Streikende in Frankreich protestieren gegen Premierminister Philippes Festhalten an den Rentenkürzungen

Am Wochenende setzten Zehntausende von Arbeitern in ganz Frankreich ihre Proteste und Blockaden gegen die Pläne der Regierung fort, ihre arbeiterfeindliche Politik durchzusetzen.

Demonstranten in Paris

Premierminister Edouard Philippe hatte am Mittwoch in einer Ansprache seine „Entschlossenheit“ bekundet, die Rentenkürzungen trotz der Massenstreiks und Proteste von Bahn- und Hafenarbeitern, Krankenhauspersonal, „Gelbwesten“ und Studierenden in Paris, Marseille, Lyon, Nantes und Rennes durchzusetzen. Die Gewerkschaften befürchten, dass die Streiks ihrer Kontrolle entgleiten könnten und haben deshalb für Dienstag weitere landesweite Proteste angekündigt.

Philippes Rede hat deutlich gemacht, dass er nicht nachgeben wird und dass die von den Gewerkschaften vorgeschlagene Strategie, ihn durch Verhandlungen von den Kürzungen abzubringen, bankrott ist. Zudem sind sich die Streikenden zunehmend des weltweiten Aufschwungs des Klassenkampfs bewusst, der sich u.a. in Massenprotesten in Algerien, dem Irak, dem Libanon, Chile und weiteren Ländern sowie in den Streiks der Lehrer und Autoarbeiter in Amerika äußert. Die einzig tragfähige Strategie in dieser Situation ist, für den Sturz der Regierung zu kämpfen. Die Streikenden sollten von den Gewerkschaften unabhängige Aktionskomitees bilden und beginnen, eine internationale Bewegung aufzubauen.

Demonstranten solidarisieren sich mit den weltweiten Aufständen

In den Häfen breiten sich Streiks aus. In Marseille, der größten Hafenstadt Frankreichs, waren seit Donnerstagmorgen alle Zugänge zum wichtigsten Hafen gesperrt. In Rouen blockierten Arbeiter die Hauptverwaltung des Hafens und in La Rochelle den Handelshafen. Aus Le Havre meldete die Gewerkschafterin der Dockarbeiter, Sandrine Gérard: „An acht Hauptblockadepunkten befinden sich etwa 5.000 bis 6.000 Streikende. Momentan gibt es keinen Betrieb im Hafen, die gesamte Industriezone ist stillgelegt.“

Bei der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF traten am Donnerstag 17,3 Prozent der Arbeiter in den Streik, darunter 71,6 Prozent der Lokführer. Laurent Brun vom stalinistischen Gewerkschaftsbund CGT erklärte, es werde „keinen Weihnachtsfrieden geben“. Im öffentlichen Verkehrssystem von Paris stehen zehn U-Bahnlinien weiterhin vollkommen still, und nur die Hälfte aller Busse fahren, was zu Verkehrsstaus von 544 Kilometern auf den Autobahnen geführt hat, das Doppelte der normalen Staus.

Sieben der acht französischen Ölraffinerien werden bestreikt; in der Pétroinéos-Raffinerie in Lavéra bei Marseille stimmten die Arbeiter für die Einstellung des Betriebs. Die Anlage, in der chemische Produkte und Benzin hergestellt werden, hat seit über einer Woche keinen Treibstoff mehr ausgeliefert. Da auch die Arbeiter bei Electricité de France (EDF) streiken, kam es in der Metropolregion Lille nahe der belgischen Grenze zu ersten Stromausfällen, u.a. in einem Einkaufszentrum, mehreren Schulen und einer Kindertagesstätte in Turcoing.

Reporter der WSWS nahmen am Donnerstag an einer Protestveranstaltung in Paris teil, bei der sie die Anhängerin der „Gelbwesten“, Sabine, trafen, die in einem Altenheim arbeitet. Sie erklärte, sie sei sehr wütend über Philippes Rede vom Mittwoch: „Ich demonstriere seit einem Jahr. Ich trage eine gelbe Warnweste – und ja, ich bin mit seiner Rede von gestern nicht einverstanden. Sie erhöhen das Rentenalter faktisch auf 64 Jahre, obwohl das nicht möglich ist. Sie versetzen sich nicht in die Lage von Leuten, die hart arbeiten. Macron lebt in einer Blase, genau wie alle hohen Vertreter der Regierung.“

