Trotz ungeklärter Fragen: Torys schlachten Terroranschlag von London aus

Am Sonntag wurde das zweite Opfer des Terroranschlags in London vom letzten Freitag identifiziert: Es ist die 23-jährige Saskia Jones, eine Absolventin der Universität Cambridge. Das erste Opfer war der Cambridge-Absolvent Jack Merritt. Beide wurden von dem 28-jährigen Usman Khan erstochen.

Zwei weitere Menschen, die von Khan angegriffen wurden, befinden sich im Krankenhaus. Der Zustand des einen verbesserte sich von „kritisch“ zu „stabil“. Beide werden sich voraussichtlich wieder erholen. Eine dritte Person wurde bereits aus dem Krankenhaus entlassen.

Merritt und Jones hatten an einer Konferenz teilgenommen, bei der es um die Resozialisierung von Strafgefangenen ging. Sie wurde von der Vereinigung „Learning Together“ mit Sitz an der Universität Cambridge organisiert, die Gefangene mit höheren Bildungseinrichtungen zusammenbringt. Merritt war Koordinator, Jones nahm als Freiwillige an dem Programm teil.

Khan wurde wegen Verstoßes gegen Antiterrorgesetze zu einer Haftstrafe verurteilt, aus der er vor Kurzem vorzeitig entlassen worden war. Er nahm an einem „Deradikalisierungskurs“ mit einem Team von Learning Together teil, an dem auch Merritt beteiligt war.

Kommissarin Cressida Dick von der Metropolitan Police erklärte, die Polizei sei um 13:58 Uhr wegen einer Messerstecherei bei der Learning-Together-Veranstaltung in der Fishmonger's Hall nahe der London Bridge gerufen worden. Personal, Teilnehmer und Passanten stellten sich Khan auf der Konferenz und danach auf der London Bridge mit Stühlen, Feuerlöschern und einem Narwal-Stoßzahn in den Weg. Innerhalb von fünf Minuten wurde Khan von bewaffneten Londoner Polizisten auf der London Bridge gestellt und erschossen.

Wie bei allen Terroranschlägen darf die offizielle Darstellung auch diesmal nicht unhinterfragt übernommen werden. Schon jetzt bleiben viele beunruhigende Fragen unbeantwortet.

Genau wie alle Täter bei Terroranschlägen in der jüngeren Vergangenheit in Großbritannien und weltweit war auch Khan der Polizei und den Geheimdiensten bekannt. Was noch schlimmer ist: Seine Bewegungen wurden zum Zeitpunkt des Anschlags aktiv überwacht, und zwar, seit er im Dezember 2018 auf Bewährung freigelassen worden war. Er traf sich zweimal die Woche mit seinem Bewährungshelfer.

Als eine Bewährungsauflage musste er eine elektronische Fußfessel tragen. Er lebte in Stafford und hätte eine Genehmigung für eine Reise nach London gebraucht. Die Polizei erklärte, Khan habe sich am Tag des Anschlags an alle Bewährungsauflagen gehalten. Laut Sky News hatte er am Freitag vom Bewährungshilfedienst und der Polizei die Erlaubnis zu einer Reise nach London erhalten.

Das alles deutet darauf hin, dass die Geheimdienste wussten, dass Khan an der Veranstaltung von Learning Together teilnehmen würde. Er war mit einem Messer bewaffnet und trug eine Sprengstoff-Attrappe bei sich.

Anfang des Jahres erhielt er außerdem die Erlaubnis zu einer Fahrt nach Whitehall, der Hauptverkehrsstraße vom Trafalgar Square zum Parlament. In dieser Gegend befinden sich die Wohnung des Premierministers in 10 Downing Street sowie viele Regierungsgebäude.

Khan wurde im Jahr 2010 zusammen mit acht Komplizen verhaftet und 2012 zu einer Haftstrafe verurteilt Alle neun Personen wurden von den Geheimdiensten sorgfältig überwacht. Sie wurden inhaftiert, nachdem man sie wegen der Vorbereitung eines Bombenanschlags auf die Londoner Börse angeklagt hatte. Khan soll außerdem geplant haben, auf dem Land seiner Familie in Kaschmir eine „militärische Trainingseinrichtung für Terroristen“ zu gründen.

Nachdem sich Khan im Jahr 2012 schuldig bekannt hatte, wurde er zu einer unbefristeten Haft zum Schutze der Öffentlichkeit (IPP) verurteilt. Wer zu IPP verurteilt wird, verbüßt eine Haftstrafe von mindestens acht Jahren. Er kann erst von einem Bewährungsausschuss begnadigt werden, nachdem die Risiken für die Öffentlichkeit und ihre Opfer geprüft wurden und davon auszugehen ist, dass die Justizbehörden diese Risiken am Wohnort kontrollieren können.

Ein Jahr später hob das Berufungsgericht das Urteil auf und verwandelte die Strafe in eine 16-jährige begrenzte Haftstrafe, von der Khan die Hälfte hinter Gittern verbrachte. Anschließend wurde er planmäßig freigelassen.

Auch die Ereignisse auf der London Bridge werfen Fragen auf. Khan lag am Boden, nachdem Passanten versucht hatten, ihm seine Messer wegzunehmen, von denen er sich eines an die Hand geklebt hatte. Auf Videos ist ein Mann im Anzug zu sehen, der es geschafft hatte, Khan ein Messer zu entwenden, und damit den Tatort verlässt. Ein Polizeibeamter zerrt einen weiteren Mann von Khan herunter, und nur wenige Sekunden später wird Khan von einem weiteren Beamten erschossen.

