Betriebsversammlung bei Daimler, Stuttgart

IG Metall kündigt weitere Angriffe auf die Beschäftigten an

Am Montag, den 2. Dezember, organisierte die IG-Metall eine Betriebsversammlung in der Hans-Martin-Schleyer-Halle, kaum mehr als 300 Meter vom Werk Untertürkheim entfernt. Laut Angaben der Gewerkschaft nahmen rund 8.500 Personen an der Versammlung teil. In Untertürkheim und den nahegelegenen Städten Mettingen und Hedelfingen sind mehr als 19.000 Menschen bei Mercedes-Benz beschäftigt.

Der Zweck dieses Treffens war es, die wütenden Arbeiter zu beruhigen. Sie hatten am Freitag durch die Medien erfahren, dass Daimler bis Ende 2022 zehntausend Arbeitsplätze abbauen will. Die IG-Metall befürchtet, dass die aufkommende Unruhe den wachsenden Widerstand gegen die Gewerkschaft verstärken und zu unkontrollierten Aktionen der Arbeiter führen könnte. Sie sieht ihre Hauptaufgabe darin, als Werkspolizei für Ordnung zu sorgen und sicherzustellen, dass die Produktion nicht unterbrochen wird.

Dass es in allen Werken gärt, hat Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht bestätigt. Im Südwestrundfunk (SWR) kritisierte er die Geschäftsleitung, weil sie die Öffentlichkeit über die mit der IG Metall erzielte Einigung informiert hatte.

Durch die Veröffentlichung von Planzahlen zum Stellenabbau habe das Unternehmen für Unruhe bei den Mitarbeitern gesorgt, zitierte ihn der SWR. „Durch die Art und Weise, wie der Vorstand hier vorgegangen ist, sind Menschen total verunsichert“, sagte Brecht. Er bestätigte, dass die Gewerkschaft dabei sei, mit dem Management noch viel weiter gehende Umstrukturierungen zu vereinbaren, indem er sagte: „Die Menschen müssen wissen, was in einigen Jahren in den Fabriken und Büros von uns abverlangt wird.“

Daimler-Arbeiter beim Verlassen der Betriebsversammlung

Die Arbeiter kamen mit gesenkten Köpfen und nachdenklichen Gesichtern aus der Versammlung. WSWS-Reporter verteilten den Perspektivartikel „Eine sozialistische Antwort auf die Massenentlassungen in der Autoindustrie“, in dem es heißt: Die Arbeiter „sind nicht nur mit den global operierenden Autokonzernen und ihren milliardenschweren Aktionären konfrontiert, sondern auch mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten, die die Angriffe gemeinsam mit den Unternehmensvorständen ausarbeiten und durchsetzen.“

Viele Arbeiter nahmen das Flugblatt mit, und einige blieben stehen und berichteten, sie hätten heute nichts Neues über ihre Zukunft erfahren.

Ein junger Arbeiter des Werks in Mettingen, in der sich die Achsenfertigung und die Gießerei befindet, sagte: „Ich habe nichts Neues erfahren. Alles wird relativiert und als harmlos dargestellt. Aber die Tatsache bleibt, dass 10.000 ihre Jobs verlieren. Ich arbeite in der Gießerei. Mehrere Tausend arbeiten dort, und niemand ist sicher, ob man weiterhin dort arbeiten kann. Denn bei der Produktion von Elektro-Fahrzeugen werden die Achsen in ihrer jetzigen Form nicht mehr gebraucht. Ich bin IG-Metall-Mitglied aus solidarischen Gründen. Ich denke aber, die sind nicht in der Lage, etwas für uns durchzusetzen. Nur Sprücheklopfen wie heute – das wird nichts bringen.“

Eine kaufmännische Angestellte sagte über den Daimler-CEO Källenius: „Er ist ein Zahlenmensch, er denkt nur in Zahlen. Wichtig sind ihm nur der ständig steigende Umsatz und die Kalkulation von Sparmaßnahmen. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass er in seiner Kalkulation die Interessen der Belegschaft berücksichtigt.“

Die Gewerkschaft sei weder fähig noch bereit, etwas dagegen zu unternehmen. „Schließlich haben die allem zugestimmt.“ Die Behauptung, bis 2030 seien die Arbeitsplätze sicher, sei mehr als fraglich. „In einer angeblichen Ausnahmesituation gilt das alles nicht. Für mich ist eins sicher: In zehn Jahren wird Daimler nicht mehr dasselbe sein wie jetzt.“