Sabine

Sie betonte, dass die Lebensbedingungen für Altenpfleger „sehr hart“ sind: „Man braucht ein Auto zum Arbeiten, aber Altenpfleger verdienen nur 1.000 bis 1.300 Euro im Monat. Es ist absurd, dass man mit einem so niedrigen Gehalt ein Auto bezahlen soll, aber man muss: Wer kein Auto hat, findet keine Arbeit. Außerdem muss man Dutzende Besuche am Tag machen und ältere Menschen waschen und bewegen, die oft völlig alleine sind. ... Wir bekommen keine Hilfe, keine Boni, nichts von alldem. Das sind einfach entwürdigende Zustände.“

Sabine erklärte weiter: „In 20 Jahren wird es doppelt so viele alte Menschen geben. Ich weiß nicht, was wir dann tun werden. Heute müssen wir wie die Verrückten kämpfen, um nur etwas mehr als den Mindestlohn zu bekommen. Es ist unmöglich, wie werden wir uns 3.000 Euro pro Monat für ein Altenheim leisten können? Soll das die ganze Familie bezahlen? Und was, wenn jemand keine Familie hat? Wir sind jetzt also in einer Sackgasse.“

Sie fügte hinzu: „Ich höre, dass überall über Revolution geredet wird, ich höre das alles, Leute die rebellieren und die Regierung stürzen wollen.“

Sabine erklärte, sie wolle den Streik nach Philippes Äußerungen fortsetzen, da die Regierungsvertreter „inkompetent, Diebe und Lügner“ sind. „Wir haben genug, diese Reform ist ein Betrug. Ihre Pläne zur Einführung von Rentenkonten waren schon im Oktober fertig. Die französische Bevölkerung hat das seit mehr als einem Jahr begriffen. Sie ist zu einem Großteil in den sozialen Medien aufgewacht.“

Auch der Bahnarbeiter Guillaume, ein Gewerkschaftsmitglied, sprach sich bei einer Demonstration in Paris gegenüber WSWS-Reportern gegen die Rentenkürzungen aus: „Ich glaube, die meisten Menschen werden ernsthafte Probleme mit dieser Reform haben. ... Ich kämpfe nicht nur für mich selbst. Ich glaube, diese Reform ist sehr schädlich für die sozialen Rechte in Frankreich. Deshalb bin ich hier.“

Guillaume

Er fügte hinzu: „Wir möchten, dass der Großteil der französischen Bevölkerung, auch diejenigen, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind, gegen diese Reform mobil machen, weil sie für alle schlecht sein wird.“

Über den wilden Streik in den Eisenbahnreparatur-Werken in Châtillon im Oktober und November erklärte Guillaume: „Es zeigt, dass die Arbeiter einfach genug hatten, und vor allem zeigt es, dass das Arbeitsgesetz gescheitert ist. ... Nach einiger Zeit kommen die Arbeiter zusammen und entscheiden einfach selbst etwas zu tun, es gibt keinen anderen Weg, niemand repräsentiert sie. Wenn das Management keinen mehr hat, mit dem es reden und versuchen kann, die Probleme zu lösen, wird früher oder später ein Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen.“

Über den Kampf gegen die Reform sagte Guillaume, er hoffe, dass ein Streik am Dienstag Macron dazu bringen wird, seine Kürzungen aufzugeben: „Dienstag wird der entscheidende Tag in diesem Kampf sein. Wenn am Dienstag noch mehr Leute demonstrieren, noch mehr Industriezweige in dem Streik vertreten sind, dann wird er irgendwann erkennen müssen, dass etwas getan werden muss. Entweder er nimmt die Reform zurück oder er verbessert sie. Er kann nicht so völlig unflexibel bleiben, wie er es in seiner Rede war. Das ist nicht möglich.“

Als die Reporter der WSWS ihn warnten, Macron werde nicht nachgeben, und auf die wachsende Welle von Kämpfen auf der ganzen Welt hinwiesen, antwortete Guilliaume: „Ich glaube, das ist die Lösung. Wir leben in einer völlig offenen Welt. Angesichts dieser Globalisierung ist der einzige Ausweg für Arbeiter auf der ganzen Welt die Erkenntnis, dass sie zusammen mehr fordern können. Sie können den Anteil am Kuchen erhöhen, der an diejenigen geht, die den Reichtum tatsächlich erarbeiten.“

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