Die British Transport Police (BTP) hat bestätigt, dass der Mann, der mit dem Messer den Tatort verlassen hat, einer ihrer Zivilbeamten war. Es ist unklar, warum der BTP-Beamte dort war und warum er den Tatort verlassen hat.

Dazu kommt das politisch günstige Timing des Terroranschlags.

Die letzten Terroranschläge in der Hauptstadt und der Anschlag auf die Manchester Arena im Jahr 2017 ereigneten sich alle vor oder im Verlauf von Wahlkämpfen.

In der letzten Woche der Kampagnen für das EU-Referendum 2016 wurde die Labour-Abgeordnete Joe Cox von einem Faschisten ermordet.

Im März 2017, kurz vor der vorgezogenen Neuwahl im Juni, wurden im Stadtteil Westminster fünf Menschen getötet und Dutzende weitere verwundet. Der Täter, Khalid Masood, fuhr auf der Westminster Bridge mit einem grauen Hyundai in eine Menschenmenge.

Bei dem Bombenanschlag in Manchester im Mai des gleichen Jahres wurden 22 Menschen von dem Selbstmordattentäter Salman Abedi getötet. Im Juni, nur fünf Tage vor der Wahl, wurden bei Anschlägen von drei Terroristen auf der London Bridge und dem Borough Market acht Menschen umgebracht.

Die damalige Premierministerin Theresa May versuchte, diese Anschläge auszunutzen, um Labour-Chef Jeremy Corbyn als zu nachgiebig im Kampf gegen den Terrorismus darzustellen. Dieser Versuch ging jedoch nach hinten los.

Trotz dieser Vorgeschichte und der fieberhaften Atmosphäre im derzeitigen Wahlkampf wurde die Terrorwarnstufe in Großbritannien am 4. November von „ernst“ auf „beträchtlich“ gesenkt. Angesichts der Wahl am 12. Dezember, die Tory-Premierminister Boris Johnson am 30. Oktober angesetzt hatte, war diese Entscheidung ungewöhnlich.

Johnson und die Tory-nahen Medien haben die brutale Ermordung der beiden jungen Menschen natürlich ausgeschlachtet. In der Sunday Times versprach Johnson, er werde „Terroristen einsperren und den Schlüssel wegwerfen“.

Johnson behauptete, von Labour initiierte Gesetze zu vorzeitigen Entlassungen seien der Grund für Khans Verbrechen, und erklärte, er werde die Bewährungsauflagen von 74 wegen Terrorismus verurteilten Personen überprüfen: „Es ist absolut klar, dass wir die gescheiterten Ansätze der Vergangenheit nicht fortsetzen dürfen. Wer wegen schwerer Terrorverbrechen schuldig gesprochen wurde, sollte mindestens 14 Jahre in Haft sitzen, einige sollten nie freigelassen werden. Bei allen terroristischen und extremistischen Straftaten muss die Strafe abgesessen werden, die vom Richter festgelegt wurde. Diese Verbrecher müssen ausnahmslos jeden Tag ihrer Haftstrafe absitzen.“

Johnson behauptete weiter, das Wahlprogramm von Labour würde „unseren Geheimdiensten inakzeptable Einschränkungen auferlegen ... Es beunruhigt mich, dass Jeremy Corbyn Pläne entwickelt, die unser System schwächen und es unseren Sicherheitsdiensten schwieriger machen, Leute aufzuhalten, die uns schaden wollen.“

In einem Interview in der Andrew Marr Show auf BBC machte er eine „linke Regierung“ für die Regeln zur vorzeitigen Haftentlassung verantwortlich.

Corbyn zeigte sich beflissen, dass er die Botschaft verstanden hat. In einem Interview mit Sophy Ridge auf Sky News erklärte er, er habe tödlichen Schusswaffeneinsatz in der Vergangenheit abgelehnt, doch die Beamten auf der London Bridge hätten „keine andere Wahl gehabt“, als Khan zu töten.

„Sie befanden sich in einer schrecklichen Situation. Es bestand die reale Gefahr, dass er einen Sprengstoffgürtel umgebunden hatte ... Was ich in der Vergangenheit gesagt habe, vor allem zum Thema Nordirland – das geht jetzt sehr weit zurück – war, dass es in Nordirland Bedenken gab, weil die Polizei dort tödliche Gewalt anwandte, wo es möglich war, Personen zu verhaften statt zu erschießen. Menschen zu erschießen sollte nie die erste Wahl sein. Aber wenn es keine Alternative gibt, muss man es tun.“

Jack Merritts Vater veröffentlichte am Sonntag eine Erklärung, in der er die Welle von Law-and-Order-Rhetorik eindrucksvoll zurückwies. Er schrieb, sein Sohn sei ein „intelligenter, nachdenklicher und einfühlsamer Mensch“ gewesen und habe „sich darauf gefreut, sich mit seiner Freundin Leanne eine Zukunft aufzubauen.

Jack hat nach seinen Grundsätzen gelebt. Er glaubte an Wiedergutmachung und Rehabilitation, nicht an Rache. Er stand immer auf der Seite der Underdogs.

Wir wissen, dass Jack nicht gewollt hätte, dass die Regierung diesen schrecklichen, isolierten Vorfall als Vorwand benutzt, um noch drakonischere Strafen zu verhängen oder Menschen länger als nötig im Gefängnis festzuhalten.“

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