WSWS-Reporter im Gespräch

Eine andere Angestellte, die in der Entwicklung arbeitet, sagte: „Erwarten Sie von mir nichts Spannendes. Eigentlich wollte ich gar nicht herkommen.“ Sie sei mit wenig Hoffnung gekommen, hier etwas Neues zu erfahren. „Jetzt denke ich, ich wäre besser im Büro geblieben. Weder von Källenius noch von Häberle war etwas Neues zu erfahren. Mein Mann, der nur die Zeitung liest, erzählt mir mehr Details, als ich in der heutigen Betriebsversammlung zu hören bekam.“ Im ganzen Betrieb sei die Gerüchteküche am Brodeln. „Ich sage nur, wir werden jetzt häufiger Nachrichten wie am Freitag zu hören bekommen.“

Eigentlich hatten Daimler-Chef Ola Källenius und Michael Häberle, Betriebsratsvorsitzender des Werks in Untertürkheim, den Arbeitern versprochen, sie würden ihnen auf der Betriebsversammlung den geplanten Arbeitsplatzabbau erläutern. Tatsächlich ließen sie nur erkennen, dass sie entschlossen sind, die Arbeiter für den Umbau zur Kasse zu bitten.

Der Betriebsratsvorsitzende Häberle war der erste Redner. Er begann mit ernster Stimme im Ton eines selbstkritischen Top-Managers, der den Aktionären die schlechten Finanzergebnisse des Unternehmens erklärt. Er sagte, dafür gäbe es zwei Hauptgründe. Zuerst habe das Unternehmen den Umsatz trotz positiver Marktlage nicht steigern können. Die Probleme lägen „nicht in der Kundennachfrage, sondern das Unternehmen hat es nicht geschafft, ausreichend Fahrzeuge rechtzeitig auf den Markt zu bringen“.

Der zweite Grund sei der Dieselbetrug. Er sagte, dass das „für Daimler richtig viel Geld kostet“, Geld, das für Investitionen hätte genutzt werden können. Aufgrund dieser zwei Faktoren habe sich der Konzern gezwungen gesehen, „in kurzer Zeit zweimal die Gewinnprognose zu senken”.

Er fuhr fort zu erklären, wie er gedenke, die Gewinne und die Rendite zu erhöhen. „Sparen alleine ist keine klare Strategie“, sondern es brauche eine „klare Vorwärtsstrategie“, die sich ausschließlich offensiv auf neue Technologien und Investitionen konzentrieren müsse. „Sonst geht der Zukunftsplan völlig den Bach runter.“

Als Häberle auf die Vereinbarung mit dem Vorstand, 10.000 Arbeitsplätze abzubauen, zu sprechen kam, bestätigte er klar, dass auch die IG Metall den Stellenabbau für notwendig hält, um bessere finanzielle Ergebnisse zu erzielen. Häberle sagte zwar, der Betriebsrat, dem er vorsteht, verhandle noch mit der Geschäftsleitung über Details, wie der Arbeitsplatzabbau „so gut wie möglich sozialverträglich zu gestalten“ sei. Das ist die altbekannte Leier der IG Metall. Ihr geht es beim Stellenabbau nicht um das „ob“, sondern nur um das „wie“.

Häberle weigerte sich, Einzelheiten zu nennen, außer dass es einen Sozialplan, Frühpensionierungen und Abfindungen geben soll – die abgesprochene Taktik, mit der die Gewerkschaft zu beschwichtigen versucht. Es ist kein Zufall, dass Arbeitsdirektor Wilfried Porth bei seiner Ankündigung der Stellenstreichungen am Freitag genau dasselbe gesagt hatte.

In der Betriebsversammlung. Michael Häberle (rechts), Ola Källenius (Mitte)

Dann sprach Ola Källenius als zweiter Sprecher, und er dankte der Gewerkschaft für ihre Dienste: „Seit der Finanzkrise 2009 haben wir gut zusammengearbeitet.“ Zynisch hielt der hochbezahlte Manager den Arbeitern vor, die gegenwärtige Situation könne durch eine „ganz einfache Logik“ erläutert werden: „Wenn ein Haushalt weniger Geld verdient, muss die Familie sparen.“ Für ihn besteht der einzige Existenzzweck des Konzerns darin, die Dividenden pünktlich an die Aktionäre auszuschütten.

„Wir müssen bis Ende 2029 CO2-Neutralität erreichen“, sagte er. Das sei eine gewaltige Aufgabe. „Wir haben bereits enorme Investitionen getätigt, deutlich mehr als unsre Wettbewerber. Wir planen, drei Milliarden Euro an Materialkosten einzusparen.“

Das bedeute eine große Veränderung, und Daimler müsse effizienter und flexibler werden. Källenius deutete an, dass bei Daimler noch mehr Stellen gestrichen würden, indem er von „zigtausend Menschen“ sprach, die „in den kommenden zehn Jahren ihren Arbeitsplatz verlieren“. Aber was auch immer die Schwierigkeiten seien, „wir werden unsere Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht aufgeben“, so der Daimler-Chef.

