das Ministerium geheim.

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