Finanzanalysten haben den geplanten Stellenabbau bei Daimler begrüßt. Der Analyst der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), Frank Biller, sagte, der Elektromotor könne mit einem Siebtel der Teile gebaut werden, die ein Verbrennungsmotor enthalte. Damit benötige Daimler weniger Produktionsmitarbeiter. Er sagte: „Die Probleme sind auf dem Tisch, und sie werden jetzt angegangen, Daimler ist auf dem richtigen Weg.“

Biller warnte, „dass die jetzt angestoßenen Programme nicht ausreichen“, wenn der Autoverkauf in China noch weiter zurückgehe. VW, Daimler und BMW sind stark vom chinesischen Markt abhängig. Im Oktober sind die Autoverkäufe um 6 Prozent gesunken, und in den letzten siebzehn Monaten stagnierten die Autoverkäufe in China 16 Mal hintereinander.

Allerdings haben die stagnierenden Umsätze bisher wenig Einfluss auf die Unternehmensgewinne, weil der Stellenabbau und die Sparprogramme den Umsatzrückgang kompensieren und zur Gewinnsteigerung beitragen. Darüber berichtet das Handelsblatt in einem Artikel vom 2. Dezember.

Ihm zufolge haben seit Ende 2018 die 30 DAX-Konzerne „Effizienzprogramme“ und Sparmaßnahmen aufgelegt, um 100.000 Stellen abzubauen. Das Ziel der Unternehmen bestehe darin, „ihre Gewinne künftig Jahr für Jahr um zusammengerechnet 20 Milliarden Euro [zu] verbessern“. Diese Konzerne verdienten im Gesamtjahr 2019 vor Steuern und Zinsen voraussichtlich 130 Milliarden Euro.

Damit erzielen die Konzerne einen ähnlichen Rekordgewinn wie im Jahr 2017. BMW, Daimler und VW zusammen rechnen mit 35 Milliarden Euro. Wie in dem Handelsblatt-Artikel betont wird, reihen die Konzerne – „gemäß der Devise von Vorstandschef Bernd Scheifele [Heidelberg Cement], ‚zehn Prozent gehen immer‘ – schon lange ein Sparprogramm an das nächste, egal ob gerade Krise ist oder nicht“.

Der einzige Zweck der kapitalistischen Produktion besteht darin, den Profit kontinuierlich zu maximieren, was die brutale Ausbeutung der Arbeiter erfordert. Damit wird die Mehrheit der Weltbevölkerung systematisch in die Armut getrieben. Wenn es darum geht, diese Ausbeutung durchzusetzen, sind auf der ganzen Welt die Gewerkschaften die engsten Partner der Unternehmen. Ihre Hauptrolle besteht darin, jeden Widerstand der Arbeiter zu untergraben.

Während Arbeiter weltweit mit Stellenabbau und Sparkurs konfrontiert sind, verdienen die Gewerkschaftsfunktionäre exorbitante Summen. Die IG Metall hat jeden Anspruch aufgegeben, Arbeiterinteressen zu verteidigen, und Häberle verschanzte sich hinter dem Konzern, als er in der Betriebsversammlung sagte: „Das Unternehmen hat eine Verantwortung.“

Die Arbeiter müssen mit der IG Metall brechen und von ihr unabhängig intervenieren. Nur so können sie die massenhafte Zerstörung ihrer Arbeitsplätze im Namen der Umstellung auf Elektromobilität verhindern.

In der Erklärung der World Socialist Web Site heißt es: „Tatsächlich zeigt die Entwicklung in der Autoindustrie den Irrsinn des kapitalistischen Systems, in dem jeder technische Fortschritt dazu dient, die Ausbeutung der Arbeiterklasse zu steigern, die Taschen einer kleinen Minderheit zu füllen und Hunderttausende ins Elend zu stürzen. Sie ist ein schlagendes Argument dafür, die Autoindustrie in gesellschaftliches Eigentum zu überführen, unter Arbeiterkontrolle zu stellen und rational zu planen.“

Die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei rufen alle Arbeiter dazu auf, unabhängige Aktionskomitees in den Betrieben aufzubauen, die von einfachen Arbeitern organisiert und geleitet werden, ohne hauptamtliche Funktionäre oder Bürokraten. Nur wenn sie die Produktion in die eigenen Hände nehmen, können sie die Arbeitsplätze erhalten und gleichzeitig im Interesse der breiten Bevölkerung handeln.

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